Seit dem Beitritt Kirgisistans zur EAWU im Jahr 2015 musste das Land immer wieder Fehler und Mängel rechtfertigen. Das Hauptproblem besteht darin, Standards der Organisation umzusetzen, die eine Mitgliedschaft in der EAWU zu einer echten Herausforderung machen.
Zunächst einmal ging es um die phytosanitäre und tierärztliche Kontrolle. In der Erkenntnis, dass es für das kleine Land nicht einfach sein wird, alle notwendigen Anforderungen zu erfüllen, haben Russland und Kasachstan Anfang 2015 zugestimmt, finanzielle Unterstützung zu leisten – 200 Millionen US-Dollar bzw. 100 Millionen US-Dollar. Der zweite Teil – der kasachische Teil des Zuschusses – wurde dann aber in Bischkek abgelehnt, sodass es dem Land erst im Frühjahr 2019 möglich war, den kirgisischen Veterinärdienst auf EAWU-Standard zu bringen. So war das vergangene Jahr das erste Jahr, in dem das Land „mit voller Kraft“ seine Mitgliedschaft wahrnahm – obwohl Kirgisistan mehr als vier Jahre schon Mitglied der Gemeinschaft war.
Die Verzichtsentscheidung lag in einem heftigen Streit mit dem Nachbarland Kasachstan begründet, der zeigt, dass die EAWU zwar freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitskräfteverkehr verspricht, aber machtlos ist, wenn sich zwei Mitgliedstaaten untereinander bekämpfen. Ein kurzer Blick zurück: Kasachstans erster Präsident Nursultan Nasarbajew traf sich während des kirgisischen Wahlkampfes 2017 mit dem Oppositionskandidaten Ömürbek Babanow und verkündete anschließend, Kirgisistan brauche „einen jungen Präsidenten“. Babanow war damals 47 Jahre alt und sein Gegner Sooronbai Dscheenbekow war 59. Zwar betrachtete Präsident Atambayew den 59-jährigen Dscheenbekow als seinen Nachfolger und reagierte auf die kasachische Entgleisung hart, jedoch nur verbal. Nicht aber Nasarbajew, der als Reaktion auf die strenge diplomatische Note Kirgisistans die Grenzen zum Nachbarland dicht machte: Autos und vor allem Lastwagen wurden so gründlich inspiziert, dass die Fahrer sechs Tage lang Schlange stehen mussten.
Konflikte mit Kasachstan
Der Konflikt zwischen Atambajew und Nasarbajew ist längst beendet, aber Bischkeks Klagen über das unfaire Spiel im Rahmen der EAWU sind noch immer zu hören. Im März 2019 sagte der kirgisische Vizepremierminister Samirbek Askarow: „Es gibt Fakten über protektionistische Politik und ungesunde Konkurrenz seitens einiger Kontrollorgane einiger Unionsmitglieder.“ Er hat nicht gesagt, wen genau er meint, aber angesichts der Tatsache, dass der Politiker um Fürsprache Moskaus gebeten hat (das selbst manchmal kirgisische Waren zurückgibt), bleibt die Auswahl ziemlich klein. Belarus und Armenien können Kirgisistan kaum ernsthaft unter Druck setzen, daher ist klar, dass Askarow Kasachstan meinte.
Und es ist logisch: Kirgisistan ist ein Binnenstaat und alle seine Handelswege führen durch Kasachstan. Für Kasachstan ist es leicht, seinem kleinen Nachbarland zu schaden: Schon seit April 2019 kontrollieren kasachische Zollbeamte zum Beispiel Dokumente kirgisischer Fahrer: Rechnungen, technische Pässe für Autos und anderes. Dieses Verfahren schafft schnell eine Warteschlange, durch die Unternehmer große Verluste erleiden – Äpfel, die in den Lastwagen zu verfaulen beginnen, können nicht mehr zum Verkauf angeboten werden.
Systemische Probleme
Bei Kasachstans formalen Vorwürfen an seinen südlichen Nachbarn im Jahr 2017 ging es vor allem um zu hohe Mengen chinesischer Schmuggelware, die über kirgisisches Territorium transportiert wurde. Und dies ist das zweite systemische Problem der Mitgliedschaft des Landes in der EAWU, das vom ersten Tag an bestand und bis heute nicht gelöst wurde. Es ist leicht zu beweisen, dass die kirgisische Zollarbeit nicht allzu ordentlich ausgeführt wird; es reicht zu vergleichen, wie viele Waren aus China nach Kirgisistan exportiert werden und wie viele chinesische Importe von den kasachischen Zollbeamten registriert wurden. Diese von der kasachischen Regierung vorgelegten Zahlen unterscheiden sich mitunter in vielerlei Hinsicht: So gingen beispielsweise 2016 rund 4,1 Milliarden US-Dollar „verloren“ – Waren in Höhe von 5,6 Milliarden US-Dollar hat China nach Kirgisistan exportiert und nur 1,5 Milliarden wurden weiter nach Kasachstan geliefert.
Der Ordnung halber muss daran erinnert werden, dass auch Kasachstan selbst eine längere Grenze zu China hat und auch dort Schmuggel stattfindet – aber so große Ausmaße werden nur in Kirgisistan erreicht. Und wenn Kirgisistan nicht wenigstens den Anschein einer Lösung schafft, wird es von anderen EAWU-Mitgliedern immer wieder für Fehler gescholten. Allerdings hat Präsident Dscheenbekow bereits eine umfangreiche Digitalisierung der Zollformalitäten angekündigt, die theoretisch den Zoll transparenter machen könnte.
Es gibt jedoch einen Bereich, in dem der Beitritt Kirgisistans zur EAWU zu einem eindeutigen Erfolg geführt hat. Um dies zu verstehen, reicht es, in Moskau ein Taxi zu fahren – wahrscheinlich ist der Fahrer ein gebürtiger Kirgise. Dank des offiziellen Status der russischen Sprache in der Republik können sie mit einem kirgisischen Führerschein arbeiten und sind von einer Reihe bürokratischer Barrieren befreit – im Gegensatz zu den Bürgern der Nachbarländer Usbekistan und Tadschikistan. Darüber hinaus haben die in Russland geschaffenen günstigen Bedingungen für die Bürger der EAWU-Länder dazu geführt, dass immer mehr Menschen dauerhaft nach Russland ziehen.
Kirgisistans komplexe und umstrittene Erfahrungen in der EAWU werden von seinem großen Nachbarn Usbekistan – dem Russland den Beitritt zur EAWU im Herbst 2019 angeboten hat und dessen Bevölkerung 32 Millionen beträgt, während es in Kirgisistan lediglich sechs Millionen sind – sorgfältig analysiert. Dies ist bereits aus den ersten Aussagen usbekischer Politiker ersichtlich. Als Argument „für“ einen Beitritt erwähnen sie die Erleichterung des Lebens von Gastarbeitern und als Argument „dagegen“ die Notwendigkeit, eine groß angelegte Standardisierung ihrer Produkte durchzuführen, die in Kirgisistan viel Zeit in Anspruch genommen hat.
Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1-2020 des Außenwirtschaftsmagazins OstContact erschienen. Erhältlich im OWC-Shop und in unserer OWC-App
EAWU Insights: Kirgisistan – Eine kleine Bergrepublik kämpft mit ihren Nachbarn
Seit dem Beitritt Kirgisistans zur EAWU im Jahr 2015 musste das Land immer wieder Fehler und Mängel rechtfertigen. Das Hauptproblem besteht darin, Standards der Organisation umzusetzen, die eine Mitgliedschaft in der EAWU zu einer echten Herausforderung machen.
Zunächst einmal ging es um die phytosanitäre und tierärztliche Kontrolle. In der Erkenntnis, dass es für das kleine Land nicht einfach sein wird, alle notwendigen Anforderungen zu erfüllen, haben Russland und Kasachstan Anfang 2015 zugestimmt, finanzielle Unterstützung zu leisten – 200 Millionen US-Dollar bzw. 100 Millionen US-Dollar. Der zweite Teil – der kasachische Teil des Zuschusses – wurde dann aber in Bischkek abgelehnt, sodass es dem Land erst im Frühjahr 2019 möglich war, den kirgisischen Veterinärdienst auf EAWU-Standard zu bringen. So war das vergangene Jahr das erste Jahr, in dem das Land „mit voller Kraft“ seine Mitgliedschaft wahrnahm – obwohl Kirgisistan mehr als vier Jahre schon Mitglied der Gemeinschaft war.
Die Verzichtsentscheidung lag in einem heftigen Streit mit dem Nachbarland Kasachstan begründet, der zeigt, dass die EAWU zwar freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitskräfteverkehr verspricht, aber machtlos ist, wenn sich zwei Mitgliedstaaten untereinander bekämpfen. Ein kurzer Blick zurück: Kasachstans erster Präsident Nursultan Nasarbajew traf sich während des kirgisischen Wahlkampfes 2017 mit dem Oppositionskandidaten Ömürbek Babanow und verkündete anschließend, Kirgisistan brauche „einen jungen Präsidenten“. Babanow war damals 47 Jahre alt und sein Gegner Sooronbai Dscheenbekow war 59. Zwar betrachtete Präsident Atambayew den 59-jährigen Dscheenbekow als seinen Nachfolger und reagierte auf die kasachische Entgleisung hart, jedoch nur verbal. Nicht aber Nasarbajew, der als Reaktion auf die strenge diplomatische Note Kirgisistans die Grenzen zum Nachbarland dicht machte: Autos und vor allem Lastwagen wurden so gründlich inspiziert, dass die Fahrer sechs Tage lang Schlange stehen mussten.
Konflikte mit Kasachstan
Der Konflikt zwischen Atambajew und Nasarbajew ist längst beendet, aber Bischkeks Klagen über das unfaire Spiel im Rahmen der EAWU sind noch immer zu hören. Im März 2019 sagte der kirgisische Vizepremierminister Samirbek Askarow: „Es gibt Fakten über protektionistische Politik und ungesunde Konkurrenz seitens einiger Kontrollorgane einiger Unionsmitglieder.“ Er hat nicht gesagt, wen genau er meint, aber angesichts der Tatsache, dass der Politiker um Fürsprache Moskaus gebeten hat (das selbst manchmal kirgisische Waren zurückgibt), bleibt die Auswahl ziemlich klein. Belarus und Armenien können Kirgisistan kaum ernsthaft unter Druck setzen, daher ist klar, dass Askarow Kasachstan meinte.
Und es ist logisch: Kirgisistan ist ein Binnenstaat und alle seine Handelswege führen durch Kasachstan. Für Kasachstan ist es leicht, seinem kleinen Nachbarland zu schaden: Schon seit April 2019 kontrollieren kasachische Zollbeamte zum Beispiel Dokumente kirgisischer Fahrer: Rechnungen, technische Pässe für Autos und anderes. Dieses Verfahren schafft schnell eine Warteschlange, durch die Unternehmer große Verluste erleiden – Äpfel, die in den Lastwagen zu verfaulen beginnen, können nicht mehr zum Verkauf angeboten werden.
Systemische Probleme
Bei Kasachstans formalen Vorwürfen an seinen südlichen Nachbarn im Jahr 2017 ging es vor allem um zu hohe Mengen chinesischer Schmuggelware, die über kirgisisches Territorium transportiert wurde. Und dies ist das zweite systemische Problem der Mitgliedschaft des Landes in der EAWU, das vom ersten Tag an bestand und bis heute nicht gelöst wurde. Es ist leicht zu beweisen, dass die kirgisische Zollarbeit nicht allzu ordentlich ausgeführt wird; es reicht zu vergleichen, wie viele Waren aus China nach Kirgisistan exportiert werden und wie viele chinesische Importe von den kasachischen Zollbeamten registriert wurden. Diese von der kasachischen Regierung vorgelegten Zahlen unterscheiden sich mitunter in vielerlei Hinsicht: So gingen beispielsweise 2016 rund 4,1 Milliarden US-Dollar „verloren“ – Waren in Höhe von 5,6 Milliarden US-Dollar hat China nach Kirgisistan exportiert und nur 1,5 Milliarden wurden weiter nach Kasachstan geliefert.
Der Ordnung halber muss daran erinnert werden, dass auch Kasachstan selbst eine längere Grenze zu China hat und auch dort Schmuggel stattfindet – aber so große Ausmaße werden nur in Kirgisistan erreicht. Und wenn Kirgisistan nicht wenigstens den Anschein einer Lösung schafft, wird es von anderen EAWU-Mitgliedern immer wieder für Fehler gescholten. Allerdings hat Präsident Dscheenbekow bereits eine umfangreiche Digitalisierung der Zollformalitäten angekündigt, die theoretisch den Zoll transparenter machen könnte.
Es gibt jedoch einen Bereich, in dem der Beitritt Kirgisistans zur EAWU zu einem eindeutigen Erfolg geführt hat. Um dies zu verstehen, reicht es, in Moskau ein Taxi zu fahren – wahrscheinlich ist der Fahrer ein gebürtiger Kirgise. Dank des offiziellen Status der russischen Sprache in der Republik können sie mit einem kirgisischen Führerschein arbeiten und sind von einer Reihe bürokratischer Barrieren befreit – im Gegensatz zu den Bürgern der Nachbarländer Usbekistan und Tadschikistan. Darüber hinaus haben die in Russland geschaffenen günstigen Bedingungen für die Bürger der EAWU-Länder dazu geführt, dass immer mehr Menschen dauerhaft nach Russland ziehen.
Kirgisistans komplexe und umstrittene Erfahrungen in der EAWU werden von seinem großen Nachbarn Usbekistan – dem Russland den Beitritt zur EAWU im Herbst 2019 angeboten hat und dessen Bevölkerung 32 Millionen beträgt, während es in Kirgisistan lediglich sechs Millionen sind – sorgfältig analysiert. Dies ist bereits aus den ersten Aussagen usbekischer Politiker ersichtlich. Als Argument „für“ einen Beitritt erwähnen sie die Erleichterung des Lebens von Gastarbeitern und als Argument „dagegen“ die Notwendigkeit, eine groß angelegte Standardisierung ihrer Produkte durchzuführen, die in Kirgisistan viel Zeit in Anspruch genommen hat.
Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1-2020 des Außenwirtschaftsmagazins OstContact erschienen.
Erhältlich im OWC-Shop und in unserer OWC-App