Das deutsche Unternehmen Formel D ist ein globaler Dienstleister, der für Fahrzeughersteller und -zulieferer die Qualität ihrer Produkte und Prozesse in der kompletten Wertschöpfungskette sicherstellt. Wir sprachen mit Konstantin Blagodarov, Director Operations and Sales Central and Eastern Europe, über den derzeitigen Zustand des russischen Automobilmarkts und Szenarien der zukünftigen Entwicklung.
Deutschlands Autoproduktion steht still. Im vergangenen Monat meldeten die Händler kaum Verkäufe. Viele Experten sagen, dass auch der russische Automobilmarkt stark eingebrochen ist. Wie stellt sich die Situation konkret dar?
Im Zuge der Coronakrise waren fast alle russischen Automobilhersteller gezwungen, ihre Produktion einzustellen. Allerdings hat die Situation in den verschiedenen Regionen Russlands je nach epidemiologischer Situation eine unterschiedliche Entwicklung genommen. Während die Arbeit in Moskau und im Moskauer Gebiet für die meisten Unternehmen nach wie vor stark eingeschränkt ist, haben zum Zeitpunkt unseres Gesprächs Automobilhersteller mit Sitz in anderen russischen Regionen ihre Produktion wieder aufgenommen. Dazu gehören unter anderem GAZ, AwtoWAS und UAZ. Der Lkw-Hersteller KAMAZ produziert sogar bereits seit dem 6. April wieder.
Die andere Seite des Problems ist jedoch die Nachfrage. Diese ist aufgrund der arbeitsfreien Zeit und der Selbstquarantäne deutlich zurückgegangen. Man muss verstehen, dass die Auswahl und der Kauf eines Autos ein Prozess ist, der nicht aus der Ferne durchgeführt werden kann – selbst wenn man bequeme Online-Konfiguratoren vor Ort verwendet oder telefonische Beratung durch einen Verkaufsleiter erhält. Ein Auto aus der Ferne zu kaufen scheint mir für einen potenziellen Käufer nicht die naheliegende Wahl zu sein.
Sehen Sie die Möglichkeit für eine kurz- oder mittelfristige Erholung des Marktes?
Schon ohne die negativen Auswirkungen des Coronavirus wurde für den russischen Automobilmarkt im laufenden Jahr ein leichter Nachfragerückgang prognostiziert. Der Einbruch der Ölpreise und die anschließende Schwächung der russischen Währung sind zudem Faktoren, die den Markt zusätzlich beeinflussen.
Wir alle haben die Informationen über das starke Wachstum der Neuwagenverkäufe im März zur Kenntnis genommen. Grund dafür war die Erwartung von Preiserhöhungen wegen des schwachen Rubels. Dies ist allerdings nichts weiter als ein kurzfristiges Nachfragehoch – die weitere Nachfrageentwicklung wird von den Ölpreisen, der Stärke des russischen Rubels und den entsprechenden Auswirkungen auf die Kaufkraft der Russen abhängen. Kurzfristig kann eine Verbesserung der Situation unmittelbar nach der Aufhebung der staatlichen Quarantänemaßnahmen eintreten. Potenzielle Käufer werden endlich die Möglichkeit haben, eine Probefahrt zu machen und beim Händler ein Auto auszuwählen, das ihnen gefällt.
Ein weiterer Faktor, den man im Auge behalten sollte, ist die Fähigkeit der globalen Automobilmarktakteure, Lieferketten schnell wiederherzustellen. Stellen wir uns vor, dass in Russland der Höhepunkt der Epidemie überschritten ist und alle Automobilwerke die Möglichkeit haben, zum normalen Produktionszeitplan zurückzukehren, aber eine Reihe von Zulieferern von Komponenten aus anderen Ländern aufgrund von Produktionsstopps und den laufenden Maßnahmen gegen das Coronavirus in diesen Ländern nicht liefern können. So oder so wird 2020 für die Automobilindustrie in Russland ein sehr schwieriges Jahr werden.
Welche Hersteller könnten von der Krise profitieren? Gibt es in Russland einen Trend zurück zu heimischen Herstellern?
Mir gefällt die Idee, dass zu den heimischen Herstellern auch internationale Konzerne gezählt werden, die eine Produktion in Russland haben, Entwicklungszentren schaffen und an einem Lokalisierungsprogramm für die gesamte Wertschöpfungskette arbeiten. Man muss wissen, dass der russische Automobilmarkt hauptsächlich auf die Inlandsnachfrage ausgerichtet ist. In diesem System werden meiner Meinung nach nur diejenigen Unternehmen erfolgreich sein, deren Lokalisierungsgrad hoch und deren Abhängigkeit von importierten Komponenten möglichst niedrig ist. Natürlich sind dies in erster Linie inländische Marken im klassischen Sinne. Aber auch internationale Hersteller können bei entsprechendem Lokalisierungsgrad eine starke Position einnehmen. Dagegen werden Unternehmen, die ihre Produkte nach Russland importieren, zunehmend mit einem Rückgang der Nachfrage nach ihren Autos konfrontiert werden, zum Beispiel wenn der Rubel schwächer wird.
Eröffnet die Krise auch neue Möglichkeiten? Wird zum Beispiel der Übergang zu Elektrofahrzeugen beschleunigt? Welche (staatlichen) Unterstützungsmaßnehmen wären dafür erforderlich?
Im Moment sehe ich keinen direkten Zusammenhang zwischen den Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus und der Einstellung der Automobilproduktion in Russland einerseits und der Beschleunigung des Übergangs zu Elektroautos andererseits. Aktuell ist der Kauf eines Elektroautos in Russland noch kein Massenphänomen, sondern erfolgt primär aus Imagegründen.
Die Hauptvoraussetzung für einen nachhaltigen Übergang zur Elektromobilität setzt meinem Verständnis nach ein geplantes und klares Programm auf staatlicher Ebene voraus. Und hier gibt es tatsächlich einige Initiativen. So hat die EAWU zum Beispiel beschlossen, den Zollsatz für die Einfuhr bestimmter Arten von Fahrzeugen mit Elektromotoren auf null zu setzen. Die Hauptmotivation dafür ist zum einen die fehlende heimische Produktion von Elektrofahrzeugen und zum anderen die Stimulierung des Marktes für Ladeinfrastruktur. Für die weitere Entwicklung muss zuerst eine Nachfrage nach Elektroautos generiert werden. Hier können ausländische Hersteller natürlich profitieren, indem sie ihre Elektroautos in Russland anbieten. Ein weiteres Beispiel ist ein Projekt der Moskauer Stadtregierung zur Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs. Schon heute werden in Moskau zahlreiche Elektrobusse eingesetzt.
Meiner Meinung nach kann auch SPIK 2.0 ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Entwicklung des Marktes für Elektrofahrzeuge in Russland sein. Die russische Regierung zeigt ein starkes Interesse an der Entwicklung moderner und technologischer Produktionsstätten, deren Produkte nicht nur auf dem russischen, sondern auch auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sein können. Die Produktion von Elektroautos in Russland würde diesen Anforderungen entsprechen.
In Russland konzentriert sich Formel D auf die Organisation und Durchführung von Gesamtfahrzeugerprobungen, einschließlich der Logistik- und Zollprozesse sowie auf Qualitäts- und Lieferantenmanagement in der Automobilindustrie.
Interview: „2020 wird ein schwieriges Jahr für die russische Autoindustrie“
Das deutsche Unternehmen Formel D ist ein globaler Dienstleister, der für Fahrzeughersteller und -zulieferer die Qualität ihrer Produkte und Prozesse in der kompletten Wertschöpfungskette sicherstellt. Wir sprachen mit Konstantin Blagodarov, Director Operations and Sales Central and Eastern Europe, über den derzeitigen Zustand des russischen Automobilmarkts und Szenarien der zukünftigen Entwicklung.
Deutschlands Autoproduktion steht still. Im vergangenen Monat meldeten die Händler kaum Verkäufe. Viele Experten sagen, dass auch der russische Automobilmarkt stark eingebrochen ist. Wie stellt sich die Situation konkret dar?
Im Zuge der Coronakrise waren fast alle russischen Automobilhersteller gezwungen, ihre Produktion einzustellen. Allerdings hat die Situation in den verschiedenen Regionen Russlands je nach epidemiologischer Situation eine unterschiedliche Entwicklung genommen. Während die Arbeit in Moskau und im Moskauer Gebiet für die meisten Unternehmen nach wie vor stark eingeschränkt ist, haben zum Zeitpunkt unseres Gesprächs Automobilhersteller mit Sitz in anderen russischen Regionen ihre Produktion wieder aufgenommen. Dazu gehören unter anderem GAZ, AwtoWAS und UAZ. Der Lkw-Hersteller KAMAZ produziert sogar bereits seit dem 6. April wieder.
Die andere Seite des Problems ist jedoch die Nachfrage. Diese ist aufgrund der arbeitsfreien Zeit und der Selbstquarantäne deutlich zurückgegangen. Man muss verstehen, dass die Auswahl und der Kauf eines Autos ein Prozess ist, der nicht aus der Ferne durchgeführt werden kann – selbst wenn man bequeme Online-Konfiguratoren vor Ort verwendet oder telefonische Beratung durch einen Verkaufsleiter erhält. Ein Auto aus der Ferne zu kaufen scheint mir für einen potenziellen Käufer nicht die naheliegende Wahl zu sein.
Sehen Sie die Möglichkeit für eine kurz- oder mittelfristige Erholung des Marktes?
Schon ohne die negativen Auswirkungen des Coronavirus wurde für den russischen Automobilmarkt im laufenden Jahr ein leichter Nachfragerückgang prognostiziert. Der Einbruch der Ölpreise und die anschließende Schwächung der russischen Währung sind zudem Faktoren, die den Markt zusätzlich beeinflussen.
Wir alle haben die Informationen über das starke Wachstum der Neuwagenverkäufe im März zur Kenntnis genommen. Grund dafür war die Erwartung von Preiserhöhungen wegen des schwachen Rubels. Dies ist allerdings nichts weiter als ein kurzfristiges Nachfragehoch – die weitere Nachfrageentwicklung wird von den Ölpreisen, der Stärke des russischen Rubels und den entsprechenden Auswirkungen auf die Kaufkraft der Russen abhängen. Kurzfristig kann eine Verbesserung der Situation unmittelbar nach der Aufhebung der staatlichen Quarantänemaßnahmen eintreten. Potenzielle Käufer werden endlich die Möglichkeit haben, eine Probefahrt zu machen und beim Händler ein Auto auszuwählen, das ihnen gefällt.
Ein weiterer Faktor, den man im Auge behalten sollte, ist die Fähigkeit der globalen Automobilmarktakteure, Lieferketten schnell wiederherzustellen. Stellen wir uns vor, dass in Russland der Höhepunkt der Epidemie überschritten ist und alle Automobilwerke die Möglichkeit haben, zum normalen Produktionszeitplan zurückzukehren, aber eine Reihe von Zulieferern von Komponenten aus anderen Ländern aufgrund von Produktionsstopps und den laufenden Maßnahmen gegen das Coronavirus in diesen Ländern nicht liefern können. So oder so wird 2020 für die Automobilindustrie in Russland ein sehr schwieriges Jahr werden.
Welche Hersteller könnten von der Krise profitieren? Gibt es in Russland einen Trend zurück zu heimischen Herstellern?
Mir gefällt die Idee, dass zu den heimischen Herstellern auch internationale Konzerne gezählt werden, die eine Produktion in Russland haben, Entwicklungszentren schaffen und an einem Lokalisierungsprogramm für die gesamte Wertschöpfungskette arbeiten. Man muss wissen, dass der russische Automobilmarkt hauptsächlich auf die Inlandsnachfrage ausgerichtet ist. In diesem System werden meiner Meinung nach nur diejenigen Unternehmen erfolgreich sein, deren Lokalisierungsgrad hoch und deren Abhängigkeit von importierten Komponenten möglichst niedrig ist. Natürlich sind dies in erster Linie inländische Marken im klassischen Sinne. Aber auch internationale Hersteller können bei entsprechendem Lokalisierungsgrad eine starke Position einnehmen. Dagegen werden Unternehmen, die ihre Produkte nach Russland importieren, zunehmend mit einem Rückgang der Nachfrage nach ihren Autos konfrontiert werden, zum Beispiel wenn der Rubel schwächer wird.
Eröffnet die Krise auch neue Möglichkeiten? Wird zum Beispiel der Übergang zu Elektrofahrzeugen beschleunigt? Welche (staatlichen) Unterstützungsmaßnehmen wären dafür erforderlich?
Im Moment sehe ich keinen direkten Zusammenhang zwischen den Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus und der Einstellung der Automobilproduktion in Russland einerseits und der Beschleunigung des Übergangs zu Elektroautos andererseits. Aktuell ist der Kauf eines Elektroautos in Russland noch kein Massenphänomen, sondern erfolgt primär aus Imagegründen.
Die Hauptvoraussetzung für einen nachhaltigen Übergang zur Elektromobilität setzt meinem Verständnis nach ein geplantes und klares Programm auf staatlicher Ebene voraus. Und hier gibt es tatsächlich einige Initiativen. So hat die EAWU zum Beispiel beschlossen, den Zollsatz für die Einfuhr bestimmter Arten von Fahrzeugen mit Elektromotoren auf null zu setzen. Die Hauptmotivation dafür ist zum einen die fehlende heimische Produktion von Elektrofahrzeugen und zum anderen die Stimulierung des Marktes für Ladeinfrastruktur. Für die weitere Entwicklung muss zuerst eine Nachfrage nach Elektroautos generiert werden. Hier können ausländische Hersteller natürlich profitieren, indem sie ihre Elektroautos in Russland anbieten. Ein weiteres Beispiel ist ein Projekt der Moskauer Stadtregierung zur Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs. Schon heute werden in Moskau zahlreiche Elektrobusse eingesetzt.
Meiner Meinung nach kann auch SPIK 2.0 ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Entwicklung des Marktes für Elektrofahrzeuge in Russland sein. Die russische Regierung zeigt ein starkes Interesse an der Entwicklung moderner und technologischer Produktionsstätten, deren Produkte nicht nur auf dem russischen, sondern auch auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sein können. Die Produktion von Elektroautos in Russland würde diesen Anforderungen entsprechen.
In Russland konzentriert sich Formel D auf die Organisation und Durchführung von Gesamtfahrzeugerprobungen, einschließlich der Logistik- und Zollprozesse sowie auf Qualitäts- und Lieferantenmanagement in der Automobilindustrie.