Der Staat muss endlich handeln und eine reale Industriepolitik durchführen, die seine Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen verringert. Einen Ausweg könnte die Modernisierungspartnerschaft mit Deutschland bieten.
Vor einigen Tagen hat sich der Chef des
russischen Rechnungshofs und ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin wieder
einmal sehr besorgt über den Zustand der russischen Wirtschaft geäußert. Man
befinde sich in einer Stagnation. „Die durchschnittliche Wachstumsrate unserer
Wirtschaft betrug in den letzten zehn Jahren nur ein Prozent“, sagte Kudrin im
Rahmen einer Veranstaltung in Moskau. Seit 1990 sei die russische
Wirtschaft lediglich um 30 Prozent
gewachsen. Das Land benötige dringend strukturelle Reformen, um seine
Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten zu verringern.
Im Osten nichts Neues
Diese Diskussion wird in Russland bereits
seit Mitte der 1990er Jahre geführt. Schon damals war die Rede von der
Diversifizierung der Wirtschaft und davon, dass die Primitivisierung der
Wirtschaftsstruktur nicht den Interessen der russischen Politik entsprechen
könnte. Dabei wurde immer wieder die Dringlichkeit von strukturellen Reformen
hervorgehoben. Man könne nicht warten und müsse schnell handeln.
Wirklich gehandelt wurde dabei eigentlich
nie. In Wirklichkeit lassen die von der russischen Politik getroffenen
Entscheidungen fast keine Möglichkeiten für eine Modernisierung der Wirtschaft
zu. Alles ist auf eine möglichst hohe Stabilität und die Anhäufung von Reserven
ausgerichtet. Die politische Führung rechnet ständig mit dem „schwarzen Tag“
und richtet sich entsprechend ein. Fast alle Gesetze, die diesen Zustand
verändern sollten, haben einen rein deklarativen Charakter. Sie enthalten
zumeist keinerlei konkrete Schritte, an denen man die Prioritäten der
wirtschaftlichen Entwicklung festmachen könnte.
Durch diese konservative Herangehensweise hat Russland in den letzten 25 Jahren leider viele Chancen für eine Diversifizierung der Wirtschaft verstreichen lassen. Dies gilt auch für die aktuelle Politik. Man könnte fast meinen, dass wir uns derzeit in einer „amüsanten“ Phase unserer Geschichte befinden, in der ständig über die Struktur der Wirtschaft geklagt wird, mit einer Regierung und einem Präsidenten, die öffentlich fast in der Rolle der Opposition auftreten.
Trübe Aussichten
Einen Großteil der insgesamt 420 Milliarden US-Dollar Exporteinnahmen machen in Russland drei Warengruppen aus: Erdöl (120 Milliarden), Erdölprodukte (67 Milliarden) und Erdgas (20 Milliarden). Und hier sind die Perspektiven nicht besonders gut, insbesondere weil Europa Kurs auf eine Dekarbonisierung nimmt. Vor kurzem erst hat die EU-Kommission eine Strategie verabschiedet, die das Erreichen eine Klimaneutralität bis 2050 vorsieht. Für Russland ist dies ein bedrohliches Signal und eine Gefahr für jede Ökonomie, die auf den Export ihrer natürlichen Ressourcen ausgerichtet ist, um im Gegenzug alle anderen Waren einzukaufen.
Für mich liegt in dieser ungesunden Struktur tatsächlich die Hauptgefahr. Aber es gibt noch andere spezifische Faktoren. Zum einen gibt es keinerlei Anzeichen für ein Wirtschaftswachstum in der Welt, was die Perspektiven für eine vergrößerte Nachfrage nach russischen Rohstoffen blockiert. Ein zweiter Faktor sind die westlichen Sanktionen gegen Russland, die sich gerade verstärken. Diese schaden der Wirtschaft, weil man sich zum Beispiel kein Geld leihen kann und keinen Zugang zu Technologien erhält. Auch wirken sich die instabilen Ölpreise auf den Rubel-Wechselkurs aus, was wiederum zu Unsicherheiten bei potenziellen Investoren führt. Hinzu kommen unbegründete Erwartungen an die KMU, die stark demoralisiert sind und unter hohem bürokratischen Druck stehen.
Wege aus der Stagnation
Was die Auswege angeht, so sehe ich keine vernünftige Alternative zur Industriepolitik, so altmodisch es auch klingen mag. Im Rahmen dieser Politik sollte man erstens eine stärkere Integration innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion erreichen und zweitens die Rückkehr zur deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft sichern, die 2008 vom damaligen deutschen Außenminister Steinmeier in einer Grundsatzrede in Jekaterinburg verkündet worden war. Ich glaube hier gibt es durchaus Chancen, auch weil die wirtschaftlichen Kontakte zwischen Russland und Deutschland nach wie vor gut sind, auch in Zeiten in denen sich das Vertrauensniveau zwischen Russland und der EU auf dem Nullpunkt befindet. Zumindest solange der Konflikt in der Ostukraine noch nicht gelöst ist.
Prof. Ruslan Grinberg Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Wirtschaft an der Russischen Akademie der Wissenschaften
Grinberg kommentiert: Raus aus der Stagnation
Der Staat muss endlich handeln und eine reale Industriepolitik durchführen, die seine Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen verringert. Einen Ausweg könnte die Modernisierungspartnerschaft mit Deutschland bieten.
Vor einigen Tagen hat sich der Chef des russischen Rechnungshofs und ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin wieder einmal sehr besorgt über den Zustand der russischen Wirtschaft geäußert. Man befinde sich in einer Stagnation. „Die durchschnittliche Wachstumsrate unserer Wirtschaft betrug in den letzten zehn Jahren nur ein Prozent“, sagte Kudrin im Rahmen einer Veranstaltung in Moskau. Seit 1990 sei die russische Wirtschaft lediglich um 30 Prozent gewachsen. Das Land benötige dringend strukturelle Reformen, um seine Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten zu verringern.
Im Osten nichts Neues
Diese Diskussion wird in Russland bereits seit Mitte der 1990er Jahre geführt. Schon damals war die Rede von der Diversifizierung der Wirtschaft und davon, dass die Primitivisierung der Wirtschaftsstruktur nicht den Interessen der russischen Politik entsprechen könnte. Dabei wurde immer wieder die Dringlichkeit von strukturellen Reformen hervorgehoben. Man könne nicht warten und müsse schnell handeln.
Wirklich gehandelt wurde dabei eigentlich nie. In Wirklichkeit lassen die von der russischen Politik getroffenen Entscheidungen fast keine Möglichkeiten für eine Modernisierung der Wirtschaft zu. Alles ist auf eine möglichst hohe Stabilität und die Anhäufung von Reserven ausgerichtet. Die politische Führung rechnet ständig mit dem „schwarzen Tag“ und richtet sich entsprechend ein. Fast alle Gesetze, die diesen Zustand verändern sollten, haben einen rein deklarativen Charakter. Sie enthalten zumeist keinerlei konkrete Schritte, an denen man die Prioritäten der wirtschaftlichen Entwicklung festmachen könnte.
Durch diese konservative Herangehensweise hat Russland in den letzten 25 Jahren leider viele Chancen für eine Diversifizierung der Wirtschaft verstreichen lassen. Dies gilt auch für die aktuelle Politik. Man könnte fast meinen, dass wir uns derzeit in einer „amüsanten“ Phase unserer Geschichte befinden, in der ständig über die Struktur der Wirtschaft geklagt wird, mit einer Regierung und einem Präsidenten, die öffentlich fast in der Rolle der Opposition auftreten.
Trübe Aussichten
Einen Großteil der insgesamt 420 Milliarden US-Dollar Exporteinnahmen machen in Russland drei Warengruppen aus: Erdöl (120 Milliarden), Erdölprodukte (67 Milliarden) und Erdgas (20 Milliarden). Und hier sind die Perspektiven nicht besonders gut, insbesondere weil Europa Kurs auf eine Dekarbonisierung nimmt. Vor kurzem erst hat die EU-Kommission eine Strategie verabschiedet, die das Erreichen eine Klimaneutralität bis 2050 vorsieht. Für Russland ist dies ein bedrohliches Signal und eine Gefahr für jede Ökonomie, die auf den Export ihrer natürlichen Ressourcen ausgerichtet ist, um im Gegenzug alle anderen Waren einzukaufen.
Für mich liegt in dieser ungesunden Struktur tatsächlich die Hauptgefahr. Aber es gibt noch andere spezifische Faktoren. Zum einen gibt es keinerlei Anzeichen für ein Wirtschaftswachstum in der Welt, was die Perspektiven für eine vergrößerte Nachfrage nach russischen Rohstoffen blockiert. Ein zweiter Faktor sind die westlichen Sanktionen gegen Russland, die sich gerade verstärken. Diese schaden der Wirtschaft, weil man sich zum Beispiel kein Geld leihen kann und keinen Zugang zu Technologien erhält. Auch wirken sich die instabilen Ölpreise auf den Rubel-Wechselkurs aus, was wiederum zu Unsicherheiten bei potenziellen Investoren führt. Hinzu kommen unbegründete Erwartungen an die KMU, die stark demoralisiert sind und unter hohem bürokratischen Druck stehen.
Wege aus der Stagnation
Was die Auswege angeht, so sehe ich keine vernünftige Alternative zur Industriepolitik, so altmodisch es auch klingen mag. Im Rahmen dieser Politik sollte man erstens eine stärkere Integration innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion erreichen und zweitens die Rückkehr zur deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft sichern, die 2008 vom damaligen deutschen Außenminister Steinmeier in einer Grundsatzrede in Jekaterinburg verkündet worden war. Ich glaube hier gibt es durchaus Chancen, auch weil die wirtschaftlichen Kontakte zwischen Russland und Deutschland nach wie vor gut sind, auch in Zeiten in denen sich das Vertrauensniveau zwischen Russland und der EU auf dem Nullpunkt befindet. Zumindest solange der Konflikt in der Ostukraine noch nicht gelöst ist.
Prof. Ruslan Grinberg
Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Wirtschaft an der Russischen Akademie der Wissenschaften