Politischer
Widerstand in Russland kann gefährlich werden. Immer wieder wurden
Oppositionelle und Kritiker erschossen oder vergiftet. Der jüngste Fall:
Oppositionsführer Alexej Nawalny.
Am 2. September 2020 gab die deutsche Bundesregierung bekannt, dass die
toxikologische Untersuchung der Proben Alexej Nawalnys durch ein Speziallabor
der Bundeswehr den zweifelsfreien Nachweis eines chemischen Nervenkampfstoffes
der Nowitschok-Gruppe erbrachte. Neben den noch laufenden Untersuchungen der
Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW) haben auf Bestreben Deutschlands
Speziallabore in Frankreich und Schweden am 14. September 2020 den deutschen
Nachweis bestätigt.
EU und Russland: Quo vadis?
Unabhängig davon, wer die Vergiftung Nawalnys angezettelt hat, kann ein
Nervenkampfstoff vom Typ Nowitschok nicht in einem beliebigen „Army Shop“
erworben werden. Dies führt für Moskau zu extrem unangenehmen Fragen nach der
Herkunft der Giftsubstanz und den potenziellen Auftraggebern.
Die offenkundige Vergiftung Nawalnys könnte zu einem zentralen
Bestimmungsfaktor für die EU-Russland- Beziehungen werden, von der Verhängung
individueller Sanktionen bis hin zu einem umfassenden europäischen Pendant zum
US-amerikanischen „Magnitsky Act“ ist vieles vorstellbar. Sehr wahrscheinlich
aber bildet der Fall Nawalny den endgültigen Auslöser für eine tiefe Zäsur der
Beziehungen, von einer hybriden Entfremdung hin bis zu einem offenen Konflikt.
Auch die Aufkündigung des umstrittenen, kurz vor Abschluss stehenden
europäisch-russischen Prestige-Projektes Nord Stream 2 ist möglich, wenn auch
derzeit unwahrscheinlich; da dieses doch im strategischen Interesse
Deutschlands zu liegen scheint. Nachdem aber der nationale wie internationale
Druck auf Angela Merkel mit Blick auf das Nord Stream 2–Projekt enorm ist,
dürfte eine sehr harte Position Russland gegenüber im Fall Nawalny als
taktische Finte die einzige Chance Berlins bleiben, Nord Stream 2 abzusichern.
Der Nawalny-Faktor
Was den Verdacht gegenüber den höchsten Entscheidungsträgern im Kreml aber
massiv bestärkt, ist das Verhalten des Kremls selbst. Das offizielle Moskau
lehnt die Notwendigkeit jedweder Ermittlungsschritte ab. Selbst die Tatsache
einer Vergiftung Nawalnys wird von offiziellen Stellen geleugnet. Stattdessen
werden von staatlichen und kremlnahen Medien nach wie vor unzählige einander
widersprechende Versionen verbreitet (Alkohol-Medikamenten-Mischung, Drogen,
Vorerkrankungen, Unterzuckerung, Hitzschlag usw.). Mittlerweile werden sogar
Verdachtsmomente gegen Deutschland bzw. den Westen geäußert, demnach Nawalny in
Berlin von westlichen Agenten vergiftet worden sei. Diese Vorgehensweise lässt
sogar bei den loyalsten Anhängern Putins ernste Zweifel an der Unschuld des
Kreml aufkommen und führt zu einer schleichenden Erosion des Regimes. Auf diese
Weise wird Alexej Nawalny aus einem minder erfolgreichen und relativ
unbekannten Oppositionspolitiker schrittweise zum Symbol für den moralischen
Legitimitätsverlust der alternden russischen Führung und zu einem wichtigen
Faktor russischer Innenpolitik.
Dr. Alexander Dubowy ist Forscher im Bereich Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitikmit Schwerpunkt auf Osteuropa,
Russland und den GUS-Raum.
EAWU Insights: Der Fall Nawalny
Politischer Widerstand in Russland kann gefährlich werden. Immer wieder wurden Oppositionelle und Kritiker erschossen oder vergiftet. Der jüngste Fall: Oppositionsführer Alexej Nawalny.
Am 2. September 2020 gab die deutsche Bundesregierung bekannt, dass die toxikologische Untersuchung der Proben Alexej Nawalnys durch ein Speziallabor der Bundeswehr den zweifelsfreien Nachweis eines chemischen Nervenkampfstoffes der Nowitschok-Gruppe erbrachte. Neben den noch laufenden Untersuchungen der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW) haben auf Bestreben Deutschlands Speziallabore in Frankreich und Schweden am 14. September 2020 den deutschen Nachweis bestätigt.
EU und Russland: Quo vadis?
Unabhängig davon, wer die Vergiftung Nawalnys angezettelt hat, kann ein Nervenkampfstoff vom Typ Nowitschok nicht in einem beliebigen „Army Shop“ erworben werden. Dies führt für Moskau zu extrem unangenehmen Fragen nach der Herkunft der Giftsubstanz und den potenziellen Auftraggebern.
Die offenkundige Vergiftung Nawalnys könnte zu einem zentralen Bestimmungsfaktor für die EU-Russland- Beziehungen werden, von der Verhängung individueller Sanktionen bis hin zu einem umfassenden europäischen Pendant zum US-amerikanischen „Magnitsky Act“ ist vieles vorstellbar. Sehr wahrscheinlich aber bildet der Fall Nawalny den endgültigen Auslöser für eine tiefe Zäsur der Beziehungen, von einer hybriden Entfremdung hin bis zu einem offenen Konflikt.
Auch die Aufkündigung des umstrittenen, kurz vor Abschluss stehenden europäisch-russischen Prestige-Projektes Nord Stream 2 ist möglich, wenn auch derzeit unwahrscheinlich; da dieses doch im strategischen Interesse Deutschlands zu liegen scheint. Nachdem aber der nationale wie internationale Druck auf Angela Merkel mit Blick auf das Nord Stream 2–Projekt enorm ist, dürfte eine sehr harte Position Russland gegenüber im Fall Nawalny als taktische Finte die einzige Chance Berlins bleiben, Nord Stream 2 abzusichern.
Der Nawalny-Faktor
Was den Verdacht gegenüber den höchsten Entscheidungsträgern im Kreml aber massiv bestärkt, ist das Verhalten des Kremls selbst. Das offizielle Moskau lehnt die Notwendigkeit jedweder Ermittlungsschritte ab. Selbst die Tatsache einer Vergiftung Nawalnys wird von offiziellen Stellen geleugnet. Stattdessen werden von staatlichen und kremlnahen Medien nach wie vor unzählige einander widersprechende Versionen verbreitet (Alkohol-Medikamenten-Mischung, Drogen, Vorerkrankungen, Unterzuckerung, Hitzschlag usw.). Mittlerweile werden sogar Verdachtsmomente gegen Deutschland bzw. den Westen geäußert, demnach Nawalny in Berlin von westlichen Agenten vergiftet worden sei. Diese Vorgehensweise lässt sogar bei den loyalsten Anhängern Putins ernste Zweifel an der Unschuld des Kreml aufkommen und führt zu einer schleichenden Erosion des Regimes. Auf diese Weise wird Alexej Nawalny aus einem minder erfolgreichen und relativ unbekannten Oppositionspolitiker schrittweise zum Symbol für den moralischen Legitimitätsverlust der alternden russischen Führung und zu einem wichtigen Faktor russischer Innenpolitik.
Dr. Alexander Dubowy ist Forscher im Bereich Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitikmit Schwerpunkt auf Osteuropa, Russland und den GUS-Raum.