Gelegentlich wird in Russland behauptet, dass der sich verschärfende Handelskrieg zwischen den USA und China im russischen Interesse sei und eine gute Chance für eine Expansion auf chinesischen Märkten bieten könne. Ist dem tatsächlich so?
Ausschlaggebend für diese Auseinandersetzung sind Vorwürfe seitens der USA,
die sich auf Chinas Manipulationen im bilateralen Handel und in der
Wechselkurspolitik beziehen. Nach der Einführung von hohen Einfuhrzöllen auf
mehrere Warengruppen im Jahr 2018 ist es zwar zu einer Unterzeichnung der
ersten Phase des bilateralen Handelsvertrages im Januar 2020 gekommen, doch nur
zu einer teilweisen Wiederbelebung des Handelsverkehrs, da beide Seiten die im
Vertrag vorgesehenen Ziele aus Anlass der Coronakrise nicht erfüllen konnten
oder wollten.
Zwar trugen die Wechselkursmanipulationen der chinesischen Notenbank zu
einer Verschlechterung der “terms of trade“ (des realen Austauschverhältnisses)
aus amerikanischer Sicht bei und führten dadurch zu einer weiteren
Beeinträchtigung des US-Handelsbilanzsaldos, doch laut vieler Makroökonomen
liegt der tiefere Grund des anhaltenden Leistungsbilanzdefizits der USA in dem
seit Jahren vom übermäßigen Konsumismus geprägten Verhalten der amerikanischen
Haushalte. Damit dürfte die Behauptung der US-Politiker, der „Aufkauf des
US-Vermögens durch chinesische Investoren“ wäre allein aufgrund des
ungenügenden Schutzes der amerikanischen Gütermärkte zustande gekommen, nicht
ausreichend begründet sein.
Chinas Bedeutung als
Handelspartner wächst
Betrachtet man die Statistik des chinesisch-russischen Handels, so zeigt
sich, dass China seit 2010 Deutschland überholt hat und mit einem Anteil von
etwa 16 Prozent zum wichtigsten Handelspartner Russlands geworden ist. Der
Anteil der EU insgesamt ist zwar noch etwa zweimal höher, doch dieser Vorsprung
sollte sich in den nächsten Jahren weiter verringern. Die Expansion Chinas auf
dem russischen Markt fand also noch lange vor dem Handelskrieg mit den USA
statt. Dagegen ist der russische Anteil am chinesischen Handelsvolumen (mit bis
zu 70 Prozent aus Energielieferungen bestehend) bis zuletzt mit etwa nur einem
Prozent äußerst gering geblieben. Bei russisch-chinesischen Verhandlungen wurde
immer wieder betont, dass eine Diversifizierung notwendig sei. Eine Chance
dafür bietet sich insbesondere im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion,
da Chinas Nachfrage nach Nahrungsmitteln zunehmend steigt, während die bis zuletzt
unverzichtbaren amerikanischen Lieferungen für die Deckung des Bedarfs nicht
mehr ausreichen. Zwar hat sich China im Januar gegenüber den USA vertraglich
dazu verpflichtet, landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den USA in Höhe von
mindestens 50 Milliarden US-Dollar jährlich zu importieren, doch hat sich diese
Forderung bislang nicht erfüllt. Dabei berief sich China auf eine
Vertragsklausel, wonach Besonderheiten der inneren Nachfrage und der
allgemeinen Wirtschaftslage zu berücksichtigen seien. Gleichzeitig rief
Präsident Xi am 11. August 2020 die Bevölkerung dazu auf, mit Lebensmitteln
möglichst sparsam umzugehen, eine notwendige Forderung, weil u. a. auch durch
Überschwemmungen und den Ausfall nationaler Produktion in den Sommermonaten
bedingt.
US-chinesischer
Handelskrieg: Chance für Russland?
Die durch die US-Handelspolitik entstandene Marktnische ist offensichtlich
eine klare Chance für den russischen Agrarsektor. Doch es sind einige Hürden zu
erkennen, die eine Ausweitung der Exporte nach China deutlich erschweren: Auf
dem russischen Markt wirken sich existierende Probleme wie mangelnde
Infrastruktur, Korruption und „Amtsschimmel“-Bürokratie aus, die für deutliche
Kapazitätsbeschränkungen in der Branche sorgen. Es ist zu hoffen, dass sich die
vorhandenen Chancen auf dem chinesischen Markt zu einem wichtigen Anreiz für
russische Behörden entwickeln, um die erwähnten Probleme wenigstens in dieser
Branche zu lösen.
Andererseits sind Synergien insbesondere im Aufbau einer moderneren
Infrastruktur zu beobachten. Unter der chinesischen „Belt and Road”-Initiative
(BRI) sind Projekte zur Schaffung einer interkontinentalen Infrastruktur
zusammengefasst, die für die in Russland sowie Mittel- und Osteuropa geplanten
Infrastrukturprojekte relevant sind. So werden z. B. die geplanten
Highspeed-Verbindungen zwischen Moskau und Kasan seit 2019 bis auf Weiteres
zugunsten der Strecke Moskau – St. Petersburg zurückgestellt. Ebenso die in
russischer Breitspur geplante Verbindung zwischen der slowakischen Ostgrenze
und Wien. Aus chinesischer Sicht sind das Schlüsselprojekte für den Ausbau der
„Neuen Eurasischen Kontinentalbrücke“, die als Teilprojekt der BRI betrachtet
wird. Bei den letzten Treffen der Präsidenten Wladimir Putin und Xi Jinping
waren sich die beiden Politiker einig, dass es ihre Aufgabe sei, die BRI mit
der Entwicklung der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) zu verknüpfen. In dem
2019 in Kraft getretenen Handelsabkommen zwischen China und der EAWU ist aber
zunächst noch keine Senkung der Zölle vorgesehen. Damit bleiben die Details der
praktischen Umsetzung dieser Integrationsbemühungen sowie der entsprechende
Zeitrahmen noch ungewiss.
Russisch-chinesische
Annäherung
Die zunehmende russisch-chinesische Annäherung ist nicht nur auf den
Handelskrieg zwischen den USA und China zurückzuführen, sondern kann auch als
eine Reaktion Russlands auf eine zunehmende Isolation seitens des Westens
gesehen werden. Um in Zukunft einen Verlust des wirtschaftlichen Einflusses
Europas auf Russland zugunsten Chinas zu vermeiden, ist auf der politischen
Ebene der EU-Länder ein deutlich sorgfältigeres Vorgehen bei Entscheidungen
über eine Ausweitung der Sanktionen gegen Russland dringend angesagt. Diese
Ansicht wird auch von vielen Interessenvertretern der deutschen Wirtschaft
geteilt. So geht z. B. aus dem am 11. September veröffentlichten
Grundsatzprogramm der CDU trotz der politischen Herausforderungen der letzten
Wochen hervor, dass eine enge Zusammenarbeit mit Russland nach wie vor
vorangetrieben werden soll. Auch Russland wird künftig unabhängig von der
allgemeinen geopolitischen Lage immer noch darauf angewiesen sein, eine engere
wirtschaftliche Kooperation mit seinen westlichen Partnern aufrechtzuerhalten
und diese verstärkt in Infrastrukturprojekte einzubeziehen, um einer eventuell
drohenden Gefahr, von einem übermächtigen China wirtschaftlich und politisch
dominiert zu werden, entgegenzuwirken.
Ilja Neustadt, Dr. oec.
publ., Associate Professor an der Präsidenten-Akademie RANEPA in Moskau
(Russian Academy for National Economy and Public Administration)
Neustadt kommentiert: Handelskrieg zwischen China und den USA – Eine Chance für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der EU?
Gelegentlich wird in Russland behauptet, dass der sich verschärfende Handelskrieg zwischen den USA und China im russischen Interesse sei und eine gute Chance für eine Expansion auf chinesischen Märkten bieten könne. Ist dem tatsächlich so?
Ausschlaggebend für diese Auseinandersetzung sind Vorwürfe seitens der USA, die sich auf Chinas Manipulationen im bilateralen Handel und in der Wechselkurspolitik beziehen. Nach der Einführung von hohen Einfuhrzöllen auf mehrere Warengruppen im Jahr 2018 ist es zwar zu einer Unterzeichnung der ersten Phase des bilateralen Handelsvertrages im Januar 2020 gekommen, doch nur zu einer teilweisen Wiederbelebung des Handelsverkehrs, da beide Seiten die im Vertrag vorgesehenen Ziele aus Anlass der Coronakrise nicht erfüllen konnten oder wollten.
Zwar trugen die Wechselkursmanipulationen der chinesischen Notenbank zu einer Verschlechterung der “terms of trade“ (des realen Austauschverhältnisses) aus amerikanischer Sicht bei und führten dadurch zu einer weiteren Beeinträchtigung des US-Handelsbilanzsaldos, doch laut vieler Makroökonomen liegt der tiefere Grund des anhaltenden Leistungsbilanzdefizits der USA in dem seit Jahren vom übermäßigen Konsumismus geprägten Verhalten der amerikanischen Haushalte. Damit dürfte die Behauptung der US-Politiker, der „Aufkauf des US-Vermögens durch chinesische Investoren“ wäre allein aufgrund des ungenügenden Schutzes der amerikanischen Gütermärkte zustande gekommen, nicht ausreichend begründet sein.
Chinas Bedeutung als Handelspartner wächst
Betrachtet man die Statistik des chinesisch-russischen Handels, so zeigt sich, dass China seit 2010 Deutschland überholt hat und mit einem Anteil von etwa 16 Prozent zum wichtigsten Handelspartner Russlands geworden ist. Der Anteil der EU insgesamt ist zwar noch etwa zweimal höher, doch dieser Vorsprung sollte sich in den nächsten Jahren weiter verringern. Die Expansion Chinas auf dem russischen Markt fand also noch lange vor dem Handelskrieg mit den USA statt. Dagegen ist der russische Anteil am chinesischen Handelsvolumen (mit bis zu 70 Prozent aus Energielieferungen bestehend) bis zuletzt mit etwa nur einem Prozent äußerst gering geblieben. Bei russisch-chinesischen Verhandlungen wurde immer wieder betont, dass eine Diversifizierung notwendig sei. Eine Chance dafür bietet sich insbesondere im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion, da Chinas Nachfrage nach Nahrungsmitteln zunehmend steigt, während die bis zuletzt unverzichtbaren amerikanischen Lieferungen für die Deckung des Bedarfs nicht mehr ausreichen. Zwar hat sich China im Januar gegenüber den USA vertraglich dazu verpflichtet, landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den USA in Höhe von mindestens 50 Milliarden US-Dollar jährlich zu importieren, doch hat sich diese Forderung bislang nicht erfüllt. Dabei berief sich China auf eine Vertragsklausel, wonach Besonderheiten der inneren Nachfrage und der allgemeinen Wirtschaftslage zu berücksichtigen seien. Gleichzeitig rief Präsident Xi am 11. August 2020 die Bevölkerung dazu auf, mit Lebensmitteln möglichst sparsam umzugehen, eine notwendige Forderung, weil u. a. auch durch Überschwemmungen und den Ausfall nationaler Produktion in den Sommermonaten bedingt.
US-chinesischer Handelskrieg: Chance für Russland?
Die durch die US-Handelspolitik entstandene Marktnische ist offensichtlich eine klare Chance für den russischen Agrarsektor. Doch es sind einige Hürden zu erkennen, die eine Ausweitung der Exporte nach China deutlich erschweren: Auf dem russischen Markt wirken sich existierende Probleme wie mangelnde Infrastruktur, Korruption und „Amtsschimmel“-Bürokratie aus, die für deutliche Kapazitätsbeschränkungen in der Branche sorgen. Es ist zu hoffen, dass sich die vorhandenen Chancen auf dem chinesischen Markt zu einem wichtigen Anreiz für russische Behörden entwickeln, um die erwähnten Probleme wenigstens in dieser Branche zu lösen.
Andererseits sind Synergien insbesondere im Aufbau einer moderneren Infrastruktur zu beobachten. Unter der chinesischen „Belt and Road”-Initiative (BRI) sind Projekte zur Schaffung einer interkontinentalen Infrastruktur zusammengefasst, die für die in Russland sowie Mittel- und Osteuropa geplanten Infrastrukturprojekte relevant sind. So werden z. B. die geplanten Highspeed-Verbindungen zwischen Moskau und Kasan seit 2019 bis auf Weiteres zugunsten der Strecke Moskau – St. Petersburg zurückgestellt. Ebenso die in russischer Breitspur geplante Verbindung zwischen der slowakischen Ostgrenze und Wien. Aus chinesischer Sicht sind das Schlüsselprojekte für den Ausbau der „Neuen Eurasischen Kontinentalbrücke“, die als Teilprojekt der BRI betrachtet wird. Bei den letzten Treffen der Präsidenten Wladimir Putin und Xi Jinping waren sich die beiden Politiker einig, dass es ihre Aufgabe sei, die BRI mit der Entwicklung der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) zu verknüpfen. In dem 2019 in Kraft getretenen Handelsabkommen zwischen China und der EAWU ist aber zunächst noch keine Senkung der Zölle vorgesehen. Damit bleiben die Details der praktischen Umsetzung dieser Integrationsbemühungen sowie der entsprechende Zeitrahmen noch ungewiss.
Russisch-chinesische Annäherung
Die zunehmende russisch-chinesische Annäherung ist nicht nur auf den Handelskrieg zwischen den USA und China zurückzuführen, sondern kann auch als eine Reaktion Russlands auf eine zunehmende Isolation seitens des Westens gesehen werden. Um in Zukunft einen Verlust des wirtschaftlichen Einflusses Europas auf Russland zugunsten Chinas zu vermeiden, ist auf der politischen Ebene der EU-Länder ein deutlich sorgfältigeres Vorgehen bei Entscheidungen über eine Ausweitung der Sanktionen gegen Russland dringend angesagt. Diese Ansicht wird auch von vielen Interessenvertretern der deutschen Wirtschaft geteilt. So geht z. B. aus dem am 11. September veröffentlichten Grundsatzprogramm der CDU trotz der politischen Herausforderungen der letzten Wochen hervor, dass eine enge Zusammenarbeit mit Russland nach wie vor vorangetrieben werden soll. Auch Russland wird künftig unabhängig von der allgemeinen geopolitischen Lage immer noch darauf angewiesen sein, eine engere wirtschaftliche Kooperation mit seinen westlichen Partnern aufrechtzuerhalten und diese verstärkt in Infrastrukturprojekte einzubeziehen, um einer eventuell drohenden Gefahr, von einem übermächtigen China wirtschaftlich und politisch dominiert zu werden, entgegenzuwirken.
Ilja Neustadt, Dr. oec. publ., Associate Professor an der Präsidenten-Akademie RANEPA in Moskau (Russian Academy for National Economy and Public Administration)