Wir sprechen mit Anton Dmitrakov, CEO von EOS Russland,
einem Finanzdienstleister im Bereich Forderungsmanagement, über das hiesige
Schuldenhandling, die Folgen der Coronavirus-Pandemie für einheimische
Unternehmen und seine Vision eines idealen Marktmodells.
Herr Dmitrakov, was können wir uns unter dem
B2B-Schuldensektor in Russland vorstellen?
Die russische Wirtschaft hat in den letzten
20 Jahren eine Periode ernsthafter Entwicklungen durchlaufen. Unser Land hat
sich sowohl zu einer wichtigen globalen Logistikdrehscheibe als auch zu einem
bedeutenden Konsumenten von Waren und Dienstleistungen entwickelt. All dies
spiegelt sich in der Zunahme der gegenseitigen Verpflichtungen unter den
Marktteilnehmern wider.
Mitte des laufenden Jahres belief sich das
Volumen der Gesamtforderungen in der Wirtschaft auf 555 Milliarden Euro. Davon
beträgt der Umfang der sogenannten überfälligen Forderungen, mit denen wir bei
EOS arbeiten, fast 34 Milliarden Euro. 85 Prozent dieser Summe entfallen dabei
auf fünf Schlüsselsektoren: Produktion/Verarbeitung, Energie, Handel, Bergbau
und Bauwesen. Der Umgang mit den überfälligen Forderungen erfordert, wie in
jedem anderen Wirtschaftssektor auch, den Einsatz von Profis. Genau diesen
Mehrwert kann die EOS Group ihren Kunden bieten. Unser professioneller Ansatz
bei der Regulierung von Unternehmensschulden wird auch in Russland seit vielen
Jahren anerkannt.
34 Milliarden Euro an überfälligen Forderungen klingt
nach ganz schön viel Geld. In welchem Verhältnis lässt sich diese Zahl mit
anderen nationalen Märkten vergleichen?
In der Tat bewegt sich der Umfang noch
innerhalb normaler Grenzen. Anteilsmäßig beträgt die Summe der überfälligen
Forderungen von Unternehmen nun 6,1 Prozent. Damit bewegt sich Russland auf dem
Niveau der westeuropäischen Länder, was durch die Ergebnisse unserer jährlich
durchgeführten Studie „Europäische Zahlungsgewohnheiten“ auch bestätigt wird.
Im Jahr 2019 lag der Anteil von rechtzeitig bezahlten B2B-Rechnungen in
Russland bei 86 Prozent. Die ist ein recht hoher Wert – in Westeuropa liegt er
im Durchschnitt bei „nur“ 79 Prozent. Wirft man einen Blick auf bestimmte
Länder, so liegt Russland bei der Zahlungsdisziplin auf der gleichen Ebene wir
Deutschland, die Schweiz oder Dänemark.
Aber wir müssen auch zugeben, dass das hohe
Niveau der Zahlungsdisziplin hierzulande eine direkte Folge des geringen
Vertrauensniveaus innerhalb der Wirtschaft ist. So arbeiten die meisten
Lieferanten mit Vorauszahlungen und sehr kurzen Zahlungsfristen. Das Ergebnis
ist ein paradoxer „Zwiespalt“ – die hohe Zahlungsdisziplin verlangsamt die
wirtschaftliche Entwicklung, weil Verträge und Lieferungen im schlimmsten Fall
nur innerhalb eines engen Zirkels von „Vertrauten“ abgeschlossen werden, was
dem Markt nicht immer erlaubt, sich vollumfänglich zu entwickeln. Leider gilt
in Russland nach wie vor der Grundsatz: Ein schnelles Wachstum führt
unmittelbar zu einem höheren Risiko. Allerdings gibt es keine Entwicklung ohne
Risiko. Auch deshalb ist die Entwicklung von Risikokontrollsystemen sehr
wichtig, und wenn die Unternehmen dafür keine internen Ressourcen haben, kann
dieser Vorgang ausgelagert werden. Professionelles Inkasso ist ein integraler
Bestandteil des Risikomanagements: Der Kunde kann sich auf die Entwicklung des
Hauptgeschäfts konzentrieren und überlässt das Forderungsmanagement externen
Profis. Dieser Ansatz wird sehr schnell seine positive Wirkung entfalten.
Schließlich kommt es auch in einem sehr stabilen System immer noch zu
Zahlungsausfällen, und deren Volumen nimmt tendenziell sogar zu.
Wie schätzen Sie diesbezüglich die Auswirkungen der
Corona-Pandemie ein?
Corona spielt eine Schlüsselrolle für das
weltweite Schuldenwachstum, nicht nur in Russland. Das Wachstum der
überfälligen Schulden im B2B-Sektor wird bis Ende 2020 voraussichtlich 44
Milliarden Euro erreichen – 49 Prozent mehr im Vergleich zum Jahresanfang. Und
auch der Anteil der überfälligen Schulden an dieser Summe wird voraussichtlich
auf 8,8 Prozent steigen.
Offensichtlich wachsen die Schulden trotz kurzer
Zahlungsfristen und des geringen Vertrauens untereinander. Was ist die Lösung?
Gibt es ein ideales Modell?
Es gibt kein ideales Modell. In Wirklichkeit
führt die Verschärfung der Regeln zwar kurzfristig zu positiven Effekten,
mittel- und langfristig ist sie aber der Weg zuerst in die Stagnation und dann
in die Rezession. Wir stellen fest – und Umfragen bestätigen das auch –, dass
das Niveau der Zahlungsdisziplin in Russland nach der Krise von 2014/15 ein
stetiges Wachstum verzeichnet. Mit anderen Worten, das scheinbare Paradoxon –
ein Wachstum des Anteils von fristgerechten Zahlungen, das nicht mit
entsprechendem Wirtschaftswachstum, einschließlich der Realeinkommen,
einhergeht – ist in Wirklichkeit gar kein Paradoxon.
Um wirtschaftliches Wachstum zu
gewährleisten, ist es vielmehr notwendig, die Geschäftstätigkeit zu steigern.
Das Wachstum der Geschäftstätigkeit geht immer mit einer höheren
Kreditnachfrage einher, was einem Axiom gleichkommt. Um das Wachstum des
Umsatzes zu gewährleisten und nicht in eine Situation des Zahlungsausfalls zu
geraten, ist es daher notwendig, ein System des Risikomanagements aufzubauen. Dazu
gehören die Überprüfung der Gegenpartei, der Eigentumsstruktur, der
Geschäftshistorie usw. Deshalb ist es besser, die Abwicklung von risikoreichen
Transaktionen von Anfang an Fachleuten zu überlassen. Wenn diese einfachen
Prinzipien befolgt werden, ist es möglich, ein ausgewogenes System aufzubauen –
selbst die unvermeidlichen Problemschulden werden von höherer Qualität sein als
zuvor, was gute Aussichten auf eine Rückzahlung bietet. Dies ist auch für EOS
als professionellem Anbieter wichtig: Wir bekommen sehr oft absolut
hoffnungslose Schulden zur Begutachtung, gegen die nichts mehr getan werden
kann. Wenn die Kunden aber vor der Transaktion zu uns gekommen wären, hätten
wir den individuellen Fall schnell prüfen und bei Bedarf stoppen können, was
dem Kunden bereits viel Geld gespart hätte. Mithilfe des Risikomanagements wird
das FPD-Segment (First Payment Default) der Gegenparteien bereits im Vorfeld
abgeschnitten und EOS bearbeitet mögliche Forderungsausfälle durch
Verhandlungen oder Rechtsstreitigkeiten. Das gibt uns gute Erfolgsaussichten
und das Geld ist nicht für immer verloren.
Ich vergleiche den Waren- und Geldverkehr
gerne mit dem Blutsystem. Restriktionen sind eine Aderpresse, die den
Blutverlust verhindert. Aber wenn sie nicht rechtzeitig entfernt wird, kommt es
zur Nekrose. Gleichzeitig sind Schulden ein Blutgerinnsel, das einen
Schlaganfall verursachen kann. Und wir Schuldeneintreiber spielen die Rolle von
Medikamenten. Aber, wie bei der Gesundheit, darf mit Schulden nicht gespaßt
werden. Zumal anders als bei einem Arztbesuch für die Diagnose und Bewertung
der Schulden keine Gebühren anfallen. Der „Besuch“ ist kostenlos.
Interview: „Schulden sind wie wichtige Arztbesuche – sie dürfen nicht hinausgezögert werden“
Wir sprechen mit Anton Dmitrakov, CEO von EOS Russland, einem Finanzdienstleister im Bereich Forderungsmanagement, über das hiesige Schuldenhandling, die Folgen der Coronavirus-Pandemie für einheimische Unternehmen und seine Vision eines idealen Marktmodells.
Herr Dmitrakov, was können wir uns unter dem B2B-Schuldensektor in Russland vorstellen?
Die russische Wirtschaft hat in den letzten 20 Jahren eine Periode ernsthafter Entwicklungen durchlaufen. Unser Land hat sich sowohl zu einer wichtigen globalen Logistikdrehscheibe als auch zu einem bedeutenden Konsumenten von Waren und Dienstleistungen entwickelt. All dies spiegelt sich in der Zunahme der gegenseitigen Verpflichtungen unter den Marktteilnehmern wider.
Mitte des laufenden Jahres belief sich das Volumen der Gesamtforderungen in der Wirtschaft auf 555 Milliarden Euro. Davon beträgt der Umfang der sogenannten überfälligen Forderungen, mit denen wir bei EOS arbeiten, fast 34 Milliarden Euro. 85 Prozent dieser Summe entfallen dabei auf fünf Schlüsselsektoren: Produktion/Verarbeitung, Energie, Handel, Bergbau und Bauwesen. Der Umgang mit den überfälligen Forderungen erfordert, wie in jedem anderen Wirtschaftssektor auch, den Einsatz von Profis. Genau diesen Mehrwert kann die EOS Group ihren Kunden bieten. Unser professioneller Ansatz bei der Regulierung von Unternehmensschulden wird auch in Russland seit vielen Jahren anerkannt.
34 Milliarden Euro an überfälligen Forderungen klingt nach ganz schön viel Geld. In welchem Verhältnis lässt sich diese Zahl mit anderen nationalen Märkten vergleichen?
In der Tat bewegt sich der Umfang noch innerhalb normaler Grenzen. Anteilsmäßig beträgt die Summe der überfälligen Forderungen von Unternehmen nun 6,1 Prozent. Damit bewegt sich Russland auf dem Niveau der westeuropäischen Länder, was durch die Ergebnisse unserer jährlich durchgeführten Studie „Europäische Zahlungsgewohnheiten“ auch bestätigt wird. Im Jahr 2019 lag der Anteil von rechtzeitig bezahlten B2B-Rechnungen in Russland bei 86 Prozent. Die ist ein recht hoher Wert – in Westeuropa liegt er im Durchschnitt bei „nur“ 79 Prozent. Wirft man einen Blick auf bestimmte Länder, so liegt Russland bei der Zahlungsdisziplin auf der gleichen Ebene wir Deutschland, die Schweiz oder Dänemark.
Aber wir müssen auch zugeben, dass das hohe Niveau der Zahlungsdisziplin hierzulande eine direkte Folge des geringen Vertrauensniveaus innerhalb der Wirtschaft ist. So arbeiten die meisten Lieferanten mit Vorauszahlungen und sehr kurzen Zahlungsfristen. Das Ergebnis ist ein paradoxer „Zwiespalt“ – die hohe Zahlungsdisziplin verlangsamt die wirtschaftliche Entwicklung, weil Verträge und Lieferungen im schlimmsten Fall nur innerhalb eines engen Zirkels von „Vertrauten“ abgeschlossen werden, was dem Markt nicht immer erlaubt, sich vollumfänglich zu entwickeln. Leider gilt in Russland nach wie vor der Grundsatz: Ein schnelles Wachstum führt unmittelbar zu einem höheren Risiko. Allerdings gibt es keine Entwicklung ohne Risiko. Auch deshalb ist die Entwicklung von Risikokontrollsystemen sehr wichtig, und wenn die Unternehmen dafür keine internen Ressourcen haben, kann dieser Vorgang ausgelagert werden. Professionelles Inkasso ist ein integraler Bestandteil des Risikomanagements: Der Kunde kann sich auf die Entwicklung des Hauptgeschäfts konzentrieren und überlässt das Forderungsmanagement externen Profis. Dieser Ansatz wird sehr schnell seine positive Wirkung entfalten. Schließlich kommt es auch in einem sehr stabilen System immer noch zu Zahlungsausfällen, und deren Volumen nimmt tendenziell sogar zu.
Wie schätzen Sie diesbezüglich die Auswirkungen der Corona-Pandemie ein?
Corona spielt eine Schlüsselrolle für das weltweite Schuldenwachstum, nicht nur in Russland. Das Wachstum der überfälligen Schulden im B2B-Sektor wird bis Ende 2020 voraussichtlich 44 Milliarden Euro erreichen – 49 Prozent mehr im Vergleich zum Jahresanfang. Und auch der Anteil der überfälligen Schulden an dieser Summe wird voraussichtlich auf 8,8 Prozent steigen.
Offensichtlich wachsen die Schulden trotz kurzer Zahlungsfristen und des geringen Vertrauens untereinander. Was ist die Lösung? Gibt es ein ideales Modell?
Es gibt kein ideales Modell. In Wirklichkeit führt die Verschärfung der Regeln zwar kurzfristig zu positiven Effekten, mittel- und langfristig ist sie aber der Weg zuerst in die Stagnation und dann in die Rezession. Wir stellen fest – und Umfragen bestätigen das auch –, dass das Niveau der Zahlungsdisziplin in Russland nach der Krise von 2014/15 ein stetiges Wachstum verzeichnet. Mit anderen Worten, das scheinbare Paradoxon – ein Wachstum des Anteils von fristgerechten Zahlungen, das nicht mit entsprechendem Wirtschaftswachstum, einschließlich der Realeinkommen, einhergeht – ist in Wirklichkeit gar kein Paradoxon.
Um wirtschaftliches Wachstum zu gewährleisten, ist es vielmehr notwendig, die Geschäftstätigkeit zu steigern. Das Wachstum der Geschäftstätigkeit geht immer mit einer höheren Kreditnachfrage einher, was einem Axiom gleichkommt. Um das Wachstum des Umsatzes zu gewährleisten und nicht in eine Situation des Zahlungsausfalls zu geraten, ist es daher notwendig, ein System des Risikomanagements aufzubauen. Dazu gehören die Überprüfung der Gegenpartei, der Eigentumsstruktur, der Geschäftshistorie usw. Deshalb ist es besser, die Abwicklung von risikoreichen Transaktionen von Anfang an Fachleuten zu überlassen. Wenn diese einfachen Prinzipien befolgt werden, ist es möglich, ein ausgewogenes System aufzubauen – selbst die unvermeidlichen Problemschulden werden von höherer Qualität sein als zuvor, was gute Aussichten auf eine Rückzahlung bietet. Dies ist auch für EOS als professionellem Anbieter wichtig: Wir bekommen sehr oft absolut hoffnungslose Schulden zur Begutachtung, gegen die nichts mehr getan werden kann. Wenn die Kunden aber vor der Transaktion zu uns gekommen wären, hätten wir den individuellen Fall schnell prüfen und bei Bedarf stoppen können, was dem Kunden bereits viel Geld gespart hätte. Mithilfe des Risikomanagements wird das FPD-Segment (First Payment Default) der Gegenparteien bereits im Vorfeld abgeschnitten und EOS bearbeitet mögliche Forderungsausfälle durch Verhandlungen oder Rechtsstreitigkeiten. Das gibt uns gute Erfolgsaussichten und das Geld ist nicht für immer verloren.
Ich vergleiche den Waren- und Geldverkehr gerne mit dem Blutsystem. Restriktionen sind eine Aderpresse, die den Blutverlust verhindert. Aber wenn sie nicht rechtzeitig entfernt wird, kommt es zur Nekrose. Gleichzeitig sind Schulden ein Blutgerinnsel, das einen Schlaganfall verursachen kann. Und wir Schuldeneintreiber spielen die Rolle von Medikamenten. Aber, wie bei der Gesundheit, darf mit Schulden nicht gespaßt werden. Zumal anders als bei einem Arztbesuch für die Diagnose und Bewertung der Schulden keine Gebühren anfallen. Der „Besuch“ ist kostenlos.
Die Fragen stellte Dimitri Kling.