Die Coronakrise beschleunigt mehrere Trends, die zu einer neuen Risikobewertung und auch in Asien zu Umbrüchen bei den Produktions- und Liefernetzwerken führen werden. Mit einer präzisen Analyse und umsichtigen Strategien lässt sich der Prozess steuern. Auf welche Standorte sollte jetzt genauer geblickt werden?
Die Aussichten für die Weltwirtschaft im Coronajahr 2020 sind stark eingetrübt. Für Asien-Pazifik, den bisherigen und künftigen Dynamo der Weltkonjunktur, wird erstmals seit der Asienkrise 1997/98 eine ökonomische Schrumpfung erwartet. Das geschätzte Spektrum reicht von einem Drei-Prozent-Wachstum in Vietnam über ein moderates Plus in China bis zu einem Einbruch von knapp sechs Prozent in Indien. Im Weltmaßstab soll die Wirtschaftsleistung um rund fünf Prozent sinken. So drastisch dieser Wert ist – es spricht einiges dafür, dass Szenarien einer langen Rezession überzogen sind. Klar ist aber, dass die globalen Handels- und Produktionsbeziehungen vor einem tieferen Wandel stehen. Dies wird auch Konsequenzen für das Standortgefüge in Asien haben.
Als genereller Faktor wirkt, dass die Globalisierungseuphorie an ein Ende gelangt ist und die Nebenfolgen nun stärker gewichtet werden. Die Covid-19-Pandemie hat derweil Tendenzen forciert, die bereits im Gange waren. Dazu gehören der Großmachtkonflikt zwischen den USA und China, der Protest der Globalisierungsverlierer sowie die gestiegene Relevanz von Ökologie und Nachhaltigkeit. All dies hat ursächlich mit dem Virus nichts zu tun. Was im Zuge der Krise aber deutlich geworden ist: Seit den 1980er-Jahren wurde ein System maximal optimierter Lieferketten errichtet, das eine profitable Just-in-time-Fertigung ermöglicht, im Krisenfall jedoch sehr fragil sein kann. Dann kann es bei fehlenden Komponenten zu teuren Unterbrechungen in anderen Niederlassungen und bei der Gesamtherstellung kommen.
Aus politischen wie aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist daher zu erwarten, dass es zu einer graduellen Neuausrichtung der etablierten Produktions- und Lieferketten kommt. Wie weit die Umstrukturierung gehen wird, bleibt abzuwarten. Unstrittig ist, dass sich krisenbedingt ein neues Risikobewusstsein gebildet hat, das sich – neben einer größeren Lagerhaltung – in erhöhten Diversifizierungsaktivitäten niederschlägt.
Jenseits von China Ein Hauptmotiv ist, die Abhängigkeit von China zu verringern, das etwa beim globalen Handel mit Telekommunikationsgeräten einen Anteil von circa 60 Prozent hat. Damit deutet sich das Ende einer Ära an, die mit dem WTO-Beitritt der Volksrepublik im Jahr 2001 begonnen hat. China besitzt noch einige der Vorzüge, die das Land zur „Werkbank der Welt“ gemacht haben. Zudem ist der chinesische Markt für viele deutsche Unternehmen weiter eine zentrale Gewinnquelle. Die deutschen Verbraucher wiederum haben lange von günstigen Importen aus China profitiert. In den westlichen Staaten mehren sich indes die Stimmen, die eine größere Distanz zu China fordern. Dies gilt speziell für die USA, wo laut Pew Research Center 73 Prozent der Bürger ein negatives China-Bild haben. In Deutschland ist Chinas Image positiver, wie eine Umfrage der Körber-Stiftung im Mai 2020 gezeigt hat.
36 Prozent der Deutschen halten enge Kontakte zu China für wichtig, und das ist nur ein Prozentpunkt geringer als die Kontaktwichtigkeit zu den USA. Die Zahlen mögen primär die Aversion gegen Donald Trump zeigen, sie spiegeln aber auch die Einsicht, wie stark Deutschland und China verflochten sind. Dennoch werden sich die deutschen Firmen der US-Strategie einer Abgrenzung von China nicht entziehen können. Das kürzlich erlassene „nationale Sicherheitsgesetz“ in Hongkong wird zudem auch bei ihnen ein Nachdenken über die langfristigen Perspektiven im Land auslösen. Es ist also nötig, zügig neue Optionen zu sondieren. Neben medizinischer Ausrüstung und Medikamenten, für die gezielte Relokalisierungen geplant sind, gilt dies auch für den Fertigungssektor. Schon seit Längerem war infolge höherer Arbeitskosten, schärferer Auflagen und der US-Strafzölle der Anreiz gestiegen, Alternativen zu China zu suchen.
Die Überlegungen, wie Wertschöpfungsketten breiter und robuster organisiert werden können, werden nun weiter Fahrt aufnehmen. China selbst, das weiter westliches Know-how benötigt, könnte diese Entwicklung spürbare Einbußen bringen. Inwieweit eine disruptive Reduktion des China-Engagements möglich ist – darüber gehen die Ansichten auseinander. Konsens dürfte beim Gros der Unternehmen sein, dass die Bemühungen zur Risikostreuung markant zu verstärken sind. Bleibt die Frage, welche geeigneten Ausweichstandorte es in den einzelnen Branchen gibt.
Hoffnungsträger Vietnam Zu einem Profiteur der Neuordnung von Lieferketten könnte Vietnam werden: Es vereint mehrere Vorteile, die bereits vermehrt externes Kapital angezogen haben. Neben einer guten Relation von Preis, Leistung und Qualität, einem stabilen Wachstum, tatkräftigen Mitarbeitern und einer wachsenden Mittelschicht kommt Vietnam vor allem die feste Einbindung in den Weltmarkt zugute. Letzteres zeigt sich auch in einer aktiven Handelspolitik, die zu Verträgen mit Japan und Südkorea geführt hat. Am 1. August 2020 trat zudem das Abkommen mit der EU (EVFTA) in Kraft, das den Abbau von 99 Prozent aller Zölle innerhalb von zehn Jahren vorsieht. Ergänzend ist zuletzt ein striktes Coronamanagement dazugekommen, das bei den Investoren das Bild einer kompetenten Regierung festigen wird.
Vietnam gilt mithin als Hauptkandidat, wenn es darum geht, die Formel „China Plus One“ umzusetzen, bei der Teile der Fertigung zur Risikominderung und Kostensenkung aus China an weitere Standorte verlagert werden. Ein Trend, der durch den US-China-Handelsstreit eine Beschleunigung erfahren hat. Langfristige Dynamik versprechen die Versuche der Regierung, der hohen Präsenz von Auslandsinvestoren wie Südkoreas Tech-Giganten Samsung mit einer Smartphone-Großproduktion eine größere innere Wertschöpfung hinzuzufügen. Ferner steuert die Bevölkerung auf die 100-Millionen-Marke zu, sodass mit den steigenden Einkommen auch ein lukrativer Absatzmarkt entsteht. Für Verlagerungen interessant ist das Land besonders in den Sparten Informations- und Kommunikationstechnik und Bekleidung. Mit dem Vinfast-Projekt hat Vietnam jüngst begonnen, auch im Kfz-Bereich Fuß zu fassen.
Ein Manko ist derweil das Fehlen solider Zulieferernetzwerke. Zudem ist Korruption ein noch verbreitetes Problem und die Bürokratie mitunter relativ zäh. Das zeigt, dass Produktionsumschichtungen keine trivialen Vorhaben sind. Es muss vielmehr eine komplexe Gleichung mit diversen Variablen gelöst werden. Dass Vietnam die fast euphorischen Erwartungen als (partieller) China-Ersatz erfüllen kann, ist zweifelhaft, ein attraktiver Zukunftsmarkt ist es definitiv.
Powerhouse Südkorea Ein interessanter Standort für ein tieferes Engagement ist auch Südkorea. Auch hier waren die Medienberichte zur Coronabekämpfung voller Anerkennung, die Behörden hätten speziell im Gesundheitswesen ihre Effizienz bewiesen. Während der Pandemie wurden sogar reibungslos freie und faire Parlamentswahlen abgehalten. Als ein Resultat wird für dieses Jahr – trotz hoher Außenhandelsabhängigkeit – ein BIP-Minus von nur zwei Prozent und für 2021 bereits die Rückkehr zum Vorkrisenniveau erwartet. Generell dürfte Südkorea den neuen Ansprüchen an eine plausible Krisenresistenz gerecht werden. Auch beim für Verlagerungen zentralen Kriterium Freihandelsabkommen steht Südkorea gut da – beispielsweise mit dem seit 2011 aktiven Vertrag mit der EU. Mit einem Volumen von knapp 30 Milliarden Euro stand das Land 2019 bei Deutschlands Handelspartnern auf einem beachtlichen 21. Rang. Insgesamt wurde der imposante Aufstieg Südkoreas seit den 1950er-Jahren viel zu selten gewürdigt.
Wenn einem Land zuzutrauen ist, aus der Krise tatsächlich eine Chance zu machen, dann Südkorea: Der wiedergewählte liberale Präsident Moon Jae-in hat einen „koreanischen New Deal“ angekündigt, der das Land dauerhaft in der Weltspitze verankern soll. Es handelt sich um eine breite Reformagenda, die auf die Stärkung der digitalen Infrastruktur, die Förderung grüner Industrien mit dem Ziel einer emissionsarmen Ökonomie und den Ausbau der sozialen Sicherung abzielt. Um im Elektronik- und Automobilsektor konkurrenzfähig zu bleiben, sollen das 5G-Netz zügig ausgebaut und 100.000 Experten für künstliche Intelligenz ausgebildet werden. Besonders im Fokus stehen zudem die Branchen Halbleiter und Biogesundheit. Ferner sollen Start-ups gefördert und bis 2025 insgesamt 1,9 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Klarer Handlungsbedarf besteht noch beim Abbau der vielen Regularien.
Dynamisches Südostasien Abgesehen von Vietnam eignet sich praktisch der gesamte ASEAN-Raum ideal zur Diversifikation. Neben einer Gesamteinwohnerzahl von 650 Millionen Personen, einem jahrelangen Fünfprozentwachstum, jungen Bevölkerungen und vielerorts günstigen Arbeitskosten ist auch die hohe Heterogenität ein Plus. Denn diese ermöglicht den Aufbau regionaler Produktionsnetzwerke nach Maßgabe komparativer Vorteile. Allerdings erfordert ein solcher Regionalansatz eine hohe Detailexpertise. Ein weiterer Impuls geht von Japan aus, das seine ohnehin starke Präsenz in Südostasien weiter erhöhen will. Japans Regierung offeriert heimischen Firmen, die Fabriken aus China zurück nach Japan oder in andere Teile Asiens verlegen, Subventionen von bis zu fast zwei Milliarden US-Dollar. Das bedeutet nicht, dass Japan sich großflächig aus China zurückzieht, die ASEAN-Staaten dürften aber mit neuen Ansiedlungen rechnen können. Auch die indisch-japanische Kooperation dürfte weiter beflügelt werden.
Eine solche Doppelstrategie – weiter in China aktiv sein, aber das Engagement verbreitern – werden auch andere Nationen und die deutschen Unternehmen anwenden. Mit die besten Chancen, daran teilzuhaben, hat Malaysia, das bei Elektrotechnik und der Informations- und Kommunikationstechnologie bereits lange Erfahrung und leistungsfähige Produktionsanlagen vorweisen kann. Auch Thailand dürfte mit dem Megaprojekt Eastern Economic Corridor (EEC), bei dem hohe Anreize für fortgeschrittene Fertigungen geboten werden, zum Zuge kommen. Perspektivisch gute Aussichten hat zudem die starke thailändische Automobilindustrie. Singapur könnte derweil Nutznießer der neuen, restriktiveren Lage in Hongkong sein und Banken und Finanzdienstleister in den Stadtstaat locken. Bislang eher ein Hoffnungsträger im Wartestand ist Indonesien, wobei in der zweiten Amtszeit von Präsident Widodo Grund zu der Annahme besteht, dass die Bedingungen für Investoren weiter verbessert werden. Potenzialbranchen sind Elektronik und Elektromobilität.
Stiller Star Taiwan Relativ unbekannt sind die Erfolge Taiwans, das eine erfolgreiche politische und wirtschaftliche Modernisierung durchlaufen hat und heute eine IT-Macht ist. Taiwans transparenter Umgang mit der Pandemie wurde sehr gelobt. Und ähnlich wie Südkorea hat sich der Inselstaat mit dem „5+2 Industrial Innovation Plan“ ein industrielles Update verschrieben. Dabei sollen sieben Sektoren systematisch gefördert werden. Zu den fünf Ausgangsbranchen gehören das Internet der Dinge, Biomedizin, grüne Energien, intelligente Maschinen und Verteidigung. On top sind noch hochwertige Landwirtschaft und die Kreislaufwirtschaft hinzugekommen.
Parallel verfolgt die Regierung ein Infrastrukturprogramm inklusive eines „National Housing Plan“ zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Damit werden neben wirtschaftlichen auch soziale Belange berücksichtigt. Unternehmen, die negativ vom US-China-Handelsstreit betroffen sind, erhalten Unterstützung, die Produktion auf die Insel zurückzuholen. Umgekehrt wird China durch den Konflikt mit den USA abhängiger von vorgelagerten Komponenten aus Taiwan. Ein Malus ist die Unsicherheit, wie Peking in puncto Ein-China-Politik weiter agieren wird. Auch wenn eine Invasion mittelfristig unwahrscheinlich ist, zeigt sich, dass bei den Verlagerungsplänen auch die komplexen geopolitischen Umwälzungen im indopazifischen Raum zu beachten sind.
Daniel Müller ist Regionalmanager ASEAN beim OAV – German Asia-Pacific Association in Hamburg. mueller@oav.de | www.oav.de
Neuordnung von Lieferketten: komplex, aber mit Chancen
Die Coronakrise beschleunigt mehrere Trends, die zu einer neuen Risikobewertung und auch in Asien zu Umbrüchen bei den Produktions- und Liefernetzwerken führen werden. Mit einer präzisen Analyse und umsichtigen Strategien lässt sich der Prozess steuern. Auf welche Standorte sollte jetzt genauer geblickt werden?
Die Aussichten für die Weltwirtschaft im Coronajahr 2020 sind stark eingetrübt. Für Asien-Pazifik, den bisherigen und künftigen Dynamo der Weltkonjunktur, wird erstmals seit der Asienkrise 1997/98 eine ökonomische Schrumpfung erwartet. Das geschätzte Spektrum reicht von einem Drei-Prozent-Wachstum in Vietnam über ein moderates Plus in China bis zu einem Einbruch von knapp sechs Prozent in Indien. Im Weltmaßstab soll die Wirtschaftsleistung um rund fünf Prozent sinken. So drastisch dieser Wert ist – es spricht einiges dafür, dass Szenarien einer langen Rezession überzogen sind. Klar ist aber, dass die globalen Handels- und Produktionsbeziehungen vor einem tieferen Wandel stehen. Dies wird auch Konsequenzen für das Standortgefüge in Asien haben.
Als genereller Faktor wirkt, dass die Globalisierungseuphorie an ein Ende gelangt ist und die Nebenfolgen nun stärker gewichtet werden. Die Covid-19-Pandemie hat derweil Tendenzen forciert, die bereits im Gange waren. Dazu gehören der Großmachtkonflikt zwischen den USA und China, der Protest der Globalisierungsverlierer sowie die gestiegene Relevanz von Ökologie und Nachhaltigkeit. All dies hat ursächlich mit dem Virus nichts zu tun. Was im Zuge der Krise aber deutlich geworden ist: Seit den 1980er-Jahren wurde ein System maximal optimierter Lieferketten errichtet, das eine profitable Just-in-time-Fertigung ermöglicht, im Krisenfall jedoch sehr fragil sein kann. Dann kann es bei fehlenden Komponenten zu teuren Unterbrechungen in anderen Niederlassungen und bei der Gesamtherstellung kommen.
Aus politischen wie aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist daher zu erwarten, dass es zu einer graduellen Neuausrichtung der etablierten Produktions- und Lieferketten kommt. Wie weit die Umstrukturierung gehen wird, bleibt abzuwarten. Unstrittig ist, dass sich krisenbedingt ein neues Risikobewusstsein gebildet hat, das sich – neben einer größeren Lagerhaltung – in erhöhten Diversifizierungsaktivitäten niederschlägt.
Jenseits von China
Ein Hauptmotiv ist, die Abhängigkeit von China zu verringern, das etwa beim globalen Handel mit Telekommunikationsgeräten einen Anteil von circa 60 Prozent hat. Damit deutet sich das Ende einer Ära an, die mit dem WTO-Beitritt der Volksrepublik im Jahr 2001 begonnen hat. China besitzt noch einige der Vorzüge, die das Land zur „Werkbank der Welt“ gemacht haben. Zudem ist der chinesische Markt für viele deutsche Unternehmen weiter eine zentrale Gewinnquelle. Die deutschen Verbraucher wiederum haben lange von günstigen Importen aus China profitiert. In den westlichen Staaten mehren sich indes die Stimmen, die eine größere Distanz zu China fordern. Dies gilt speziell für die USA, wo laut Pew Research Center 73 Prozent der Bürger ein negatives China-Bild haben. In Deutschland ist Chinas Image positiver, wie eine Umfrage der Körber-Stiftung im Mai 2020 gezeigt hat.
36 Prozent der Deutschen halten enge Kontakte zu China für wichtig, und das ist nur ein Prozentpunkt geringer als die Kontaktwichtigkeit zu den USA. Die Zahlen mögen primär die Aversion gegen Donald Trump zeigen, sie spiegeln aber auch die Einsicht, wie stark Deutschland und China verflochten sind. Dennoch werden sich die deutschen Firmen der US-Strategie einer Abgrenzung von China nicht entziehen können. Das kürzlich erlassene „nationale Sicherheitsgesetz“ in Hongkong wird zudem auch bei ihnen ein Nachdenken über die langfristigen Perspektiven im Land auslösen. Es ist also nötig, zügig neue Optionen zu sondieren. Neben medizinischer Ausrüstung und Medikamenten, für die gezielte Relokalisierungen geplant sind, gilt dies auch für den Fertigungssektor. Schon seit Längerem war infolge höherer Arbeitskosten, schärferer Auflagen und der US-Strafzölle der Anreiz gestiegen, Alternativen zu China zu suchen.
Die Überlegungen, wie Wertschöpfungsketten breiter und robuster organisiert werden können, werden nun weiter Fahrt aufnehmen. China selbst, das weiter westliches Know-how benötigt, könnte diese Entwicklung spürbare Einbußen bringen. Inwieweit eine disruptive Reduktion des China-Engagements möglich ist – darüber gehen die Ansichten auseinander. Konsens dürfte beim Gros der Unternehmen sein, dass die Bemühungen zur Risikostreuung markant zu verstärken sind. Bleibt die Frage, welche geeigneten Ausweichstandorte es in den einzelnen Branchen gibt.
Hoffnungsträger Vietnam
Zu einem Profiteur der Neuordnung von Lieferketten könnte Vietnam werden: Es vereint mehrere Vorteile, die bereits vermehrt externes Kapital angezogen haben. Neben einer guten Relation von Preis, Leistung und Qualität, einem stabilen Wachstum, tatkräftigen Mitarbeitern und einer wachsenden Mittelschicht kommt Vietnam vor allem die feste Einbindung in den Weltmarkt zugute. Letzteres zeigt sich auch in einer aktiven Handelspolitik, die zu Verträgen mit Japan und Südkorea geführt hat. Am 1. August 2020 trat zudem das Abkommen mit der EU (EVFTA) in Kraft, das den Abbau von 99 Prozent aller Zölle innerhalb von zehn Jahren vorsieht. Ergänzend ist zuletzt ein striktes Coronamanagement dazugekommen, das bei den Investoren das Bild einer kompetenten Regierung festigen wird.
Vietnam gilt mithin als Hauptkandidat, wenn es darum geht, die Formel „China Plus One“ umzusetzen, bei der Teile der Fertigung zur Risikominderung und Kostensenkung aus China an weitere Standorte verlagert werden. Ein Trend, der durch den US-China-Handelsstreit eine Beschleunigung erfahren hat. Langfristige Dynamik versprechen die Versuche der Regierung, der hohen Präsenz von Auslandsinvestoren wie Südkoreas Tech-Giganten Samsung mit einer Smartphone-Großproduktion eine größere innere Wertschöpfung hinzuzufügen. Ferner steuert die Bevölkerung auf die 100-Millionen-Marke zu, sodass mit den steigenden Einkommen auch ein lukrativer Absatzmarkt entsteht. Für Verlagerungen interessant ist das Land besonders in den Sparten Informations- und Kommunikationstechnik und Bekleidung. Mit dem Vinfast-Projekt hat Vietnam jüngst begonnen, auch im Kfz-Bereich Fuß zu fassen.
Ein Manko ist derweil das Fehlen solider Zulieferernetzwerke. Zudem ist Korruption ein noch verbreitetes Problem und die Bürokratie mitunter relativ zäh. Das zeigt, dass Produktionsumschichtungen keine trivialen Vorhaben sind. Es muss vielmehr eine komplexe Gleichung mit diversen Variablen gelöst werden. Dass Vietnam die fast euphorischen Erwartungen als (partieller) China-Ersatz erfüllen kann, ist zweifelhaft, ein attraktiver Zukunftsmarkt ist es definitiv.
Powerhouse Südkorea
Ein interessanter Standort für ein tieferes Engagement ist auch Südkorea. Auch hier waren die Medienberichte zur Coronabekämpfung voller Anerkennung, die Behörden hätten speziell im Gesundheitswesen ihre Effizienz bewiesen. Während der Pandemie wurden sogar reibungslos freie und faire Parlamentswahlen abgehalten. Als ein Resultat wird für dieses Jahr – trotz hoher Außenhandelsabhängigkeit – ein BIP-Minus von nur zwei Prozent und für 2021 bereits die Rückkehr zum Vorkrisenniveau erwartet. Generell dürfte Südkorea den neuen Ansprüchen an eine plausible Krisenresistenz gerecht werden. Auch beim für Verlagerungen zentralen Kriterium Freihandelsabkommen steht Südkorea gut da – beispielsweise mit dem seit 2011 aktiven Vertrag mit der EU. Mit einem Volumen von knapp 30 Milliarden Euro stand das Land 2019 bei Deutschlands Handelspartnern auf einem beachtlichen 21. Rang. Insgesamt wurde der imposante Aufstieg Südkoreas seit den 1950er-Jahren viel zu selten gewürdigt.
Wenn einem Land zuzutrauen ist, aus der Krise tatsächlich eine Chance zu machen, dann Südkorea: Der wiedergewählte liberale Präsident Moon Jae-in hat einen „koreanischen New Deal“ angekündigt, der das Land dauerhaft in der Weltspitze verankern soll. Es handelt sich um eine breite Reformagenda, die auf die Stärkung der digitalen Infrastruktur, die Förderung grüner Industrien mit dem Ziel einer emissionsarmen Ökonomie und den Ausbau der sozialen Sicherung abzielt. Um im Elektronik- und Automobilsektor konkurrenzfähig zu bleiben, sollen das 5G-Netz zügig ausgebaut und 100.000 Experten für künstliche Intelligenz ausgebildet werden. Besonders im Fokus stehen zudem die Branchen Halbleiter und Biogesundheit. Ferner sollen Start-ups gefördert und bis 2025 insgesamt 1,9 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Klarer Handlungsbedarf besteht noch beim Abbau der vielen Regularien.
Dynamisches Südostasien
Abgesehen von Vietnam eignet sich praktisch der gesamte ASEAN-Raum ideal zur Diversifikation. Neben einer Gesamteinwohnerzahl von 650 Millionen Personen, einem jahrelangen Fünfprozentwachstum, jungen Bevölkerungen und vielerorts günstigen Arbeitskosten ist auch die hohe Heterogenität ein Plus. Denn diese ermöglicht den Aufbau regionaler Produktionsnetzwerke nach Maßgabe komparativer Vorteile. Allerdings erfordert ein solcher Regionalansatz eine hohe Detailexpertise. Ein weiterer Impuls geht von Japan aus, das seine ohnehin starke Präsenz in Südostasien weiter erhöhen will. Japans Regierung offeriert heimischen Firmen, die Fabriken aus China zurück nach Japan oder in andere Teile Asiens verlegen, Subventionen von bis zu fast zwei Milliarden US-Dollar. Das bedeutet nicht, dass Japan sich großflächig aus China zurückzieht, die ASEAN-Staaten dürften aber mit neuen Ansiedlungen rechnen können. Auch die indisch-japanische Kooperation dürfte weiter beflügelt werden.
Eine solche Doppelstrategie – weiter in China aktiv sein, aber das Engagement verbreitern – werden auch andere Nationen und die deutschen Unternehmen anwenden. Mit die besten Chancen, daran teilzuhaben, hat Malaysia, das bei Elektrotechnik und der Informations- und Kommunikationstechnologie bereits lange Erfahrung und leistungsfähige Produktionsanlagen vorweisen kann. Auch Thailand dürfte mit dem Megaprojekt Eastern Economic Corridor (EEC), bei dem hohe Anreize für fortgeschrittene Fertigungen geboten werden, zum Zuge kommen. Perspektivisch gute Aussichten hat zudem die starke thailändische Automobilindustrie. Singapur könnte derweil Nutznießer der neuen, restriktiveren Lage in Hongkong sein und Banken und Finanzdienstleister in den Stadtstaat locken. Bislang eher ein Hoffnungsträger im Wartestand ist Indonesien, wobei in der zweiten Amtszeit von Präsident Widodo Grund zu der Annahme besteht, dass die Bedingungen für Investoren weiter verbessert werden. Potenzialbranchen sind Elektronik und Elektromobilität.
Stiller Star Taiwan
Relativ unbekannt sind die Erfolge Taiwans, das eine erfolgreiche politische und wirtschaftliche Modernisierung durchlaufen hat und heute eine IT-Macht ist. Taiwans transparenter Umgang mit der Pandemie wurde sehr gelobt. Und ähnlich wie Südkorea hat sich der Inselstaat mit dem „5+2 Industrial Innovation Plan“ ein industrielles Update verschrieben. Dabei sollen sieben Sektoren systematisch gefördert werden. Zu den fünf Ausgangsbranchen gehören das Internet der Dinge, Biomedizin, grüne Energien, intelligente Maschinen und Verteidigung. On top sind noch hochwertige Landwirtschaft und die Kreislaufwirtschaft hinzugekommen.
Parallel verfolgt die Regierung ein Infrastrukturprogramm inklusive eines „National Housing Plan“ zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Damit werden neben wirtschaftlichen auch soziale Belange berücksichtigt. Unternehmen, die negativ vom US-China-Handelsstreit betroffen sind, erhalten Unterstützung, die Produktion auf die Insel zurückzuholen. Umgekehrt wird China durch den Konflikt mit den USA abhängiger von vorgelagerten Komponenten aus Taiwan. Ein Malus ist die Unsicherheit, wie Peking in puncto Ein-China-Politik weiter agieren wird. Auch wenn eine Invasion mittelfristig unwahrscheinlich ist, zeigt sich, dass bei den Verlagerungsplänen auch die komplexen geopolitischen Umwälzungen im indopazifischen Raum zu beachten sind.
Daniel Müller ist Regionalmanager ASEAN beim OAV – German Asia-Pacific Association in Hamburg.
mueller@oav.de | www.oav.de
Dieser Beitrag ist in ChinaContact 4-2020 erschienen.