Im US-Präsidentschaftswahlkampf klang mehrfach an, dass gegenüber Russland eine härtere Gangart angemessen sei. Aber was könnte eigentlich noch schlechter werden in Hinblick auf die abgekühlten Beziehungen der letzten Jahre?
Als die Meldungen kamen, dass Joe Biden die Mehrheit der Wahlmänner für sich sichern konnte, stand ich vor einem Milchprodukteregal in einem Lebensmittelmarkt im Moskauer Umland und sinnierte darüber, was dies für die russisch-amerikanischen Beziehungen bedeuten würde. Ich hatte das Bild vor Augen, wie Joe Biden und Wladimir Putin sich 2011 in Moskau die Hände schüttelten. Joe Biden hatte dem russischen Präsidenten damals abgeraten nochmals zur Wahl anzutreten. Vielleicht sinnierte Putin darauf, ob Joe Biden wohl jemals Präsident der USA werden würde. Das war vor fast zehn Jahren. Drei Jahre nach diesem Treffen annektierte Russland die Halbinsel Krim, und praktisch alle internationalen Beziehungen mit Russland standen unter einem völlig neuen Aspekt. Die Annexion provozierte Sanktionen des Westens und in der Folge gab es als Antwort seitens Russlands die Anti-Sanktionen, diese betrafen u. a. auch den Import von Milchprodukten.
Das Milchprodukteregal in unserem provinziellen Supermarkt außerhalb der Hauptstadt bot eine große Auswahl an Käsesorten an, und ich entdeckte zu meiner Verwunderung zwei Sorten Parmesan und in plötzlicher Vorfreude auf den Abend war mein erster Gedanke, ob ich noch eine passende Flasche Wein im Vorrat hätte. Käse – und natürlich auch Parmesan war ja seit 2015 auf der Antisanktionsliste und somit konnte es sich entweder nur um einen umetikettierten echten Parmeggiano Reggiano handeln (zum Höhepunkt der Antisanktionen erschien in Russland plötzlich auch norwegischer Lachs aus dem Herkunftsland Belarus) oder aber es handelte sich doch um einen einheimischen Käse, der einfach mit dem Label Parmesan versehen worden war.
Als Anlagenbauer u. a. von Molkereien, wusste ich, dass in Russland vieles Undenkbare doch sehr wohl denkbar ist. Mittlerweile nahm meine Fantasie freien Lauf und ich dachte, sechs Jahre seit der Annexion und dem Aufruf der Regierung zur Importsubstitution wäre die optimale Reifezeit für den Parmeggiano Stravecchione, für den besten aller Parmesane. In diesem Stück Käse sah ich die Meisterleistung der russischen Improvisations- und Anpassungsfähigkeit. Nachdem ich das Dreieck dann in die Hand nahm, bemühte ich mich, das Kleingeschriebene auf der Verpackung ohne Lupe zu entziffern. Bei der ersten Druckprobe mit herzhaftem Zugriff fand ich den erwarteten sechsjährigen Härtegrad nicht wirklich bestätigt. Der Härtegrad entsprach mehr einem holländischen weichen Gouda. Meine Erwartung für den bevorstehenden Abend mit einer Flasche Montepulciano relativierte sich. Schließlich fand ich das Herkunftsland auf dem Etikett – Uruguay. Der zweite Parmesan wies als Herkunftsland Russland aus. Das Haltbarkeitsdatum des Parmesan-Imitats aus Südamerika war 90 Tage, das der russischen Variante 60 Tage. Im Verhältnis war der Parmesan aus Uruguay um 50 Prozent teurer, da seine Anreise offensichtlich aufwendiger war.
Im US-Präsidentschaftswahlkampf war mehrmals verkündet worden, dass gegenüber Russland eine härtere Gangart angemessen sei, aber was könnte eigentlich noch schlechter werden in Hinblick auf die abgekühlten Beziehungen der letzten Jahre? Uruguayischer Parmesan, belarussischer Lachs aus Norwegen? Ich entschied mich, beide Käsesorten mit nach Hause zu nehmen und mir den Abend nicht verderben zu lassen. Ich unterdrückte jeglichen Gedanken an die vielfach in der russischen Presse zitierten gefälschten Weine mit ausländischem Etikett. Letztlich bietet jede Veränderung, auch der Präsidentenwechsel in den USA, eine Chance für einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Egal, wie sich die internationalen Beziehungen zu Russland weiter entwickeln, in jedem Falle werden wir in der Zukunft noch mehr Käsesorten mit Parmesanaufschrift in den russischen Regalen finden, auch wenn es sich nicht um den echten Parmeggiano handelt. Wichtig ist, dass der russische Konsument sich mittlerweile nach einem Parmeggiano sehnt. Wichtig ist, dass viele Russen sich trotz aller politischen Verlautbarungen nach dem Kontakt zum Westen sehnen. Sie können auf den echten Parmeggiano verzichten, werden sich aber auch freuen, wenn die Beziehungen sich weiterentwickeln und der echte irgendwann wieder zusätzlich im Regal liegt.
Der Abend entwickelte sich dann trotz aller fantasievollen Erwartungen doch noch ganz passabel. Sowohl der uruguayische als auch der russische Parmesan hatten einen Hauch der richtigen Geschmacksnote. Die feine Würze der Montepulciano-Traube verblieb vorerst in Urlaubserinnerungen, aber nach dem dritten Glas erschienen auch diese in Moskau vorhanden zu sein.
Oliver Cescotti, Präsident von GEA in Russland, Belarus, Kasachstan, Zentralasien und dem Kaukasus
Cescotti kommentiert: Wahlen in den USA: Chance zum Paradigmenwechsel?
Im US-Präsidentschaftswahlkampf klang mehrfach an, dass gegenüber Russland eine härtere Gangart angemessen sei. Aber was könnte eigentlich noch schlechter werden in Hinblick auf die abgekühlten Beziehungen der letzten Jahre?
Als die Meldungen kamen, dass Joe Biden die Mehrheit der Wahlmänner für sich sichern konnte, stand ich vor einem Milchprodukteregal in einem Lebensmittelmarkt im Moskauer Umland und sinnierte darüber, was dies für die russisch-amerikanischen Beziehungen bedeuten würde. Ich hatte das Bild vor Augen, wie Joe Biden und Wladimir Putin sich 2011 in Moskau die Hände schüttelten. Joe Biden hatte dem russischen Präsidenten damals abgeraten nochmals zur Wahl anzutreten. Vielleicht sinnierte Putin darauf, ob Joe Biden wohl jemals Präsident der USA werden würde. Das war vor fast zehn Jahren. Drei Jahre nach diesem Treffen annektierte Russland die Halbinsel Krim, und praktisch alle internationalen Beziehungen mit Russland standen unter einem völlig neuen Aspekt. Die Annexion provozierte Sanktionen des Westens und in der Folge gab es als Antwort seitens Russlands die Anti-Sanktionen, diese betrafen u. a. auch den Import von Milchprodukten.
Das Milchprodukteregal in unserem provinziellen Supermarkt außerhalb der Hauptstadt bot eine große Auswahl an Käsesorten an, und ich entdeckte zu meiner Verwunderung zwei Sorten Parmesan und in plötzlicher Vorfreude auf den Abend war mein erster Gedanke, ob ich noch eine passende Flasche Wein im Vorrat hätte. Käse – und natürlich auch Parmesan war ja seit 2015 auf der Antisanktionsliste und somit konnte es sich entweder nur um einen umetikettierten echten Parmeggiano Reggiano handeln (zum Höhepunkt der Antisanktionen erschien in Russland plötzlich auch norwegischer Lachs aus dem Herkunftsland Belarus) oder aber es handelte sich doch um einen einheimischen Käse, der einfach mit dem Label Parmesan versehen worden war.
Als Anlagenbauer u. a. von Molkereien, wusste ich, dass in Russland vieles Undenkbare doch sehr wohl denkbar ist. Mittlerweile nahm meine Fantasie freien Lauf und ich dachte, sechs Jahre seit der Annexion und dem Aufruf der Regierung zur Importsubstitution wäre die optimale Reifezeit für den Parmeggiano Stravecchione, für den besten aller Parmesane. In diesem Stück Käse sah ich die Meisterleistung der russischen Improvisations- und Anpassungsfähigkeit. Nachdem ich das Dreieck dann in die Hand nahm, bemühte ich mich, das Kleingeschriebene auf der Verpackung ohne Lupe zu entziffern. Bei der ersten Druckprobe mit herzhaftem Zugriff fand ich den erwarteten sechsjährigen Härtegrad nicht wirklich bestätigt. Der Härtegrad entsprach mehr einem holländischen weichen Gouda. Meine Erwartung für den bevorstehenden Abend mit einer Flasche Montepulciano relativierte sich. Schließlich fand ich das Herkunftsland auf dem Etikett – Uruguay. Der zweite Parmesan wies als Herkunftsland Russland aus. Das Haltbarkeitsdatum des Parmesan-Imitats aus Südamerika war 90 Tage, das der russischen Variante 60 Tage. Im Verhältnis war der Parmesan aus Uruguay um 50 Prozent teurer, da seine Anreise offensichtlich aufwendiger war.
Im US-Präsidentschaftswahlkampf war mehrmals verkündet worden, dass gegenüber Russland eine härtere Gangart angemessen sei, aber was könnte eigentlich noch schlechter werden in Hinblick auf die abgekühlten Beziehungen der letzten Jahre? Uruguayischer Parmesan, belarussischer Lachs aus Norwegen? Ich entschied mich, beide Käsesorten mit nach Hause zu nehmen und mir den Abend nicht verderben zu lassen. Ich unterdrückte jeglichen Gedanken an die vielfach in der russischen Presse zitierten gefälschten Weine mit ausländischem Etikett. Letztlich bietet jede Veränderung, auch der Präsidentenwechsel in den USA, eine Chance für einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Egal, wie sich die internationalen Beziehungen zu Russland weiter entwickeln, in jedem Falle werden wir in der Zukunft noch mehr Käsesorten mit Parmesanaufschrift in den russischen Regalen finden, auch wenn es sich nicht um den echten Parmeggiano handelt. Wichtig ist, dass der russische Konsument sich mittlerweile nach einem Parmeggiano sehnt. Wichtig ist, dass viele Russen sich trotz aller politischen Verlautbarungen nach dem Kontakt zum Westen sehnen. Sie können auf den echten Parmeggiano verzichten, werden sich aber auch freuen, wenn die Beziehungen sich weiterentwickeln und der echte irgendwann wieder zusätzlich im Regal liegt.
Der Abend entwickelte sich dann trotz aller fantasievollen Erwartungen doch noch ganz passabel. Sowohl der uruguayische als auch der russische Parmesan hatten einen Hauch der richtigen Geschmacksnote. Die feine Würze der Montepulciano-Traube verblieb vorerst in Urlaubserinnerungen, aber nach dem dritten Glas erschienen auch diese in Moskau vorhanden zu sein.
Oliver Cescotti, Präsident von GEA in Russland, Belarus, Kasachstan, Zentralasien und dem Kaukasus