Eine Volksprotestbewegung in Belarus, ein Krieg im Südkaukasus und revolutionäre Ereignisse in Kirgisistan. Die Unruhen im russischen Einflussbereich nehmen zu. Wie reagiert Russland?
Seit Monaten demonstriert ein Grossteil der belarussischen Bevölkerung , wenn auch bislang ohne entscheidendenErfolg. Minsk ist kein Einzelfall – die Unruhen in Russlands Nachbarschaft häufen sich. Zwischen Armenien und Aserbaidschan ist erneut ein bewaffneter Krieg um das Gebiet Bergkarabach entflammt. Und auch in Kirgisistan ist eine Revolutionäres im Gange: der Präsident musste abtreten, auch er hatte versucht, sich über zweifelhafte Parlamentswahlergebnisse mehr Macht zu verschaffen. Drei Konflikte in Gebieten unter einstiger Sowjetherrschaft innerhalb von drei Monaten. Zufall? Zeitlich vielleicht, weil es doch sehr unterschiedlich entzündete Ereignisse sind. Die Frage ist vielmehr, was der Ursprung dieser Protestaktionen sein könnte. Und da lassen sich dann gewisse initiale Grundmuster erkennen.
Sowjetische Erblasten
Zum Beispiel gewisse Erblasten aus Sowjetzeiten. Das zeigt sich am deutlichsten im Streit um Bergkarabach. Beim Zerfall der Sowjetunion kam es 1988 zu Massakern und einem Kleinkrieg um die winzige Grenzregion. Die damals siegreichen Armenier vertrieben etwa 40.000 Aserbaidschaner und besetzten einen breiten Landkorridor und damit über 20 Prozent des aserbaidschanischen Staatsgebiets. Die wollen die Aserbaidschaner sich jetzt zurückerkämpfen.
In Belarus dagegen geht es nicht um Grenzen, sondern darum, dass das Land wohl immer noch am stärksten von sowjetischen Machtmustern geprägt ist – politisch und wirtschaftlich. Das System ist natürlich nicht mehr so starr wie zu Zeiten der Sowjetunion, aber eben in vielerlei Hinsicht direkt daraus erwachsen. Diese politische Prägung und die daraus resultierenden Unfreiheiten für Wirtschaft und Gesellschaft konnten von den neuen, einheimischen Machthabern in den letzten knapp 30 Jahren ungehindert weitergeführt werden.
Nochmal ein anderes Szenario in Kirgisistan: Das Land löste sich nach der Unabhängigkeit zwar, suchte einen anderen Weg und wurde im Vergleich zur Region demokratischer und freier. Aber auch in Bischkek ist spürbar, dass es sich bei Kirgisistan, trotz fast 30 Jahren Unabhängigkeit, um ein immer noch junges Land handelt, dass noch unzureichende Erfahrung im Umgang mit der Eigenstaatlichkeit entwickelt hat.
Großer Bruder Russland
Vor fast 30 Jahren hat sich die Sowjetunion aufgelöst. Und die Russische Föderation – als verbliebener größter und mächtigster Teil der ehemaligen Sowjetunion – hat versucht das Machtvakuum zu füllen. Allerdings wird das Land selten als ebenbürtiger Partner wahrgenommen, sondern eher als der große Bruder, der nach wie vor über die anderen das Sagen hat – trotz aller Integrationsbemühungen, u.a. innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion, in der auch Belarus, Kirgisistan und Armenien Mitglieder sind.
Um aus dem Schatten des großen Bruders herauszutreten, liebäugeln viele ehemalige Sowjetrepubliken und ihre Menschen mit Russlands geopolitischen Konkurrenten. Die Opposition in Belarus sucht zwar eine einheimische Lösung, schaut dabei mit einem Auge Richtung Westen. Für Kirgisistan spielt der Nachbar China eine immer wichtigere Rolle, mit dem Ausbau der Neuen Seidenstraße und durch direkte Wirtschaftshilfen. Und im Südkaukasus lässt NATO-Partner Türkei wie bereits in den 1990er Jahren seine Muskeln spielen –mit militärischer und islamisch geprägter, ideologischer Unterstützung von Aserbaidschan. Der Konflikt in Bergkarabach zeigt jedenfalls, dass Moskau in der Region an Einfluss verloren hat. Mit dem Eingreifen von Ankara kann Moskau die über Jahrzehnte mühsam ausbalancierte Beziehung zwischen den verfeindeten Staaten Armenien und Aserbaidschan nicht mehr aufrechterhalten.
Kann der Funke überspringen?
Die Unruhen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion werden im Kreml mit einer gewissen Besorgnis wahrgenommen. Vor allem das Geschehen in Belarus kann für die russischen Machthaber bedrohlich werden. Das belorussische Volk, quer durch alle Gesellschaftsschichten, sucht nun schon in der elften Woche auf der Strasse vehement und konsequent nach Eigenbestimmung – könnte das nicht auch irgendwann in Russland Schule machen?
EAWU Insights: Muss auch Russland die Macht der Straße fürchten?
Eine Volksprotestbewegung in Belarus, ein Krieg im Südkaukasus und revolutionäre Ereignisse in Kirgisistan. Die Unruhen im russischen Einflussbereich nehmen zu. Wie reagiert Russland?
Seit Monaten demonstriert ein Grossteil der belarussischen Bevölkerung , wenn auch bislang ohne entscheidendenErfolg. Minsk ist kein Einzelfall – die Unruhen in Russlands Nachbarschaft häufen sich. Zwischen Armenien und Aserbaidschan ist erneut ein bewaffneter Krieg um das Gebiet Bergkarabach entflammt. Und auch in Kirgisistan ist eine Revolutionäres im Gange: der Präsident musste abtreten, auch er hatte versucht, sich über zweifelhafte Parlamentswahlergebnisse mehr Macht zu verschaffen. Drei Konflikte in Gebieten unter einstiger Sowjetherrschaft innerhalb von drei Monaten. Zufall? Zeitlich vielleicht, weil es doch sehr unterschiedlich entzündete Ereignisse sind. Die Frage ist vielmehr, was der Ursprung dieser Protestaktionen sein könnte. Und da lassen sich dann gewisse initiale Grundmuster erkennen.
Sowjetische Erblasten
Zum Beispiel gewisse Erblasten aus Sowjetzeiten. Das zeigt sich am deutlichsten im Streit um Bergkarabach. Beim Zerfall der Sowjetunion kam es 1988 zu Massakern und einem Kleinkrieg um die winzige Grenzregion. Die damals siegreichen Armenier vertrieben etwa 40.000 Aserbaidschaner und besetzten einen breiten Landkorridor und damit über 20 Prozent des aserbaidschanischen Staatsgebiets. Die wollen die Aserbaidschaner sich jetzt zurückerkämpfen.
In Belarus dagegen geht es nicht um Grenzen, sondern darum, dass das Land wohl immer noch am stärksten von sowjetischen Machtmustern geprägt ist – politisch und wirtschaftlich. Das System ist natürlich nicht mehr so starr wie zu Zeiten der Sowjetunion, aber eben in vielerlei Hinsicht direkt daraus erwachsen. Diese politische Prägung und die daraus resultierenden Unfreiheiten für Wirtschaft und Gesellschaft konnten von den neuen, einheimischen Machthabern in den letzten knapp 30 Jahren ungehindert weitergeführt werden.
Nochmal ein anderes Szenario in Kirgisistan: Das Land löste sich nach der Unabhängigkeit zwar, suchte einen anderen Weg und wurde im Vergleich zur Region demokratischer und freier. Aber auch in Bischkek ist spürbar, dass es sich bei Kirgisistan, trotz fast 30 Jahren Unabhängigkeit, um ein immer noch junges Land handelt, dass noch unzureichende Erfahrung im Umgang mit der Eigenstaatlichkeit entwickelt hat.
Großer Bruder Russland
Vor fast 30 Jahren hat sich die Sowjetunion aufgelöst. Und die Russische Föderation – als verbliebener größter und mächtigster Teil der ehemaligen Sowjetunion – hat versucht das Machtvakuum zu füllen. Allerdings wird das Land selten als ebenbürtiger Partner wahrgenommen, sondern eher als der große Bruder, der nach wie vor über die anderen das Sagen hat – trotz aller Integrationsbemühungen, u.a. innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion, in der auch Belarus, Kirgisistan und Armenien Mitglieder sind.
Um aus dem Schatten des großen Bruders herauszutreten, liebäugeln viele ehemalige Sowjetrepubliken und ihre Menschen mit Russlands geopolitischen Konkurrenten. Die Opposition in Belarus sucht zwar eine einheimische Lösung, schaut dabei mit einem Auge Richtung Westen. Für Kirgisistan spielt der Nachbar China eine immer wichtigere Rolle, mit dem Ausbau der Neuen Seidenstraße und durch direkte Wirtschaftshilfen. Und im Südkaukasus lässt NATO-Partner Türkei wie bereits in den 1990er Jahren seine Muskeln spielen –mit militärischer und islamisch geprägter, ideologischer Unterstützung von Aserbaidschan. Der Konflikt in Bergkarabach zeigt jedenfalls, dass Moskau in der Region an Einfluss verloren hat. Mit dem Eingreifen von Ankara kann Moskau die über Jahrzehnte mühsam ausbalancierte Beziehung zwischen den verfeindeten Staaten Armenien und Aserbaidschan nicht mehr aufrechterhalten.
Kann der Funke überspringen?
Die Unruhen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion werden im Kreml mit einer gewissen Besorgnis wahrgenommen. Vor allem das Geschehen in Belarus kann für die russischen Machthaber bedrohlich werden. Das belorussische Volk, quer durch alle Gesellschaftsschichten, sucht nun schon in der elften Woche auf der Strasse vehement und konsequent nach Eigenbestimmung – könnte das nicht auch irgendwann in Russland Schule machen?
dk