Gerüchte gab und gibt es viele, langsam wird es nun doch etwas konkreter um Chinas Pläne, eine eigene Kryptowährung einzuführen. Erst Mitte Oktober fand in Shenzhen eine weitere Testphase statt. ChinaContact sprach zu diesem Thema mit Kai von Carnap, Analyst beim Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin.
Herr von Carnap, vor rund einem Jahr hat die People’s Bank of China die Einführung einer chinesischen Kryptowährung angekündigt. Wie lässt sich die „Digital Currency Electronic Payment“ – kurz DCEP – beschreiben? Die neue chinesische Digitalwährung wird bereits in einigen Städten im Rahmen verschiedener Versuchsprojekte genutzt, aber steht noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Sie soll für alltägliche Transaktionen und zum Wareneinkauf zum Einsatz kommen. Unter Finanzökonomen nennt man diesen Teil der Geldmenge „M0“. Sie soll damit das bereits existierende Währungssystem ergänzen und zum Teil ersetzen, indem kommerzielle Banken einen Teil der sich im Umlauf befindenden Währungseinheiten physisch aufbewahren müssen. Die Verwendung der neuen Währung findet derzeit ausschließlich über Bezahl-Apps statt, vergleichbar mit der Handy-App von PayPal. Diese Art der digitalen Bezahlfunktion ist in China bereits seit Jahren weit verbreitet, und im Endeffekt wird sich für die meisten Chinesen die Verwendung von DCEP sehr vertraut anfühlen.
Was unterscheidet den elektronischen Yuan von anderen Kryptowährungen? Die Entwickler der chinesischen Digitalwährung haben sich aus verschiedenen Gründen ganz bewusst gegen eine Kryptowährung wie Bitcoin entschieden. Der Begriff Kryptowährung bezeichnet Blockchain-basierte Softwareprotokolle, die zwar als alternatives Investitionsvehikel für einigen Aufruhr gesorgt haben und immer noch sorgen, aber sie eignen sich sowohl technisch als auch konzeptuell nicht für eine nationale Anwendung. Auf dem technischen Level sind Kryptowährungen noch nicht in der Lage, die notwendige Skalierbarkeit zu liefern, das heißt, sie könnten den Transaktionsstrom einer ganzen Volkswirtschaft gar nicht stemmen.
Konzeptuell möchten Zentralbanken den Kontrollverlust nicht hinnehmen, der mit der Einführung einer vollkommen offenen und demokratischen Blockchain einhergehen würde. Die Veränderung der Geldmenge oder Inflationsrate soll nicht über offene Konsensmechanismen à la Blockchain verhandelt werden. Es gibt zwar Kompromisse – wie das Konsortium Blockchain zum Beispiel – aber auch die scheitern an technischen Mängeln.
Können Sie etwas zu den verschiedenen Pilotprojekten und den Ergebnissen der einzelnen Testphasen sagen? Diese Pilotprojekte finden derzeit vor allem in vier chinesischen Städten statt, Xiong’an, Suzhou, Chengdu und Shenzhen. Shenzhen hat vor Kurzem eine stadtweite Lotterie organisiert, bei der circa zwei Millionen der insgesamt zwölf Millionen Einwohner mitgemacht haben. Das Projekt DCEP hat somit bereits sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und manche Geschäfte und Ketten, unter anderem McDonalds, akzeptieren dort bereits DCEP. In Chengdu werden außerdem an einige Beamte Gehälter in DCEP ausgezahlt, um die Zirkulation zu fördern. Ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Währung langsam mehr Anwendung findet, ist, dass vor wenigen Tagen hohe Strafen auf illegale DCEP-Nachahmer verordnet wurden. Dann wiederum muss man sehen, dass insgesamt erst ungefähr drei Millionen Transaktionen mit DCEP durchgeführt wurden – ein minimaler Bruchteil der täglich anfallenden digitalen Zahlungen in China.
Welche Ziele verfolgt China mit der Einführung seiner eigenen Digitalwährung? Die Einführung der Währung folgt einem expliziten Ziel der KP China, das in den vergangenen Jahren immer wieder von Partei- und Staatschef Xi Jinping öffentlich erklärt wurde. Man möchte Finanzstabilität durch eine zentral kontrollierte Technologie erreichen. Diesem Ziel zugrunde liegt ein größeres politisches Paradigma, in dem Stabilität als Prämisse für Wirtschaftswachstum verstanden wird. Im Fall der Digitalwährung heißt das aber, dass es nicht nur um finanzielle Kontrolle geht, sondern auch um soziale. Ein nur für die chinesische Zentralbank transparenter Zahlungsverkehr bietet sich da geradezu an.
Echtzeiterkenntnisse des Geldflusses sind für alle Zentralbanken wünschenswert, ganz besonders für eine chinesische Regierung, die Kontrolle so stark priorisiert.
Geht es dabei tatsächlich vor allem darum, Geldwäsche zu erschweren, den Terrorismus zu bekämpfen, Geldfälschern das Handwerk zu legen etc.? Auch. Eine mangelnde Aufrechterhaltung des Datenschutzes hat in China dazu geführt, dass es heute einen unglaublich aktiven Datenmarkt gibt, in dem riesige Datensätze von Nutzern ohne deren Zustimmung an- und verkauft werden. Der illegalen kommerziellen Ausbeutung dieser Nutzerdaten, aber auch Betrug und Geldwäsche möchte man mit der DCEP sicherlich entgegenwirken. Dazu kommen die erweiterten Steuerungsmöglichkeiten der Fiskal- und Geldpolitik. Echtzeiterkenntnisse des Geldflusses sind für alle Zentralbanken wünschenswert, ganz besonders für eine chinesische Regierung, die Kontrolle so stark priorisiert.
Genau diese Echtzeiterkenntnisse blieben der chinesischen Regierung bisher verwehrt, denn chinesische Finanztransaktionsdienstleister wie WeChat Pay und Alipay haben in den letzten Jahren den Markt massiv ausgebaut und dominiert und somit exponentiell an Einfluss gewonnen. Vor zehn Jahren hat in China kein Handybesitzer digital bezahlt. Heute hingegen nutzen über 80 Prozent der knapp 900 Millionen Smartphonebesitzer ihre Handys, um Überweisungen zu tätigen, oder sie scannen QR-Codes für alltägliche Einkäufe. 2019 ergab das ein Transaktionsvolumen von insgesamt 50 Billionen US-Dollar. In vielen Geschäften in den Großstädten werden Scheine und Münzen gar nicht mehr angenommen. Der Einfluss, den die Konzerne damit gewonnen haben, ist enorm. Und gerade unter dem oben erwähnten Paradigma nicht hinnehmbar aus Sicht der chinesischen Zentralbank.
Die DCEP ist so konzipiert, dass lediglich die chinesische Zentralbank in alle Datenströme der Währung Einblick bekommt.
Wie sind die mit der Einführung von DCEP einhergehenden Nebeneffekte – sprich das „gläserne Portemonnaie“ – zu bewerten? Die Frage, welche Implikationen die erhöhte Transparenz für die chinesische Gesellschaft mit sich bringen wird, ist in der Tat besorgniserregend. Wohingegen im aktuellen digitalen Zahlungssystem noch verschiedene Akteure und Motivationen zum Tragen kommen – die mächtigen Tech-Firmen haben ein großes Interesse daran, die von ihnen erfassten Daten so weit wie möglich für sich zu behalten –, ist die DCEP so konzipiert, dass lediglich die chinesische Zentralbank in alle Datenströme der Währung Einblick bekommt.
Das wurde zum einen dadurch erreicht, dass die Verschlüsselungen von Nachrichten leicht aufgehoben werden können, denn das 2019 verfasste Kryptografiegesetz verlangt, dass alle chinesischen Verschlüsselungsstandards von der chinesischen Cybersicherheitsbehörde aufgedeckt werden können, und die DCEP benutzt einen solchen chinesischen Standard. Zum anderen sind die hauptverantwortlichen Verteiler der neuen Währung staatliche Institutionen wie Telekommunikationsanbieter und staatliche Banken, und Privatunternehmen werden in das DCEP-Bezahlsystem nur in untergeordneter Funktion integriert. Huawei hat zum Beispiel gerade ein neues Mobiltelefon herausgebracht, das über ein DCEP-Hardwarewallet verfügt. Darüber hinaus gibt es noch weitere rechtliche und technische Instrumente, die durchaus genutzt werden können, um soziale Steuerungsmöglichkeiten auszubauen.
Inwieweit könnte der elektronische Yuan den bilateralen Handel mit China befördern? Darauf ist die DCEP-Währung bislang nicht ausgerichtet. Dazu müssten zunächst einmal grundlegende Zugangsbeschränkungen auf den chinesischen Renminbi gelockert werden. Aus Sicht eines nichtchinesischen Unternehmens oder Anlegers gibt es schlichtweg nicht genügend Anreize, um Renminbi, im Gegensatz zum Dollar, anzunehmen oder gar selbst zu verwenden. Die DCEP ändert daran nichts, und ein direkter Währungstausch zwischen DCEP und anderen internationalen Währungen ist derzeit noch nicht einmal erlaubt.
Andererseits ist es langfristig ein erklärtes Ziel der chinesischen Regierung, den globalen Einsatz der eigenen Währung zu erhöhen und die Hegemonialstellung des Dollars herauszufordern. Die Digitalisierung der eigenen Währung wird als ein wichtiger Schritt in diese Richtung gesehen. Das hat auch unlängst die Parteizeitung Global Times noch einmal in aller Deutlichkeit in einem Artikel erklärt.
Manche Eigenschaften der neuen Währung DCEP sind deshalb ganz bewusst darauf ausgerichtet, den internationalen Gebrauch von DCEP künftig zu erhöhen. Man kann zum Beispiel Offline-to-offline-Transaktionen durchführen oder muss sich für kleine Transaktionen lediglich per Handynummer registrieren lassen. Für manche der chinesischen Anrainerstaaten oder Regionen mit einer hohen Präsenz chinesischer Geschäfte kann es daher durchaus attraktiv werden, die chinesische Digitalwährung zu akzeptieren. Ob das als Anreiz ausreicht, um den Dollar ernsthaft zu gefährden, ist fraglich. Und es gibt derzeit noch keine Antwort darauf, wie man sich DCEP kaufen kann, wenn man kein chinesisches Konto besitzt.
Sind Unternehmen in Deutschland beziehungsweise der Europäischen Union aus Ihrer Sicht auf diese neuen Entwicklungen schon gut vorbereitet? Unterm Strich denke ich, dass es in der aktuellen Phase darum geht, die staatliche finanzielle Kontrolle innerhalb Chinas auszubauen und den Einfluss der chinesischen Tech-Giganten einzudämmen. Dies ist ein ähnlicher Verhandlungsprozess, wie wir ihn zum Beispiel auch in den USA gerade sehen. Die Internationalisierung des Renminbis ist zwar erklärtes Sekundarziel der neuen Währung, aber es mangelt schlicht an neuen Anreizen. Es wird daher mindestens noch ein paar Jahre dauern, bevor man in der Europäischen Union DCEP-Einheiten in irgendeiner Form zu Gesicht bekommt, geschweige denn sie zur Anwendung bringt.
Nichtsdestotrotz sollte die EU das Konzept Digitalwährung ernst nehmen und über mögliche Anwendungsformen nachdenken. Denn ein voll digitalisiertes und funktionierendes Währungssystem brächte durchaus viele Vorteile mit sich. Das beginnt bei effizienten Transaktionen im Alltag, geht über ein vereinfachtes Steuersystem bis hin zu einer faireren Fiskalpolitik. Bis dahin sind aber noch einige Hürden zu nehmen, wie zum Beispiel der Ausbau einer zuverlässigen, gleichmäßigen und weit verbreiteten digitalen Infrastruktur. Die EZB hat bereits mit einer konzeptuellen Testphase begonnen, aber möchte sich erst Mitte nächsten Jahres entscheiden, ob ein digitaler Euro, komplementär zu existierendem Bargeld, überhaupt sinnvoll wäre.
Neben berechtigten Sorgen, was die Einführung der DCEP für die chinesische Zivilgesellschaft bedeutet, ist die Frage, die man sich stellen sollte, welche Eigenschaften der chinesischen digitalen Währung man übernehmen könnte und welche nicht. Gerade Offline-to-offline-Transaktionen erscheinen mir durchaus sinnvoll, insbesondere wenn man nicht auf den Ausbau der Infrastruktur warten will.
Digitalwährung DCEP: finanzielle, aber auch soziale Kontrolle
Gerüchte gab und gibt es viele, langsam wird es nun doch etwas konkreter um Chinas Pläne, eine eigene Kryptowährung einzuführen. Erst Mitte Oktober fand in Shenzhen eine weitere Testphase statt. ChinaContact sprach zu diesem Thema mit Kai von Carnap, Analyst beim Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin.
Herr von Carnap, vor rund einem Jahr hat die People’s Bank of China die Einführung einer chinesischen Kryptowährung angekündigt. Wie lässt sich die „Digital Currency Electronic Payment“ – kurz DCEP – beschreiben?
Die neue chinesische Digitalwährung wird bereits in einigen Städten im Rahmen verschiedener Versuchsprojekte genutzt, aber steht noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Sie soll für alltägliche Transaktionen und zum Wareneinkauf zum Einsatz kommen. Unter Finanzökonomen nennt man diesen Teil der Geldmenge „M0“. Sie soll damit das bereits existierende Währungssystem ergänzen und zum Teil ersetzen, indem kommerzielle Banken einen Teil der sich im Umlauf befindenden Währungseinheiten physisch aufbewahren müssen. Die Verwendung der neuen Währung findet derzeit ausschließlich über Bezahl-Apps statt, vergleichbar mit der Handy-App von PayPal. Diese Art der digitalen Bezahlfunktion ist in China bereits seit Jahren weit verbreitet, und im Endeffekt wird sich für die meisten Chinesen die Verwendung von DCEP sehr vertraut anfühlen.
Was unterscheidet den elektronischen Yuan von anderen Kryptowährungen?
Die Entwickler der chinesischen Digitalwährung haben sich aus verschiedenen Gründen ganz bewusst gegen eine Kryptowährung wie Bitcoin entschieden. Der Begriff Kryptowährung bezeichnet Blockchain-basierte Softwareprotokolle, die zwar als alternatives Investitionsvehikel für einigen Aufruhr gesorgt haben und immer noch sorgen, aber sie eignen sich sowohl technisch als auch konzeptuell nicht für eine nationale Anwendung. Auf dem technischen Level sind Kryptowährungen noch nicht in der Lage, die notwendige Skalierbarkeit zu liefern, das heißt, sie könnten den Transaktionsstrom einer ganzen Volkswirtschaft gar nicht stemmen.
Konzeptuell möchten Zentralbanken den Kontrollverlust nicht hinnehmen, der mit der Einführung einer vollkommen offenen und demokratischen Blockchain einhergehen würde. Die Veränderung der Geldmenge oder Inflationsrate soll nicht über offene Konsensmechanismen à la Blockchain verhandelt werden. Es gibt zwar Kompromisse – wie das Konsortium Blockchain zum Beispiel – aber auch die scheitern an technischen Mängeln.
Können Sie etwas zu den verschiedenen Pilotprojekten und den Ergebnissen der einzelnen Testphasen sagen?
Diese Pilotprojekte finden derzeit vor allem in vier chinesischen Städten statt, Xiong’an, Suzhou, Chengdu und Shenzhen. Shenzhen hat vor Kurzem eine stadtweite Lotterie organisiert, bei der circa zwei Millionen der insgesamt zwölf Millionen Einwohner mitgemacht haben. Das Projekt DCEP hat somit bereits sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und manche Geschäfte und Ketten, unter anderem McDonalds, akzeptieren dort bereits DCEP. In Chengdu werden außerdem an einige Beamte Gehälter in DCEP ausgezahlt, um die Zirkulation zu fördern. Ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Währung langsam mehr Anwendung findet, ist, dass vor wenigen Tagen hohe Strafen auf illegale DCEP-Nachahmer verordnet wurden. Dann wiederum muss man sehen, dass insgesamt erst ungefähr drei Millionen Transaktionen mit DCEP durchgeführt wurden – ein minimaler Bruchteil der täglich anfallenden digitalen Zahlungen in China.
Welche Ziele verfolgt China mit der Einführung seiner eigenen Digitalwährung?
Die Einführung der Währung folgt einem expliziten Ziel der KP China, das in den vergangenen Jahren immer wieder von Partei- und Staatschef Xi Jinping öffentlich erklärt wurde. Man möchte Finanzstabilität durch eine zentral kontrollierte Technologie erreichen. Diesem Ziel zugrunde liegt ein größeres politisches Paradigma, in dem Stabilität als Prämisse für Wirtschaftswachstum verstanden wird. Im Fall der Digitalwährung heißt das aber, dass es nicht nur um finanzielle Kontrolle geht, sondern auch um soziale. Ein nur für die chinesische Zentralbank transparenter Zahlungsverkehr bietet sich da geradezu an.
Geht es dabei tatsächlich vor allem darum, Geldwäsche zu erschweren, den Terrorismus zu bekämpfen, Geldfälschern das Handwerk zu legen etc.?
Auch. Eine mangelnde Aufrechterhaltung des Datenschutzes hat in China dazu geführt, dass es heute einen unglaublich aktiven Datenmarkt gibt, in dem riesige Datensätze von Nutzern ohne deren Zustimmung an- und verkauft werden. Der illegalen kommerziellen Ausbeutung dieser Nutzerdaten, aber auch Betrug und Geldwäsche möchte man mit der DCEP sicherlich entgegenwirken. Dazu kommen die erweiterten Steuerungsmöglichkeiten der Fiskal- und Geldpolitik. Echtzeiterkenntnisse des Geldflusses sind für alle Zentralbanken wünschenswert, ganz besonders für eine chinesische Regierung, die Kontrolle so stark priorisiert.
Genau diese Echtzeiterkenntnisse blieben der chinesischen Regierung bisher verwehrt, denn chinesische Finanztransaktionsdienstleister wie WeChat Pay und Alipay haben in den letzten Jahren den Markt massiv ausgebaut und dominiert und somit exponentiell an Einfluss gewonnen. Vor zehn Jahren hat in China kein Handybesitzer digital bezahlt. Heute hingegen nutzen über 80 Prozent der knapp 900 Millionen Smartphonebesitzer ihre Handys, um Überweisungen zu tätigen, oder sie scannen QR-Codes für alltägliche Einkäufe. 2019 ergab das ein Transaktionsvolumen von insgesamt 50 Billionen US-Dollar. In vielen Geschäften in den Großstädten werden Scheine und Münzen gar nicht mehr angenommen. Der Einfluss, den die Konzerne damit gewonnen haben, ist enorm. Und gerade unter dem oben erwähnten Paradigma nicht hinnehmbar aus Sicht der chinesischen Zentralbank.
Wie sind die mit der Einführung von DCEP einhergehenden Nebeneffekte – sprich das „gläserne Portemonnaie“ – zu bewerten?
Die Frage, welche Implikationen die erhöhte Transparenz für die chinesische Gesellschaft mit sich bringen wird, ist in der Tat besorgniserregend. Wohingegen im aktuellen digitalen Zahlungssystem noch verschiedene Akteure und Motivationen zum Tragen kommen – die mächtigen Tech-Firmen haben ein großes Interesse daran, die von ihnen erfassten Daten so weit wie möglich für sich zu behalten –, ist die DCEP so konzipiert, dass lediglich die chinesische Zentralbank in alle Datenströme der Währung Einblick bekommt.
Das wurde zum einen dadurch erreicht, dass die Verschlüsselungen von Nachrichten leicht aufgehoben werden können, denn das 2019 verfasste Kryptografiegesetz verlangt, dass alle chinesischen Verschlüsselungsstandards von der chinesischen Cybersicherheitsbehörde aufgedeckt werden können, und die DCEP benutzt einen solchen chinesischen Standard. Zum anderen sind die hauptverantwortlichen Verteiler der neuen Währung staatliche Institutionen wie Telekommunikationsanbieter und staatliche Banken, und Privatunternehmen werden in das DCEP-Bezahlsystem nur in untergeordneter Funktion integriert. Huawei hat zum Beispiel gerade ein neues Mobiltelefon herausgebracht, das über ein DCEP-Hardwarewallet verfügt. Darüber hinaus gibt es noch weitere rechtliche und technische Instrumente, die durchaus genutzt werden können, um soziale Steuerungsmöglichkeiten auszubauen.
Inwieweit könnte der elektronische Yuan den bilateralen Handel mit China befördern?
Darauf ist die DCEP-Währung bislang nicht ausgerichtet. Dazu müssten zunächst einmal grundlegende Zugangsbeschränkungen auf den chinesischen Renminbi gelockert werden. Aus Sicht eines nichtchinesischen Unternehmens oder Anlegers gibt es schlichtweg nicht genügend Anreize, um Renminbi, im Gegensatz zum Dollar, anzunehmen oder gar selbst zu verwenden. Die DCEP ändert daran nichts, und ein direkter Währungstausch zwischen DCEP und anderen internationalen Währungen ist derzeit noch nicht einmal erlaubt.
Andererseits ist es langfristig ein erklärtes Ziel der chinesischen Regierung, den globalen Einsatz der eigenen Währung zu erhöhen und die Hegemonialstellung des Dollars herauszufordern. Die Digitalisierung der eigenen Währung wird als ein wichtiger Schritt in diese Richtung gesehen. Das hat auch unlängst die Parteizeitung Global Times noch einmal in aller Deutlichkeit in einem Artikel erklärt.
Manche Eigenschaften der neuen Währung DCEP sind deshalb ganz bewusst darauf ausgerichtet, den internationalen Gebrauch von DCEP künftig zu erhöhen. Man kann zum Beispiel Offline-to-offline-Transaktionen durchführen oder muss sich für kleine Transaktionen lediglich per Handynummer registrieren lassen. Für manche der chinesischen Anrainerstaaten oder Regionen mit einer hohen Präsenz chinesischer Geschäfte kann es daher durchaus attraktiv werden, die chinesische Digitalwährung zu akzeptieren. Ob das als Anreiz ausreicht, um den Dollar ernsthaft zu gefährden, ist fraglich. Und es gibt derzeit noch keine Antwort darauf, wie man sich DCEP kaufen kann, wenn man kein chinesisches Konto besitzt.
Sind Unternehmen in Deutschland beziehungsweise der Europäischen Union aus Ihrer Sicht auf diese neuen Entwicklungen schon gut vorbereitet?
Unterm Strich denke ich, dass es in der aktuellen Phase darum geht, die staatliche finanzielle Kontrolle innerhalb Chinas auszubauen und den Einfluss der chinesischen Tech-Giganten einzudämmen. Dies ist ein ähnlicher Verhandlungsprozess, wie wir ihn zum Beispiel auch in den USA gerade sehen. Die Internationalisierung des Renminbis ist zwar erklärtes Sekundarziel der neuen Währung, aber es mangelt schlicht an neuen Anreizen. Es wird daher mindestens noch ein paar Jahre dauern, bevor man in der Europäischen Union DCEP-Einheiten in irgendeiner Form zu Gesicht bekommt, geschweige denn sie zur Anwendung bringt.
Nichtsdestotrotz sollte die EU das Konzept Digitalwährung ernst nehmen und über mögliche Anwendungsformen nachdenken. Denn ein voll digitalisiertes und funktionierendes Währungssystem brächte durchaus viele Vorteile mit sich. Das beginnt bei effizienten Transaktionen im Alltag, geht über ein vereinfachtes Steuersystem bis hin zu einer faireren Fiskalpolitik. Bis dahin sind aber noch einige Hürden zu nehmen, wie zum Beispiel der Ausbau einer zuverlässigen, gleichmäßigen und weit verbreiteten digitalen Infrastruktur. Die EZB hat bereits mit einer konzeptuellen Testphase begonnen, aber möchte sich erst Mitte nächsten Jahres entscheiden, ob ein digitaler Euro, komplementär zu existierendem Bargeld, überhaupt sinnvoll wäre.
Neben berechtigten Sorgen, was die Einführung der DCEP für die chinesische Zivilgesellschaft bedeutet, ist die Frage, die man sich stellen sollte, welche Eigenschaften der chinesischen digitalen Währung man übernehmen könnte und welche nicht. Gerade Offline-to-offline-Transaktionen erscheinen mir durchaus sinnvoll, insbesondere wenn man nicht auf den Ausbau der Infrastruktur warten will.
Mit Kai von Carnap sprach Petra Reichardt.
Das Interview ist in ChinaContact 5-2020 erschienen.