Russland ist zweifelsohne ein Vorreiter bei der Digitalisierung des öffentlichen Lebens und der Verwaltung. Kann das Land jedoch auch bei der Digitalisierung der Wirtschaft und der Wertschöpfungsketten vorne mitmischen?
Russland hat über die letzten Jahre Milliarden Rubel in die Digitalisierung seiner Behörden und staatlichen Dienstleistungen gesteckt. Alleine die Investitionen in die Steuerbehörde, hierbei insbesondere in Serverkapazitäten, werden von Experten auf umgerechnet mehr als vier Milliarden Euro geschätzt. Die Resultate können sich durchaus sehen lassen – Steuerdeklarationen können digital abgegeben werden, versehen mit einer elektronischen Unterschrift, die der physischen Unterschrift rechtlich gleichgestellt ist. Zudem kann auch die gesamte Online-Kommunikation mit den Behörden, inkl. Antragstellungen und Anfragen, online abgewickelt werden. Im Rahmen eines Pilotprojektes zum sogenannten Steuer-Monitoring greifen die Finanzbehörden zudem direkt auf die Bücher und Systeme der Unternehmen zu und erhalten hier alle finanzwirtschaftlichen Angaben zur Steuerberechnung direkt von der Quelle. Die Tendenz geht dahin, dass die Unternehmen in der Zukunft keine Steuerdeklarationen mehr abgeben müssen, da der Staat mit Direktzugriff auf die Bücher die Steuern selbst kalkulieren und erheben kann. Und das alles vollautomatisch.
Auch in der Digitalisierung des öffentlichen Lebens ist Russland viele europäischen Staaten meilenweit voraus. So können z. B. über einen persönlichen Account bei „Gosuslugi“ (Einheitliches Portal der öffentlichen Dienste Russlands, Anm. d. Red.) Immobilien gekauft, verkauft und Eigentum registriert werden. Auch können sich die russischen Bürger online mit Klagen an Gerichte wenden. Oftmals ist keinerlei physische Präsenz erforderlich, alle Anliegen können sprichwörtlich vom heimischen Wohnzimmersofa aus erledigt werden. Eigentlich fantastisch. Aber natürlich gibt es bei der rasanten Entwicklung auch Verlierer. Ein großer Leidtragender der Digitalisierung ist die Russische Post – die Umsätze aus der Briefbeförderung sind über die letzten Jahre erheblich eingebrochen. Das Unternehmen kann nur noch durch umfangreiche staatliche Subventionen und Investitionen in neue Geschäftsbereiche überleben.
Zukunftsgewandt
Investition in die Zukunft hat sich auch die russische Regierung auf die Fahnen geschrieben und wendet umfangreiche Mittel auf, um Hub’s und Fördermöglichkeiten für Start-ups und Innovationen zur Verfügung zu stellen. Bekannte Beispiele sind die beiden Innovationszentren Skolkovo und Innopolis, aber auch der Russische Fonds für Direktinvestitionen (RDIF). Letzterer wurde im Juni 2011 gegründet und hat über die letzten Jahre angeblich Fördergelder in Höhe von über zehn Milliarden US-Dollar erhalten. Zweck und Ziel des Fonds ist, vorwiegend in Russland ertragreiche Kapitalinvestitionen vorzunehmen. Für jede getätigte Investition muss der RDIF Co-Investitionen sicherstellen, die mindestens seiner Eigenbeteiligung entsprechen.
In der Tat sieht die Wirtschaftspolitik des russischen Staates aktuell sechs Hauptrichtungen vor:
Neue Besteuerungsbasis für IT-Unternehmen ab 2021 (Reduktion von 20 Prozent auf drei Prozent bei der Gewinnsteuer, Reduktion von 30 Prozent auf 7,6 Prozent bei den Sozialsteuern)
Stimulierung der Nachfrage nach Produkten heimischer Hersteller (teilweise durch Restriktionen gegenüber ausländischen Anbietern)
Unterstützung bei der Einführung von nationaler Software und anderen innovativen Lösungen
Förderung von Start-ups
Förderung von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP)
Investitionen in Ausbildung von jungen Fachkräften
Das erklärte Ziel ist es, den Anteil der gesamten IT-Branche am russischen BIP auf bis zu 20 Prozent zu erhöhen. Mit anderen Worten: Der Anteil der IT-Industrie am BIP soll mittelfristig höher liegen als der Anteil „traditioneller“ Branchen wie Metallurgie, Düngemittelherstellung oder auch Landwirtschaft.
Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, stellt der russische Staat bis 2024 alleine 20 Milliarden Rubel in Form von Dotationen für die Entwicklung einheimischer Software bereit. Bis 2030 möchte man das verfügbare Venture-Kapital für Investitionen in Start-ups auf umgerechnet rund 30 Milliarden Euro erhöhen – wahrhaftig napoleonische Ziele.
Theorie ja, Praxis nein
Während die Latte bei der Zielstellungen relativ hochgelegt wurde, besteht in der Praxis noch gewisses Entwicklungspotenzial. Wenn man sich den heutigen Start-up-Markt in Russland anschaut, stellen sich die Zahlen eher bescheiden dar, insbesondere im internationalen Vergleich:
12.000 aktive Start-ups (zum Vergleich: Israel verfügt über rund 15.000)
869 Millionen US-Dollar an Investitionen in Start-ups (Israel: 6,5 Milliarden USD)
Der Grund für diese bescheidenen Zahlen ist eigentlich recht banal: Die größten Spieler auf dem russischen Venture-Capital-Markt sind staatliche Unternehmen, bzw. Unternehmen mit staatlicher Beteiligung wie etwa die Sberbank, VTB Capital, Gazprom, Rostech und Rosnano. Auch die Interessen der Staatsunternehmen liegen auf der Hand: Man möchte sich neuer Lösungen bemächtigen und diese in die eigenen Eco-Systeme intergirieren und somit das eigene Service-Portfolio erweitern. Im weitereichenden Sinne auch, um den privaten Unternehmen Marktanteile abzunehmen (Sberbank).
Natürlich sind auch die großen russischen Privatunternehmen wie MTS, Kaspersky, Yandex, Lukoil, Rusal oder Severstahl aktiv und organisieren eigene Acceleratoren zum Screening und Pitching von vielversprechenden Start-ups bzw. kaufen interessante Start-ups direkt auf.
Probleme durch Limitierung
Die Anzahl der interessanten „Käufer“ ist somit relativ limitiert, was gleichzeitig eines der größten Probleme der russischen Start-up-Landschaft darstellt. Tatsächlich interessieren sich die großen Private Venture Fonds oder Privatanleger fast ausschließlich für Lösungen mit internationaler Ausrichtung. So ist eine der Standardfragen bei Vorstellungen privater Acceleratoren und Demo-Days immer: „Auf welche Märkte zielt die Lösung ab?“.
Ausländische Investoren halten sich aus den genannten Gründen bei großflächigen Investitionen zurück oder sehen für sich – aufgrund der geringeren Ausrichtung auf internationale Märkte – nur sehr limitierte Wachstumschancen. Inländische Investoren – und ja, es gibt in Russland sowohl private Venture Fonds, als auch Business Angels und Investoren-Syndikate – sind von den Mitteln her begrenzt und ziehen auch Start-ups mit Fokus auf internationale Märkte vor. Auch das verfügbare Kapital aus privaten Quellen ist in Russland sehr begrenzt.
Einer von zehn
Dies führt in letzter Instanz dazu, dass zwar auch in Russland durchaus die Regel, wonach von zehn Start-ups nur eines überlebt, gilt. Jedoch können viele Start-ups gar nicht erst über das Niveau der Garagenlösung hinauswachsen, sondern bleiben noch vor der eigentlichen Entwicklung zu einem klassischen Start-up hängen, weil viele guten Ideen aufgrund fehlender Mittel gar nicht zu einem Produkt reifen können.
Um also die annoncierte Zielstellung erreichen zu können, muss Russland deshalb nicht nur Start-ups und Unternehmen fördern, die nationale Marktlücken füllen, sondern auch Instrumente zur flächendeckenden Förderung bereitstellen sowie konkurrenzfähige Lösungen für den internationalen Markt erarbeiten. Hierbei wäre auf jeden Fall ratsam, auch die Rolle der bestehenden Institutionen wie Skolkovo oder RDIF zu überdenken und nach weniger bürokratischen Ansätzen zu suchen, um einerseits den Start-ups die Möglichkeit zur Entwicklung zu geben, andererseits aber auch ausländischen Investoren aus der Privatwirtschaft den Zugang zu vielversprechenden Start-ups zu ermöglichen und zu vereinfachen.
Digitalisierung: Digitalisierungsweltmeister Russland?
Russland ist zweifelsohne ein Vorreiter bei der Digitalisierung des öffentlichen Lebens und der Verwaltung. Kann das Land jedoch auch bei der Digitalisierung der Wirtschaft und der Wertschöpfungsketten vorne mitmischen?
Russland hat über die letzten Jahre Milliarden Rubel in die Digitalisierung seiner Behörden und staatlichen Dienstleistungen gesteckt. Alleine die Investitionen in die Steuerbehörde, hierbei insbesondere in Serverkapazitäten, werden von Experten auf umgerechnet mehr als vier Milliarden Euro geschätzt. Die Resultate können sich durchaus sehen lassen – Steuerdeklarationen können digital abgegeben werden, versehen mit einer elektronischen Unterschrift, die der physischen Unterschrift rechtlich gleichgestellt ist. Zudem kann auch die gesamte Online-Kommunikation mit den Behörden, inkl. Antragstellungen und Anfragen, online abgewickelt werden. Im Rahmen eines Pilotprojektes zum sogenannten Steuer-Monitoring greifen die Finanzbehörden zudem direkt auf die Bücher und Systeme der Unternehmen zu und erhalten hier alle finanzwirtschaftlichen Angaben zur Steuerberechnung direkt von der Quelle. Die Tendenz geht dahin, dass die Unternehmen in der Zukunft keine Steuerdeklarationen mehr abgeben müssen, da der Staat mit Direktzugriff auf die Bücher die Steuern selbst kalkulieren und erheben kann. Und das alles vollautomatisch.
Auch in der Digitalisierung des öffentlichen Lebens ist Russland viele europäischen Staaten meilenweit voraus. So können z. B. über einen persönlichen Account bei „Gosuslugi“ (Einheitliches Portal der öffentlichen Dienste Russlands, Anm. d. Red.) Immobilien gekauft, verkauft und Eigentum registriert werden. Auch können sich die russischen Bürger online mit Klagen an Gerichte wenden. Oftmals ist keinerlei physische Präsenz erforderlich, alle Anliegen können sprichwörtlich vom heimischen Wohnzimmersofa aus erledigt werden. Eigentlich fantastisch. Aber natürlich gibt es bei der rasanten Entwicklung auch Verlierer. Ein großer Leidtragender der Digitalisierung ist die Russische Post – die Umsätze aus der Briefbeförderung sind über die letzten Jahre erheblich eingebrochen. Das Unternehmen kann nur noch durch umfangreiche staatliche Subventionen und Investitionen in neue Geschäftsbereiche überleben.
Zukunftsgewandt
Investition in die Zukunft hat sich auch die russische Regierung auf die Fahnen geschrieben und wendet umfangreiche Mittel auf, um Hub’s und Fördermöglichkeiten für Start-ups und Innovationen zur Verfügung zu stellen. Bekannte Beispiele sind die beiden Innovationszentren Skolkovo und Innopolis, aber auch der Russische Fonds für Direktinvestitionen (RDIF). Letzterer wurde im Juni 2011 gegründet und hat über die letzten Jahre angeblich Fördergelder in Höhe von über zehn Milliarden US-Dollar erhalten. Zweck und Ziel des Fonds ist, vorwiegend in Russland ertragreiche Kapitalinvestitionen vorzunehmen. Für jede getätigte Investition muss der RDIF Co-Investitionen sicherstellen, die mindestens seiner Eigenbeteiligung entsprechen.
In der Tat sieht die Wirtschaftspolitik des russischen Staates aktuell sechs Hauptrichtungen vor:
Das erklärte Ziel ist es, den Anteil der gesamten IT-Branche am russischen BIP auf bis zu 20 Prozent zu erhöhen. Mit anderen Worten: Der Anteil der IT-Industrie am BIP soll mittelfristig höher liegen als der Anteil „traditioneller“ Branchen wie Metallurgie, Düngemittelherstellung oder auch Landwirtschaft.
Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, stellt der russische Staat bis 2024 alleine 20 Milliarden Rubel in Form von Dotationen für die Entwicklung einheimischer Software bereit. Bis 2030 möchte man das verfügbare Venture-Kapital für Investitionen in Start-ups auf umgerechnet rund 30 Milliarden Euro erhöhen – wahrhaftig napoleonische Ziele.
Theorie ja, Praxis nein
Während die Latte bei der Zielstellungen relativ hochgelegt wurde, besteht in der Praxis noch gewisses Entwicklungspotenzial. Wenn man sich den heutigen Start-up-Markt in Russland anschaut, stellen sich die Zahlen eher bescheiden dar, insbesondere im internationalen Vergleich:
Der Grund für diese bescheidenen Zahlen ist eigentlich recht banal: Die größten Spieler auf dem russischen Venture-Capital-Markt sind staatliche Unternehmen, bzw. Unternehmen mit staatlicher Beteiligung wie etwa die Sberbank, VTB Capital, Gazprom, Rostech und Rosnano. Auch die Interessen der Staatsunternehmen liegen auf der Hand: Man möchte sich neuer Lösungen bemächtigen und diese in die eigenen Eco-Systeme intergirieren und somit das eigene Service-Portfolio erweitern. Im weitereichenden Sinne auch, um den privaten Unternehmen Marktanteile abzunehmen (Sberbank).
Natürlich sind auch die großen russischen Privatunternehmen wie MTS, Kaspersky, Yandex, Lukoil, Rusal oder Severstahl aktiv und organisieren eigene Acceleratoren zum Screening und Pitching von vielversprechenden Start-ups bzw. kaufen interessante Start-ups direkt auf.
Probleme durch Limitierung
Die Anzahl der interessanten „Käufer“ ist somit relativ limitiert, was gleichzeitig eines der größten Probleme der russischen Start-up-Landschaft darstellt. Tatsächlich interessieren sich die großen Private Venture Fonds oder Privatanleger fast ausschließlich für Lösungen mit internationaler Ausrichtung. So ist eine der Standardfragen bei Vorstellungen privater Acceleratoren und Demo-Days immer: „Auf welche Märkte zielt die Lösung ab?“.
Ausländische Investoren halten sich aus den genannten Gründen bei großflächigen Investitionen zurück oder sehen für sich – aufgrund der geringeren Ausrichtung auf internationale Märkte – nur sehr limitierte Wachstumschancen. Inländische Investoren – und ja, es gibt in Russland sowohl private Venture Fonds, als auch Business Angels und Investoren-Syndikate – sind von den Mitteln her begrenzt und ziehen auch Start-ups mit Fokus auf internationale Märkte vor. Auch das verfügbare Kapital aus privaten Quellen ist in Russland sehr begrenzt.
Einer von zehn
Dies führt in letzter Instanz dazu, dass zwar auch in Russland durchaus die Regel, wonach von zehn Start-ups nur eines überlebt, gilt. Jedoch können viele Start-ups gar nicht erst über das Niveau der Garagenlösung hinauswachsen, sondern bleiben noch vor der eigentlichen Entwicklung zu einem klassischen Start-up hängen, weil viele guten Ideen aufgrund fehlender Mittel gar nicht zu einem Produkt reifen können.
Um also die annoncierte Zielstellung erreichen zu können, muss Russland deshalb nicht nur Start-ups und Unternehmen fördern, die nationale Marktlücken füllen, sondern auch Instrumente zur flächendeckenden Förderung bereitstellen sowie konkurrenzfähige Lösungen für den internationalen Markt erarbeiten. Hierbei wäre auf jeden Fall ratsam, auch die Rolle der bestehenden Institutionen wie Skolkovo oder RDIF zu überdenken und nach weniger bürokratischen Ansätzen zu suchen, um einerseits den Start-ups die Möglichkeit zur Entwicklung zu geben, andererseits aber auch ausländischen Investoren aus der Privatwirtschaft den Zugang zu vielversprechenden Start-ups zu ermöglichen und zu vereinfachen.
Lars Flottrong, Partner, SCHNEIDER GROUP Moskau