Social Commerce, in China unter dem Begriff 社交电商 (shejiao dianshang, wörtlich: „Social E-Commerce“) bekannt, ist ein Buzzwort unserer Zeit. Es beschreibt die Vernetzung von E-Commerce mit sozialen Netzwerken. Diese Ausprägung des E-Commerce hat in den vergangenen Monaten einen großen Entwicklungsschub erfahren.
Die ersten Formen des Social Commerce entstanden in den frühen 2010er-Jahren, als Posts in sozialen Medien mit einer „buy“-Funktion verknüpft wurden. Heute geht es darum, dass Interaktionen und nutzergenerierte Inhalte im Zusammenspiel integrale Bestandteile des digitalen Einkaufserlebnisses bilden.
Produktbewertungen, Kommentierungen und das Teilen durch Konsumenten und sogenannte Key Opinion Leader (KOL) entscheiden über Erfolg oder Misserfolg eines Produktes in China. Berechnungen des Marktforschungsunternehmens eMarketer zufolge wird das Marktvolumen von Social Commerce in China im Jahr 2020 mehr als 242 Milliarden US-Dollar betragen und bis 2023 auf über 474 Milliarden US-Dollar ansteigen. Dies entspricht einem Anteil von 11,6 beziehungsweise 14,2 Prozent am gesamtchinesischen E-Commerce-Umsatz. Bereits 2019 war das Volumen zehnmal so groß wie in den USA. Um von diesen Entwicklungen zu profitieren, ist es für Marken elementar, den Social-Commerce-Boom zu verstehen und ihr Marketing korrekt auszurichten.
Social-Commerce-Plattformen: drei Kategorien Social-Commerce-Plattformen können in drei Kategorien gegliedert werden: content-sharing, membership-based, und group-purchasing. All diese Plattformen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Nutzern die Möglichkeit geben, nach Produktinformationen zu suchen, zu kommentieren, ihr Produkterlebnis zu teilen und Produkte zu kaufen.
Zu den Content-sharing-Plattformen gehören beispielsweise WeChat-Miniprogramme, Xiaohongshu (aka Litte Red Book) oder die Kurzvideoplattform Douyin (aka TikTok). Mitgliederbasierende Plattformen sind beispielsweise Beidian oder Yunji. Die größte Group-purchasing-Plattform ist Pinduoduo. Während Pinduoduo in der Vergangenheit vor allem als Plattform für Niedrigpreisprodukte und Lebensmittel bekannt war, wird die Plattform nun aufgrund ihrer Stärke in Chinas Städten der dritten und vierten Reihe für internationale Marken interessanter. Plattformen kooperieren auch untereinander. So organisierte Yunji für seine Mitglieder im September 2020 ein Livestreamingevent auf Douyin zum Vertrieb von Haushaltsgeräten, Kosmetik, Pflegeprodukten und Lebensmitteln.
Covid-19 als Trendbeschleuniger Die Covid-19-Pandemie hat den bereits existierenden Social-Commerce-Trend stark beschleunigt. Den größten Einzelschub als Vertriebs- und Marketingkanal hat dabei das Livestreaming erfahren. Viele Marken haben verschiedene Formate inklusive Verkaufsshows getestet. Die Spannbreite reichte von Kosmetikmarken wie L’Oréal oder Estée Lauder über Sportartikelhersteller wie Adidas bis zu Automobilherstellern wie BMW. Kurzvideoplattformen haben sich dabei zu vollwertigen Social-Commerce-Plattformen erweitert. Douyin vereinfachte beispielsweise die E-Commerce-Funktionen, erweiterte sie für kleine Händler und ermöglichte so, dass Marken auch diese Plattform verstärkt für den digitalen Vertrieb nutzten. Zudem wurden Einzelhandelsverkäufer für den Vertrieb auf Social-Commerce-Plattformen umgeschult.
Auch Luxusmarken haben aufgrund der geschlossenen Geschäfte und Reisebeschränkungen Experimente gewagt. So hat Louis Vuitton als erste Luxusmarke im März 2020 einen offiziellen Account bei Xiaohongshu eröffnet und ein Livestreamingevent organisiert. Das Livestreaming bestand aus einem Mix aus Produktvorstellung und Stylingtipps; dazu wurde ein Gast interviewt, und es bestand die Möglichkeit, mit den Verkäufern in Interaktion zu treten und anschließend Produkte zu kaufen. Louis Vuitton wählte Xiaohongshu aufgrund der Profile der über 100 Millionen täglichen Nutzer des sozialen Netzwerkes, das hauptsächlich von Frauen unter 40 Jahren genutzt wird. Die Nutzer teilen Produktempfehlungen und geben Beautytipps, indem sie Fotos und Videos posten und diskutieren.
Ein Wegbereiter für die breite Adaption des Social Commerce war Tencent. Das Unternehmen hat im Jahr 2017 WeChat-Miniprogramme ins Leben gerufen und etabliert. Im Jahr 2019 liefen über diese Miniprogramme bereits Transaktionen im Wert von 115 Milliarden US-Dollar. Die Programme sind in WeChat integriert und erlauben Marken, mit ihren Kunden in wechselseitigen Kontakt zu treten, eine Plattform zum Austausch und für Diskussionen zu geben, über Verkaufsaktionen und Veranstaltungen zu informieren und Produkte zu verkaufen. Während der Pandemie nutzten viele Marken und Einzelhändler erstmals Miniprogramme, um den Kontakt zu Kunden digital aufrechtzuerhalten und neue Kunden anzusprechen. Dienstleister haben dazu neue Softwarelösungen entwickelt, die Einzelhändlern und Marken dabei helfen, ihre Verkäufer als Onlineshoppingguides und Onlinedirektverkäufer einzusetzen.
Die Rolle der KOLs Die steigende Bedeutung von Social Commerce ist vor allem mit dem Einfluss von Key Opinion Leadern (KOL) verknüpft. Eine im Jahr 2019 von Tencent und BCG durchgeführte Studie ergab beispielsweise, dass mehr als 70 Prozent der befragten Konsumenten sich bei der Kaufentscheidung von KOLs beeinflussen lassen. Dies gilt insbesondere für Käufer von Luxusgütern, die jünger als 30 Jahre sind. Während im Westen KOLs als Influencer tituliert werden und sich auf wenige Bereiche fokussieren, ist die KOL-Landschaft in China divers und spezialisiert. In nahezu allen Produktkategorien und Lifestylebereichen existieren KOLs.
Dabei werden auch Geschlechtergrenzen übertreten. Einer der bekanntesten KOL im Kosmetikbereich ist beispielsweise Li Jiaqi, der sich auf Lippenstifte spezialisiert und eine riesige Fangemeinde von über 30 Millionen Followern gebildet hat. Während er L’Oréal zu gestiegenen Verkäufen verholfen hatte, erfuhr Hermès die Schattenseiten des Social Commerce, als er im Frühjahr 2020 die neuen Lippenstifte des Unternehmens bemängelte und seine Fans negative Kommentare verbreiteten. Auch im Handtaschensegment hat ein Mann – Tao Liang – großen Einfluss erlangt; er wird „Mr. Bag“ genannt. Tao kooperiert mit Herstellern wie Montblanc, Burberry oder Longchamp bei der Vermarktung von Sondereditionen. Neben den großen Namen macht es für Marken allerdings auch Sinn, bei Events oder Kampagnen mit Grassroots-KOL zusammenzuarbeiten, die über kleinere, aber loyale Fangemeinden verfügen.
Implikationen für Marken Um langfristig relevant zu bleiben, ist es für Marken von entscheidender Bedeutung, die Entwicklungen der Social-Commerce-Plattformen genau zu beobachten, da sich diese durch neue Funktionen und Trends schnell ändern. Auch muss die richtige Plattform ausgewählt werden. Die Plattform sollte zur Marketingstrategie und dem eigenen Geschäftsmodell passen und nicht von der Plattform abgeleitet werden.
Marken müssen auch daran denken, in die Schaffung von nutzergenerierten Inhalten zu investieren und eine Plattform dafür zu bieten. Dies ist eine der effektivsten Möglichkeiten, das Engagement der Kunden und die eigene Reichweite zu erhöhen. Inhalte, die hoch relevant, attraktiv und leicht verständlich sind, fördern das Engagement der Verbraucher und steigern die Markenaffinität.
Somit kann die Zusammenarbeit mit KOLs für Marken viele Vorteile bringen, da sie junge Käufer stark beeinflussen. Die Landschaft der KOLs ist allerdings sehr komplex, und die richtige Auswahl kann eine Marke auch überfordern. Bei der Marktbearbeitung können lokale Partner aufgrund ihres Marktwissens und ihrer Erfahrung helfend zur Seite stehen.
Mike Hofmann, MBA, ist Geschäftsführer von Melchers in Peking, einem auf Premiummarken fokussierten Einzelhandelspartner und Dienstleister in China. hofmann@bj.melchers.com.cn | www.melchers-china.com
Social Commerce – die Macht der KOLs
Social Commerce, in China unter dem Begriff 社交电商 (shejiao dianshang, wörtlich: „Social E-Commerce“) bekannt, ist ein Buzzwort unserer Zeit. Es beschreibt die Vernetzung von E-Commerce mit sozialen Netzwerken. Diese Ausprägung des E-Commerce hat in den vergangenen Monaten einen großen Entwicklungsschub erfahren.
Die ersten Formen des Social Commerce entstanden in den frühen 2010er-Jahren, als Posts in sozialen Medien mit einer „buy“-Funktion verknüpft wurden. Heute geht es darum, dass Interaktionen und nutzergenerierte Inhalte im Zusammenspiel integrale Bestandteile des digitalen Einkaufserlebnisses bilden.
Produktbewertungen, Kommentierungen und das Teilen durch Konsumenten und sogenannte Key Opinion Leader (KOL) entscheiden über Erfolg oder Misserfolg eines Produktes in China. Berechnungen des Marktforschungsunternehmens eMarketer zufolge wird das Marktvolumen von Social Commerce in China im Jahr 2020 mehr als 242 Milliarden US-Dollar betragen und bis 2023 auf über 474 Milliarden US-Dollar ansteigen. Dies entspricht einem Anteil von 11,6 beziehungsweise 14,2 Prozent am gesamtchinesischen E-Commerce-Umsatz. Bereits 2019 war das Volumen zehnmal so groß wie in den USA. Um von diesen Entwicklungen zu profitieren, ist es für Marken elementar, den Social-Commerce-Boom zu verstehen und ihr Marketing korrekt auszurichten.
Social-Commerce-Plattformen: drei Kategorien
Social-Commerce-Plattformen können in drei Kategorien gegliedert werden: content-sharing, membership-based, und group-purchasing. All diese Plattformen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Nutzern die Möglichkeit geben, nach Produktinformationen zu suchen, zu kommentieren, ihr Produkterlebnis zu teilen und Produkte zu kaufen.
Zu den Content-sharing-Plattformen gehören beispielsweise WeChat-Miniprogramme, Xiaohongshu (aka Litte Red Book) oder die Kurzvideoplattform Douyin (aka TikTok). Mitgliederbasierende Plattformen sind beispielsweise Beidian oder Yunji. Die größte Group-purchasing-Plattform ist Pinduoduo. Während Pinduoduo in der Vergangenheit vor allem als Plattform für Niedrigpreisprodukte und Lebensmittel bekannt war, wird die Plattform nun aufgrund ihrer Stärke in Chinas Städten der dritten und vierten Reihe für internationale Marken interessanter. Plattformen kooperieren auch untereinander. So organisierte Yunji für seine Mitglieder im September 2020 ein Livestreamingevent auf Douyin zum Vertrieb von Haushaltsgeräten, Kosmetik, Pflegeprodukten und Lebensmitteln.
Covid-19 als Trendbeschleuniger
Die Covid-19-Pandemie hat den bereits existierenden Social-Commerce-Trend stark beschleunigt. Den größten Einzelschub als Vertriebs- und Marketingkanal hat dabei das Livestreaming erfahren. Viele Marken haben verschiedene Formate inklusive Verkaufsshows getestet. Die Spannbreite reichte von Kosmetikmarken wie L’Oréal oder Estée Lauder über Sportartikelhersteller wie Adidas bis zu Automobilherstellern wie BMW. Kurzvideoplattformen haben sich dabei zu vollwertigen Social-Commerce-Plattformen erweitert. Douyin vereinfachte beispielsweise die E-Commerce-Funktionen, erweiterte sie für kleine Händler und ermöglichte so, dass Marken auch diese Plattform verstärkt für den digitalen Vertrieb nutzten. Zudem wurden Einzelhandelsverkäufer für den Vertrieb auf Social-Commerce-Plattformen umgeschult.
Auch Luxusmarken haben aufgrund der geschlossenen Geschäfte und Reisebeschränkungen Experimente gewagt. So hat Louis Vuitton als erste Luxusmarke im März 2020 einen offiziellen Account bei Xiaohongshu eröffnet und ein Livestreamingevent organisiert. Das Livestreaming bestand aus einem Mix aus Produktvorstellung und Stylingtipps; dazu wurde ein Gast interviewt, und es bestand die Möglichkeit, mit den Verkäufern in Interaktion zu treten und anschließend Produkte zu kaufen. Louis Vuitton wählte Xiaohongshu aufgrund der Profile der über 100 Millionen täglichen Nutzer des sozialen Netzwerkes, das hauptsächlich von Frauen unter 40 Jahren genutzt wird. Die Nutzer teilen Produktempfehlungen und geben Beautytipps, indem sie Fotos und Videos posten und diskutieren.
Ein Wegbereiter für die breite Adaption des Social Commerce war Tencent. Das Unternehmen hat im Jahr 2017 WeChat-Miniprogramme ins Leben gerufen und etabliert. Im Jahr 2019 liefen über diese Miniprogramme bereits Transaktionen im Wert von 115 Milliarden US-Dollar. Die Programme sind in WeChat integriert und erlauben Marken, mit ihren Kunden in wechselseitigen Kontakt zu treten, eine Plattform zum Austausch und für Diskussionen zu geben, über Verkaufsaktionen und Veranstaltungen zu informieren und Produkte zu verkaufen. Während der Pandemie nutzten viele Marken und Einzelhändler erstmals Miniprogramme, um den Kontakt zu Kunden digital aufrechtzuerhalten und neue Kunden anzusprechen. Dienstleister haben dazu neue Softwarelösungen entwickelt, die Einzelhändlern und Marken dabei helfen, ihre Verkäufer als Onlineshoppingguides und Onlinedirektverkäufer einzusetzen.
Die Rolle der KOLs
Die steigende Bedeutung von Social Commerce ist vor allem mit dem Einfluss von Key Opinion Leadern (KOL) verknüpft. Eine im Jahr 2019 von Tencent und BCG durchgeführte Studie ergab beispielsweise, dass mehr als 70 Prozent der befragten Konsumenten sich bei der Kaufentscheidung von KOLs beeinflussen lassen. Dies gilt insbesondere für Käufer von Luxusgütern, die jünger als 30 Jahre sind. Während im Westen KOLs als Influencer tituliert werden und sich auf wenige Bereiche fokussieren, ist die KOL-Landschaft in China divers und spezialisiert. In nahezu allen Produktkategorien und Lifestylebereichen existieren KOLs.
Dabei werden auch Geschlechtergrenzen übertreten. Einer der bekanntesten KOL im Kosmetikbereich ist beispielsweise Li Jiaqi, der sich auf Lippenstifte spezialisiert und eine riesige Fangemeinde von über 30 Millionen Followern gebildet hat. Während er L’Oréal zu gestiegenen Verkäufen verholfen hatte, erfuhr Hermès die Schattenseiten des Social Commerce, als er im Frühjahr 2020 die neuen Lippenstifte des Unternehmens bemängelte und seine Fans negative Kommentare verbreiteten. Auch im Handtaschensegment hat ein Mann – Tao Liang – großen Einfluss erlangt; er wird „Mr. Bag“ genannt. Tao kooperiert mit Herstellern wie Montblanc, Burberry oder Longchamp bei der Vermarktung von Sondereditionen. Neben den großen Namen macht es für Marken allerdings auch Sinn, bei Events oder Kampagnen mit Grassroots-KOL zusammenzuarbeiten, die über kleinere, aber loyale Fangemeinden verfügen.
Implikationen für Marken
Um langfristig relevant zu bleiben, ist es für Marken von entscheidender Bedeutung, die Entwicklungen der Social-Commerce-Plattformen genau zu beobachten, da sich diese durch neue Funktionen und Trends schnell ändern. Auch muss die richtige Plattform ausgewählt werden. Die Plattform sollte zur Marketingstrategie und dem eigenen Geschäftsmodell passen und nicht von der Plattform abgeleitet werden.
Marken müssen auch daran denken, in die Schaffung von nutzergenerierten Inhalten zu investieren und eine Plattform dafür zu bieten. Dies ist eine der effektivsten Möglichkeiten, das Engagement der Kunden und die eigene Reichweite zu erhöhen. Inhalte, die hoch relevant, attraktiv und leicht verständlich sind, fördern das Engagement der Verbraucher und steigern die Markenaffinität.
Somit kann die Zusammenarbeit mit KOLs für Marken viele Vorteile bringen, da sie junge Käufer stark beeinflussen. Die Landschaft der KOLs ist allerdings sehr komplex, und die richtige Auswahl kann eine Marke auch überfordern. Bei der Marktbearbeitung können lokale Partner aufgrund ihres Marktwissens und ihrer Erfahrung helfend zur Seite stehen.
Mike Hofmann, MBA, ist Geschäftsführer von Melchers in Peking, einem auf Premiummarken fokussierten Einzelhandelspartner und Dienstleister in China. hofmann@bj.melchers.com.cn | www.melchers-china.com
Dieser Beitrag ist in ChinaContact 6/2020 erschienen.