Direktinvestitionen aus China tragen dazu bei, Unternehmen im Ruhrgebiet aufzuwerten. Das ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Durch Corona könnten chinesische Akquisitionen, wie schon nach der Finanzkrise 2008/09, wieder zunehmen.
„Hier findet ein Ausverkauf statt, das wird alles böse enden“, ging es Judith Terstriep durch den Kopf. Der erste Coronalockdown war gerade vorbei, als die Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Innovation, Raum & Kultur“ des Instituts Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen das Projekt „Chinesische Investitionen im Ruhrgebiet“ mit ihrem Kollegen Alessio Giustolisi vorantrieb. Im Juni und Juli 2020 führten beide Interviews mit Gewerkschaftern, Betriebsratsvorsitzenden und Wirtschaftsförderern.
Im Ruhrgebiet haben sich über 200 Unternehmen aus China niedergelassen, unter anderem durch Firmenübernahmen. Die Wissenschaftler nahmen einen Stahl- und Aluminiumbauteilezulieferer der Automobilindustrie, Baosteel Tailored Blanks (eine frühere ThyssenKrupp-Tochter) in Duisburg, und den Betonpumpenhersteller SCHWING-Stetter (gehört heute zur Xuzhou Construction Machinery Group, XCMG) in Herne unter die Lupe. „Über diese prominenten Fallbeispiele wurde eine sehr emotionale Debatte geführt. Wir wollten schauen, was dahintersteckt, und zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen“, erläutert Terstriep. Am Ende war sie positiv überrascht, dass chinesische Direktinvestitionen dazu beitragen, Unternehmen im Ruhrgebiet aufzuwerten.
Zurück ins Jahr 2012: Damals begannen die Verhandlungen zwischen ThyssenKrupp Steel Europe und dem chinesischen Stahlkonzern Wuhan Iron and Steel Corporation (WISCO), heute Teil der Shanghaier Baosteel-Gruppe. Schnell wurde klar: „Der Unterschied zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat wurde nicht verstanden“, so Terstriep. Aber der respektvolle Umgang der Chinesen kam gut an – vor allem im Vergleich mit dem US-Autobauer General Motors gegenüber der Bochumer Konzerntochter Opel.
Im Zuge der Fusion von WISCO mit der Baosteel-Gruppe 2016 baute der neue chinesische Geschäftsführer in Duisburg zwar 40 Jobs ab – allerdings nach ausgehandeltem Sozialplan mit angemessenen Abfindungen. 2019 schrieb das Stahlunternehmen erstmals wieder eine schwarze Null, und im März 2020 erhielt die Belegschaft Jahressonderzahlungen. XCMG übernahm die Mehrheit an SCHWING-Stetter ebenfalls 2012, und etablierte 2014 eine deutsch-chinesische Geschäftsführung. Anders als befürchtet blieben große Entlassungswellen aus, stattdessen wurde der Einkauf internationaler aufgestellt. „Ohne die Chinesen hätten wir nicht überlebt“, hörte Terstriep in ihren Interviews.
Wie entwickeln sich die chinesischen Direktinvestitionen? Während die Finanzkrise 2008/09 die Akquisitionen durch WISCO und XCMG begünstigt hat, befasst sich Professor Henning Vöpel aktuell damit, wie sich chinesische Direktinvestitionen in der Covid-19-Pandemie entwickeln könnten. Der Direktor am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) ist überzeugt: „Die weltwirtschaftlichen und geoökonomischen Rahmenbedingungen sprechen dafür, dass Firmenübernahmen aus China durch Corona zunehmen.“ Vöpel lehrt an der HSBA Hamburg School of Business Administration Volkswirtschaftslehre und beobachtet: „China macht gerade hinter ganz vielen Punkten auf seiner Agenda einen Haken.“ Das ostasiatische Land erhole sich nicht nur schneller von der Coronakrise als Europa und die USA, sondern investiere verstärkt in sein Programm Made in China 2025. Das ambitionierte Ziel, wesentliche Industriegüter der Hochtechnologie selbst herstellen zu können, rücke durch die Pandemie näher: „Bei uns dagegen werden durch die Krise das Eigenkapital aufgezehrt und Investitionen in Technologie zurückgestellt.“
Der HWWI-Chef sieht jetzt für die Chinesen einen Ansatzpunkt, die Infrastruktur des deutschen Mittelstands mit seinen „weltweit präsenten und wettbewerbsfähigen Produkten und Vertriebsstrukturen“ noch besser zu nutzen. Die Regierung in Peking werde versuchen, die Partnerschaft mit dem Ruhrgebiet zu intensivieren. „China wird weiter aufsteigen und die Regeln des Welthandels mitgestalten“, unterstreicht der Wirtschaftsexperte. Der weltgrößte Freihandelsblock Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), den China mit 14 anderen Asien-Pazifik-Staaten Mitte November vereinbart hat, sei ein deutliches Signal: „All das nutzt China, um sich geostrategisch zu positionieren.“
Nach Angaben der Wirtschaftsförderungsgesellschaft NRW.Global Business gab es im Januar 2020 in Nordrhein-Westfalen schon 1.100 Unternehmen aus Greater China. Mit 610 Firmen führt die Landeshauptstadt Düsseldorf, gefolgt von circa 100 in Duisburg, einem wichtigen Knotenpunkt der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI). Kai Yu ist bei der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (GFW) Duisburg als Projektmanagerin für Außenwirtschaft China zuständig und hat schon über 40 chinesische Unternehmen in der Rhein-Ruhr-Metropole angesiedelt. Allerdings sieht sie derzeit keinen Trend zu mehr chinesischen Direktinvestitionen. Die Chinesen konzentrierten sich „eher auf technikorientierte Übernahmen“, sagt sie.
Terstriep vom IAT erwartet angesichts der Pandemie „sogar einen rückläufigen Trend“ bei chinesischen Direktinvestitionen im Ruhrgebiet. Die BRI könnte „ins Wanken“ geraten, wenn es immer mehr Länder nicht schaffen, ihren Verpflichtungen aus den bilateralen Abkommen mit China nachzukommen. Größter Hemmschuh aus Terstrieps Sicht: die Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes, die seit Mitte Juli 2020 vorschreibt, Investitionen aus Nicht-EU-Ländern strenger zu prüfen. Diese Änderung beurteilt auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin kritisch. Angesichts der durch Corona „gestiegenen Kapitalbedarfe in den Unternehmen wird die Zufuhr ausländischen Kapitals zukünftig noch eine wichtigere Finanzierungs- und Investitionsquelle werden müssen“, heißt es in einer DIHK-Stellungnahme.
„Die große Angst des technologischen Ausverkaufs deutscher Hidden Champions bleibt hier unbegründet.“
Judith Terstriep, Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Innovation, Raum & Kultur“ des Instituts Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen
Evelyne Banh, Junior-Volkswirtin im Forschungsbereich Asien-Pazifik beim Kreditversicherer Coface in Hongkong, hat aktuelle Statistiken geprüft. Ergebnis: Die Pandemie hat in der ersten Jahreshälfte 2020 die chinesischen Investitionen in den meisten Ländern entlang der BRI verlangsamt. „Die Investitionen sanken gegenüber 2019 um 50 Prozent – von 46 Milliarden auf 23,4 Milliarden US-Dollar“, berichtet sie. Trotz dieses Rückgangs verdeutliche die Pandemie aber, wie strategisch wichtig Duisburg für die BRI sei: „Zum Beispiel wurden 300 Tonnen Masken und Schutzanzüge von Hubei nach Duisburg versendet.“ Deshalb und angesichts der Erholung der chinesischen Wirtschaft erwartet Banh, dass die Investitionen im Ruhrgebiet allmählich wieder aufholen.
In Duisburg konzentrieren sich chinesische Investitionen auf Logistik, Handel und E-Commerce. Großhändler, die auf Onlineplattformen verkaufen, profitieren laut Terstriep von günstigen Mieten, um Waren aus China zwischenzulagern. So betreibt Amazon auf dem Gelände des Duisburger Hafens eine 9.300 Quadratmeter große Halle. Yu von der GFW Duisburg hätte auch gern die chinesischen Onlineriesen Alibaba und JD.com vor Ort.
„Wir sind aufgefordert, unsere Bedingungen für Zusammenarbeit zu formulieren“, empfiehlt Vöpel. Dann seien die Chinesen ein verlässlicher Partner, keine Bedrohung. Diese Bilanz lässt sich auch bei Baosteel Tailored Blanks in Duisburg und XCMG in Herne ziehen: „Die große Angst des technologischen Ausverkaufs deutscher Hidden Champions bleibt hier unbegründet“, sagt Terstriep.
Unbegründete Angst
Direktinvestitionen aus China tragen dazu bei, Unternehmen im Ruhrgebiet aufzuwerten. Das ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Durch Corona könnten chinesische Akquisitionen, wie schon nach der Finanzkrise 2008/09, wieder zunehmen.
„Hier findet ein Ausverkauf statt, das wird alles böse enden“, ging es Judith Terstriep durch den Kopf. Der erste Coronalockdown war gerade vorbei, als die Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Innovation, Raum & Kultur“ des Instituts Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen das Projekt „Chinesische Investitionen im Ruhrgebiet“ mit ihrem Kollegen Alessio Giustolisi vorantrieb. Im Juni und Juli 2020 führten beide Interviews mit Gewerkschaftern, Betriebsratsvorsitzenden und Wirtschaftsförderern.
Im Ruhrgebiet haben sich über 200 Unternehmen aus China niedergelassen, unter anderem durch Firmenübernahmen. Die Wissenschaftler nahmen einen Stahl- und Aluminiumbauteilezulieferer der Automobilindustrie, Baosteel Tailored Blanks (eine frühere ThyssenKrupp-Tochter) in Duisburg, und den Betonpumpenhersteller SCHWING-Stetter (gehört heute zur Xuzhou Construction Machinery Group, XCMG) in Herne unter die Lupe. „Über diese prominenten Fallbeispiele wurde eine sehr emotionale Debatte geführt. Wir wollten schauen, was dahintersteckt, und zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen“, erläutert Terstriep. Am Ende war sie positiv überrascht, dass chinesische Direktinvestitionen dazu beitragen, Unternehmen im Ruhrgebiet aufzuwerten.
Zurück ins Jahr 2012: Damals begannen die Verhandlungen zwischen ThyssenKrupp Steel Europe und dem chinesischen Stahlkonzern Wuhan Iron and Steel Corporation (WISCO), heute Teil der Shanghaier Baosteel-Gruppe. Schnell wurde klar: „Der Unterschied zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat wurde nicht verstanden“, so Terstriep. Aber der respektvolle Umgang der Chinesen kam gut an – vor allem im Vergleich mit dem US-Autobauer General Motors gegenüber der Bochumer Konzerntochter Opel.
Im Zuge der Fusion von WISCO mit der Baosteel-Gruppe 2016 baute der neue chinesische Geschäftsführer in Duisburg zwar 40 Jobs ab – allerdings nach ausgehandeltem Sozialplan mit angemessenen Abfindungen. 2019 schrieb das Stahlunternehmen erstmals wieder eine schwarze Null, und im März 2020 erhielt die Belegschaft Jahressonderzahlungen.
XCMG übernahm die Mehrheit an SCHWING-Stetter ebenfalls 2012, und etablierte 2014 eine deutsch-chinesische Geschäftsführung. Anders als befürchtet blieben große Entlassungswellen aus, stattdessen wurde der Einkauf internationaler aufgestellt. „Ohne die Chinesen hätten wir nicht überlebt“, hörte Terstriep in ihren Interviews.
Wie entwickeln sich die chinesischen Direktinvestitionen?
Während die Finanzkrise 2008/09 die Akquisitionen durch WISCO und XCMG begünstigt hat, befasst sich Professor Henning Vöpel aktuell damit, wie sich chinesische Direktinvestitionen in der Covid-19-Pandemie entwickeln könnten. Der Direktor am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) ist überzeugt: „Die weltwirtschaftlichen und geoökonomischen Rahmenbedingungen sprechen dafür, dass Firmenübernahmen aus China durch Corona zunehmen.“ Vöpel lehrt an der HSBA Hamburg School of Business Administration Volkswirtschaftslehre und beobachtet: „China macht gerade hinter ganz vielen Punkten auf seiner Agenda einen Haken.“ Das ostasiatische Land erhole sich nicht nur schneller von der Coronakrise als Europa und die USA, sondern investiere verstärkt in sein Programm Made in China 2025. Das ambitionierte Ziel, wesentliche Industriegüter der Hochtechnologie selbst herstellen zu können, rücke durch die Pandemie näher: „Bei uns dagegen werden durch die Krise das Eigenkapital aufgezehrt und Investitionen in Technologie zurückgestellt.“
Der HWWI-Chef sieht jetzt für die Chinesen einen Ansatzpunkt, die Infrastruktur des deutschen Mittelstands mit seinen „weltweit präsenten und wettbewerbsfähigen Produkten und Vertriebsstrukturen“ noch besser zu nutzen. Die Regierung in Peking werde versuchen, die Partnerschaft mit dem Ruhrgebiet zu intensivieren. „China wird weiter aufsteigen und die Regeln des Welthandels mitgestalten“, unterstreicht der Wirtschaftsexperte. Der weltgrößte Freihandelsblock Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), den China mit 14 anderen Asien-Pazifik-Staaten Mitte November vereinbart hat, sei ein deutliches Signal: „All das nutzt China, um sich geostrategisch zu positionieren.“
Nach Angaben der Wirtschaftsförderungsgesellschaft NRW.Global Business gab es im Januar 2020 in Nordrhein-Westfalen schon 1.100 Unternehmen aus Greater China. Mit 610 Firmen führt die Landeshauptstadt Düsseldorf, gefolgt von circa 100 in Duisburg, einem wichtigen Knotenpunkt der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI). Kai Yu ist bei der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (GFW) Duisburg als Projektmanagerin für Außenwirtschaft China zuständig und hat schon über 40 chinesische Unternehmen in der Rhein-Ruhr-Metropole angesiedelt. Allerdings sieht sie derzeit keinen Trend zu mehr chinesischen Direktinvestitionen. Die Chinesen konzentrierten sich „eher auf technikorientierte Übernahmen“, sagt sie.
Terstriep vom IAT erwartet angesichts der Pandemie „sogar einen rückläufigen Trend“ bei chinesischen Direktinvestitionen im Ruhrgebiet. Die BRI könnte „ins Wanken“ geraten, wenn es immer mehr Länder nicht schaffen, ihren Verpflichtungen aus den bilateralen Abkommen mit China nachzukommen. Größter Hemmschuh aus Terstrieps Sicht: die Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes, die seit Mitte Juli 2020 vorschreibt, Investitionen aus Nicht-EU-Ländern strenger zu prüfen. Diese Änderung beurteilt auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin kritisch. Angesichts der durch Corona „gestiegenen Kapitalbedarfe in den Unternehmen wird die Zufuhr ausländischen Kapitals zukünftig noch eine wichtigere Finanzierungs- und Investitionsquelle werden müssen“, heißt es in einer DIHK-Stellungnahme.
Evelyne Banh, Junior-Volkswirtin im Forschungsbereich Asien-Pazifik beim Kreditversicherer Coface in Hongkong, hat aktuelle Statistiken geprüft. Ergebnis: Die Pandemie hat in der ersten Jahreshälfte 2020 die chinesischen Investitionen in den meisten Ländern entlang der BRI verlangsamt. „Die Investitionen sanken gegenüber 2019 um 50 Prozent – von 46 Milliarden auf 23,4 Milliarden US-Dollar“, berichtet sie. Trotz dieses Rückgangs verdeutliche die Pandemie aber, wie strategisch wichtig Duisburg für die BRI sei: „Zum Beispiel wurden 300 Tonnen Masken und Schutzanzüge von Hubei nach Duisburg versendet.“ Deshalb und angesichts der Erholung der chinesischen Wirtschaft erwartet Banh, dass die Investitionen im Ruhrgebiet allmählich wieder aufholen.
In Duisburg konzentrieren sich chinesische Investitionen auf Logistik, Handel und E-Commerce. Großhändler, die auf Onlineplattformen verkaufen, profitieren laut Terstriep von günstigen Mieten, um Waren aus China zwischenzulagern. So betreibt Amazon auf dem Gelände des Duisburger Hafens eine 9.300 Quadratmeter große Halle. Yu von der GFW Duisburg hätte auch gern die chinesischen Onlineriesen Alibaba und JD.com vor Ort.
„Wir sind aufgefordert, unsere Bedingungen für Zusammenarbeit zu formulieren“, empfiehlt Vöpel. Dann seien die Chinesen ein verlässlicher Partner, keine Bedrohung. Diese Bilanz lässt sich auch bei Baosteel Tailored Blanks in Duisburg und XCMG in Herne ziehen: „Die große Angst des technologischen Ausverkaufs deutscher Hidden Champions bleibt hier unbegründet“, sagt Terstriep.
Kerstin Kloss
Dieser Beitrag ist in ChinaContact 6-2020 erschienen.