2021, zehn Jahre nach der ersten Testfahrt von Chongqing nach Duisburg, ist die Neue Seidenstraße in aller Munde und bleibt trotzdem ein Phänomen, dessen vielfältige Implikationen auf der ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Ebene noch lange nicht verstanden sind. Nachfolgend ein Blick auf die mit der Neuen Seidenstraße verbundenen Manifestationen, Potenziale und Gefahren.
Aus der ersten, noch abenteuerlichen Zugfahrt ist mittlerweile ein fast weltumspannendes Gewebe von Geschäftsbeziehungen entstanden, in dem China eine zentrale Rolle spielt. Auch der Anspruch des Konzepts Neue Seidenstraße hat sich geändert. Was begonnen hat als Versuch, eine sehr spezifische Nachfrage nach Logistikdienstleistungen zu bedienen, hat sich mittlerweile zu einem Geflecht diversester ökonomischer Austauschbeziehungen weiterentwickelt. Gleichzeitig ist eine politische Dimension erwachsen, in der die neuen ökonomischen Interdependenzen in ordnungspolitische Innovationen, gesellschaftspolitischen Einfluss und geostrategische Positionierungen transformiert werden. Von daher kann es nicht wundern, dass die Neue Seidenstraße zum Kristallisationspunkt diverser regionaler wie globaler, weltanschaulicher und ideologischer Konfliktlinien geworden ist.
Infrastrukturinvestitionen und zentrale Wachstumstreiber Betrachten wir zunächst das ökonomische Fundament der Neuen Seidenstraße. Mit über 130 Staaten sowie circa 30 internationalen Organisationen, die an der chinesischen Belt and Road Initiative teilnehmen, sind formal mindestens zwei Drittel der Weltbevölkerung und gut die Hälfte der globalen Wertschöpfung in deren Programme eingebunden. Über 2.000 konkrete Infrastrukturprojekte im Volumen von zwei Billionen US-Dollar sind bereits oder werden derzeit umgesetzt, um die Konnektivität zwischen diesen Volkswirtschaften zu verbessern. Hierdurch allein wird aktuellen Berechnungen zufolge die weltwirtschaftliche Wertschöpfung um drei bis vier Prozent anwachsen können, mit überproportional hohen Zuwächsen bei den partizipierenden Volkswirtschaften. Ausgehend von den grundlegenden Infrastrukturinvestitionen sind es die Errichtung von Industriezonen und ökonomischen Agglomerationszentren entlang der Transportrouten und die Einbindung lokaler Unternehmen und Arbeitskräfte, die die zentralen Wachstumstreiber darstellen. Die ersten Effekte der hierdurch ermöglichten Ausdifferenzierung und Ausweitung interregionalen Handels sind bereits messbar. In Kombination mit einem Abbau von „red tape“ bei Grenz- und Zollabfertigung sowie reduzierten Zollsätzen, wie sie zum Beispiel in den gerade gebildeten RCEP-Integrationsräumen vorgesehen sind, können unmittelbare Handelssteigerungen von mehr als 30 Prozent erwartet werden.
Ausgehend von Zug Nr. 1 im Jahr 2011 waren auf der klassischen Seidenstraßenroute zwischen China und Europa so zum Beispiel im Jahr 2020 bereits 12.400 Züge mit 1,14 Millionen Standardcontainern unterwegs. Damit wird auf dieser Strecke zwar weiterhin nur weniger als ein Zwanzigstel des bilateralen Güteraufkommens (China-EU) transportiert, aber nicht zuletzt die Blockade des Suezkanals im März 2021 zeigt, wie wertvoll diese Alternativroute sein kann. Wichtiger aber ist, dass immer mehr Container nicht von Endstation zu Endstation fahren, sondern dass zunehmend die durchfahrenen Volkswirtschaften in die Wertschöpfung eingebunden werden.
Anfangs wurde eine sehr spezifische Nachfrage nach Logistikdienstleistungen bedient. Mittlerweile ist ein Geflecht diversester ökonomischer Austauschbeziehungen entstanden.
Wirtschaftliche Kontakte gehen immer auch mit einem Austausch von Ideen einher und führen in der Regel zur Einigung auf grundlegende Geschäftsusancen, gemeinsame Standards in technischen Fragen und bestimmte Institutionen zur Reduzierung von Komplexität und Senkung von Transaktionskosten. Es kann von daher nicht verwundern, dass in Anbetracht des erheblichen Engagements chinesischer Unternehmen und Regierungsorgane in der Region der Neuen Seidenstraße sich vermehrt chinesische Standards und Institutionen durchsetzen und westliche beziehungsweise (sowjet-)russische Modelle und Konzepte verdrängen. Dieses Phänomen eines von Ost nach West laufenden „Wandels durch Handel“ ist insbesondere in den mittlerweile gut einhundert Industriezonen zu beobachten, die von chinesischen Akteuren gegründet und operativ geleitet an den Bahnhöfen und Häfen der Transportrouten der Neuen Seidenstraße entstanden sind. Diese Industriezonen sind der zentrale Transmissionsriemen für die Übertragung von Entwicklungsimpulsen auf die beteiligten Volkswirtschaften. Hier kommen inländische Unternehmen und ausländische Investoren zusammen, verschränken ihre Wertschöpfungsprozesse und entwickeln neue Geschäftsmodelle. Insofern in diesen Industriezonen bislang primär chinesische Akteure aktiv und westliche Unternehmen kaum präsent sind, sind es in erster Linie chinesische Einflüsse, die sich hier bei der Ausbildung neuer institutioneller Strukturen durchsetzen.
Dieses Phänomen eines von Ost nach West laufenden „Wandels durch Handel“ ist insbesondere in den mittlerweile gut einhundert Industriezonen zu beobachten, die von chinesischen Akteuren gegründet und operativ geleitet an den Bahnhöfen und Häfen der Transportrouten der Neuen Seidenstraße entstanden sind.
Wachsende wirtschaftliche Durchschlagskraft befördert politische Bedeutung Noch deutlicher sind diese Prozesse wahrscheinlich in der digitalen Sphäre zu beobachten. Mit der Electronic World Trade Platform (eWTP) von Alibaba entsteht derzeit eine überregionale E-Commerce-Plattform chinesischer Prägung. Dabei repräsentiert die eWTP aber nur den offen sichtbaren Marktplatz, auf dem Alibaba als „gatekeeper“ Kontrolle über die Teilnehmer und deren Aktivitäten ausübt. Im Hintergrund steht ein breites Netz chinesischer Unternehmen, die die grundlegende technische Infrastruktur bereitstellen (zum Beispiel Huawei, ZTE), digitale Zahlungssysteme anbieten (Alipay, WeChat Pay), Dienstleistungen zur Vernetzung von Funktionsanbietern in China und im Ausland (Banken, Logistik, Produzenten) sowie der Verbindung derselben durch interoperabile Technologien anbieten. Der chinesische Staat wiederum unterstützt die Plattform durch die Förderung entsprechender technischer Standardsetzung und Normengebung, die Bereitstellung einer digitalen Währung (DCEP) und die Gründung internationaler Schiedsgerichtshöfe in China (Peking, Xi’an, Shenzhen). In ihrer Gesamtheit bilden diese Elemente eine Digitale Neue Seidenstraße, die faktisch einen weitgehend unabhängigen, digitalen Wirtschaftskosmos darstellt, der auf chinesischen Unternehmen und Ordnungskonzepten beruht.
Mit ihrer wachsenden wirtschaftlichen Durchschlagskraft wächst auch die politische Bedeutung der Neuen Seidenstraße. Starke wirtschaftliche Präsenz und ordnungspolitische Gestaltungskraft wie sie derzeit von China entlang der Neuen Seidenstraße ausgeübt werden, schlägt sich unmittelbar in einer verbesserten Implementierung von „soft power“, größerer („harter“) politischer Einflussnahme und letztlich auch einer stärkeren militärisch-geostrategischen Positionierung nieder. Hierdurch wird Widerstand etablierter Akteure hervorgerufen, die ihre eigenen Interessen in der Region bedroht sehen. Dieser Widerstand manifestiert sich in sehr unterschiedlicher Form.
Die USA verfolgen – unabhängig von der Präsidentschaft – einen Kurs harter Konfrontation. Die wahrgenommene rapide Ausweitung der chinesischen Einflusssphäre wird als Angriff auf die eigene globale Vorherrschaft interpretiert und so zum Ziel robuster Gegenmaßnahmen. Diese umfassen neben einer harten Zuckerbrot-und-Peitsche-Diplomatie vor allem umfassende Sanktions- und Boykottmaßnahmen gegen Einzelunternehmen und Volkswirtschaften. Insbesondere aber ist mit dem Blue Dot Network ein Instrument geschaffen worden, das es ermöglicht, chinesisch-finanzierte Projekte entlang der Neuen Seidenstraße (pseudo-)wissenschaftlich zu evaluieren und einem internationalen Sanktionsregime zu unterwerfen. Der aktuell im Kongress vorangetragene Strategic Competition Act führt diese Politik einer Dämonisierung jedweden chinesischen Handelns fort. In diesem Ansatz, die Beziehung zu China als Nullsummenspiel und die Neue Seidenstraße als primäres Instrument einer globalen Expansion Chinas zu betrachten, ist kein Platz für eine konstruktiv einbindende Suche nach Win-win-Konstellationen.
Einstimmigkeitsprinzip der EU verhindert klare Positionierung gegenüber China Die Europäische Union war und ist demgegenüber bislang sehr viel ausgleichender aktiv, was bisweilen aber auch als unentschlossen, zaudernd und inkonsequent erscheinen mag. Chinesische Vorstöße im Rahmen der 16/17+1-Initiative werden zu Recht als Versuch verstanden, einen Keil in die Europäische Union zu treiben und Osteuropa chinesischen Avancen gegenüber aufgeschlossener zu machen. Das Einstimmigkeitsprinzip der EU verhindert aber eine klare diplomatische Positionierung gegenüber China, insofern osteuropäische Staaten dies verhindern. Das 16/17+1-Format zeigt also bereits Wirkung.
Eine Rettung Montenegros, das sich bei China überschuldet hat, würde die Chance bieten, chinesische Finanzierungsaktivitäten in der Region auszuhebeln, unterbleibt aber aus strategisch kurzsichtigen Erwägungen. Durch eine Verweigerung von Unterstützung an Montenegro wird zwar ein klares Signal gegen eine mit „moral hazard“ agierende Politik ausgesandt, China wird aber in seiner proaktiv handelnden Position nicht angegriffen. Klare Schritte sind demgegenüber in Hinblick auf den Schutz der europäischen Marktordnung zu verzeichnen. Ein neues Regelwerk zur Neutralisierung wettbewerbsverzerrender Subventionen und staatlicher Einflussnahmen bei chinesischen Investoren und Handelsunternehmen schafft „Luftschleusen“ zum Schutz der Sozialen Marktwirtschaft Europas.
Chinesische Vorstöße im Rahmen der 16/17+1-Initiative werden zu Recht als Versuch verstanden, einen Keil in die Europäische Union zu treiben und Osteuropa chinesischen Avancen gegenüber aufgeschlossener zu machen.
Dies alles sind aber defensive Maßnahmen, die an den Symptomen ansetzen, die eigentliche chinesische Herausforderung aber nicht angehen. Dies könnte mit der Konnektivitätsstrategie geschehen, die dem chinesischen Engagement entlang der Neuen Seidenstraße ein konstruktives, komplementäres Gegenstück zur Seite stellt und damit europäische Interessen mit großer Breitenwirkung vertreten könnte. Allein, die Strategie existiert seit circa zwei Jahren, wird aber faktisch nicht umgesetzt.
Beitrag zur Armutslinderung und zur Einführung nachhaltiger Technologien Jenseits all dieser Konflikte behält ein Faktum Bestand: Die ökonomische Erschließung der Neuen Seidenstraße ist grundsätzlich sinnvoll, indem sie dazu beiträgt, Armut zu lindern und global Wohlfahrt zu schaffen. Sie kann auch auf ökologischer Ebene – trotz erhöhten Frachtaufkommens – positive Impulse setzen, insofern durch sie moderne nachhaltige Technologien in Industrie, Landwirtschaft und Logistik eingeführt und veraltete, umweltbelastende Verfahren ersetzt werden.
Will Europa den Einfluss Chinas in der Region zurückdrängen, dann muss es dafür Sorge tragen, dass seine eigenen Programme – hier in erster Linie die Konnektivitätsstrategie – substanzielle Strahlkraft in der Region entfalten und europäische Unternehmen bereit sind, sich dort zu engagieren.
Tatsache ist zudem, dass der große und kontinuierlich wachsende Einfluss Chinas in der Region in erster Linie in dem starken ökonomischen Engagement chinesischer Akteure begründet ist. Hierdurch wird eine natürliche Gravitationswirkung in Richtung China aufgebaut. Diskriminierende Projektvergaben, Zwangsmaßnahmen und etwaige bewusst gelegte Schuldenfallen spielen demgegenüber nur eine nachrangige Rolle. Will Europa den Einfluss Chinas in der Region zurückdrängen, dann muss es dafür Sorge tragen, dass seine eigenen Programme – hier in erster Linie die Konnektivitätsstrategie – substanzielle Strahlkraft in der Region entfalten und europäische Unternehmen bereit sind, sich dort zu engagieren. Die Neue Seidenstraße gehört nicht China, sondern jenen, die sich dort engagieren.
Prof. Dr. Markus Taube ist Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China an der Mercator School of Management und leitet als Direktor die IN-EAST School of Advanced Studies an der Universität Duisburg-Essen. Seit 2009 ist er Kodirektor des Konfuzius-Instituts Metropole Ruhr mit Sitz in Duisburg und verantwortlich für den Programmbereich Wirtschaft Chinas.
Neue Seidenstraße gehört denen, die sich dort engagieren
2021, zehn Jahre nach der ersten Testfahrt von Chongqing nach Duisburg, ist die Neue Seidenstraße in aller Munde und bleibt trotzdem ein Phänomen, dessen vielfältige Implikationen auf der ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Ebene noch lange nicht verstanden sind. Nachfolgend ein Blick auf die mit der Neuen Seidenstraße verbundenen Manifestationen, Potenziale und Gefahren.
Aus der ersten, noch abenteuerlichen Zugfahrt ist mittlerweile ein fast weltumspannendes Gewebe von Geschäftsbeziehungen entstanden, in dem China eine zentrale Rolle spielt. Auch der Anspruch des Konzepts Neue Seidenstraße hat sich geändert. Was begonnen hat als Versuch, eine sehr spezifische Nachfrage nach Logistikdienstleistungen zu bedienen, hat sich mittlerweile zu einem Geflecht diversester ökonomischer Austauschbeziehungen weiterentwickelt. Gleichzeitig ist eine politische Dimension erwachsen, in der die neuen ökonomischen Interdependenzen in ordnungspolitische Innovationen, gesellschaftspolitischen Einfluss und geostrategische Positionierungen transformiert werden. Von daher kann es nicht wundern, dass die Neue Seidenstraße zum Kristallisationspunkt diverser regionaler wie globaler, weltanschaulicher und ideologischer Konfliktlinien geworden ist.
Infrastrukturinvestitionen und zentrale Wachstumstreiber
Betrachten wir zunächst das ökonomische Fundament der Neuen Seidenstraße. Mit über 130 Staaten sowie circa 30 internationalen Organisationen, die an der chinesischen Belt and Road Initiative teilnehmen, sind formal mindestens zwei Drittel der Weltbevölkerung und gut die Hälfte der globalen Wertschöpfung in deren Programme eingebunden. Über 2.000 konkrete Infrastrukturprojekte im Volumen von zwei Billionen US-Dollar sind bereits oder werden derzeit umgesetzt, um die Konnektivität zwischen diesen Volkswirtschaften zu verbessern. Hierdurch allein wird aktuellen Berechnungen zufolge die weltwirtschaftliche Wertschöpfung um drei bis vier Prozent anwachsen können, mit überproportional hohen Zuwächsen bei den partizipierenden Volkswirtschaften. Ausgehend von den grundlegenden Infrastrukturinvestitionen sind es die Errichtung von Industriezonen und ökonomischen Agglomerationszentren entlang der Transportrouten und die Einbindung lokaler Unternehmen und Arbeitskräfte, die die zentralen Wachstumstreiber darstellen. Die ersten Effekte der hierdurch ermöglichten Ausdifferenzierung und Ausweitung interregionalen Handels sind bereits messbar. In Kombination mit einem Abbau von „red tape“ bei Grenz- und Zollabfertigung sowie reduzierten Zollsätzen, wie sie zum Beispiel in den gerade gebildeten RCEP-Integrationsräumen vorgesehen sind, können unmittelbare Handelssteigerungen von mehr als 30 Prozent erwartet werden.
Ausgehend von Zug Nr. 1 im Jahr 2011 waren auf der klassischen Seidenstraßenroute zwischen China und Europa so zum Beispiel im Jahr 2020 bereits 12.400 Züge mit 1,14 Millionen Standardcontainern unterwegs. Damit wird auf dieser Strecke zwar weiterhin nur weniger als ein Zwanzigstel des bilateralen Güteraufkommens (China-EU) transportiert, aber nicht zuletzt die Blockade des Suezkanals im März 2021 zeigt, wie wertvoll diese Alternativroute sein kann. Wichtiger aber ist, dass immer mehr Container nicht von Endstation zu Endstation fahren, sondern dass zunehmend die durchfahrenen Volkswirtschaften in die Wertschöpfung eingebunden werden.
Wirtschaftliche Kontakte gehen immer auch mit einem Austausch von Ideen einher und führen in der Regel zur Einigung auf grundlegende Geschäftsusancen, gemeinsame Standards in technischen Fragen und bestimmte Institutionen zur Reduzierung von Komplexität und Senkung von Transaktionskosten. Es kann von daher nicht verwundern, dass in Anbetracht des erheblichen Engagements chinesischer Unternehmen und Regierungsorgane in der Region der Neuen Seidenstraße sich vermehrt chinesische Standards und Institutionen durchsetzen und westliche beziehungsweise (sowjet-)russische Modelle und Konzepte verdrängen. Dieses Phänomen eines von Ost nach West laufenden „Wandels durch Handel“ ist insbesondere in den mittlerweile gut einhundert Industriezonen zu beobachten, die von chinesischen Akteuren gegründet und operativ geleitet an den Bahnhöfen und Häfen der Transportrouten der Neuen Seidenstraße entstanden sind. Diese Industriezonen sind der zentrale Transmissionsriemen für die Übertragung von Entwicklungsimpulsen auf die beteiligten Volkswirtschaften. Hier kommen inländische Unternehmen und ausländische Investoren zusammen, verschränken ihre Wertschöpfungsprozesse und entwickeln neue Geschäftsmodelle. Insofern in diesen Industriezonen bislang primär chinesische Akteure aktiv und westliche Unternehmen kaum präsent sind, sind es in erster Linie chinesische Einflüsse, die sich hier bei der Ausbildung neuer institutioneller Strukturen durchsetzen.
Wachsende wirtschaftliche Durchschlagskraft befördert politische Bedeutung
Noch deutlicher sind diese Prozesse wahrscheinlich in der digitalen Sphäre zu beobachten. Mit der Electronic World Trade Platform (eWTP) von Alibaba entsteht derzeit eine überregionale E-Commerce-Plattform chinesischer Prägung. Dabei repräsentiert die eWTP aber nur den offen sichtbaren Marktplatz, auf dem Alibaba als „gatekeeper“ Kontrolle über die Teilnehmer und deren Aktivitäten ausübt. Im Hintergrund steht ein breites Netz chinesischer Unternehmen, die die grundlegende technische Infrastruktur bereitstellen (zum Beispiel Huawei, ZTE), digitale Zahlungssysteme anbieten (Alipay, WeChat Pay), Dienstleistungen zur Vernetzung von Funktionsanbietern in China und im Ausland (Banken, Logistik, Produzenten) sowie der Verbindung derselben durch interoperabile Technologien anbieten. Der chinesische Staat wiederum unterstützt die Plattform durch die Förderung entsprechender technischer Standardsetzung und Normengebung, die Bereitstellung einer digitalen Währung (DCEP) und die Gründung internationaler Schiedsgerichtshöfe in China (Peking, Xi’an, Shenzhen). In ihrer Gesamtheit bilden diese Elemente eine Digitale Neue Seidenstraße, die faktisch einen weitgehend unabhängigen, digitalen Wirtschaftskosmos darstellt, der auf chinesischen Unternehmen und Ordnungskonzepten beruht.
Mit ihrer wachsenden wirtschaftlichen Durchschlagskraft wächst auch die politische Bedeutung der Neuen Seidenstraße. Starke wirtschaftliche Präsenz und ordnungspolitische Gestaltungskraft wie sie derzeit von China entlang der Neuen Seidenstraße ausgeübt werden, schlägt sich unmittelbar in einer verbesserten Implementierung von „soft power“, größerer („harter“) politischer Einflussnahme und letztlich auch einer stärkeren militärisch-geostrategischen Positionierung nieder. Hierdurch wird Widerstand etablierter Akteure hervorgerufen, die ihre eigenen Interessen in der Region bedroht sehen. Dieser Widerstand manifestiert sich in sehr unterschiedlicher Form.
Die USA verfolgen – unabhängig von der Präsidentschaft – einen Kurs harter Konfrontation. Die wahrgenommene rapide Ausweitung der chinesischen Einflusssphäre wird als Angriff auf die eigene globale Vorherrschaft interpretiert und so zum Ziel robuster Gegenmaßnahmen. Diese umfassen neben einer harten Zuckerbrot-und-Peitsche-Diplomatie vor allem umfassende Sanktions- und Boykottmaßnahmen gegen Einzelunternehmen und Volkswirtschaften. Insbesondere aber ist mit dem Blue Dot Network ein Instrument geschaffen worden, das es ermöglicht, chinesisch-finanzierte Projekte entlang der Neuen Seidenstraße (pseudo-)wissenschaftlich zu evaluieren und einem internationalen Sanktionsregime zu unterwerfen. Der aktuell im Kongress vorangetragene Strategic Competition Act führt diese Politik einer Dämonisierung jedweden chinesischen Handelns fort. In diesem Ansatz, die Beziehung zu China als Nullsummenspiel und die Neue Seidenstraße als primäres Instrument einer globalen Expansion Chinas zu betrachten, ist kein Platz für eine konstruktiv einbindende Suche nach Win-win-Konstellationen.
Einstimmigkeitsprinzip der EU verhindert klare Positionierung gegenüber China
Die Europäische Union war und ist demgegenüber bislang sehr viel ausgleichender aktiv, was bisweilen aber auch als unentschlossen, zaudernd und inkonsequent erscheinen mag. Chinesische Vorstöße im Rahmen der 16/17+1-Initiative werden zu Recht als Versuch verstanden, einen Keil in die Europäische Union zu treiben und Osteuropa chinesischen Avancen gegenüber aufgeschlossener zu machen. Das Einstimmigkeitsprinzip der EU verhindert aber eine klare diplomatische Positionierung gegenüber China, insofern osteuropäische Staaten dies verhindern. Das 16/17+1-Format zeigt also bereits Wirkung.
Eine Rettung Montenegros, das sich bei China überschuldet hat, würde die Chance bieten, chinesische Finanzierungsaktivitäten in der Region auszuhebeln, unterbleibt aber aus strategisch kurzsichtigen Erwägungen. Durch eine Verweigerung von Unterstützung an Montenegro wird zwar ein klares Signal gegen eine mit „moral hazard“ agierende Politik ausgesandt, China wird aber in seiner proaktiv handelnden Position nicht angegriffen. Klare Schritte sind demgegenüber in Hinblick auf den Schutz der europäischen Marktordnung zu verzeichnen. Ein neues Regelwerk zur Neutralisierung wettbewerbsverzerrender Subventionen und staatlicher Einflussnahmen bei chinesischen Investoren und Handelsunternehmen schafft „Luftschleusen“ zum Schutz der Sozialen Marktwirtschaft Europas.
Dies alles sind aber defensive Maßnahmen, die an den Symptomen ansetzen, die eigentliche chinesische Herausforderung aber nicht angehen. Dies könnte mit der Konnektivitätsstrategie geschehen, die dem chinesischen Engagement entlang der Neuen Seidenstraße ein konstruktives, komplementäres Gegenstück zur Seite stellt und damit europäische Interessen mit großer Breitenwirkung vertreten könnte. Allein, die Strategie existiert seit circa zwei Jahren, wird aber faktisch nicht umgesetzt.
Beitrag zur Armutslinderung und zur Einführung nachhaltiger Technologien
Jenseits all dieser Konflikte behält ein Faktum Bestand: Die ökonomische Erschließung der Neuen Seidenstraße ist grundsätzlich sinnvoll, indem sie dazu beiträgt, Armut zu lindern und global Wohlfahrt zu schaffen. Sie kann auch auf ökologischer Ebene – trotz erhöhten Frachtaufkommens – positive Impulse setzen, insofern durch sie moderne nachhaltige Technologien in Industrie, Landwirtschaft und Logistik eingeführt und veraltete, umweltbelastende Verfahren ersetzt werden.
Tatsache ist zudem, dass der große und kontinuierlich wachsende Einfluss Chinas in der Region in erster Linie in dem starken ökonomischen Engagement chinesischer Akteure begründet ist. Hierdurch wird eine natürliche Gravitationswirkung in Richtung China aufgebaut. Diskriminierende Projektvergaben, Zwangsmaßnahmen und etwaige bewusst gelegte Schuldenfallen spielen demgegenüber nur eine nachrangige Rolle. Will Europa den Einfluss Chinas in der Region zurückdrängen, dann muss es dafür Sorge tragen, dass seine eigenen Programme – hier in erster Linie die Konnektivitätsstrategie – substanzielle Strahlkraft in der Region entfalten und europäische Unternehmen bereit sind, sich dort zu engagieren. Die Neue Seidenstraße gehört nicht China, sondern jenen, die sich dort engagieren.
Prof. Dr. Markus Taube ist Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China an der Mercator School of Management und leitet als Direktor die IN-EAST School of Advanced Studies an der Universität Duisburg-Essen. Seit 2009 ist er Kodirektor des Konfuzius-Instituts Metropole Ruhr mit Sitz in Duisburg und verantwortlich für den Programmbereich Wirtschaft Chinas.
Dieser Beitrag ist in ChinaContact 3-2021 erschienen.