Im Hamburger Hafen gehen wieder mehr Container aus China über die Kaikante. Doch an Deutschlands größtem Außenhandelsplatz zeigt sich auch, wie sehr die globalen Warenströme mit der Volksrepublik gestört sind. Bei Seefracht können Wirtschaftsteilnehmende derzeit immer weniger planen, explodierende Frachtraten führen zu Minusgeschäften. Experten empfehlen jetzt eher Diversifizierung und Lagerhaltung statt Re- oder Nearshoring.
Die Hamburger Reedereigruppe Hapag-Lloyd lässt in China momentan 20-Fuß-Standardcontainer mit einer Kapazität von 75.000 TEU produzieren, die im vierten Quartal 2021 ausgeliefert werden sollen. Damit trägt die fünftgrößte Containerreederei der Welt nach Ansicht ihres Vorstandsvorsitzenden Rolf Habben Jansen „weiter dazu bei, die schwierige Situation für unsere Kunden weltweit zu erleichtern“. Seitdem sich Corona von China aus rund um den Globus ausgebreitet hat, bremsen Probleme in den internationalen Lieferketten die Weltwirtschaft aus. Dies beeinträchtigt das wichtige Fahrtgebiet China–Europa. Dadurch fehlen hierzulande Rohstoffe, Vorprodukte und Waren – Beispiele sind Stahl, Mikrochips für die Autoindustrie oder Fahrradersatzteile. Die Suezkanal-Blockade Ende März sowie coronabedingte Schließungen wichtiger chinesischer Häfen und Flughäfen haben den globalen Warenfluss immer mehr aus dem Takt gebracht. Rodger Wegner, Geschäftsführer beim Verein Hamburger Exporteure, ärgert sich über „die Explosion der Seefrachtraten, die völlig unzureichende Containerverfügbarkeit und eine sehr stark eingeschränkte Planbarkeit der Liniendienste“.
Von den Lieferkettenproblemen sehr betroffen ist der internationale Großhändler Hüpeden & Co., der sich auf Lebensmittel und textile Gewebe mit Schwerpunkt Ostasien spezialisiert hat. Das Hamburger Traditionsunternehmen, das viel Wert auf Qualität und Verlässlichkeit legt, leidet besonders unter den explodierenden Frachtraten: „Viele unserer Geschäfte basieren auf Jahresofferten mit festen Preisen. Im Jahr 2020, aber besonders 2021, haben wir aufgrund der immensen Preissteigerungen bei den Frachten Verluste hinnehmen müssen“, berichtet Laura Günther, Leiterin der Shanghaier Niederlassung Hanlian Imp. & Exp. Der Chipmangel hat ebenfalls Auswirkungen: Es werden weniger Autos produziert und darunter leidet auch das Geschäft von Hüpeden & Co., da das Unternehmen im Textilbereich die Automobilindustrie beliefert. „Sowohl unsere Vorlieferanten als auch wir und unsere Kunden haben keine Planungssicherheit mehr für die Produktionen“, sagt Günther.
Warenströme lassen sich nur noch mit enormem Aufwand am Laufen halten. Hans Fabian Kruse, Präsident des AGA Unternehmensverbands, berichtet von den Herausforderungen der mittelständischen Mitgliedsunternehmen in Norddeutschland: „Sie wissen heute nicht, wann das Schiff aus Fernost in Hamburg ankommt, ob ihr Container überhaupt an Bord ist oder irgendwo umgeladen wurde.“ Das blockiere auch die weitere Warenlogistik im Hinterland, weil sich dann für den Nachlauf nicht mehr rechtzeitig ein Containerstellplatz auf einem Zug oder Lkw buchen lasse. Hinzukämen Wartezeiten beim Zoll. „All das macht die Disposition so viel schwieriger“, fasst Kruse zusammen.
Lieferketten müssen flexibler werden Unterdessen wächst das Containervolumen im Hamburger Hafen vor allem dank China wieder. Auf den mit Abstand größten Handelspartner an der Elbe entfielen im ersten Halbjahr 2021 im seeseitigen Containerumschlag 1,3 Millionen TEU. Das waren 14,2 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Laut Hafen Hamburg Marketing gingen in allen chinesischen Häfen zusammen zwischen Januar und Juni 22,9 Millionen TEU über die Kaikanten (+14,9 %). Zwischenzeitlich massive Einschränkungen durch Chinas strikte Null-Covid-Strategie, beispielsweise im Juni im Perlflussdelta oder im August im zweitgrößten chinesischen Hafen Ningbo-Zhoushan, hatten offenbar keinen Negativeffekt. Dennoch herrscht auch am größten deutschen Seehafen Einigkeit, dass „mehr Sicherheit für globale Lieferketten erforderlich“ ist.
Aber wie abhängig ist Deutschland bei der Wertschöpfungsverpflechtung überhaupt von China? Das hat eine im August veröffentlichte Studie des Münchner ifo Instituts im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung untersucht. Demnach besteht die größte Abhängigkeit von dem wichtigen Zulieferer außerhalb der EU bei Fahrradrahmen, Magneten und Ziergegenständen. Bei anderen Gütern aus verschiedenen Sektoren von Chemie über Elektronik, Maschinenbau und Plastik bis zu Transportausrüstung sind deutsche Unternehmen wesentlich weniger stark auf China angewiesen.
Angesichts weiterhin hoher Spannungen zwischen China, den USA und der EU meinen die ifo-Experten: „Da die Märkte zunehmend unter wirtschaftlichen Druck geraten, werden auch die Forderungen nach weiteren Handelshemmnissen zulasten der globalen Lieferketten weiter zunehmen.“ Ein hohes wirtschaftspolitisches Risiko sehen die Autoren im verarbeitenden Gewerbe speziell bei Kraftfahrzeugen und -teilen, im Maschinenbau sowie im Bereich Computer, Elektronik, Optik.
Willem van der Schalk, Vizepräses bei der Handelskammer Hamburg mit über 40 Jahren Speditionserfahrung, meint: „Lieferketten müssen zukünftig deutlich flexibler werden und möglichst immer mit einem Plan B oder gar C ausgestattet werden.“ Damit seien Unternehmen auf unvorhergesehene Momente vorbereitet, wie die Havarie des Großcontainerfrachters „Ever Given“ im Suezkanal oder brennende Schiffe durch falsch deklarierte Waren.
Near- und Reshoring negativ für Wachstum Macht es Sinn, die empfindlichen Lieferketten in Nachbarländer (Nearshoring) oder nach Deutschland (Reshoring) zurückzuholen? Ergebnis der ifo-Studie: „Gesamtwirtschaftlich gibt es keinen ökonomisch sinnvollen und erklärbaren Grund, weshalb Deutschland Produktionsprozesse zurück ins Inland holen sollte.“ Das hätte nach Berechnungen der Experten sogar negative Auswirkungen: Bei Reshoring würde das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um 9,7 Prozent schrumpfen, bei Nearshoring um 4,2 Prozent. Auch Rechtsanwalt Bernd-Uwe Stucken unterstreicht: „China hat trotz steigender Kosten gute Zuliefercluster speziell für Maschinenbau, Elektronik und die Automobilindustrie.“ Diese Cluster ließen sich nicht so schnell verlagern wie beispielsweise in der Textilindustrie. Der Hamburger arbeitete bis 2018 fast drei Jahrzehnte lang in China und war 13 Jahre ehrenamtlicher „HamburgAmbassador“ in Shanghai. Dabei hat er festgestellt, dass das China-Geschäft für kleine Unternehmen schwierig ist: „Wenn es Probleme gibt, dann ist Osteuropa geografisch und kulturell näher als China.“
Bei einer repräsentativen Onlinebefragung fand das ifo Institut heraus, wie Unternehmen ihre Beschaffungsstrategien angesichts der internationalen Lieferkettenprobleme anpassen wollen: Während Großunternehmen auf Diversifizierung setzen, planen kleine und mittlere Unternehmen eher, die Lagerhaltung zu erhöhen. Auch Hüpeden & Co. kann Liefertermine durch entsprechende Bevorratung einhalten. Doch Günther weist darauf hin, dass diese „zum einen sehr kostenintensiv ist, zum anderen auch eine langfristige strategische Planung erfordert“.
Van der Schalk geht davon aus, dass in einer globalisierten Produktionskette auch in Zukunft letztlich der Preis entscheidet: „Wenn sich die Situation auf den Märkten wieder normalisiert, wird man sehr schnell wieder zu den alten Prozeduren zurückkehren.“ Ausnahmen sieht er in strategischen Branchen wie dem Medizin- oder Lebensmittelsektor. Unterdessen hofft Hapag-Lloyd-Chef Habben Jansen, dass sich die Lage bis nach dem chinesischen Neujahrsfest am 1. Februar 2022 wieder beruhigt.
Lieferketten aus dem Takt
Im Hamburger Hafen gehen wieder mehr Container aus China über die Kaikante. Doch an Deutschlands größtem Außenhandelsplatz zeigt sich auch, wie sehr die globalen Warenströme mit der Volksrepublik gestört sind. Bei Seefracht können Wirtschaftsteilnehmende derzeit immer weniger planen, explodierende Frachtraten führen zu Minusgeschäften. Experten empfehlen jetzt eher Diversifizierung und Lagerhaltung statt Re- oder Nearshoring.
Die Hamburger Reedereigruppe Hapag-Lloyd lässt in China momentan 20-Fuß-Standardcontainer mit einer Kapazität von 75.000 TEU produzieren, die im vierten Quartal 2021 ausgeliefert werden sollen. Damit trägt die fünftgrößte Containerreederei der Welt nach Ansicht ihres Vorstandsvorsitzenden Rolf Habben Jansen „weiter dazu bei, die schwierige Situation für unsere Kunden weltweit zu erleichtern“. Seitdem sich Corona von China aus rund um den Globus ausgebreitet hat, bremsen Probleme in den internationalen Lieferketten die Weltwirtschaft aus. Dies beeinträchtigt das wichtige Fahrtgebiet China–Europa. Dadurch fehlen hierzulande Rohstoffe, Vorprodukte und Waren – Beispiele sind Stahl, Mikrochips für die Autoindustrie oder Fahrradersatzteile. Die Suezkanal-Blockade Ende März sowie coronabedingte Schließungen wichtiger chinesischer Häfen und Flughäfen haben den globalen Warenfluss immer mehr aus dem Takt gebracht. Rodger Wegner, Geschäftsführer beim Verein Hamburger Exporteure, ärgert sich über „die Explosion der Seefrachtraten, die völlig unzureichende Containerverfügbarkeit und eine sehr stark eingeschränkte Planbarkeit der Liniendienste“.
Von den Lieferkettenproblemen sehr betroffen ist der internationale Großhändler Hüpeden & Co., der sich auf Lebensmittel und textile Gewebe mit Schwerpunkt Ostasien spezialisiert hat. Das Hamburger Traditionsunternehmen, das viel Wert auf Qualität und Verlässlichkeit legt, leidet besonders unter den explodierenden Frachtraten: „Viele unserer Geschäfte basieren auf Jahresofferten mit festen Preisen. Im Jahr 2020, aber besonders 2021, haben wir aufgrund der immensen Preissteigerungen bei den Frachten Verluste hinnehmen müssen“, berichtet Laura Günther, Leiterin der Shanghaier Niederlassung Hanlian Imp. & Exp. Der Chipmangel hat ebenfalls Auswirkungen: Es werden weniger Autos produziert und darunter leidet auch das Geschäft von Hüpeden & Co., da das Unternehmen im Textilbereich die Automobilindustrie beliefert. „Sowohl unsere Vorlieferanten als auch wir und unsere Kunden haben keine Planungssicherheit mehr für die Produktionen“, sagt Günther.
Warenströme lassen sich nur noch mit enormem Aufwand am Laufen halten. Hans Fabian Kruse, Präsident des AGA Unternehmensverbands, berichtet von den Herausforderungen der mittelständischen Mitgliedsunternehmen in Norddeutschland: „Sie wissen heute nicht, wann das Schiff aus Fernost in Hamburg ankommt, ob ihr Container überhaupt an Bord ist oder irgendwo umgeladen wurde.“ Das blockiere auch die weitere Warenlogistik im Hinterland, weil sich dann für den Nachlauf nicht mehr rechtzeitig ein Containerstellplatz auf einem Zug oder Lkw buchen lasse. Hinzukämen Wartezeiten beim Zoll. „All das macht die Disposition so viel schwieriger“, fasst Kruse zusammen.
Lieferketten müssen flexibler werden
Unterdessen wächst das Containervolumen im Hamburger Hafen vor allem dank China wieder. Auf den mit Abstand größten Handelspartner an der Elbe entfielen im ersten Halbjahr 2021 im seeseitigen Containerumschlag 1,3 Millionen TEU. Das waren 14,2 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Laut Hafen Hamburg Marketing gingen in allen chinesischen Häfen zusammen zwischen Januar und Juni 22,9 Millionen TEU über die Kaikanten (+14,9 %). Zwischenzeitlich massive Einschränkungen durch Chinas strikte Null-Covid-Strategie, beispielsweise im Juni im Perlflussdelta oder im August im zweitgrößten chinesischen Hafen Ningbo-Zhoushan, hatten offenbar keinen Negativeffekt. Dennoch herrscht auch am größten deutschen Seehafen Einigkeit, dass „mehr Sicherheit für globale Lieferketten erforderlich“ ist.
Aber wie abhängig ist Deutschland bei der Wertschöpfungsverpflechtung überhaupt von China? Das hat eine im August veröffentlichte Studie des Münchner ifo Instituts im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung untersucht. Demnach besteht die größte Abhängigkeit von dem wichtigen Zulieferer außerhalb der EU bei Fahrradrahmen, Magneten und Ziergegenständen. Bei anderen Gütern aus verschiedenen Sektoren von Chemie über Elektronik, Maschinenbau und Plastik bis zu Transportausrüstung sind deutsche Unternehmen wesentlich weniger stark auf China angewiesen.
Angesichts weiterhin hoher Spannungen zwischen China, den USA und der EU meinen die ifo-Experten: „Da die Märkte zunehmend unter wirtschaftlichen Druck geraten, werden auch die Forderungen nach weiteren Handelshemmnissen zulasten der globalen Lieferketten weiter zunehmen.“ Ein hohes wirtschaftspolitisches Risiko sehen die Autoren im verarbeitenden Gewerbe speziell bei Kraftfahrzeugen und -teilen, im Maschinenbau sowie im Bereich Computer, Elektronik, Optik.
Willem van der Schalk, Vizepräses bei der Handelskammer Hamburg mit über 40 Jahren Speditionserfahrung, meint: „Lieferketten müssen zukünftig deutlich flexibler werden und möglichst immer mit einem Plan B oder gar C ausgestattet werden.“ Damit seien Unternehmen auf unvorhergesehene Momente vorbereitet, wie die Havarie des Großcontainerfrachters „Ever Given“ im Suezkanal oder brennende Schiffe durch falsch deklarierte Waren.
Near- und Reshoring negativ für Wachstum
Macht es Sinn, die empfindlichen Lieferketten in Nachbarländer (Nearshoring) oder nach Deutschland (Reshoring) zurückzuholen? Ergebnis der ifo-Studie: „Gesamtwirtschaftlich gibt es keinen ökonomisch sinnvollen und erklärbaren Grund, weshalb Deutschland Produktionsprozesse zurück ins Inland holen sollte.“ Das hätte nach Berechnungen der Experten sogar negative Auswirkungen: Bei Reshoring würde das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um 9,7 Prozent schrumpfen, bei Nearshoring um 4,2 Prozent. Auch Rechtsanwalt Bernd-Uwe Stucken unterstreicht: „China hat trotz steigender Kosten gute Zuliefercluster speziell für Maschinenbau, Elektronik und die Automobilindustrie.“ Diese Cluster ließen sich nicht so schnell verlagern wie beispielsweise in der Textilindustrie. Der Hamburger arbeitete bis 2018 fast drei Jahrzehnte lang in China und war 13 Jahre ehrenamtlicher „HamburgAmbassador“ in Shanghai. Dabei hat er festgestellt, dass das China-Geschäft für kleine Unternehmen schwierig ist: „Wenn es Probleme gibt, dann ist Osteuropa geografisch und kulturell näher als China.“
Bei einer repräsentativen Onlinebefragung fand das ifo Institut heraus, wie Unternehmen ihre Beschaffungsstrategien angesichts der internationalen Lieferkettenprobleme anpassen wollen: Während Großunternehmen auf Diversifizierung setzen, planen kleine und mittlere Unternehmen eher, die Lagerhaltung zu erhöhen. Auch Hüpeden & Co. kann Liefertermine durch entsprechende Bevorratung einhalten. Doch Günther weist darauf hin, dass diese „zum einen sehr kostenintensiv ist, zum anderen auch eine langfristige strategische Planung erfordert“.
Van der Schalk geht davon aus, dass in einer globalisierten Produktionskette auch in Zukunft letztlich der Preis entscheidet: „Wenn sich die Situation auf den Märkten wieder normalisiert, wird man sehr schnell wieder zu den alten Prozeduren zurückkehren.“ Ausnahmen sieht er in strategischen Branchen wie dem Medizin- oder Lebensmittelsektor. Unterdessen hofft Hapag-Lloyd-Chef Habben Jansen, dass sich die Lage bis nach dem chinesischen Neujahrsfest am 1. Februar 2022 wieder beruhigt.
Kerstin Kloss
Dieser Beitrag ist in ChinaContact 5-2021 erschienen.