MUMBAI (NfA)–Indiens Wirtschaft hat sich in der bislang 10 Jahre währenden Modi-Ära gewaltig entwickelt: Das BIP pro Kopf legte (kaufkraftbereinigt) um volle 50% zu und führte viele Bürger aus absoluter Armut, wenn auch der Abstand zu den Industrieländern groß bleibt. Unterdessen haben die starken Wachstumszahlen die Unternehmenswerte ansteigen lassen und damit die Grundlage für steigende Kurse und immer neue Börsengänge geliefert. Der Boom lässt sich auch an der Börse in Mumbai und dem Leitindex Sensex nachvollziehen. In Dollar gerechnet sind indische Aktien in den letzten fünf Jahren um 80% gestiegen, verglichen mit nur 6% für die Emerging Markets insgesamt, hat etwa der „Economist“ errechnet. Wie so oft, nährt die Hausse die Hausse: Die erzielten Gewinne locken immer neue Anleger an, die ebenfalls am Erfolg partizipieren wollen. Neue Anleger bedeuten zusätzliche Nachfrage, die wiederum zu neuen Kursgewinnen führt, die wiederum weitere Sparer in den Markt locken. Mittlerweile besitzen 20% der indischen Haushalte heute direkt oder indirekt über Fondsanteile Aktien, vor fünf Jahren waren es nur 7%. Stattdessen machten Bankeinlagen und Bargeld zwei Drittel des Vermögens der Haushalte aus. Mittlerweile liegt der Anteil unter 50% und könnte lokalen Analysten zufolge bis 2030 auf ein Drittel sinken.
Klein-Kredite und effiziente Digitalisierung Für den Wandel sind zwei Faktoren verantwortlich: Das Finanzsystem, die Banken und Investmentgesellschaften richteten sich auf Kleinsparer aus, durchaus parallel zu den Mikrokreditprogrammen mit den Klein-Krediten. Und das mithilfe einer effizienten Digitalisierung. Heute ist es für jeden in Indien möglich, ein Anlagekonto zu eröffnen, mit Wertpapieren kostengünstig zu handeln und sie von einer Depotbank verwahren zu lassen. Vor nicht allzu langer Zeit waren für die Eröffnung eines Kontos stapelweise Dokumente erforderlich; Aufträge wurden über Makler erteilt, die eine abschreckende Provision verlangten für den Zugang zu einem höchst unzuverlässigen System. Mittlerweile gibt es ein breites Angebot von passend gestückelten Investmentfonds und Investment-Sparplänen („SIPs“), über die im letzten Jahr 23 Mrd Euro in den Markt flossen, überwiegend gezahlt in Monatsraten. Allein im letzten August kamen so 2,7 Mrd Euro hinzu. Und es geht weiter: Derzeit startet ein neuer Investment-Sparplan mit einem monatlichen Mindestbeitrag von 250 Rupien (2,80 Euro). Das ist nur mithilfe einer konsequenten Digitalisierung effizient zu administrieren. Dafür sorgt die einheitliche Zahlungsverkehrsschnittstelle des Landes, ein Netzwerk für elektronische Zahlungen. Es verknüpft Einzelpersonen mit Bankkonten und erfüllt damit die Anforderungen an die Identifizierung und ermöglicht das fast sofortige Abheben von Geld zum Kauf von Aktien und nicht zuletzt das digitalen Wertpapier-Giro. Diese Kombination aus fundamentalem wirtschaftlichem Erfolg und maßgeschneiderten Anlageformen haben den Boom gezündet, der noch weiterlaufen könnte: Der Wachstumstrend Indiens ist ungebrochen, die ersten beiden Quartale brachten Wachstumsraten von 8,1% und 6,8% (jeweils zum Vorjahresquartal) und entsprechen damit der Projektion der Prognosen von IWF und ADB.
Überhitzungserscheinungen erkennbar Dennoch sind auch klare Überhitzungserscheinungen erkennbar, was namentlich an der Flut der Börsengänge neuer Unternehmen greifbar wird: In den ersten drei Quartalen dieses Jahres machten die 258 indischen Börsengänge 30% der weltweiten Gesamtzahl und erzielten dabei 12% des dabei aufgenommenen Geldes gegenüber dem nur 3% ausmachenden Anteil Indiens am globalen BIP. Die Kurswerte der Unternehmen verlieren in diesem Rausch den Bezug zu den tatsächlich erzielten Gewinnen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der großen indischen Aktien liegt bei 23 und damit weit über dem KGV von 12 für Emerging Markets insgesamt. Hinter einem hohem KGV steckt (grob vereinfacht) die Erwartung kräftig steigender Gewinne zusammen mit vorläufig weiter niedrigen Zinsen und die Einschätzung, dass das Risiko von negativen Entwicklungen sehr gering ist. Ein hohes KGV signalisiert unterm Strich also sehr starken Optimismus und damit eine beachtliche Fallhöhe. Die bereits hochgesteckten Erwartungen, die auch an den Wachstumsprognosen erkennbar sind, lassen sich nur noch schwer übertreffen, während es viel Raum für negative Überraschungen gibt. Beunruhigend ist auch die Entwicklung des Handels mit Derivaten wie Optionen und Futures: Auf Indien entfallen insgesamt mittlerweile 80% des weltweiten Umsatzes, und der Anteil der Kleinanleger am diesem indischen Handel ist von 2% im Jahr 2018 auf 40% aktuell gestiegen. Die indischen Aufsichtsbehörden werden daher zunehmend unruhig. Sie gehen davon aus, dass mehr als 90% der Kleinanleger in indischen Futures und Optionen Geld verlieren und kündigten daher schärfere Regeln für den Derivatemarkt an mit höheren Mindestkontraktgrößen und Einschusszahlungen, also Voraussetzungen, die Kleinanleger tendenziell enger beschränken und vom Markt fernhalten sollen. Die meisten Angebote von Derivaten durch Banken oder Investmentfirmen dienen dazu, die eigenen Bestände dieser „institutionellen“ Investoren abzusichern. Das Risiko übernehmen die Kleinanleger, die diese Papiere kaufen – was nicht unbedingt eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Risikoverteilung ergibt. Von Martin Klingsporn
AsienInsider: Der Boom erzeugt Höhenangst
MUMBAI (NfA)–Indiens Wirtschaft hat sich in der bislang 10 Jahre währenden Modi-Ära gewaltig entwickelt: Das BIP pro Kopf legte (kaufkraftbereinigt) um volle 50% zu und führte viele Bürger aus absoluter Armut, wenn auch der Abstand zu den Industrieländern groß bleibt. Unterdessen haben die starken Wachstumszahlen die Unternehmenswerte ansteigen lassen und damit die Grundlage für steigende Kurse und immer neue Börsengänge geliefert.
Der Boom lässt sich auch an der Börse in Mumbai und dem Leitindex Sensex nachvollziehen. In Dollar gerechnet sind indische Aktien in den letzten fünf Jahren um 80% gestiegen, verglichen mit nur 6% für die Emerging Markets insgesamt, hat etwa der „Economist“ errechnet.
Wie so oft, nährt die Hausse die Hausse: Die erzielten Gewinne locken immer neue Anleger an, die ebenfalls am Erfolg partizipieren wollen. Neue Anleger bedeuten zusätzliche Nachfrage, die wiederum zu neuen Kursgewinnen führt, die wiederum weitere Sparer in den Markt locken. Mittlerweile besitzen 20% der indischen Haushalte heute direkt oder indirekt über Fondsanteile Aktien, vor fünf Jahren waren es nur 7%. Stattdessen machten Bankeinlagen und Bargeld zwei Drittel des Vermögens der Haushalte aus. Mittlerweile liegt der Anteil unter 50% und könnte lokalen Analysten zufolge bis 2030 auf ein Drittel sinken.
Klein-Kredite und effiziente Digitalisierung
Für den Wandel sind zwei Faktoren verantwortlich: Das Finanzsystem, die Banken und Investmentgesellschaften richteten sich auf Kleinsparer aus, durchaus parallel zu den Mikrokreditprogrammen mit den Klein-Krediten. Und das mithilfe einer effizienten Digitalisierung.
Heute ist es für jeden in Indien möglich, ein Anlagekonto zu eröffnen, mit Wertpapieren kostengünstig zu handeln und sie von einer Depotbank verwahren zu lassen. Vor nicht allzu langer Zeit waren für die Eröffnung eines Kontos stapelweise Dokumente erforderlich; Aufträge wurden über Makler erteilt, die eine abschreckende Provision verlangten für den Zugang zu einem höchst unzuverlässigen System. Mittlerweile gibt es ein breites Angebot von passend gestückelten Investmentfonds und Investment-Sparplänen („SIPs“), über die im letzten Jahr 23 Mrd Euro in den Markt flossen, überwiegend gezahlt in Monatsraten. Allein im letzten August kamen so 2,7 Mrd Euro hinzu. Und es geht weiter: Derzeit startet ein neuer Investment-Sparplan mit einem monatlichen Mindestbeitrag von 250 Rupien (2,80 Euro). Das ist nur mithilfe einer konsequenten Digitalisierung effizient zu administrieren. Dafür sorgt die einheitliche Zahlungsverkehrsschnittstelle des Landes, ein Netzwerk für elektronische Zahlungen. Es verknüpft Einzelpersonen mit Bankkonten und erfüllt damit die Anforderungen an die Identifizierung und ermöglicht das fast sofortige Abheben von Geld zum Kauf von Aktien und nicht zuletzt das digitalen Wertpapier-Giro.
Diese Kombination aus fundamentalem wirtschaftlichem Erfolg und maßgeschneiderten Anlageformen haben den Boom gezündet, der noch weiterlaufen könnte: Der Wachstumstrend Indiens ist ungebrochen, die ersten beiden Quartale brachten Wachstumsraten von 8,1% und 6,8% (jeweils zum Vorjahresquartal) und entsprechen damit der Projektion der Prognosen von IWF und ADB.
Überhitzungserscheinungen erkennbar
Dennoch sind auch klare Überhitzungserscheinungen erkennbar, was namentlich an der Flut der Börsengänge neuer Unternehmen greifbar wird: In den ersten drei Quartalen dieses Jahres machten die 258 indischen Börsengänge 30% der weltweiten Gesamtzahl und erzielten dabei 12% des dabei aufgenommenen Geldes gegenüber dem nur 3% ausmachenden Anteil Indiens am globalen BIP. Die Kurswerte der Unternehmen verlieren in diesem Rausch den Bezug zu den tatsächlich erzielten Gewinnen.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der großen indischen Aktien liegt bei 23 und damit weit über dem KGV von 12 für Emerging Markets insgesamt. Hinter einem hohem KGV steckt (grob vereinfacht) die Erwartung kräftig steigender Gewinne zusammen mit vorläufig weiter niedrigen Zinsen und die Einschätzung, dass das Risiko von negativen Entwicklungen sehr gering ist. Ein hohes KGV signalisiert unterm Strich also sehr starken Optimismus und damit eine beachtliche Fallhöhe. Die bereits hochgesteckten Erwartungen, die auch an den Wachstumsprognosen erkennbar sind, lassen sich nur noch schwer übertreffen, während es viel Raum für negative Überraschungen gibt.
Beunruhigend ist auch die Entwicklung des Handels mit Derivaten wie Optionen und Futures: Auf Indien entfallen insgesamt mittlerweile 80% des weltweiten Umsatzes, und der Anteil der Kleinanleger am diesem indischen Handel ist von 2% im Jahr 2018 auf 40% aktuell gestiegen. Die indischen Aufsichtsbehörden werden daher zunehmend unruhig. Sie gehen davon aus, dass mehr als 90% der Kleinanleger in indischen Futures und Optionen Geld verlieren und kündigten daher schärfere Regeln für den Derivatemarkt an mit höheren Mindestkontraktgrößen und Einschusszahlungen, also Voraussetzungen, die Kleinanleger tendenziell enger beschränken und vom Markt fernhalten sollen. Die meisten Angebote von Derivaten durch Banken oder Investmentfirmen dienen dazu, die eigenen Bestände dieser „institutionellen“ Investoren abzusichern. Das Risiko übernehmen die Kleinanleger, die diese Papiere kaufen – was nicht unbedingt eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Risikoverteilung ergibt.
Von Martin Klingsporn