Wenn man den Kaffee mit Apple Pay bezahlt, zum nächsten Termin mit Yandex fährt und die Schuhe im Internet bestellt, ist man im digitalen Zeitalter angekommen. In Russland klappt das im privaten Bereich sehr gut, doch in der Industrie kommt die Zukunft nur langsam voran. Ein „nationales Programm“ soll die Wirtschaft ins Netz bringen.
Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum Anfang Juni in St. Petersburg gab es eine klare Botschaft: Vorbei ist die Zeit der hohen Rohstoffnachfrage. Wer in der globalen Wirtschaft überleben möchte, darf die Digitalisierung nicht verschlafen. Wladimir Putin legte im vergangenen Dezember vor, als er das nationale Programm „Digitale Wirtschaft“ präsentierte und die Regierung beauftragte, bis 1. Juli dieses Jahres eine nationale Strategie auszuarbeiten. Laut dem Kommunikationsministerium geht es dabei unter anderem um Digitales Medizinwesen, Informationssicherheit, Digitale Grundlagenforschung, Smart-Cities und E-Governance. In den kommenden Wochen wird das endgültige Konzept der Öffentlichkeit präsentiert. Das Ziel: Die russische Gesellschaft und Wirtschaft bis 2025 weitesgehend zu digitalisieren.
„Für Russland ist das tatsächlich ein nationales Großprojekt“, so die Einschätzung von Dmitrij Kononenko, Bereichsleiter für Digitalisierung und Zukunftstechnologien bei der AHK in Moskau. Doch das generelle Thema Digitalisierung ist nicht nur in Russland groß und wichtig. „Es ist der Focus Nummer eins auf allen großen Wirtschaftsforen und Konferenzen. Und das wird in den nächsten Jahren auch so bleiben“, meint Kononeko.
E-Commerce wächst rasant trotz Rubelschwäche
Geht es um den privaten Bereich, ist Russland bereits führend in Sachen Digitalisierung. Beispielsweise beim E-Commerce. Trotz Wirtschaftskrise ist dieser Bereich 2016 laut einer Analyse des Verbandes für Onlinehandel (Assoziazija Kompanij Internet Torgowli AKIT) um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewachsen. Solch eine Entwicklung begünstigen ein flächendeckender Mobilfunk, Wi-Fi an öffentlichen Plätzen, „kluge Köpfe“, sprich Programmierer und Naturwissenschaftler, sowie die entsprechende Mentalität, meint der Experte. Die Bevölkerung sei grundsätzlich offener gegenüber technischen Innovationen als in Deutschland.
Dort hat die digitale Revolution unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ begonnen. Damit sind Hightech-Forschungsprojekte zwischen Industrie, Wissenschaft und Politik gemeint. Industrieroboter und Fließbänder sollen mit möglichst vielen Sensoren ausgestattet sein, die mit dem Internet verbunden werden, um Messdaten effizienter auszuwerten. So sollen Maschinen nicht nur produzieren, sondern auch rund um die Uhr kommunizieren.
Entscheidend sei dabei der Selbstzweck, meint Witalij Nedelskij. Er ist Direktor des russischen Verbandes für das industrielle Internet und des Nationalen Robotertechnik-Verbandes. „Einfach alles in die digitalisierte Form umzuwandeln, ist nicht überall nötig. Es muss dort geschehen, wo es einen wirtschaftlichen Nutzen gibt und eine genaue Steuerung erlaubt.“ Wenn beispielsweise die Digitalisierung Kosten senken kann. Oder wenn sie der Sicherheit dient.
Internet der Dinge, Big-Data und Künstliche Intelligenz
Was in Russland im privaten Bereich sehr gut klappt, kommt in der Industrie nur langsam an. Laut einer Studie der Boston Consulting Group hänge Russland fünf bis acht Jahre im Bereich der Digitalisierung der Wirtschaft den Vorreitern wie Japan, Deutschland oder den USA hinterher. Gerade deshalb ist Digitalisierung natürlich ein Kernthema der russischen Regierung. Was im Programm „Digital Wirtschaft“ noch nach Zukunftsmusik klingt, hat in russischen staatlich geförderten Innovationsprojekten wie Skolkowo oder Innopolis bei Kasan unlängst begonnen. Letzteres ist eine futuristische Innovationsstadt, wo der Kader für die ambitionierten Pläne geschmiedet wird. Bis 2025 sollen hier laut des Medienunternehmens „RBK“ 155.000 Menschen leben, arbeiten und forschen. Darunter 60.000 IT-Spezialisten. In Skolkowo gibt es beispielsweise einen IT-Cluster, der Start-ups vereint, die sich mit dem Internet der Dinge, Big-Data-Analysen oder Predictive Maintenance beschäftigen. Letztere sind sogenannte „Hellseher“, die Störungen bei Maschinen und Anlagen bereits sehen, bevor sie auftreten. „Dort findet definitiv ein Technologie-Transfer auf dem Gebiet Forschung und Start-up in das Gebiet Industriegroßeinsatz statt“, sagt Kononenko. Noch hielten sich die Kooperationen in Grenzen, aber die „Ansätze sind dieselben wie in Deutschland vielleicht vor fünf bis zehn Jahren.“ Außerdem entstehen bereits Start-ups, die ihre Lösungen erfolgreich an russische und ausländische Großunternehmen verkaufen. So zum Beispiel das Start-up „Datadvance“ mit der Aufgabe, für Aeroflot einen Algorithmus mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) zu entwickeln, der den Wartungsstand und Bedarf der Flugzeuge im Voraus berechnen kann.
Vernetzte Kommunikation smarter Fabriken
Auch Witalij Nedelskij sieht in Skolkowo und Innopolis einen positiven Impuls. „Wenn sich viele innovative Unternehmen, Forschung und Bildung versammeln, kreieren sie ihre eigene Gravitation und ziehen weitere an.“ Und wenn der Ölpreis langfristig niedrig bleibe, könne sich die Digitalisierung in diesen Bereichen gut entwickeln, schätzt Nedelskij. Das sei ein Paradox, aber Länder wie Israel, Japan oder Singapur hätten es vorgemacht. „Sie setzten auf einen rohstoffunabhängigen Bereich und haben damit goldrichtig gelegen.“
Aus deutscher Sicht gibt es beim Thema Digitalisierung auch in Russland einiges zu holen, weshalb beide Seiten um eine intensive Zusammenarbeit bemüht sind. So schlug Siemens beim Wirtschaftsforum der staatlichen Eisenbahngesellschaft RZD eine Kooperation im Bereich der Digitalisierung des Schienenbahnnetzes vor. SAP unterzeichnete mit der Region Tjumen ein Abkommen, um die gesamte Struktur der Polikliniken zu digitalisieren.
In einem Bereich gibt es allerdings Probleme. Im IT-Bereich wirken die Importsubstitutionen. Ausländische Softwareprodukte haben seit 2016 keinen Zugang zu staatlichen Beschaffungsmaßnahmen. „Dadurch ist ein riesiger Markt weggefallen“, sagt Kononenko. Dadurch möchte sich Russland von der technischen Abhängigkeit vom Westen lösen. Der Bereichsleiter für Digitalisierung und Zukunftstechnologien bei der AHK in Moskau sieht jedoch trotzdem Chancen für bilaterale Projekte. Denn die schlauen Fabriken von morgen werden vernetzt über Landesgrenzen hinweg kommunizieren. Egal, ob die VW-Fabrik beispielsweise in Mexiko oder in Kaluga steht.
Katharina Lindt
Der Beitrag erschien erstmals am 22. Juni in der Moskauer Deutschen Zeitung.
Digitalisierung: So geht Zukunft: Wie Russland die Digitalisierung weiter forciert
Wenn man den Kaffee mit Apple Pay bezahlt, zum nächsten Termin mit Yandex fährt und die Schuhe im Internet bestellt, ist man im digitalen Zeitalter angekommen. In Russland klappt das im privaten Bereich sehr gut, doch in der Industrie kommt die Zukunft nur langsam voran. Ein „nationales Programm“ soll die Wirtschaft ins Netz bringen.
Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum Anfang Juni in St. Petersburg gab es eine klare Botschaft: Vorbei ist die Zeit der hohen Rohstoffnachfrage. Wer in der globalen Wirtschaft überleben möchte, darf die Digitalisierung nicht verschlafen. Wladimir Putin legte im vergangenen Dezember vor, als er das nationale Programm „Digitale Wirtschaft“ präsentierte und die Regierung beauftragte, bis 1. Juli dieses Jahres eine nationale Strategie auszuarbeiten. Laut dem Kommunikationsministerium geht es dabei unter anderem um Digitales Medizinwesen, Informationssicherheit, Digitale Grundlagenforschung, Smart-Cities und E-Governance. In den kommenden Wochen wird das endgültige Konzept der Öffentlichkeit präsentiert. Das Ziel: Die russische Gesellschaft und Wirtschaft bis 2025 weitesgehend zu digitalisieren.
„Für Russland ist das tatsächlich ein nationales Großprojekt“, so die Einschätzung von Dmitrij Kononenko, Bereichsleiter für Digitalisierung und Zukunftstechnologien bei der AHK in Moskau. Doch das generelle Thema Digitalisierung ist nicht nur in Russland groß und wichtig. „Es ist der Focus Nummer eins auf allen großen Wirtschaftsforen und Konferenzen. Und das wird in den nächsten Jahren auch so bleiben“, meint Kononeko.
E-Commerce wächst rasant trotz Rubelschwäche
Geht es um den privaten Bereich, ist Russland bereits führend in Sachen Digitalisierung. Beispielsweise beim E-Commerce. Trotz Wirtschaftskrise ist dieser Bereich 2016 laut einer Analyse des Verbandes für Onlinehandel (Assoziazija Kompanij Internet Torgowli AKIT) um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewachsen. Solch eine Entwicklung begünstigen ein flächendeckender Mobilfunk, Wi-Fi an öffentlichen Plätzen, „kluge Köpfe“, sprich Programmierer und Naturwissenschaftler, sowie die entsprechende Mentalität, meint der Experte. Die Bevölkerung sei grundsätzlich offener gegenüber technischen Innovationen als in Deutschland.
Dort hat die digitale Revolution unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ begonnen. Damit sind Hightech-Forschungsprojekte zwischen Industrie, Wissenschaft und Politik gemeint. Industrieroboter und Fließbänder sollen mit möglichst vielen Sensoren ausgestattet sein, die mit dem Internet verbunden werden, um Messdaten effizienter auszuwerten. So sollen Maschinen nicht nur produzieren, sondern auch rund um die Uhr kommunizieren.
Entscheidend sei dabei der Selbstzweck, meint Witalij Nedelskij. Er ist Direktor des russischen Verbandes für das industrielle Internet und des Nationalen Robotertechnik-Verbandes. „Einfach alles in die digitalisierte Form umzuwandeln, ist nicht überall nötig. Es muss dort geschehen, wo es einen wirtschaftlichen Nutzen gibt und eine genaue Steuerung erlaubt.“ Wenn beispielsweise die Digitalisierung Kosten senken kann. Oder wenn sie der Sicherheit dient.
Internet der Dinge, Big-Data und Künstliche Intelligenz
Was in Russland im privaten Bereich sehr gut klappt, kommt in der Industrie nur langsam an. Laut einer Studie der Boston Consulting Group hänge Russland fünf bis acht Jahre im Bereich der Digitalisierung der Wirtschaft den Vorreitern wie Japan, Deutschland oder den USA hinterher. Gerade deshalb ist Digitalisierung natürlich ein Kernthema der russischen Regierung. Was im Programm „Digital Wirtschaft“ noch nach Zukunftsmusik klingt, hat in russischen staatlich geförderten Innovationsprojekten wie Skolkowo oder Innopolis bei Kasan unlängst begonnen. Letzteres ist eine futuristische Innovationsstadt, wo der Kader für die ambitionierten Pläne geschmiedet wird. Bis 2025 sollen hier laut des Medienunternehmens „RBK“ 155.000 Menschen leben, arbeiten und forschen. Darunter 60.000 IT-Spezialisten. In Skolkowo gibt es beispielsweise einen IT-Cluster, der Start-ups vereint, die sich mit dem Internet der Dinge, Big-Data-Analysen oder Predictive Maintenance beschäftigen. Letztere sind sogenannte „Hellseher“, die Störungen bei Maschinen und Anlagen bereits sehen, bevor sie auftreten. „Dort findet definitiv ein Technologie-Transfer auf dem Gebiet Forschung und Start-up in das Gebiet Industriegroßeinsatz statt“, sagt Kononenko. Noch hielten sich die Kooperationen in Grenzen, aber die „Ansätze sind dieselben wie in Deutschland vielleicht vor fünf bis zehn Jahren.“ Außerdem entstehen bereits Start-ups, die ihre Lösungen erfolgreich an russische und ausländische Großunternehmen verkaufen. So zum Beispiel das Start-up „Datadvance“ mit der Aufgabe, für Aeroflot einen Algorithmus mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) zu entwickeln, der den Wartungsstand und Bedarf der Flugzeuge im Voraus berechnen kann.
Vernetzte Kommunikation smarter Fabriken
Auch Witalij Nedelskij sieht in Skolkowo und Innopolis einen positiven Impuls. „Wenn sich viele innovative Unternehmen, Forschung und Bildung versammeln, kreieren sie ihre eigene Gravitation und ziehen weitere an.“ Und wenn der Ölpreis langfristig niedrig bleibe, könne sich die Digitalisierung in diesen Bereichen gut entwickeln, schätzt Nedelskij. Das sei ein Paradox, aber Länder wie Israel, Japan oder Singapur hätten es vorgemacht. „Sie setzten auf einen rohstoffunabhängigen Bereich und haben damit goldrichtig gelegen.“
Aus deutscher Sicht gibt es beim Thema Digitalisierung auch in Russland einiges zu holen, weshalb beide Seiten um eine intensive Zusammenarbeit bemüht sind. So schlug Siemens beim Wirtschaftsforum der staatlichen Eisenbahngesellschaft RZD eine Kooperation im Bereich der Digitalisierung des Schienenbahnnetzes vor. SAP unterzeichnete mit der Region Tjumen ein Abkommen, um die gesamte Struktur der Polikliniken zu digitalisieren.
In einem Bereich gibt es allerdings Probleme. Im IT-Bereich wirken die Importsubstitutionen. Ausländische Softwareprodukte haben seit 2016 keinen Zugang zu staatlichen Beschaffungsmaßnahmen. „Dadurch ist ein riesiger Markt weggefallen“, sagt Kononenko. Dadurch möchte sich Russland von der technischen Abhängigkeit vom Westen lösen. Der Bereichsleiter für Digitalisierung und Zukunftstechnologien bei der AHK in Moskau sieht jedoch trotzdem Chancen für bilaterale Projekte. Denn die schlauen Fabriken von morgen werden vernetzt über Landesgrenzen hinweg kommunizieren. Egal, ob die VW-Fabrik beispielsweise in Mexiko oder in Kaluga steht.
Katharina Lindt
Der Beitrag erschien erstmals am 22. Juni in der Moskauer Deutschen Zeitung.