Alexander Austenfeld lebt in Dortmund und arbeitet als Outdoor-Guide. Zu seinem Angebot zählt unter anderem die Organisation von geführten Wanderreisen nach Russland mit Fokus auf Ökotourismus. Im Interview spricht er über die gestiegene Nachfrage nach Urlaub in der freien Natur und die Suche der Deutschen nach dem Unbekannten.
Herr Austenfeld, was bringt einen deutschen Touristen dazu Russland zu besuchen?
Aus meiner Sicht sind dabei vor allem zwei Faktoren entscheidend. Das eine ist die Kultur, das andere die Natur. Russland ist grundsätzlich nicht unbedingt ein Land, in dem man seinen jährlichen Strandurlaub verbringt. Vielmehr fahren Menschen mit einem gewissen Anspruch dorthin. Dieser kann dabei unterschiedlich geartet sein: Für einige geht es darum, sich kulturell weiterzubilden. Andere wollen sich in der Natur austoben. Im Durchschnitt kommen meine Kunden aus dem Bildungs- bzw. Akademikermilieu, unter ihnen viele Unternehmer und höhere Angestellte.
Trotz der vielfältigen Möglichkeiten besuchten Russland im Vorkrisenjahr 2019 lediglich 25 Millionen Touristen – hauptsächlich aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und in jüngster Zeit auch aus China. Damit belegt Russland den 16. Platz auf der Liste der Welttourismusorganisation. Warum diese bescheidene Platzierung?
Es sind viele Gründe. Zum einen ist Russland, wie eben schon erwähnt, kein Urlaubsland im klassischen Sinne. Es stellt vor allem für diejenige kleine Gruppe von Menschen eine interessante Option dar, die sich auch in ihrer Freizeit fordern wollen. Hinzu kommen einige organisatorische Hürden, wie etwa die Visumpflicht: Es ist leider immer noch mit viel Bürokratie verbunden, an ein russisches Visum zu kommen. Normalerweise wird dazu eine Agentur eingeschaltet, was wiederum zu höheren Kosten führt.
Vielen Menschen in Deutschland und Westeuropa fehlt zudem schlicht und einfach der Bezug zu dem Land. Russland ist zwar geografisch nicht weit weg, aber trotzdem unbekannt. Und auch die momentane politische Situation spielt eine Rolle – in den letzten Jahren hat sich Moskau immer mehr vom Westen abgekoppelt, was genau die gegenläufige Richtung zu dem ist, wohin es sich auf der touristischen Ebene hinbewegen sollte.
Immer wieder beklagen Reiseanbieter die mangelhafte Infrastruktur und die kostenintensive Anreise, vor allem wenn das Reiseziel nicht in der Nähe der Millionenstädte liegt. Wie entwickelt sich das touristische Potenzial in den Regionen?
Es gibt mit Sicherheit eine positive Entwicklung. Allerdings ist diese auf einzelne Boom-Regionen beschränkt. Dazu gehört zum Beispiel der Baikalsee, wo in den letzten Jahren sehr viel passiert ist. Man kann zwar nicht wirklich behaupten, dass die Region touristisch voll erschlossen ist, aber viele Menschen leben dort mittlerweile vom Tourismus und haben eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut. Weitere Beispiele für russische Destinationen, die in den letzten Jahren immer interessanter geworden sind, ist der Altai und die Halbinsel Kamtschatka im Fernen Osten des Landes.
Aber Russland ist groß. In der überwältigenden Mehrheit der Regionen findet kaum Tourismus im westlichen Sinne statt. Dies hängt natürlich mit der geografischen Lage und der schlechten Infrastruktur vor Ort zusammen. Dies bietet auf der anderen Seite aber auch Vorteile: Viele meiner Kunden wollen das Unberührte und Unbekannte für sich entdecken. Genau das macht für sie den Reiz Russlands aus.
Lassen Sie uns hier etwas tiefer einsteigen. Ist das Unbekannte wirklich das Hauptmotiv?
In dem Segment, in dem ich unterwegs bin, spielen Unberührtheit und Wildnis tatsächlich eine sehr wichtige Rolle. Dazu kommt noch Authentizität. Diese findet man nicht in den Großstädten wie Moskau oder Sankt Petersburg, sondern auf dem Land. Je weiter weg vom Zentrum, desto besser. Genau das stellen sich viele meiner Kunden unter dem „wahren“ russischen Leben vor. Ein Leben, das sich sehr von dem „durchdigitalisierten“ Leben unterscheidet, wie wir es kennen und eher den Erzählungen unserer Großeltern ähnelt.
In den letzten Jahren liegt auf dem Ausbau des Ökotourismus ein besonderes Augenmerk. Allein in den vergangenen sechs Jahren hat sich die Anzahl der Besucher in Russlands Nationalparks und Naturschutzgebieten um 50 Prozent auf etwa elf Millionen erhöht. Schon in den kommenden drei Jahren soll die Zahl auf etwa 15 Millionen steigen. Eine realistische Zahl?
Ob diese Vorgabe tatsächlich zu erreichen ist, sei mal dahingestellt. Was man aber auf jeden Fall feststellen kann, ist eine ansteigende Nachfrage nach Angeboten im Outdoor- und Ökotourismus. Russland hat hier gegenüber vielen anderen Ländern einen enormen Vorteil: Es bietet viel Ursprünglichkeit und Authentizität. Es hat einen gewissen Thrill.
Vor allem in Westeuropa, wo die Urbanisierung immer weiter voranschreitet und man aus den Dörfern zunehmend in die großen Städte abwandert und dadurch den Bezug zur Natur verliert, gibt es für diese Ökotourismus-Angebote genügend Nachfrage. Aus meiner Sicht fördert auch die anhaltende Klimadebatte im Westen das Bedürfnis der Menschen in Gegenden zu gehen, die als bedroht angesehen werden und vielleicht in dieser Form bald nicht mehr existieren.
Sprechen wir über Deutschland. Bis 2015 stellten die Bundesbürger die größte Reisegruppe nach Russland überhaupt und sind mittlerweile immer noch auf den vorderen Plätzen. Worauf legen die deutschen Touristen am meisten Wert und wie groß ist das Russland-Angebot?
Klar ist, dass sich auch bei den deutschen Touristen der Fokus verschoben hat. Der klassische Urlaub, den man vor 25 Jahren gemacht hat, ist heute nicht mehr aktuell. Natürlich ist der Outdoor- und Ökotourismus nach wie vor eine Nische und nicht der Mainstream. Aber die Nachfrage danach ist deutlich gewachsen – auch in Deutschland. Wie schon erwähnt, suchen meine Kunden das Unberührte und Unbekannte.
Was das generelle Angebot an Russland-Reisen angeht, so ist dieses sehr groß und deckt die unterschiedlichsten Facetten ab – von Städtereisen über Touren mit der Transsibirischen Eisenbahn bis hin zu Husky-Touren für echte Outdoor-Fans. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei.
Dieses Interview erschien erstmals in der Ausgabe 3/2021 des Außenwirtschaftsmagazins OstContact. Hier bestellen.
Geschäftsreise und Kultur: „Russland hat einen gewissen Thrill“
Alexander Austenfeld lebt in Dortmund und arbeitet als Outdoor-Guide. Zu seinem Angebot zählt unter anderem die Organisation von geführten Wanderreisen nach Russland mit Fokus auf Ökotourismus. Im Interview spricht er über die gestiegene Nachfrage nach Urlaub in der freien Natur und die Suche der Deutschen nach dem Unbekannten.
Herr Austenfeld, was bringt einen deutschen Touristen dazu Russland zu besuchen?
Aus meiner Sicht sind dabei vor allem zwei Faktoren entscheidend. Das eine ist die Kultur, das andere die Natur. Russland ist grundsätzlich nicht unbedingt ein Land, in dem man seinen jährlichen Strandurlaub verbringt. Vielmehr fahren Menschen mit einem gewissen Anspruch dorthin. Dieser kann dabei unterschiedlich geartet sein: Für einige geht es darum, sich kulturell weiterzubilden. Andere wollen sich in der Natur austoben. Im Durchschnitt kommen meine Kunden aus dem Bildungs- bzw. Akademikermilieu, unter ihnen viele Unternehmer und höhere Angestellte.
Trotz der vielfältigen Möglichkeiten besuchten Russland im Vorkrisenjahr 2019 lediglich 25 Millionen Touristen – hauptsächlich aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und in jüngster Zeit auch aus China. Damit belegt Russland den 16. Platz auf der Liste der Welttourismusorganisation. Warum diese bescheidene Platzierung?
Es sind viele Gründe. Zum einen ist Russland, wie eben schon erwähnt, kein Urlaubsland im klassischen Sinne. Es stellt vor allem für diejenige kleine Gruppe von Menschen eine interessante Option dar, die sich auch in ihrer Freizeit fordern wollen. Hinzu kommen einige organisatorische Hürden, wie etwa die Visumpflicht: Es ist leider immer noch mit viel Bürokratie verbunden, an ein russisches Visum zu kommen. Normalerweise wird dazu eine Agentur eingeschaltet, was wiederum zu höheren Kosten führt.
Vielen Menschen in Deutschland und Westeuropa fehlt zudem schlicht und einfach der Bezug zu dem Land. Russland ist zwar geografisch nicht weit weg, aber trotzdem unbekannt. Und auch die momentane politische Situation spielt eine Rolle – in den letzten Jahren hat sich Moskau immer mehr vom Westen abgekoppelt, was genau die gegenläufige Richtung zu dem ist, wohin es sich auf der touristischen Ebene hinbewegen sollte.
Immer wieder beklagen Reiseanbieter die mangelhafte Infrastruktur und die kostenintensive Anreise, vor allem wenn das Reiseziel nicht in der Nähe der Millionenstädte liegt. Wie entwickelt sich das touristische Potenzial in den Regionen?
Es gibt mit Sicherheit eine positive Entwicklung. Allerdings ist diese auf einzelne Boom-Regionen beschränkt. Dazu gehört zum Beispiel der Baikalsee, wo in den letzten Jahren sehr viel passiert ist. Man kann zwar nicht wirklich behaupten, dass die Region touristisch voll erschlossen ist, aber viele Menschen leben dort mittlerweile vom Tourismus und haben eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut. Weitere Beispiele für russische Destinationen, die in den letzten Jahren immer interessanter geworden sind, ist der Altai und die Halbinsel Kamtschatka im Fernen Osten des Landes.
Aber Russland ist groß. In der überwältigenden Mehrheit der Regionen findet kaum Tourismus im westlichen Sinne statt. Dies hängt natürlich mit der geografischen Lage und der schlechten Infrastruktur vor Ort zusammen. Dies bietet auf der anderen Seite aber auch Vorteile: Viele meiner Kunden wollen das Unberührte und Unbekannte für sich entdecken. Genau das macht für sie den Reiz Russlands aus.
Lassen Sie uns hier etwas tiefer einsteigen. Ist das Unbekannte wirklich das Hauptmotiv?
In dem Segment, in dem ich unterwegs bin, spielen Unberührtheit und Wildnis tatsächlich eine sehr wichtige Rolle. Dazu kommt noch Authentizität. Diese findet man nicht in den Großstädten wie Moskau oder Sankt Petersburg, sondern auf dem Land. Je weiter weg vom Zentrum, desto besser. Genau das stellen sich viele meiner Kunden unter dem „wahren“ russischen Leben vor. Ein Leben, das sich sehr von dem „durchdigitalisierten“ Leben unterscheidet, wie wir es kennen und eher den Erzählungen unserer Großeltern ähnelt.
In den letzten Jahren liegt auf dem Ausbau des Ökotourismus ein besonderes Augenmerk. Allein in den vergangenen sechs Jahren hat sich die Anzahl der Besucher in Russlands Nationalparks und Naturschutzgebieten um 50 Prozent auf etwa elf Millionen erhöht. Schon in den kommenden drei Jahren soll die Zahl auf etwa 15 Millionen steigen. Eine realistische Zahl?
Ob diese Vorgabe tatsächlich zu erreichen ist, sei mal dahingestellt. Was man aber auf jeden Fall feststellen kann, ist eine ansteigende Nachfrage nach Angeboten im Outdoor- und Ökotourismus. Russland hat hier gegenüber vielen anderen Ländern einen enormen Vorteil: Es bietet viel Ursprünglichkeit und Authentizität. Es hat einen gewissen Thrill.
Vor allem in Westeuropa, wo die Urbanisierung immer weiter voranschreitet und man aus den Dörfern zunehmend in die großen Städte abwandert und dadurch den Bezug zur Natur verliert, gibt es für diese Ökotourismus-Angebote genügend Nachfrage. Aus meiner Sicht fördert auch die anhaltende Klimadebatte im Westen das Bedürfnis der Menschen in Gegenden zu gehen, die als bedroht angesehen werden und vielleicht in dieser Form bald nicht mehr existieren.
Sprechen wir über Deutschland. Bis 2015 stellten die Bundesbürger die größte Reisegruppe nach Russland überhaupt und sind mittlerweile immer noch auf den vorderen Plätzen. Worauf legen die deutschen Touristen am meisten Wert und wie groß ist das Russland-Angebot?
Klar ist, dass sich auch bei den deutschen Touristen der Fokus verschoben hat. Der klassische Urlaub, den man vor 25 Jahren gemacht hat, ist heute nicht mehr aktuell. Natürlich ist der Outdoor- und Ökotourismus nach wie vor eine Nische und nicht der Mainstream. Aber die Nachfrage danach ist deutlich gewachsen – auch in Deutschland. Wie schon erwähnt, suchen meine Kunden das Unberührte und Unbekannte.
Was das generelle Angebot an Russland-Reisen angeht, so ist dieses sehr groß und deckt die unterschiedlichsten Facetten ab – von Städtereisen über Touren mit der Transsibirischen Eisenbahn bis hin zu Husky-Touren für echte Outdoor-Fans. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei.
Dieses Interview erschien erstmals in der Ausgabe 3/2021 des Außenwirtschaftsmagazins OstContact. Hier bestellen.