Oliver Cescotti, Präsident von GEA in Russland, Belarus, Kasachstan, Zentralasien und dem Kaukasus, über das langfristige Engagement seines Unternehmens in Russland und triftige Gründe für eine Lokalisierung der Produktion.
Das GEA-Werk in Klimowsk feierte 2020 sein fünfjähriges Jubiläum. Daneben betreibt GEA zwei weitere Produktionsstätten in Kolomna und Uslowaja. Aus welchen Gründen hatte sich GEA seinerzeit für einen Produktionsaufbau in Russland entschieden?
Unsere Produktionsunternehmen spiegeln die ständig steigenden Anforderungen an die Importsubstitution und Lokalisierung in Russland wider. Das enorme Potenzial des russischen Marktes kann man aus unserer Sicht nur mit einer starken lokalen Präsenz nutzen. Derzeit haben wir drei Produktionsbetriebe in Russland. In Kolomna fertigen wir aus galvanisiertem Metall Stallausrüstungen, die eine logische Ergänzung zu unseren schlüsselfertigen Milchproduktionsanlagen darstellen. In Uslowaya, in der Nähe von Tula, produzieren wir mit modernen Anlagen chemische Produkte für die Tierhygiene, die einen entscheidenden Beitrag für die Gesundheit der Kühe und damit einen hohen Milchertrag liefern. Unser jüngstes Unternehmen in Klimowsk ist ein multifunktionales Montagewerk, das aus der Notwendigkeit entstand, in sehr kurzer Zeit acht Gasverdichter-Stationen für Gazprom nach Sibirien zu liefern. Aufgrund fehlender Lieferanten und Lokalisierungsanforderungen unseres Kunden sahen wir die Chance, mit diesem Auftrag den Grundstein für das Montagewerk zu legen.
Die Überlegung, dieses Werk als strategischen Vorteil für GEA in Russland weiter auszubauen, führte zu einer wesentlichen Erweiterung des Produktionsportfolios. Mittlerweile bauen wir nicht nur Gasverdichtungs- und Kälteanlagen, sondern auch Separationsanlagen für verschiedene Industrien. Steigende Nachfrage sehen wir auch für unseren separaten Edelstahlbau, der für die Lebensmittelindustrie Anlagen liefert.
Mit welchen Herausforderungen wurden Sie beim Produktionsaufbau konfrontiert? Gab es Probleme bei der Suche nach qualifiziertem Personal oder im Bereich der Zulieferung?
Unsere Produktionen in Tula und Klimowsk unterscheiden sich wesentlich und spiegeln auch das Spektrum „Abenteuer Produktionsstandort Russland“ wider. In Tula wurden wir mit den Auflagen und Normen der chemischen Industrie konfrontiert und erlebten beim Ausbau eines angemieteten Gebäudes mit über 4.000 Quadratmetern viele Überraschungen mit den Aufsichtsbehörden. Dies führte zu Verzögerungen bei der Inbetriebnahme und einer Erhöhung der geplanten Ausgaben, aber mittlerweile haben wir die modernste Tierhygieneproduktion Russlands, und die steigende Nachfrage nach unseren Produkten bestätigt den Sinn dieser Investition. In Klimowsk haben wir eine Halle mit 2.500 Quadratmetern angemietet, die wenig Investitionen erforderte, und wir konnten schon nach drei Monaten mit der Produktion beginnen. In Klimowsk sind wir auf eine große Anzahl Zulieferer angewiesen, da es sich nicht um Serienfertigung handelt, und bemühen uns, so viel wie möglich lokal zu beziehen. Nennenswert sind hier positive Erfahrungen mit motivierten russischen Zulieferern, die aufgrund unseres Quality Management Coaching mittlerweile internationalen Qualitätsstandards entsprechen. Die Anzahl dieser Zulieferer ist leider gering, aber es ist eindeutig eine positive Tendenz zu beobachten. Ein permanentes stabiles Qualitätsmanagement der russischen Zulieferer ist eine der größten Herausforderungen für lokale Produktionen.
Bedingt durch die westlichen Sanktionen hat Russland in den letzten Jahren zahlreiche neue Wirtschaftsinitiativen vorangetrieben. Ein Beispiel ist die Lokalisierungspolitik, inkl. SPIK-Verträge. Wie bewerten Sie diese Initiativen?
Die Sanktionen haben Gegensanktionen bewirkt, die zu einer steigenden Nachfrage bei lokalen Produzenten geführt haben. Aus meiner Erfahrung sind die daraus resultierenden Wirtschaftsinitiativen sinnvoll, wenn sie „entpolitisiert“ werden. Die Bevorzugung von örtlichen Lieferanten nimmt zum Teil absurde Formen an und führt dann oftmals zu Qualitätseinbußen, die zulasten der Kunden gehen. Natürlich bieten solchen Szenarien einen zusätzlichen Nährboden für unfaire Auswahlverfahren, in denen kompetente Lieferanten von vornherein keine Chance haben. Südamerika bot vor einigen Jahrzehnten ähnliche Szenarien der Importsubstitution und Lokalisierung, wie wir sie in Russland erfahren. Auch die Definition des lokalen Lieferanten lässt viele Fragen offen. Für GEA in Russland engagieren sich über 500 Leute, davon mehr als 250 Ingenieure. 99 Prozent sind russische Staatsbürger, unsere Gesellschaften sind russische Tochtergesellschaften eines internationalen Maschinenbaukonzerns. Wir haben die höchsten Compliance-Standards, sind gewichtige Steuerzahler und zuverlässige Arbeitgeber und Partner. Trotzdem werden wir von namhaften russischen Unternehmen teilweise als „Ausländer“ betrachtet oder werden a priori mit Ausschreibungsbedingungen konfrontiert, die eine Teilnahme seriöser Unternehmen ausschließt.
Aber auch in diesem Bereich lassen sich vorsichtige positive Tendenzen erkennen, da viele Kunden kompromisslose Qualität erwarten und nicht bereit sind, sich mit Lieferanten zweiter Wahl abzugeben. Unsere drei Produktionswerke sind ein gutes Beispiel, dass sich auch ohne SPIK-Vertrag Investitionen lohnen können. Die Vorteile des SPIK-Vertrages erfordern eine Investition von weit über zehn Millionen Euro, für viele Mittelständler völlig unattraktiv. Allein unser Werk in Klimowsk erforderte weniger als fünf Prozent dieser Summe, um handlungsfähig zu sein. Mittlerweile haben wir innerhalb von fünf Jahren nicht einmal zehn Prozent der SPIK-Investitionssumme aufgebracht. Nach Russland führen also ganz verschiedene Wege.
Lesen Sie das vollständige Interview im Deutsch-Russischen Wirtschaftsjahrbuch 2020/2021. Hier bestellen.
Lokalisierung Insights: „Nach Russland führen ganz verschiedene Wege“
Oliver Cescotti, Präsident von GEA in Russland, Belarus, Kasachstan, Zentralasien und dem Kaukasus, über das langfristige Engagement seines Unternehmens in Russland und triftige Gründe für eine Lokalisierung der Produktion.
Das GEA-Werk in Klimowsk feierte 2020 sein fünfjähriges Jubiläum. Daneben betreibt GEA zwei weitere Produktionsstätten in Kolomna und Uslowaja. Aus welchen Gründen hatte sich GEA seinerzeit für einen Produktionsaufbau in Russland entschieden?
Unsere Produktionsunternehmen spiegeln die ständig steigenden Anforderungen an die Importsubstitution und Lokalisierung in Russland wider. Das enorme Potenzial des russischen Marktes kann man aus unserer Sicht nur mit einer starken lokalen Präsenz nutzen. Derzeit haben wir drei Produktionsbetriebe in Russland. In Kolomna fertigen wir aus galvanisiertem Metall Stallausrüstungen, die eine logische Ergänzung zu unseren schlüsselfertigen Milchproduktionsanlagen darstellen. In Uslowaya, in der Nähe von Tula, produzieren wir mit modernen Anlagen chemische Produkte für die Tierhygiene, die einen entscheidenden Beitrag für die Gesundheit der Kühe und damit einen hohen Milchertrag liefern. Unser jüngstes Unternehmen in Klimowsk ist ein multifunktionales Montagewerk, das aus der Notwendigkeit entstand, in sehr kurzer Zeit acht Gasverdichter-Stationen für Gazprom nach Sibirien zu liefern. Aufgrund fehlender Lieferanten und Lokalisierungsanforderungen unseres Kunden sahen wir die Chance, mit diesem Auftrag den Grundstein für das Montagewerk zu legen.
Die Überlegung, dieses Werk als strategischen Vorteil für GEA in Russland weiter auszubauen, führte zu einer wesentlichen Erweiterung des Produktionsportfolios. Mittlerweile bauen wir nicht nur Gasverdichtungs- und Kälteanlagen, sondern auch Separationsanlagen für verschiedene Industrien. Steigende Nachfrage sehen wir auch für unseren separaten Edelstahlbau, der für die Lebensmittelindustrie Anlagen liefert.
Mit welchen Herausforderungen wurden Sie beim Produktionsaufbau konfrontiert? Gab es Probleme bei der Suche nach qualifiziertem Personal oder im Bereich der Zulieferung?
Unsere Produktionen in Tula und Klimowsk unterscheiden sich wesentlich und spiegeln auch das Spektrum „Abenteuer Produktionsstandort Russland“ wider. In Tula wurden wir mit den Auflagen und Normen der chemischen Industrie konfrontiert und erlebten beim Ausbau eines angemieteten Gebäudes mit über 4.000 Quadratmetern viele Überraschungen mit den Aufsichtsbehörden. Dies führte zu Verzögerungen bei der Inbetriebnahme und einer Erhöhung der geplanten Ausgaben, aber mittlerweile haben wir die modernste Tierhygieneproduktion Russlands, und die steigende Nachfrage nach unseren Produkten bestätigt den Sinn dieser Investition. In Klimowsk haben wir eine Halle mit 2.500 Quadratmetern angemietet, die wenig Investitionen erforderte, und wir konnten schon nach drei Monaten mit der Produktion beginnen. In Klimowsk sind wir auf eine große Anzahl Zulieferer angewiesen, da es sich nicht um Serienfertigung handelt, und bemühen uns, so viel wie möglich lokal zu beziehen. Nennenswert sind hier positive Erfahrungen mit motivierten russischen Zulieferern, die aufgrund unseres Quality Management Coaching mittlerweile internationalen Qualitätsstandards entsprechen. Die Anzahl dieser Zulieferer ist leider gering, aber es ist eindeutig eine positive Tendenz zu beobachten. Ein permanentes stabiles Qualitätsmanagement der russischen Zulieferer ist eine der größten Herausforderungen für lokale Produktionen.
Bedingt durch die westlichen Sanktionen hat Russland in den letzten Jahren zahlreiche neue Wirtschaftsinitiativen vorangetrieben. Ein Beispiel ist die Lokalisierungspolitik, inkl. SPIK-Verträge. Wie bewerten Sie diese Initiativen?
Die Sanktionen haben Gegensanktionen bewirkt, die zu einer steigenden Nachfrage bei lokalen Produzenten geführt haben. Aus meiner Erfahrung sind die daraus resultierenden Wirtschaftsinitiativen sinnvoll, wenn sie „entpolitisiert“ werden. Die Bevorzugung von örtlichen Lieferanten nimmt zum Teil absurde Formen an und führt dann oftmals zu Qualitätseinbußen, die zulasten der Kunden gehen. Natürlich bieten solchen Szenarien einen zusätzlichen Nährboden für unfaire Auswahlverfahren, in denen kompetente Lieferanten von vornherein keine Chance haben. Südamerika bot vor einigen Jahrzehnten ähnliche Szenarien der Importsubstitution und Lokalisierung, wie wir sie in Russland erfahren. Auch die Definition des lokalen Lieferanten lässt viele Fragen offen. Für GEA in Russland engagieren sich über 500 Leute, davon mehr als 250 Ingenieure. 99 Prozent sind russische Staatsbürger, unsere Gesellschaften sind russische Tochtergesellschaften eines internationalen Maschinenbaukonzerns. Wir haben die höchsten Compliance-Standards, sind gewichtige Steuerzahler und zuverlässige Arbeitgeber und Partner. Trotzdem werden wir von namhaften russischen Unternehmen teilweise als „Ausländer“ betrachtet oder werden a priori mit Ausschreibungsbedingungen konfrontiert, die eine Teilnahme seriöser Unternehmen ausschließt.
Aber auch in diesem Bereich lassen sich vorsichtige positive Tendenzen erkennen, da viele Kunden kompromisslose Qualität erwarten und nicht bereit sind, sich mit Lieferanten zweiter Wahl abzugeben. Unsere drei Produktionswerke sind ein gutes Beispiel, dass sich auch ohne SPIK-Vertrag Investitionen lohnen können. Die Vorteile des SPIK-Vertrages erfordern eine Investition von weit über zehn Millionen Euro, für viele Mittelständler völlig unattraktiv. Allein unser Werk in Klimowsk erforderte weniger als fünf Prozent dieser Summe, um handlungsfähig zu sein. Mittlerweile haben wir innerhalb von fünf Jahren nicht einmal zehn Prozent der SPIK-Investitionssumme aufgebracht. Nach Russland führen also ganz verschiedene Wege.
Lesen Sie das vollständige Interview im Deutsch-Russischen Wirtschaftsjahrbuch 2020/2021. Hier bestellen.