Spätestens seit der Coronakrise 2020 hat der Digitalisierungsboom auch Deutschland erreicht.Kann man dabei von den Erfahrungen in Russland profitieren?
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat Deutschland es verpasst, eine flächendeckende Infrastruktur des Mobilfunks auszubauen. Besonders in den ländlichen Regionen herrscht noch Nachholbedarf. Laut des Mobilfunkstrategiepapiers des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) von 2019, soll die komplette Bundesrepublik mit dem LTE-Netz bis 2021/2022 abgedeckt werden. Schneller Mobilfunk vernetze die Regionen untereinander und mit der restlichen Welt, ermögliche in ein paar Jahren automatisiertes Fahren und stelle das Homeoffice an praktisch jedem Ort zur Verfügung. Doch solche Kommunikationssysteme sind anfällig, wie die jüngste Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 bewies.
Ganze Regionen in Rheinland-Pfalz und der Eifel erreichten Rekordpegel, sodass ganze Ortschaften von den Wassermassen völlig verwüstet wurden und mehr als 184 Menschen starben, 764 verletzt wurden und etliche noch vermisst werden. Während die Betroffenen mit Aufräumarbeiten beschäftigt sind, wird darüber diskutiert, ob man die vielen Toten durch ein besseres Frühwarmsystem hätte vermeiden können. Über 200.000 Menschen waren tagelang von Strom, dem Funknetz und somit von der Außenwelt getrennt. Kommunikation bei der Koordination und Durchführung von Rettungsarbeiten waren durch das lahmgelegte Funknetz erheblich beeinträchtig worden. Der Mobilfunk spielt in dieser Debatte eine wichtige Rolle, da dieser durch die Wassermassen in den betroffenen Gebieten komplett kollabiert ist.
Frühwarnung per Mobilfunk
Wäre der Mobilfunk eine geeignete Methode, um solchen Katastrophen vorzubeugen? Oder sind analoge Frühwarnsysteme – also klassische Sirenen – besser geeignet? Die Bundesrepublik baute nach dem Zweiten Weltkrieg zwar ein zentral gesteuertes Sirenennetz auf. Während der 1990er-Jahre stellte der Bund die Finanzierung jedoch ein und beauftragte die Kommunen mit der Instandhaltung dieser. Heutzutage gibt es kein flächendeckendes Sirenennetz mehr. Und selbst wenn man es wieder aufbauen sollte, wäre es im Ernstfall effizient genug? Vor allem den jüngeren Generationen ist der Klang einer solchen Sirene fremd und wüssten alle Bürger wirklich, was bei Sirenenalarm genau zu tun wäre? Der Staat müsste hierfür Bildungskonzepte planen und seine Bürger im Umgang schulen.
Das Mobilfunknetz genießt bei Katastrophen dagegen zwei entscheidende Vorteile gegenüber dem Sirenennetz. Es wäre theoretisch möglich, jeden Bürger frühzeitig z. B. per SMS zu warnen und genaue Anweisungen zu geben, bevor das komplette Netz kollabiert. Zudem existiert im Gegensatz zum Sirenennetz bereits die nötige Infrastruktur, um die Bevölkerung per SMS oder App zu benachrichtigen.
Russland als Vorbild?
Das Katastrophenschutzministerium der Russischen Föderation beispielsweise, bedient sich schon seit Jahren dieser Praxis und informiert seine Bürger über aufkommende Stürme oder Katastrophen per Cell-Broadcasting. Da über 90 Prozent der deutschen ein Mobiltelefon besitzen, könnte auch in Deutschland jeder mit dieser Methode frühzeitig gewarnt werden. Leider bedarf es in Deutschland rechtlich der expliziten Zustimmung des Verbrauchers, um solche SMS empfangen zu dürfen. Die EU hinkt leider auch hinterher und plant erst bis 2022, ein verpflichtendes Warnsystem für alle Mitgliedstaaten einzuführen.
Russland geht bei diesem Thema viel pragmatischer vor. Die Mobilfunkabdeckung in Russland ist auf dem Land teilweise sogar viel besser ausgebaut als in Deutschland. Dafür sorgen leistungsstarke Antennen, die einen weitaus größeren Radius abdecken. Außerdem erleichtert die russische Gesetzgebung unbürokratischeres Vorgehen sowohl beim Bau als auch beim Datenschutz, während in Deutschland beides den Mobilfunkausbau verlangsamen.
Ganz ohne Mobilfunk werden wir in Zukunft bei der Katastrophenvorbeugung nicht auskommen, denn: Trotz Sirenen hängt die Kommunikation auch am Funknetz. Vielmehr braucht es den Mut der Bürger und den Willen der Politik, um sich dem Fortschritt der Technologien anzupassen. Wir werden uns weltweit vor immer öfter und vielleicht auch härter auftretenden Umweltkatastrophen nicht verstecken können. Was wir aber machen können ist, unsere Einstellung gegenüber den Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung und dem Mobilfunk zu ändern. Denn es wäre für Deutschland ein zweites Mal unvorteilhaft, sich dem globalen Trend der grenzenlosen Vernetzung entgegenzusetzen.
Sajgaschew kommentiert: Digitalisierung im Stresstest – Wie kann der Mobilfunk bei Naturkatastrophen frühzeitig warnen?
Spätestens seit der Coronakrise 2020 hat der Digitalisierungsboom auch Deutschland erreicht. Kann man dabei von den Erfahrungen in Russland profitieren?
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat Deutschland es verpasst, eine flächendeckende Infrastruktur des Mobilfunks auszubauen. Besonders in den ländlichen Regionen herrscht noch Nachholbedarf. Laut des Mobilfunkstrategiepapiers des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) von 2019, soll die komplette Bundesrepublik mit dem LTE-Netz bis 2021/2022 abgedeckt werden. Schneller Mobilfunk vernetze die Regionen untereinander und mit der restlichen Welt, ermögliche in ein paar Jahren automatisiertes Fahren und stelle das Homeoffice an praktisch jedem Ort zur Verfügung. Doch solche Kommunikationssysteme sind anfällig, wie die jüngste Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 bewies.
Ganze Regionen in Rheinland-Pfalz und der Eifel erreichten Rekordpegel, sodass ganze Ortschaften von den Wassermassen völlig verwüstet wurden und mehr als 184 Menschen starben, 764 verletzt wurden und etliche noch vermisst werden. Während die Betroffenen mit Aufräumarbeiten beschäftigt sind, wird darüber diskutiert, ob man die vielen Toten durch ein besseres Frühwarmsystem hätte vermeiden können. Über 200.000 Menschen waren tagelang von Strom, dem Funknetz und somit von der Außenwelt getrennt. Kommunikation bei der Koordination und Durchführung von Rettungsarbeiten waren durch das lahmgelegte Funknetz erheblich beeinträchtig worden. Der Mobilfunk spielt in dieser Debatte eine wichtige Rolle, da dieser durch die Wassermassen in den betroffenen Gebieten komplett kollabiert ist.
Frühwarnung per Mobilfunk
Wäre der Mobilfunk eine geeignete Methode, um solchen Katastrophen vorzubeugen? Oder sind analoge Frühwarnsysteme – also klassische Sirenen – besser geeignet? Die Bundesrepublik baute nach dem Zweiten Weltkrieg zwar ein zentral gesteuertes Sirenennetz auf. Während der 1990er-Jahre stellte der Bund die Finanzierung jedoch ein und beauftragte die Kommunen mit der Instandhaltung dieser. Heutzutage gibt es kein flächendeckendes Sirenennetz mehr. Und selbst wenn man es wieder aufbauen sollte, wäre es im Ernstfall effizient genug? Vor allem den jüngeren Generationen ist der Klang einer solchen Sirene fremd und wüssten alle Bürger wirklich, was bei Sirenenalarm genau zu tun wäre? Der Staat müsste hierfür Bildungskonzepte planen und seine Bürger im Umgang schulen.
Das Mobilfunknetz genießt bei Katastrophen dagegen zwei entscheidende Vorteile gegenüber dem Sirenennetz. Es wäre theoretisch möglich, jeden Bürger frühzeitig z. B. per SMS zu warnen und genaue Anweisungen zu geben, bevor das komplette Netz kollabiert. Zudem existiert im Gegensatz zum Sirenennetz bereits die nötige Infrastruktur, um die Bevölkerung per SMS oder App zu benachrichtigen.
Russland als Vorbild?
Das Katastrophenschutzministerium der Russischen Föderation beispielsweise, bedient sich schon seit Jahren dieser Praxis und informiert seine Bürger über aufkommende Stürme oder Katastrophen per Cell-Broadcasting. Da über 90 Prozent der deutschen ein Mobiltelefon besitzen, könnte auch in Deutschland jeder mit dieser Methode frühzeitig gewarnt werden. Leider bedarf es in Deutschland rechtlich der expliziten Zustimmung des Verbrauchers, um solche SMS empfangen zu dürfen. Die EU hinkt leider auch hinterher und plant erst bis 2022, ein verpflichtendes Warnsystem für alle Mitgliedstaaten einzuführen.
Russland geht bei diesem Thema viel pragmatischer vor. Die Mobilfunkabdeckung in Russland ist auf dem Land teilweise sogar viel besser ausgebaut als in Deutschland. Dafür sorgen leistungsstarke Antennen, die einen weitaus größeren Radius abdecken. Außerdem erleichtert die russische Gesetzgebung unbürokratischeres Vorgehen sowohl beim Bau als auch beim Datenschutz, während in Deutschland beides den Mobilfunkausbau verlangsamen.
Ganz ohne Mobilfunk werden wir in Zukunft bei der Katastrophenvorbeugung nicht auskommen, denn: Trotz Sirenen hängt die Kommunikation auch am Funknetz. Vielmehr braucht es den Mut der Bürger und den Willen der Politik, um sich dem Fortschritt der Technologien anzupassen. Wir werden uns weltweit vor immer öfter und vielleicht auch härter auftretenden Umweltkatastrophen nicht verstecken können. Was wir aber machen können ist, unsere Einstellung gegenüber den Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung und dem Mobilfunk zu ändern. Denn es wäre für Deutschland ein zweites Mal unvorteilhaft, sich dem globalen Trend der grenzenlosen Vernetzung entgegenzusetzen.
Andreas Sajgaschew
Mobilfunkexperte