Hoffnung auf Bekämpfung der Corona-Krisenfolgen oder kurzfristige Konjunkturbelebung?
Die zuletzt veröffentlichten BIP-Prognosen sind sowohl in Russland als auch in Deutschland und erst recht in den Vereinigten Staaten überraschend optimistisch ausgefallen. Wie sind denn solche Daten inmitten der weltweit andauernden Pandemie überhaupt erklärbar? Sind sie etwa das Ergebnis eines rasch erfolgten Strukturwandels, von unerwartet schnell entwickelten, alternativen Unternehmensstrategien und Marktkonzepten mit langfristig positiven Auswirkungen auf ein wiederbelebtes Wirtschaftswachstum? Oder ist es lediglich eine unmittelbare, kurzfristige Erholung aufgrund der während der Coronakrise betriebenen nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik?
Die im Juli 2021 vom russischen Wirtschaftsministerium veröffentlichten Konjunkturprognosen sagen mit 3,8 Prozent eine noch höhere BIP-Wachstumsrate voraus als die zuletzt im April erwarteten 2,9 Prozent. Eine noch optimistischere Konjunkturprognose kommt von der russischen Zentralbank, die für 2021 eine BIP-Wachstumsrate von vier bis 4,5 Prozent prophezeit. Dies steht im klaren Widerspruch zu den zuletzt eingeführten Corona-bedingten Einschränkungen z. B. für den Einzelhandel, lässt sich aber durch die erwartete konjunkturelle Erholung der Weltwirtschaft sowie die im Juli erfolgte Entscheidung von OPEC+ über die Ausweitung der Ölförderungsquoten erklären. Auch die für 2022 und 2023 prognostizierten Wachstumsraten von 3,2 Prozent bzw. drei Prozent übersteigen den in der Vor-Corona-Zeit zwischen 2012 und 2019 beobachteten durchschnittlichen jährlichen BIP-Zuwachs von lediglich 0,5 Prozent sehr deutlich.
Die aktuellen Konjunkturvorhersagen für die deutsche Volkswirtschaft im Jahre 2021 schwanken zwischen 3,3 Prozent (ifo München) und 3,9 Prozent (Institut für Weltwirtschaft Kiel). Im Gegensatz zu Russland haben aber die deutschen Konjunkturforscher ihre Prognosen im Vergleich zu denen vom Frühjahr um etwa 0,4 Prozent gesenkt. Zwar verbessert sich die Konjunktur mit zunehmendem Impffortschritt und verstärkter Nachfrage nach Exportgütern, doch die steigenden Engpässe bei der Materialbeschaffung in Schlüsselbranchen wie der Automobilproduktion oder der Bauindustrie (es wird immer wieder von Knappheit von elektrischen Komponenten, Metallen und chemischen Erzeugnissen berichtet) wirken diesem Schwung auf der Angebotsseite entgegen. Dies spiegelt sich auch in den Absichten der Unternehmen wider, ihre Preise anzuheben, was eine noch höhere Inflationsrate herbeiführt. Erst wenn das Risiko eines eventuellen Lockdowns im Falle der vierten Pandemiewelle abgewendet ist und die Engpässe bei der Materialbeschaffung überwunden sind, kann man damit rechnen, dass das BIP-Niveau aus den Zeiten vor dem Corona-Abschwung wieder erreicht wird. Gleichwohl ist die beobachtete Erholung der Weltwirtschaft ein Beitrag zur Wiederbelebung der Nachfrage für Exportnationen wie Deutschland oder Russland.
In den Vereinigten Staaten wird laut Wirtschaftsauguren für 2021 eine noch höhere BIP-Wachstumsrate von 6,6 Prozent erwartet. Experten zufolge erklärt sich diese Zahl fast ausschließlich durch Wiederbelebung der Konsumentenzuversicht im Dienstleistungssektor und direkte Fiskalstimulierung – die im Juni in einem breiten Konsens vom US-Kongress verabschiedeten Infrastrukturausgaben von 1,2 Trillionen US-Dollar sowie die seit Juli praktizierte Auszahlung von staatlichen Zuwendungen an Familien mit Kindern in Höhe von insgesamt 100 Milliarden US-Dollar.
Also wird deutlich, dass die grundlegende treibende Kraft des gegenwärtig erwarteten Aufschwungs in der sich erholenden Kaufkraft der Konsumenten sowie in der Erholung der Nachfrage nach Exportgütern besteht, während Indizien eines deutlichen Strukturwandels und eines Umstiegs auf neue Technologien in der (Post)-Covid-Realität als entscheidende Voraussetzungen eines langfristigen Wirtschaftswachstums nur bedingt vorhanden sind.
Ilja Neustadt, Dr. oec. publ., Associate Professor an der Präsidenten-Akademie RANEPA Moskau (Russian Academy for National Economy and Public Administration)
Kommentar: Überraschend zuversichtliche Wirtschaftsprognosen
Hoffnung auf Bekämpfung der Corona-Krisenfolgen oder kurzfristige Konjunkturbelebung?
Die zuletzt veröffentlichten BIP-Prognosen sind sowohl in Russland als auch in Deutschland und erst recht in den Vereinigten Staaten überraschend optimistisch ausgefallen. Wie sind denn solche Daten inmitten der weltweit andauernden Pandemie überhaupt erklärbar? Sind sie etwa das Ergebnis eines rasch erfolgten Strukturwandels, von unerwartet schnell entwickelten, alternativen Unternehmensstrategien und Marktkonzepten mit langfristig positiven Auswirkungen auf ein wiederbelebtes Wirtschaftswachstum? Oder ist es lediglich eine unmittelbare, kurzfristige Erholung aufgrund der während der Coronakrise betriebenen nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik?
Die im Juli 2021 vom russischen Wirtschaftsministerium veröffentlichten Konjunkturprognosen sagen mit 3,8 Prozent eine noch höhere BIP-Wachstumsrate voraus als die zuletzt im April erwarteten 2,9 Prozent. Eine noch optimistischere Konjunkturprognose kommt von der russischen Zentralbank, die für 2021 eine BIP-Wachstumsrate von vier bis 4,5 Prozent prophezeit. Dies steht im klaren Widerspruch zu den zuletzt eingeführten Corona-bedingten Einschränkungen z. B. für den Einzelhandel, lässt sich aber durch die erwartete konjunkturelle Erholung der Weltwirtschaft sowie die im Juli erfolgte Entscheidung von OPEC+ über die Ausweitung der Ölförderungsquoten erklären. Auch die für 2022 und 2023 prognostizierten Wachstumsraten von 3,2 Prozent bzw. drei Prozent übersteigen den in der Vor-Corona-Zeit zwischen 2012 und 2019 beobachteten durchschnittlichen jährlichen BIP-Zuwachs von lediglich 0,5 Prozent sehr deutlich.
Die aktuellen Konjunkturvorhersagen für die deutsche Volkswirtschaft im Jahre 2021 schwanken zwischen 3,3 Prozent (ifo München) und 3,9 Prozent (Institut für Weltwirtschaft Kiel). Im Gegensatz zu Russland haben aber die deutschen Konjunkturforscher ihre Prognosen im Vergleich zu denen vom Frühjahr um etwa 0,4 Prozent gesenkt. Zwar verbessert sich die Konjunktur mit zunehmendem Impffortschritt und verstärkter Nachfrage nach Exportgütern, doch die steigenden Engpässe bei der Materialbeschaffung in Schlüsselbranchen wie der Automobilproduktion oder der Bauindustrie (es wird immer wieder von Knappheit von elektrischen Komponenten, Metallen und chemischen Erzeugnissen berichtet) wirken diesem Schwung auf der Angebotsseite entgegen. Dies spiegelt sich auch in den Absichten der Unternehmen wider, ihre Preise anzuheben, was eine noch höhere Inflationsrate herbeiführt. Erst wenn das Risiko eines eventuellen Lockdowns im Falle der vierten Pandemiewelle abgewendet ist und die Engpässe bei der Materialbeschaffung überwunden sind, kann man damit rechnen, dass das BIP-Niveau aus den Zeiten vor dem Corona-Abschwung wieder erreicht wird. Gleichwohl ist die beobachtete Erholung der Weltwirtschaft ein Beitrag zur Wiederbelebung der Nachfrage für Exportnationen wie Deutschland oder Russland.
In den Vereinigten Staaten wird laut Wirtschaftsauguren für 2021 eine noch höhere BIP-Wachstumsrate von 6,6 Prozent erwartet. Experten zufolge erklärt sich diese Zahl fast ausschließlich durch Wiederbelebung der Konsumentenzuversicht im Dienstleistungssektor und direkte Fiskalstimulierung – die im Juni in einem breiten Konsens vom US-Kongress verabschiedeten Infrastrukturausgaben von 1,2 Trillionen US-Dollar sowie die seit Juli praktizierte Auszahlung von staatlichen Zuwendungen an Familien mit Kindern in Höhe von insgesamt 100 Milliarden US-Dollar.
Also wird deutlich, dass die grundlegende treibende Kraft des gegenwärtig erwarteten Aufschwungs in der sich erholenden Kaufkraft der Konsumenten sowie in der Erholung der Nachfrage nach Exportgütern besteht, während Indizien eines deutlichen Strukturwandels und eines Umstiegs auf neue Technologien in der (Post)-Covid-Realität als entscheidende Voraussetzungen eines langfristigen Wirtschaftswachstums nur bedingt vorhanden sind.
Ilja Neustadt, Dr. oec. publ., Associate Professor an der Präsidenten-Akademie RANEPA Moskau
(Russian Academy for National Economy and Public Administration)