Digital bezahlen? Da winken in Deutschland die meisten Menschen noch ab. In China dagegen läuft fast nichts mehr ohne Smartphone. Für ausländische Besucher ist das mitunter gar nicht so einfach.
Fünf Jahre lang kein Alipay- oder WeChat-Pay-Konto eröffnen dürfen und alle Zahlungen per Bargeld erledigen müssen, so lautete im November 2020 die offizielle Strafe für mehr als 2.400 SIM- und Bankkartenbetrüger in der südchinesischen Provinz Guangdong. Für die meisten Deutschen dürfte dieses Urteil ziemlich milde klingen, nicht jedoch für Chinesen, die den Verurteilten in den sozialen Medien das „soziale Aus“ prognostizierten. Und in der Tat läuft in China, zumindest in den Städten, nichts mehr ohne Handy und „mobile wallet“. Selbst eine einfache U-Bahn-Fahrt wird mit Bargeld zum diffizilen Unterfangen – denn wo bitte ist der letzte einsame Automat versteckt, der noch Scheine oder Münzen akzeptiert? Auch im Taxi, auf dem Markt oder im Restaurant ist mobiles Bezahlen absolut gängig. Spätestens beim ersten Straßenmusiker, der neben dem Hut einen QR-Code auslegt, wird dem Besucher in China klar: Im Reich der Mitte funktioniert Bezahlen mittlerweile anders als zu Hause.
Begeisterung für mobiles Bezahlen ist groß Bargeld ist out und im Grunde nur noch etwas für Ausländer und Unverbesserliche, die sich der Digitalisierung des Lebens verweigern. Und davon gibt es in China nicht mehr allzu viele. „Ende 2020 nutzten insgesamt 853 Millionen Menschen in China mobile Bezahlsysteme“, erklärt Du Jing, Abteilungsleiterin Digital & Communication Services der AHK Greater China in Peking – also ein überwiegender Teil der rund 1,14 Milliarden über 14-Jährigen in China. Und dies bis ins hohe Alter, „denn die Affinität zu neuen Techniken ist in China groß“, so Du Jing. Das in Europa unter Senioren verbreitete „das ist doch nichts mehr für mich“ hört man dort selten.
Kein anderes Land der Welt hat das mobile Bezahlen so schnell und begeistert angenommen wie China. Etliche Faktoren spielten dabei eine Rolle: „Der Ausbau der digitalen Infrastruktur und die hohe Smartphonedichte zum Beispiel“, unterstreicht Du Jing; immerhin mehr als 900 Millionen Menschen besitzen eines, Tendenz steigend. Und natürlich der Siegeszug des Onlineshoppings. Genau hier liegen daher auch die Ursprünge des mobilen Bezahlens: 2004 schuf die Ant Financial Services Group die App Alipay als Bezahlsystem für die Online-Shoppingplattform Taobao, 2011 folgte die allgegenwärtige Plattform WeChat von Tencent Holdings Ltd. mit WeChat Pay. „Mittlerweile hat WeChat Pay jährlich 1,151 Milliarden aktive Nutzer“, erklärt Du Jing. Ursprünglich ein klassisches Chat-Programm ist WeChat heute aus dem chinesischen Alltag nicht mehr wegzudenken, nicht zuletzt weil man über die App beispielsweise auch Arzttermine vereinbaren, ein Taxi rufen oder Hotelzimmer buchen – und eben auch alles mit wenigen Klicks bezahlen kann. Mit der Alipay-App von Ant lassen sich zudem Geldanlage, Versicherungen und Altersvorsorge erledigen. Für den Nutzer interessant sind auch die zahlreichen Rabattcoupons und Sonderaktionen, mit denen Unternehmen auf beiden Plattformen werben.
Für Besucher nur begrenzt verfügbar Doch wie funktioniert das mobile Bezahlen eigentlich genau? Die mit Abstand wichtigsten Anbieter mobiler Zahlmethoden, der „mobile wallets“, sind besagtes Alipay und WeChat Pay. Um sie zu nutzen, braucht man ein chinesisches Bankkonto, ein Smartphone mit Internetzugang und die jeweilige App, die man im Google Playstore oder im App Store findet. Sobald die App mit dem Bankkonto verbunden und die Identität überprüft ist, kann es sofort losgehen: Logos und QR-Codes an der Kasse oder auf dem Markt zeigen dabei auf den ersten Blick, ob und mit welcher App man zahlen kann. Entweder generiert der Kunde selbst einen sogenannten dynamischen Strichcode, der vom Verkäufer mit einem Scanner gelesen wird. Oder der Verkäufer legt einen gedruckten statischen QR-Code aus, den der Käufer mit seiner App scannt. Diese Lösung wird von kleinen Unternehmen und Markthändlern – und sogar Bettlern! – favorisiert, die keine aufwendigen Lesegeräte besitzen. „Pro Tag können Händler so bis zu 500 Yuan einnehmen“, erläutert Du Jing, „während die Bezahlung per Code in vier Sicherheitsstufen mit unterschiedlichen Transaktionsverifizierungsmethoden unterteilt ist. In der höchsten Stufe sind die Summen theoretisch unbegrenzt.“ Doch wie behält man da noch den Überblick? „In beiden Fällen erhält der Nutzer – wenn das mit dem mobilen Bezahlsystem verbundene Bankkonto einen Benachrichtigungsdienst hat – für jede Transaktion eine SMS aufs Handy, und natürlich lassen sich Bezahlvorgänge in der App nachvollziehen“, so Du Jing.
Bleibt die Frage: Wie können ausländische Besucher die mobilen Bezahlsysteme nutzen? Schließlich haben die wenigsten ein chinesisches Bankkonto, das sie mit den Bezahl-Apps verbinden könnten. „Seit November 2019 kooperiert WeChat Pay mit internationalen Kreditkartenunternehmen, sodass Besucher immerhin in Geschäften und Restaurants bezahlen können, die internationale Kreditkarten akzeptieren“, erklärt Du Jing. „Alipay wiederum bietet in der integrierten ‚Tour Pass‘-Option eine digitale Prepaidkarte in Kooperation mit der Bank of Shanghai und ermöglicht so mobiles Bezahlen für Besucher.“ Wichtig ist: Natürlich braucht man in jedem Fall auch eine günstige Internetverbindung, idealerweise nicht über den Auslandstarif des europäischen Mobilfunkanbieters, sondern per „portable WiFi“, wie man sie bei der Ankunft am Flughafen für einige Euros am Tag mieten kann.
Beide Lösungen decken nicht alle Lebensbereiche ab, sind aber ein erster Schritt. Beruhigend ist es daher zu wissen, dass alle Händler und gastronomischen Betriebe gesetzlich verpflichtet sind, Bargeld anzunehmen, auch wenn sie es oft nicht mehr gerne tun. Mit dieser Vorschrift will der chinesische Staat verhindern, dass die Menschen das Vertrauen in das Bargeld verlieren. Einen Weg zurück gibt es wohl dennoch nicht: Durch den Lockdown und die Hygienevorschriften in der Coronakrise wurde das mobile Bezahlen zudem noch ein wenig beliebter. Freilich ist dieser Trend nicht ohne Nachteile: Die Daten der Bezahlvorgänge sind auch den staatlichen Stellen in China zugänglich, warnen westliche Geheimdienste; wer sie benutzt, muss auch als Besucher damit rechnen, dass alle finanziellen Aktivitäten nachvollziehbar sind. Teils empfehlen diese Fachleute sogar, für die Verwendung von Alipay und WeChat Pay separate Smartphones zu verwenden und nach der Chinareise zu entsorgen. Ob es gleich so ein drastischer Schritt sein muss, sollten Geschäftsreisende (wenn China-Reisen wieder möglich sind) zumindest mit dem Arbeitgeber besprechen.
Nicht nur in China Ohnehin sind die chinesischen Systeme längst auch international präsent: Seit 2019 können chinesische Besucher beispielsweise bei der deutschen Drogeriekette dm mit Alipay bezahlen. Und das ist nur ein Beispiel. „Zusätzlich zu den Onlinezahlungen expandiert Alipay auch bei In-Store-Offline-Zahlungen innerhalb und außerhalb Chinas. In Übersee deckt Alipay so aktuell über 50 Länder und Regionen ab. Steuerrückerstattung über Alipay ist zudem in 35 Ländern und Regionen möglich“, heißt es auf der Webseite des Unternehmens. Im Ausland kooperiert Alipay mit zahlreichen lokalen Anbietern, wie dem indischen Paytm, dem indonesischen DANA, bCash in Bangladesch, TnGD in Malaysia, KakaoPay in Korea, TrueMoney in Thailand und vielen anderen. Insgesamt 1,3 Milliarden Nutzer kommen so zusammen, so die eigene Webseite.
Wer mehr über die Auslandsexpansionspläne der beiden Big Player wissen will, trifft jedoch schnell auf Grenzen. Weder Alipay noch Tencent reagieren auf Presseanfragen, und geben derzeit keine Statements – egal zu welchen Themen. Ob dies am derzeitigen politischen Druck im Inland liegt? Auch dies ist nur eine Vermutung. Dem Trend zum digitalen Bezahlen in China tut es jedenfalls keinen Abbruch.
Nicht ohne mein Handy
Digital bezahlen? Da winken in Deutschland die meisten Menschen noch ab. In China dagegen läuft fast nichts mehr ohne Smartphone. Für ausländische Besucher ist das mitunter gar nicht so einfach.
Fünf Jahre lang kein Alipay- oder WeChat-Pay-Konto eröffnen dürfen und alle Zahlungen per Bargeld erledigen müssen, so lautete im November 2020 die offizielle Strafe für mehr als 2.400 SIM- und Bankkartenbetrüger in der südchinesischen Provinz Guangdong. Für die meisten Deutschen dürfte dieses Urteil ziemlich milde klingen, nicht jedoch für Chinesen, die den Verurteilten in den sozialen Medien das „soziale Aus“ prognostizierten. Und in der Tat läuft in China, zumindest in den Städten, nichts mehr ohne Handy und „mobile wallet“. Selbst eine einfache U-Bahn-Fahrt wird mit Bargeld zum diffizilen Unterfangen – denn wo bitte ist der letzte einsame Automat versteckt, der noch Scheine oder Münzen akzeptiert? Auch im Taxi, auf dem Markt oder im Restaurant ist mobiles Bezahlen absolut gängig. Spätestens beim ersten Straßenmusiker, der neben dem Hut einen QR-Code auslegt, wird dem Besucher in China klar: Im Reich der Mitte funktioniert Bezahlen mittlerweile anders als zu Hause.
Begeisterung für mobiles Bezahlen ist groß
Bargeld ist out und im Grunde nur noch etwas für Ausländer und Unverbesserliche, die sich der Digitalisierung des Lebens verweigern. Und davon gibt es in China nicht mehr allzu viele. „Ende 2020 nutzten insgesamt 853 Millionen Menschen in China mobile Bezahlsysteme“, erklärt Du Jing, Abteilungsleiterin Digital & Communication Services der AHK Greater China in Peking – also ein überwiegender Teil der rund 1,14 Milliarden über 14-Jährigen in China. Und dies bis ins hohe Alter, „denn die Affinität zu neuen Techniken ist in China groß“, so Du Jing. Das in Europa unter Senioren verbreitete „das ist doch nichts mehr für mich“ hört man dort selten.
Kein anderes Land der Welt hat das mobile Bezahlen so schnell und begeistert angenommen wie China. Etliche Faktoren spielten dabei eine Rolle: „Der Ausbau der digitalen Infrastruktur und die hohe Smartphonedichte zum Beispiel“, unterstreicht Du Jing; immerhin mehr als 900 Millionen Menschen besitzen eines, Tendenz steigend. Und natürlich der Siegeszug des Onlineshoppings. Genau hier liegen daher auch die Ursprünge des mobilen Bezahlens: 2004 schuf die Ant Financial Services Group die App Alipay als Bezahlsystem für die Online-Shoppingplattform Taobao, 2011 folgte die allgegenwärtige Plattform WeChat von Tencent Holdings Ltd. mit WeChat Pay. „Mittlerweile hat WeChat Pay jährlich 1,151 Milliarden aktive Nutzer“, erklärt Du Jing. Ursprünglich ein klassisches Chat-Programm ist WeChat heute aus dem chinesischen Alltag nicht mehr wegzudenken, nicht zuletzt weil man über die App beispielsweise auch Arzttermine vereinbaren, ein Taxi rufen oder Hotelzimmer buchen – und eben auch alles mit wenigen Klicks bezahlen kann. Mit der Alipay-App von Ant lassen sich zudem Geldanlage, Versicherungen und Altersvorsorge erledigen. Für den Nutzer interessant sind auch die zahlreichen Rabattcoupons und Sonderaktionen, mit denen Unternehmen auf beiden Plattformen werben.
Für Besucher nur begrenzt verfügbar
Doch wie funktioniert das mobile Bezahlen eigentlich genau? Die mit Abstand wichtigsten Anbieter mobiler Zahlmethoden, der „mobile wallets“, sind besagtes Alipay und WeChat Pay. Um sie zu nutzen, braucht man ein chinesisches Bankkonto, ein Smartphone mit Internetzugang und die jeweilige App, die man im Google Playstore oder im App Store findet. Sobald die App mit dem Bankkonto verbunden und die Identität überprüft ist, kann es sofort losgehen: Logos und QR-Codes an der Kasse oder auf dem Markt zeigen dabei auf den ersten Blick, ob und mit welcher App man zahlen kann. Entweder generiert der Kunde selbst einen sogenannten dynamischen Strichcode, der vom Verkäufer mit einem Scanner gelesen wird. Oder der Verkäufer legt einen gedruckten statischen QR-Code aus, den der Käufer mit seiner App scannt. Diese Lösung wird von kleinen Unternehmen und Markthändlern – und sogar Bettlern! – favorisiert, die keine aufwendigen Lesegeräte besitzen. „Pro Tag können Händler so bis zu 500 Yuan einnehmen“, erläutert Du Jing, „während die Bezahlung per Code in vier Sicherheitsstufen mit unterschiedlichen Transaktionsverifizierungsmethoden unterteilt ist. In der höchsten Stufe sind die Summen theoretisch unbegrenzt.“ Doch wie behält man da noch den Überblick? „In beiden Fällen erhält der Nutzer – wenn das mit dem mobilen Bezahlsystem verbundene Bankkonto einen Benachrichtigungsdienst hat – für jede Transaktion eine SMS aufs Handy, und natürlich lassen sich Bezahlvorgänge in der App nachvollziehen“, so Du Jing.
Bleibt die Frage: Wie können ausländische Besucher die mobilen Bezahlsysteme nutzen? Schließlich haben die wenigsten ein chinesisches Bankkonto, das sie mit den Bezahl-Apps verbinden könnten. „Seit November 2019 kooperiert WeChat Pay mit internationalen Kreditkartenunternehmen, sodass Besucher immerhin in Geschäften und Restaurants bezahlen können, die internationale Kreditkarten akzeptieren“, erklärt Du Jing. „Alipay wiederum bietet in der integrierten ‚Tour Pass‘-Option eine digitale Prepaidkarte in Kooperation mit der Bank of Shanghai und ermöglicht so mobiles Bezahlen für Besucher.“ Wichtig ist: Natürlich braucht man in jedem Fall auch eine günstige Internetverbindung, idealerweise nicht über den Auslandstarif des europäischen Mobilfunkanbieters, sondern per „portable WiFi“, wie man sie bei der Ankunft am Flughafen für einige Euros am Tag mieten kann.
Beide Lösungen decken nicht alle Lebensbereiche ab, sind aber ein erster Schritt. Beruhigend ist es daher zu wissen, dass alle Händler und gastronomischen Betriebe gesetzlich verpflichtet sind, Bargeld anzunehmen, auch wenn sie es oft nicht mehr gerne tun. Mit dieser Vorschrift will der chinesische Staat verhindern, dass die Menschen das Vertrauen in das Bargeld verlieren. Einen Weg zurück gibt es wohl dennoch nicht: Durch den Lockdown und die Hygienevorschriften in der Coronakrise wurde das mobile Bezahlen zudem noch ein wenig beliebter. Freilich ist dieser Trend nicht ohne Nachteile: Die Daten der Bezahlvorgänge sind auch den staatlichen Stellen in China zugänglich, warnen westliche Geheimdienste; wer sie benutzt, muss auch als Besucher damit rechnen, dass alle finanziellen Aktivitäten nachvollziehbar sind. Teils empfehlen diese Fachleute sogar, für die Verwendung von Alipay und WeChat Pay separate Smartphones zu verwenden und nach der Chinareise zu entsorgen. Ob es gleich so ein drastischer Schritt sein muss, sollten Geschäftsreisende (wenn China-Reisen wieder möglich sind) zumindest mit dem Arbeitgeber besprechen.
Nicht nur in China
Ohnehin sind die chinesischen Systeme längst auch international präsent: Seit 2019 können chinesische Besucher beispielsweise bei der deutschen Drogeriekette dm mit Alipay bezahlen. Und das ist nur ein Beispiel. „Zusätzlich zu den Onlinezahlungen expandiert Alipay auch bei In-Store-Offline-Zahlungen innerhalb und außerhalb Chinas. In Übersee deckt Alipay so aktuell über 50 Länder und Regionen ab. Steuerrückerstattung über Alipay ist zudem in 35 Ländern und Regionen möglich“, heißt es auf der Webseite des Unternehmens. Im Ausland kooperiert Alipay mit zahlreichen lokalen Anbietern, wie dem indischen Paytm, dem indonesischen DANA, bCash in Bangladesch, TnGD in Malaysia, KakaoPay in Korea, TrueMoney in Thailand und vielen anderen. Insgesamt 1,3 Milliarden Nutzer kommen so zusammen, so die eigene Webseite.
Wer mehr über die Auslandsexpansionspläne der beiden Big Player wissen will, trifft jedoch schnell auf Grenzen. Weder Alipay noch Tencent reagieren auf Presseanfragen, und geben derzeit keine Statements – egal zu welchen Themen. Ob dies am derzeitigen politischen Druck im Inland liegt? Auch dies ist nur eine Vermutung. Dem Trend zum digitalen Bezahlen in China tut es jedenfalls keinen Abbruch.
Françoise Hauser
Dieser Beitrag ist in ChinaContact 4-2021 erschienen.