Aktuell herrscht viel Sorge um die Vorgänge in Kasachstan in der deutschen Unternehmensgemeinde. Hovsep Voskanyan, Delegierter der deutschen Wirtschaft in Zentralasien, gibt eine Einschätzung aus erster Hand.
Sehr geehrte Damen und Herren,
aktuell herrscht viel Sorge um die Vorgänge in Kasachstan in der deutschen Unternehmensgemeinde. Der Informationsbedarf ist immens und wir erhalten eine Vielzahl von Anfragen. Wir melden uns erst jetzt bei Ihnen, da die Internetverbindung seit dem 05.01.2022 in Almaty nahezu durchgehend unterbrochen und eine Kontaktaufnahme nicht möglich war. Seit gestern gibt es für wenige Stunden pro Tag eine Verbindung. Wir möchten Sie gerne über die Vorgänge in Kasachstan informieren. Unsere Informationen zu den Vorgängen stützen sich auf Augenzeugenberichte unserer Mitarbeiter vor Ort, Vertreter der deutschen Wirtschaft und weiterer Personen, die in der Stadt leben und die Vorgänge selbst beobachten konnten.
In Almaty herrschten in den letzten fünf Tagen zwischenzeitlich kriegsähnliche Zustände. Die größtenteils friedlichen und zunächst wirtschaftlich motivierten Demonstrationen, die am 02.01. in der Manghysstauer Region angefangen und sich am 04.01. auf das ganze Land ausgeweitet hatten, wurden in Almaty und in einigen anderen Städten des Landes am späten Nachmittag des 05.01. von paramilitärischen Gruppen im Zuge eines versuchten Staatsstreichs abgelöst. Die Aufständischen, die bemerkenswert gut organisiert waren und mit militärischer Präzision neuralgische Punkte, wie Fernsehsender und Polizeistationen, sowie Waffendepots angriffen, haben zwischen dem 06.01. und 08.01. einen beträchtlichen Teil der Stadt unter ihre Kontrolle gebracht.
Dabei wurden den Sicherheitskräften abgenommene, aus den eingenommenen Waffendepots gestohlene bzw. bereits im Besitz befindliche Automatik- und großkalibrige Waffen, sowie auch schweres Gerät wie Panzerwagen benutzt. Das Bürgermeisteramt wurde eingenommen und niedergebrannt. Ebenso besetzt und/oder zum Teil niedergebrannt wurden der Präsidentenpalast, das Gebäude der Staatsanwaltschaft, Studios von fünf Fernsehsendern. Blockiert und teilweise besetzt wurden zwei Krankenhäuser, den Ärzten und Patienten wurden Einlass und Ausgang verwehrt. Gegen Abend des 06.01. befand sich ein großer Teil der Stadt unter der Kontrolle der paramilitärischen Gruppen. In deren Schatten haben Plünderungen und Vandalismus stattgefunden – nach aktuellen Meldungen wurden mehr als 1.000 Einkaufsläden und Supermärkte geplündert.
Ein besonders wichtiger Punkt war die Besetzung des Flughafens von Almaty in der Nacht vom 05. auf den 06.01. Die Paramilitärs haben den Flughafen besetzt und demoliert, insbesondere die noch am Boden befindlichen Flugzeuge, sowie den Navigationstower, was den Luftverkehr auf absehbare Zeit unterbrochen hat. Einige Stunden später sind sie weitergezogen.
Inzwischen ist bekannt, dass sich unter den Paramilitärs, deren Zahl auf bis zu 20.000 geschätzt wird, eine große Anzahl von jungen Männern aus dem näheren Ausland befindet, darunter Mitglieder von Terrororganisationen aus Afghanistan und Syrien, die in letzter Zeit in Kriegsgebieten im Einsatz gewesen sind. Das Vorgehen deutete eindeutig auf eine kontrollierte, koordinierte und lang angelegte Aktion hin und nicht auf eine spontane und unkoordinierte Reaktion der Menge, wie wir sie bis zum Nachmittag des 05.01. beobachten konnten.
Gegen 19 Uhr Ortszeit am 05.01. hat Herr Tokajew den Beistand der Sicherheitsorganisation „OVKS“ offiziell angefragt und mitgeteilt, dass man gegen die Aufständischen mit äußerster Härte vorgehen werde. Die „OVKS“ – das Verteidigungsbündnis aus Russland, Kasachstan, Belarus, Armenien, Kirgisistan und Tadschikistan – hat innerhalb weniger Stunden seinen ersten Einsatz genehmigt. Inzwischen sind über zweitausend Mann und schweres Gerät des Verteidigungsbündnisses in Kasachstan eingetroffen und haben in der Hauptstadt Nur-Sultan, an strategischen Punkten, wie dem Kosmodrom Baikonur und natürlich auch in Almaty den Dienst aufgenommen. Es wird immer wieder betont, dass die Friedenstruppen nicht in die „Befreiung der Stadt von den Paramilitärs“ verwickelt sind, sondern die Bewachung strategischer Objekte übernehmen.
Ab Abend des 05.01. erfolgte die Freigabe zum direkten Beschuss der Paramilitärs durch die Sicherheitskräfte, die bis dato den Befehl hatten, unter keinen Umständen auf Demonstranten zu feuern. Die Paramilitärs und die Sicherheitskräfte lieferten sich in den letzten 5 Tagen einen erbitterten Kampf in Almaty. Maschinengewehrsalven und Detonationen waren gut zu vernehmen. Mitarbeiter der AHK Zentralasien, Vertreter der deutschen Unternehmen, Bekannte und Freunde, mit denen wir in Kontakt stehen und die in der Innenstadt wohnen, konnten die Kämpfe aus den Fenstern beobachten und haben berichtet.
Während die Aufständischen in den ersten Tagen (06.-07.01.) in der Offensive waren, hat sich mit zunehmender Präsenz der Friedenstruppen das Blatt in den letzten Tagen gewendet. Seit dem 08.01. steht ein immer größerer Teil der Stadt unter Kontrolle der Sicherheitskräfte. Diese machen Jagd auf einzelne Gruppen von Paramilitärs und drängen die größeren Gruppen gen Norden hin aus der Stadt heraus. Seit dem 10.01. funktioniert der öffentliche Nahverkehr wieder und eine große Anzahl, wenn auch bei Weitem nicht alle Einkaufsläden haben wieder geöffnet. Die Versorgungslage mit Grundbedarfsmitteln, die zwischen dem 06.01. und 08.01. nicht lückenlos gewährleistet war, ist wieder gesichert.
Alles in Allem beobachten wir inzwischen eine deutliche Stabilisierung der Situation, auch wenn die Terrorwarnung für Almaty noch nicht wieder aufgehoben und der Flughafen noch nicht wieder funktionsfähig ist, und die Sicherheitskräfte betonen, dass die Operationen in der Stadt gegen Paramilitärs noch nicht abgeschlossen sind. Seitens der AHK Zentralasien hoffen wir und sind zuversichtlich, dass diese Stabilisierung weiter voranschreiten und Kasachstan mit internationaler Hilfe aus „der größten Krise seiner 30-jährigen Geschichte“, wie es Präsident Tokajew ausdrückte, gestärkt hervorgehen wird.
Hovsep Voskanyan Leiter der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Zentralasien
Dies ist ein Nachdruck einer am 11.01.2022 erschienen Meldung der AHK Zentralasien.
Einschätzung aus erster Hand zur aktuellen Lage in Kasachstan
Aktuell herrscht viel Sorge um die Vorgänge in Kasachstan in der deutschen Unternehmensgemeinde. Hovsep Voskanyan, Delegierter der deutschen Wirtschaft in Zentralasien, gibt eine Einschätzung aus erster Hand.
Sehr geehrte Damen und Herren,
aktuell herrscht viel Sorge um die Vorgänge in Kasachstan in der deutschen Unternehmensgemeinde. Der Informationsbedarf ist immens und wir erhalten eine Vielzahl von Anfragen. Wir melden uns erst jetzt bei Ihnen, da die Internetverbindung seit dem 05.01.2022 in Almaty nahezu durchgehend unterbrochen und eine Kontaktaufnahme nicht möglich war. Seit gestern gibt es für wenige Stunden pro Tag eine Verbindung. Wir möchten Sie gerne über die Vorgänge in Kasachstan informieren. Unsere Informationen zu den Vorgängen stützen sich auf Augenzeugenberichte unserer Mitarbeiter vor Ort, Vertreter der deutschen Wirtschaft und weiterer Personen, die in der Stadt leben und die Vorgänge selbst beobachten konnten.
In Almaty herrschten in den letzten fünf Tagen zwischenzeitlich kriegsähnliche Zustände. Die größtenteils friedlichen und zunächst wirtschaftlich motivierten Demonstrationen, die am 02.01. in der Manghysstauer Region angefangen und sich am 04.01. auf das ganze Land ausgeweitet hatten, wurden in Almaty und in einigen anderen Städten des Landes am späten Nachmittag des 05.01. von paramilitärischen Gruppen im Zuge eines versuchten Staatsstreichs abgelöst. Die Aufständischen, die bemerkenswert gut organisiert waren und mit militärischer Präzision neuralgische Punkte, wie Fernsehsender und Polizeistationen, sowie Waffendepots angriffen, haben zwischen dem 06.01. und 08.01. einen beträchtlichen Teil der Stadt unter ihre Kontrolle gebracht.
Dabei wurden den Sicherheitskräften abgenommene, aus den eingenommenen Waffendepots gestohlene bzw. bereits im Besitz befindliche Automatik- und großkalibrige Waffen, sowie auch schweres Gerät wie Panzerwagen benutzt. Das Bürgermeisteramt wurde eingenommen und niedergebrannt. Ebenso besetzt und/oder zum Teil niedergebrannt wurden der Präsidentenpalast, das Gebäude der Staatsanwaltschaft, Studios von fünf Fernsehsendern. Blockiert und teilweise besetzt wurden zwei Krankenhäuser, den Ärzten und Patienten wurden Einlass und Ausgang verwehrt. Gegen Abend des 06.01. befand sich ein großer Teil der Stadt unter der Kontrolle der paramilitärischen Gruppen. In deren Schatten haben Plünderungen und Vandalismus stattgefunden – nach aktuellen Meldungen wurden mehr als 1.000 Einkaufsläden und Supermärkte geplündert.
Ein besonders wichtiger Punkt war die Besetzung des Flughafens von Almaty in der Nacht vom 05. auf den 06.01. Die Paramilitärs haben den Flughafen besetzt und demoliert, insbesondere die noch am Boden befindlichen Flugzeuge, sowie den Navigationstower, was den Luftverkehr auf absehbare Zeit unterbrochen hat. Einige Stunden später sind sie weitergezogen.
Inzwischen ist bekannt, dass sich unter den Paramilitärs, deren Zahl auf bis zu 20.000 geschätzt wird, eine große Anzahl von jungen Männern aus dem näheren Ausland befindet, darunter Mitglieder von Terrororganisationen aus Afghanistan und Syrien, die in letzter Zeit in Kriegsgebieten im Einsatz gewesen sind. Das Vorgehen deutete eindeutig auf eine kontrollierte, koordinierte und lang angelegte Aktion hin und nicht auf eine spontane und unkoordinierte Reaktion der Menge, wie wir sie bis zum Nachmittag des 05.01. beobachten konnten.
Gegen 19 Uhr Ortszeit am 05.01. hat Herr Tokajew den Beistand der Sicherheitsorganisation „OVKS“ offiziell angefragt und mitgeteilt, dass man gegen die Aufständischen mit äußerster Härte vorgehen werde. Die „OVKS“ – das Verteidigungsbündnis aus Russland, Kasachstan, Belarus, Armenien, Kirgisistan und Tadschikistan – hat innerhalb weniger Stunden seinen ersten Einsatz genehmigt. Inzwischen sind über zweitausend Mann und schweres Gerät des Verteidigungsbündnisses in Kasachstan eingetroffen und haben in der Hauptstadt Nur-Sultan, an strategischen Punkten, wie dem Kosmodrom Baikonur und natürlich auch in Almaty den Dienst aufgenommen. Es wird immer wieder betont, dass die Friedenstruppen nicht in die „Befreiung der Stadt von den Paramilitärs“ verwickelt sind, sondern die Bewachung strategischer Objekte übernehmen.
Ab Abend des 05.01. erfolgte die Freigabe zum direkten Beschuss der Paramilitärs durch die Sicherheitskräfte, die bis dato den Befehl hatten, unter keinen Umständen auf Demonstranten zu feuern. Die Paramilitärs und die Sicherheitskräfte lieferten sich in den letzten 5 Tagen einen erbitterten Kampf in Almaty. Maschinengewehrsalven und Detonationen waren gut zu vernehmen. Mitarbeiter der AHK Zentralasien, Vertreter der deutschen Unternehmen, Bekannte und Freunde, mit denen wir in Kontakt stehen und die in der Innenstadt wohnen, konnten die Kämpfe aus den Fenstern beobachten und haben berichtet.
Während die Aufständischen in den ersten Tagen (06.-07.01.) in der Offensive waren, hat sich mit zunehmender Präsenz der Friedenstruppen das Blatt in den letzten Tagen gewendet. Seit dem 08.01. steht ein immer größerer Teil der Stadt unter Kontrolle der Sicherheitskräfte. Diese machen Jagd auf einzelne Gruppen von Paramilitärs und drängen die größeren Gruppen gen Norden hin aus der Stadt heraus. Seit dem 10.01. funktioniert der öffentliche Nahverkehr wieder und eine große Anzahl, wenn auch bei Weitem nicht alle Einkaufsläden haben wieder geöffnet. Die Versorgungslage mit Grundbedarfsmitteln, die zwischen dem 06.01. und 08.01. nicht lückenlos gewährleistet war, ist wieder gesichert.
Alles in Allem beobachten wir inzwischen eine deutliche Stabilisierung der Situation, auch wenn die Terrorwarnung für Almaty noch nicht wieder aufgehoben und der Flughafen noch nicht wieder funktionsfähig ist, und die Sicherheitskräfte betonen, dass die Operationen in der Stadt gegen Paramilitärs noch nicht abgeschlossen sind. Seitens der AHK Zentralasien hoffen wir und sind zuversichtlich, dass diese Stabilisierung weiter voranschreiten und Kasachstan mit internationaler Hilfe aus „der größten Krise seiner 30-jährigen Geschichte“, wie es Präsident Tokajew ausdrückte, gestärkt hervorgehen wird.
Hovsep Voskanyan
Leiter der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Zentralasien
Dies ist ein Nachdruck einer am 11.01.2022 erschienen Meldung der AHK Zentralasien.