2049 will China den Platz an der Spitze der Industrienationen eingenommen haben. Ohne Innovationsfähigkeit ist dieses Ziel nicht zu erreichen. China wird aber nur dann nachhaltig mit europäischen Unternehmen zusammenarbeiten, wenn diese einen Vorsprung bieten können und mit chinesischen Organisationen im Gespräch sind.
In Peking ging am 11. November 2021 das 6. Plenum des Zentralkomitees zu Ende. Xi Jinping konnte seine Macht durch eine „historische Resolution“ weiter stärken. Gewürdigt wurde er als Schöpfer des „Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter“. Armutsbeseitigung und Schaffen von Wohlstand für breite Bevölkerungsteile stehen weiterhin auf der Agenda, nun aber auch das Jahrhundertziel: die Verwirklichung des chinesischen Traums, des Wiederauflebens der großen chinesischen Nation. 2049, zum 100-jährigen Bestehen der Volksrepublik, soll China wieder an der Spitze der internationalen Hierarchie stehen.
Strategien zur Realisierung des „chinesischen Traums“ Insbesondere mit drei Strategien will China zur Weltmacht Nummer eins aufsteigen: durch die massive Förderung von Technologie, Innovation, Forschung und Wissenschaft durch die beiden Großprojekte „Neue Seidenstraße“ beziehungsweise „Belt and Road Initiative (BRI)“ und „Made in China 2025“.
Die westlichen Staaten schauen mit Sorge auf die chinesischen Großmachtbestrebungen. Dies gilt insbesondere für den Systemrivalen USA, der von Rang eins der Wirtschaftsmächte und aus der bisherigen Führungsrolle in Technologie und Innovation verdrängt werden soll. Für deutsche Unternehmen stellen sich weitaus pragmatischere Fragen: Was bedeuten die chinesischen Initiativen für uns? Können wir von den Investitionen profitieren? Ist die Zusammenarbeit mit uns weiterhin willkommen? Wird deutsches Know-how auch künftig noch gefragt sein?
Von der Werkbank zur Innovationsmacht China hat sich von der Werkbank für preisgünstige Produkte zur Wirtschaftsmacht mit starker Innovationskraft entwickelt. In der Vergangenheit wurde Innovation vor allem durch die sogenannte „Second Generation Innovation“ vorangetrieben: Produkte, häufig aus dem Ausland übernommen, wurden kopiert, verbessert, neu kombiniert und weiterentwickelt. Das seinerzeit niedrige Lohnniveau ermöglichte es, Technologie zu niedrigen Kosten zu produzieren. Daraus resultierten Wettbewerbsvorteile für chinesische Hersteller.
Zur führenden Wirtschaftsmacht kann China jedoch nur dann aufsteigen, wenn die Abhängigkeit von Technologien aus dem Ausland sinkt. „Zizhu chuangxin“ (菱寮눼劤) beziehungsweise inländische Innovation ist daher das Zauberwort. Es lässt sich auch übersetzen mit „selbstständiger“, „selbstbestimmter“ oder „selbstverwalteter“ Innovation und ist zu einem Kernbegriff der chinesischen Wirtschaftsreformen geworden. Geschaffen werden soll inländische Innovation durch die besondere Förderung einheimischer Kompetenz bei chinesischen Personen, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen.
Prozess- und Strategieinnovationen haben stattgefunden. Im sogenannten „Triple Helix Model of Innovation“ kooperieren beispielsweise Universitäten, Unternehmen und Regierung in reziprokem Austausch. Netzwerkbeziehungen, Synergien und Kollaborationen entstehen. Wissen wird generiert und geteilt. „Science Parks“ dienen als Schnittstellen zwischen Unternehmen und Universitäten. Universitäten gründen eigene Firmen (sogenannte „University Run Enterprises“) und schaffen damit weitere Optionen zum Transfer und Austausch zwischen Forschung und Industrie.
Für deutsche Unternehmen stellen sich pragmatische Fragen: Was bedeuten die chinesischen Initiativen für uns? Können wir von den Investitionen profitieren? Ist die Zusammenarbeit mit uns weiterhin willkommen? Wird deutsches Know-how auch künftig noch gefragt sein?
Eine Rolle für die Entwicklung neuer Technologien spielen auch Rückkehrer aus dem Ausland, die Know-how außer Landes erworben haben und mitbringen. Zusätzlich holt man sich externes Wissen durch Zukauf. Auch Allianzen und Fusionen mit ausländischen Unternehmen spielen eine Rolle. Internationalisierung und Integration in die Weltwirtschaft bieten China die Chance, die eigene Innovationsfähigkeit zu verbessern, und liegen daher im chinesischen Interesse.
Staatliche Inkubatoren unterstützen Unternehmensgründungen. Ausländische Talente werden angeworben, um Ideen und Geschäftsmodelle für den chinesischen Markt zu entwickeln. Investitionen der „BAT economy“ – hinter der Abkürzung BAT stehen die Technologieriesen Baidu, Alibaba und Tencent – fördern als Wagniskapitalgeber Start-ups in hart umkämpften Märkten. In China wird kontinuierlich versucht, die Schwellen für Start-up-Gründungen durch vielfältige Unterstützungen und Prozessvereinfachungen herunterzusetzen. So dauert es in der Regel lediglich vier bis acht Wochen, bis ein Start-up gegründet ist. Auch wenn viele Neugründungen auf der Strecke bleiben, so selektieren sich doch leistungsfähige Unternehmen heraus. In zunehmendem Maße entstehen „Einhörner“, also Unternehmen mit einer Marktbewertung von mindestens einer Milliarde US-Dollar bei Börseneinführung.
Technologieriesen und das Musterbeispiel Alibaba Selfmade-Milliardäre sind vor allem im Internet- und E-Commerce-Sektor tätig, weil dort die technischen und finanziellen Schwellen relativ niedrig sind, um erfolgreiche Produkte zu entwickeln. Wohl die größte Erfolgsgeschichte des modernen Chinas schrieben das ehemalige Start-up Alibaba und dessen Gründer Ma Yun, Jack Ma genannt. 2014 ging Alibaba in New York an die Börse und erwarb sich sofort den begehrten Titel eines Einhorns. Alibaba ist inzwischen der größte E-Commerce-Konzern der Welt. 2016 hat Jack Ma den Begriff „New Retail“ geprägt. Gemeint ist damit die Integration von Online, Offline, Technologie, Datenanalyse und Logistik in einer Wertschöpfungskette. Im Mittelpunkt steht der Kunde und sein Erlebnis entlang aller Touchpoints. Wie die anderen chinesischen Konzerne profitiert Alibaba von der enormen Größe des chinesischen Marktes, dem Nachholbedarf der chinesischen Konsumenten sowie deren Aufgeschlossenheit für Neuerungen. Durch die Integration von E-Commerce, Kommunikation, Payment und einer Vielzahl angeschlossener Dienstleistungen ist inzwischen eine User Experience entstanden, die es im Westen so noch nicht gibt. Auch wenn chinesische Konzerne wie Alibaba nach dem Muster der amerikanischen Technologieriesen entstanden sind, so sind sie inzwischen in vielerlei Hinsicht über diese hinausgewachsen. Social Commerce, die Nutzung von sozialen Netzwerken im Kontext von E-Commerce, beispielsweise manifestiert sich nirgendwo auf der Welt stärker als in China. Auch für viele deutsche Hersteller ist es attraktiv geworden, ihre Produkte über chinesische Plattformen zu vermarkten.
Auch wenn chinesische Konzerne wie Alibaba nach dem Muster der amerikanischen Technologieriesen entstanden sind, so sind sie inzwischen in vielerlei Hinsicht über diese hinausgewachsen.
In letzter Zeit sind Alibaba und einige der Technologieriesen bei der Regierung in Ungnade gefallen und werden gemaßregelt. So stoppten die chinesischen Regulierungsbehörden beispielsweise im November 2020 den Börsengang von Alibabas Finanzdienstleistungstochter Ant Group. Kartellrechtliche Bedenken wurden als Begründung angeführt. Die chinesische Regierung befürchtet offensichtlich zu viel Macht und Einfluss der Technologieriesen, gerade dann, wenn sie in den Medien aktiv sind. Die Regulatoren bremsen sie nun aus, mit dem Postulat, dass in China vor allem ein „gemeinsamer Wohlstand“ geschaffen werden soll. Den wirtschaftlichen Erfolgen tut dies bislang noch keinen Abbruch: Wie CNBC berichtet, konnten Alibaba und JD.com am Singles’ Day am 11.11.2021 erneut Verkaufsrekorde auf ihren Plattformen verbuchen.
Außenpolitischer Einfluss: die Belt and Road Initiative Die chinesische Regierung wird innerhalb von China das Heft fest in der Hand behalten und will außenpolitisch Einfluss gewinnen. Für letzteren Aspekt soll insbesondere die „Neue Seidenstraße“ oder „Belt and Road Initiative“ (BRI) sorgen. In diesem Riesenprojekt entwickelt China Infrastruktur auf dem Staatsgebiet anderer Länder. China stellt sich dabei als Partner dar, der durch Infrastrukturausbau Fortschritt und Wohlstand auch in andere Länder bringen möchte. Vor allem aber will sich China Zugang zu Rohstoffen sichern. Langfristiges Ziel dürfte es sein, den eurasischen Markt als wichtigsten Handelsplatz der Welt zu etablieren und eine auf China zugeschnittene Ordnung zu schaffen.
Kritisiert wird, dass vor allem chinesische Unternehmen in den Aufbau von Belt and Road involviert sind.
Dass diese Perspektive den USA missfällt, liegt auf der Hand. Die Perspektive der europäischen Unternehmen ist jedoch eine andere: Sie hoffen, von den Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur zu profitieren. In Europa wurde die BRI vor allem von den osteuropäischen Staaten begrüßt. Auch deutsche Handelsplätze sind eingebunden, es bestehen See- und Bahnverbindungen, die direkt nach China führen.
Kritisiert wird, dass vor allem chinesische Unternehmen in den Aufbau von Belt and Road involviert sind. Chinesische Überkapazitäten, beispielsweise im Bausektor, werden damit ins Ausland verlagert. Die Bevorzugung chinesischer Unternehmen ist insofern nicht unverständlich, da die chinesische Führung die enormen Auslandsinvestitionen gegenüber der eigenen Bevölkerung rechtfertigen muss. In der BRI kommen auch europäische Unternehmen zum Zuge, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen: wenn sie spezialisiertes Know-how, besondere Dienstleistungen oder qualitativ hochwertige Produkte einbringen können, die aus chinesischer Sicht den Erfolg fördern und von chinesischen Organisationen noch nicht selbst bereitgestellt werden können.
„Made in China 2025“: Chancen und Risiken für Deutschland Mittels der Zehnjahresagenda „Made in China 2025“ will China bis 2025 das Niveau einer voll entwickelten Industrienation erreicht haben. Hierzu wurden zehn Branchen definiert, in denen die Digitalisierung die Hauptrolle spielt. Dass es sich hierbei vor allem um Branchen handelt, in denen Deutschland bislang häufig eine Führungsrolle einnimmt, wird hierzulande mit Sorge registriert.
Chinesische Investitionen in deutsche Technologieunternehmen, wie sie insbesondere im Rekordjahr 2016 massiv stattgefunden haben, werden daher von der Politik mit großer Skepsis gesehen. Die Perspektive deutscher Unternehmen ist jedoch eine andere: Das Interesse am großen chinesischen Markt und die Sicherung der eigenen Kapitalbasis spricht für die Kooperation mit chinesischen Investoren. Eine gute Position in der Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen können sich deutsche Unternehmen dann verschaffen, wenn sie besonderes Know-how auf den Gebieten der technologischen Innovation und des Managements sowie Kompetenzen zur Anpassung von Technologien einbringen oder auch Synergien, wie zum Beispiel Einkaufskooperationen, nutzen können.
Die Perspektive deutscher Unternehmen ist jedoch eine andere: Das Interesse am großen chinesischen Markt und die Sicherung der eigenen Kapitalbasis spricht für die Kooperation mit chinesischen Investoren.
Innovation als Schlüssel für künftige Erfolge für Nationen und Organisationen China hat verstanden, dass es nur durch Innovation der Middle Income Trap entkommen kann: Im letzten Jahrzehnt sind die Löhne und Gehälter maßgeblich gestiegen, sodass China längst kein Billiglohnland mehr ist. Das starke Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre und die gestiegenen Einkommen haben für einen höheren Lebensstandard der Bevölkerung gesorgt. Die größte Mittelschicht der Welt ist entstanden, und weitere Teile der Bevölkerung sollen aus der Armut in die Mittelschicht aufsteigen. Nicht zuletzt dadurch legitimiert sich der Machtanspruch der Kommunistischen Partei. Mit steigenden Produktionskosten drohen jedoch die Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt und damit das Wachstum zu sinken. Diese Gefahr kann nur umgangen werden, wenn die Qualität der Produkte steigt. Dazu benötigt China Know-how und eine hohe Innovationsfähigkeit. Ein zusätzlicher Hoffnungsträger ist die Binnenkonjunktur beziehungsweise die Kaufkraft der breiten Mittelschicht. Auch aus diesem Grund wurde mit Spannung auf die Ergebnisse des Singles’ Day am 11. November als Indikator geblickt.
Innovation ist der Schlüssel für das anhaltende Prosperieren Chinas und ebenso für deutsche Unternehmen, die die Erfolge, Initiativen und Investitionen Chinas für sich nutzen möchten: Chinesische Organisationen werden nur dann Aufträge an europäische Unternehmen vergeben, wenn diese einen Vorsprung bieten können und mit chinesischen Organisationen im Gespräch sind. Ein Zielkonflikt zwischen dem unerwünschten Abfluss von Wissen und Technologie nach China und einer profitablen Kooperation mit chinesischen Organisationen ist nicht zu leugnen. China wird im eigenen Interesse an Internationalisierung und an Kooperationen mit deutschen Unternehmen interessiert bleiben. Deutsche Unternehmen haben vom riesigen chinesischen Markt profitiert, und mittlerweile lässt sich auch von China lernen. Die Unternehmen müssen allerdings realisieren, dass sie nur dann eine Chance zur langfristigen Kooperation mit China haben, wenn sie besonderes Know-how in Technologie und Management einbringen können und dabei in der Lage sind, mit chinesischen Organisationen zu kooperieren.
Prof. Dr. Doris Gutting lehrt interkulturelles Management und Marketing an der Hochschule für angewandtes Management (HAM) Ismaning und forscht in CHINATIV, einem Projekt der HAM mit Fokus auf Innovation und Chinakompetenz.
Innovationsfähigkeit: der Schlüssel zum Erfolg
2049 will China den Platz an der Spitze der Industrienationen eingenommen haben. Ohne Innovationsfähigkeit ist dieses Ziel nicht zu erreichen. China wird aber nur dann nachhaltig mit europäischen Unternehmen zusammenarbeiten, wenn diese einen Vorsprung bieten können und mit chinesischen Organisationen im Gespräch sind.
In Peking ging am 11. November 2021 das 6. Plenum des Zentralkomitees zu Ende. Xi Jinping konnte seine Macht durch eine „historische Resolution“ weiter stärken. Gewürdigt wurde er als Schöpfer des „Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter“. Armutsbeseitigung und Schaffen von Wohlstand für breite Bevölkerungsteile stehen weiterhin auf der Agenda, nun aber auch das Jahrhundertziel: die Verwirklichung des chinesischen Traums, des Wiederauflebens der großen chinesischen Nation. 2049, zum 100-jährigen Bestehen der Volksrepublik, soll China wieder an der Spitze der internationalen Hierarchie stehen.
Strategien zur Realisierung des „chinesischen Traums“
Insbesondere mit drei Strategien will China zur Weltmacht Nummer eins aufsteigen: durch die massive Förderung von Technologie, Innovation, Forschung und Wissenschaft durch die beiden Großprojekte „Neue Seidenstraße“ beziehungsweise „Belt and Road Initiative (BRI)“ und „Made in China 2025“.
Die westlichen Staaten schauen mit Sorge auf die chinesischen Großmachtbestrebungen. Dies gilt insbesondere für den Systemrivalen USA, der von Rang eins der Wirtschaftsmächte und aus der bisherigen Führungsrolle in Technologie und Innovation verdrängt werden soll. Für deutsche Unternehmen stellen sich weitaus pragmatischere Fragen: Was bedeuten die chinesischen Initiativen für uns? Können wir von den Investitionen profitieren? Ist die Zusammenarbeit mit uns weiterhin willkommen? Wird deutsches Know-how auch künftig noch gefragt sein?
Von der Werkbank zur Innovationsmacht
China hat sich von der Werkbank für preisgünstige Produkte zur Wirtschaftsmacht mit starker Innovationskraft entwickelt. In der Vergangenheit wurde Innovation vor allem durch die sogenannte „Second Generation Innovation“ vorangetrieben: Produkte, häufig aus dem Ausland übernommen, wurden kopiert, verbessert, neu kombiniert und weiterentwickelt. Das seinerzeit niedrige Lohnniveau ermöglichte es, Technologie zu niedrigen Kosten zu produzieren. Daraus resultierten Wettbewerbsvorteile für chinesische Hersteller.
Zur führenden Wirtschaftsmacht kann China jedoch nur dann aufsteigen, wenn die Abhängigkeit von Technologien aus dem Ausland sinkt. „Zizhu chuangxin“ (菱寮눼劤) beziehungsweise inländische Innovation ist daher das Zauberwort. Es lässt sich auch übersetzen mit „selbstständiger“, „selbstbestimmter“ oder „selbstverwalteter“ Innovation und ist zu einem Kernbegriff der chinesischen Wirtschaftsreformen geworden. Geschaffen werden soll inländische Innovation durch die besondere Förderung einheimischer Kompetenz bei chinesischen Personen, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen.
Prozess- und Strategieinnovationen haben stattgefunden. Im sogenannten „Triple Helix Model of Innovation“ kooperieren beispielsweise Universitäten, Unternehmen und Regierung in reziprokem Austausch. Netzwerkbeziehungen, Synergien und Kollaborationen entstehen. Wissen wird generiert und geteilt. „Science Parks“ dienen als Schnittstellen zwischen Unternehmen und Universitäten. Universitäten gründen eigene Firmen (sogenannte „University Run Enterprises“) und schaffen damit weitere Optionen zum Transfer und Austausch zwischen Forschung und Industrie.
Eine Rolle für die Entwicklung neuer Technologien spielen auch Rückkehrer aus dem Ausland, die Know-how außer Landes erworben haben und mitbringen. Zusätzlich holt man sich externes Wissen durch Zukauf. Auch Allianzen und Fusionen mit ausländischen Unternehmen spielen eine Rolle. Internationalisierung und Integration in die Weltwirtschaft bieten China die Chance, die eigene Innovationsfähigkeit zu verbessern, und liegen daher im chinesischen Interesse.
Staatliche Inkubatoren unterstützen Unternehmensgründungen. Ausländische Talente werden angeworben, um Ideen und Geschäftsmodelle für den chinesischen Markt zu entwickeln. Investitionen der „BAT economy“ – hinter der Abkürzung BAT stehen die Technologieriesen Baidu, Alibaba und Tencent – fördern als Wagniskapitalgeber Start-ups in hart umkämpften Märkten. In China wird kontinuierlich versucht, die Schwellen für Start-up-Gründungen durch vielfältige Unterstützungen und Prozessvereinfachungen herunterzusetzen. So dauert es in der Regel lediglich vier bis acht Wochen, bis ein Start-up gegründet ist. Auch wenn viele Neugründungen auf der Strecke bleiben, so selektieren sich doch leistungsfähige Unternehmen heraus. In zunehmendem Maße entstehen „Einhörner“, also Unternehmen mit einer Marktbewertung von mindestens einer Milliarde US-Dollar bei Börseneinführung.
Technologieriesen und das Musterbeispiel Alibaba
Selfmade-Milliardäre sind vor allem im Internet- und E-Commerce-Sektor tätig, weil dort die technischen und finanziellen Schwellen relativ niedrig sind, um erfolgreiche Produkte zu entwickeln. Wohl die größte Erfolgsgeschichte des modernen Chinas schrieben das ehemalige Start-up Alibaba und dessen Gründer Ma Yun, Jack Ma genannt. 2014 ging Alibaba in New York an die Börse und erwarb sich sofort den begehrten Titel eines Einhorns. Alibaba ist inzwischen der größte E-Commerce-Konzern der Welt. 2016 hat Jack Ma den Begriff „New Retail“ geprägt. Gemeint ist damit die Integration von Online, Offline, Technologie, Datenanalyse und Logistik in einer Wertschöpfungskette. Im Mittelpunkt steht der Kunde und sein Erlebnis entlang aller Touchpoints. Wie die anderen chinesischen Konzerne profitiert Alibaba von der enormen Größe des chinesischen Marktes, dem Nachholbedarf der chinesischen Konsumenten sowie deren Aufgeschlossenheit für Neuerungen. Durch die Integration von E-Commerce, Kommunikation, Payment und einer Vielzahl angeschlossener Dienstleistungen ist inzwischen eine User Experience entstanden, die es im Westen so noch nicht gibt. Auch wenn chinesische Konzerne wie Alibaba nach dem Muster der amerikanischen Technologieriesen entstanden sind, so sind sie inzwischen in vielerlei Hinsicht über diese hinausgewachsen. Social Commerce, die Nutzung von sozialen Netzwerken im Kontext von E-Commerce, beispielsweise manifestiert sich nirgendwo auf der Welt stärker als in China. Auch für viele deutsche Hersteller ist es attraktiv geworden, ihre Produkte über chinesische Plattformen zu vermarkten.
In letzter Zeit sind Alibaba und einige der Technologieriesen bei der Regierung in Ungnade gefallen und werden gemaßregelt. So stoppten die chinesischen Regulierungsbehörden beispielsweise im November 2020 den Börsengang von Alibabas Finanzdienstleistungstochter Ant Group. Kartellrechtliche Bedenken wurden als Begründung angeführt. Die chinesische Regierung befürchtet offensichtlich zu viel Macht und Einfluss der Technologieriesen, gerade dann, wenn sie in den Medien aktiv sind. Die Regulatoren bremsen sie nun aus, mit dem Postulat, dass in China vor allem ein „gemeinsamer Wohlstand“ geschaffen werden soll. Den wirtschaftlichen Erfolgen tut dies bislang noch keinen Abbruch: Wie CNBC berichtet, konnten Alibaba und JD.com am Singles’ Day am 11.11.2021 erneut Verkaufsrekorde auf ihren Plattformen verbuchen.
Außenpolitischer Einfluss: die Belt and Road Initiative
Die chinesische Regierung wird innerhalb von China das Heft fest in der Hand behalten und will außenpolitisch Einfluss gewinnen. Für letzteren Aspekt soll insbesondere die „Neue Seidenstraße“ oder „Belt and Road Initiative“ (BRI) sorgen. In diesem Riesenprojekt entwickelt China Infrastruktur auf dem Staatsgebiet anderer Länder. China stellt sich dabei als Partner dar, der durch Infrastrukturausbau Fortschritt und Wohlstand auch in andere Länder bringen möchte. Vor allem aber will sich China Zugang zu Rohstoffen sichern. Langfristiges Ziel dürfte es sein, den eurasischen Markt als wichtigsten Handelsplatz der Welt zu etablieren und eine auf China zugeschnittene Ordnung zu schaffen.
Dass diese Perspektive den USA missfällt, liegt auf der Hand. Die Perspektive der europäischen Unternehmen ist jedoch eine andere: Sie hoffen, von den Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur zu profitieren. In Europa wurde die BRI vor allem von den osteuropäischen Staaten begrüßt. Auch deutsche Handelsplätze sind eingebunden, es bestehen See- und Bahnverbindungen, die direkt nach China führen.
Kritisiert wird, dass vor allem chinesische Unternehmen in den Aufbau von Belt and Road involviert sind. Chinesische Überkapazitäten, beispielsweise im Bausektor, werden damit ins Ausland verlagert. Die Bevorzugung chinesischer Unternehmen ist insofern nicht unverständlich, da die chinesische Führung die enormen Auslandsinvestitionen gegenüber der eigenen Bevölkerung rechtfertigen muss. In der BRI kommen auch europäische Unternehmen zum Zuge, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen: wenn sie spezialisiertes Know-how, besondere Dienstleistungen oder qualitativ hochwertige Produkte einbringen können, die aus chinesischer Sicht den Erfolg fördern und von chinesischen Organisationen noch nicht selbst bereitgestellt werden können.
„Made in China 2025“: Chancen und Risiken für Deutschland
Mittels der Zehnjahresagenda „Made in China 2025“ will China bis 2025 das Niveau einer voll entwickelten Industrienation erreicht haben. Hierzu wurden zehn Branchen definiert, in denen die Digitalisierung die Hauptrolle spielt. Dass es sich hierbei vor allem um Branchen handelt, in denen Deutschland bislang häufig eine Führungsrolle einnimmt, wird hierzulande mit Sorge registriert.
Chinesische Investitionen in deutsche Technologieunternehmen, wie sie insbesondere im Rekordjahr 2016 massiv stattgefunden haben, werden daher von der Politik mit großer Skepsis gesehen. Die Perspektive deutscher Unternehmen ist jedoch eine andere: Das Interesse am großen chinesischen Markt und die Sicherung der eigenen Kapitalbasis spricht für die Kooperation mit chinesischen Investoren. Eine gute Position in der Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen können sich deutsche Unternehmen dann verschaffen, wenn sie besonderes Know-how auf den Gebieten der technologischen Innovation und des Managements sowie Kompetenzen zur Anpassung von Technologien einbringen oder auch Synergien, wie zum Beispiel Einkaufskooperationen, nutzen können.
Innovation als Schlüssel für künftige Erfolge für Nationen und Organisationen
China hat verstanden, dass es nur durch Innovation der Middle Income Trap entkommen kann: Im letzten Jahrzehnt sind die Löhne und Gehälter maßgeblich gestiegen, sodass China längst kein Billiglohnland mehr ist. Das starke Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre und die gestiegenen Einkommen haben für einen höheren Lebensstandard der Bevölkerung gesorgt. Die größte Mittelschicht der Welt ist entstanden, und weitere Teile der Bevölkerung sollen aus der Armut in die Mittelschicht aufsteigen. Nicht zuletzt dadurch legitimiert sich der Machtanspruch der Kommunistischen Partei. Mit steigenden Produktionskosten drohen jedoch die Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt und damit das Wachstum zu sinken. Diese Gefahr kann nur umgangen werden, wenn die Qualität der Produkte steigt. Dazu benötigt China Know-how und eine hohe Innovationsfähigkeit. Ein zusätzlicher Hoffnungsträger ist die Binnenkonjunktur beziehungsweise die Kaufkraft der breiten Mittelschicht. Auch aus diesem Grund wurde mit Spannung auf die Ergebnisse des Singles’ Day am 11. November als Indikator geblickt.
Innovation ist der Schlüssel für das anhaltende Prosperieren Chinas und ebenso für deutsche Unternehmen, die die Erfolge, Initiativen und Investitionen Chinas für sich nutzen möchten: Chinesische Organisationen werden nur dann Aufträge an europäische Unternehmen vergeben, wenn diese einen Vorsprung bieten können und mit chinesischen Organisationen im Gespräch sind. Ein Zielkonflikt zwischen dem unerwünschten Abfluss von Wissen und Technologie nach China und einer profitablen Kooperation mit chinesischen Organisationen ist nicht zu leugnen. China wird im eigenen Interesse an Internationalisierung und an Kooperationen mit deutschen Unternehmen interessiert bleiben. Deutsche Unternehmen haben vom riesigen chinesischen Markt profitiert, und mittlerweile lässt sich auch von China lernen. Die Unternehmen müssen allerdings realisieren, dass sie nur dann eine Chance zur langfristigen Kooperation mit China haben, wenn sie besonderes Know-how in Technologie und Management einbringen können und dabei in der Lage sind, mit chinesischen Organisationen zu kooperieren.
Prof. Dr. Doris Gutting lehrt interkulturelles Management und Marketing an der Hochschule für angewandtes Management (HAM) Ismaning und forscht in CHINATIV, einem Projekt der HAM mit Fokus auf Innovation und Chinakompetenz.
prof.doris.gutting@googlemail.com
Dieser Beitrag ist in ChinaContact 6-2021 erschienen.