Gunter Deuber verantwortet bei der bei der Raiffeisen Bank International in Wien den Bereich Economics/Fixed Income/FX Research. In seine Zuständigkeit fällt neben den Ländern Mittel- und Osteuropas auch Russland. Wir sprachen mit ihm über Moskaus derzeitigen Ölstreit mit Saudi-Arabien, den akuten Rubelverfall und die langfristigen Aussichten der russischen Wirtschaft.
Am 9. März gab es durch den Ölstreit zwischen Russland und Saudi-Arabien einen „schwarzen Montag“ an den Börsen und Rohstoffmärkten. Wie schätzen Sie die Entwicklung und die Möglichkeit zu einem tragfähigen Kompromiss ein?
Wir denken, Russland war strategisch darauf vorbereitet, wenn auch das Timing etwas überraschend kam. Deswegen gehen wir in unserem aktuellen Basis-Szenario nicht davon aus, dass es eine sehr schnelle Einigung zwischen Russland und Saudi-Arabien geben wird. Was für uns natürlich auch bedeutet, dass wir beim Ölpreis – auch aktueller globaler Rezessionsgefahren – eher vorsichtig sind auf Sicht der nächsten drei bis sechs Monate. Hier sind wir sehr nah beispielsweise an Goldman Sachs und sehen den Ölpreis eher Richtung 25 bis 30 US-Dollar pro Barrel über die Sommermonate und bis in den Herbst herein. Erst danach dürfte es eine Erholung in den Bereich 40 US-Dollar oder darüber geben. Mit einer Lösung wäre wenn dann später im Jahresverlauf oder 2021 zu rechnen. Auf Sicht der nächsten drei bis neun Monate sehen wir das aber eher nicht.
Mit 31 Dollar pro Barrel sackte der Ölpreis auf ein Tief, das es seit dem Golfkrieg 1991 nicht mehr gab. Schadet sich Russland nicht damit selber? Oder verfolgt Russland andere Interessen?
Russland löst mit diesem Ölpreisverfall „automatische Stabilisierungsmechanismen“ aus, die durchaus im Eigeninteresse sind. Beim aktuellen Ölpreis wird klar, dass Russland die Reserven anzapfen muss – und damit die staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaftsentwicklung in den nächsten ein bis zwei Jahren deutlich stärker werden wird. Soweit das interne. Mit diesem Preiskampf gibt es aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, amerikanische Interessen der Schieferölindustrie anzugreifen. Insofern ist es aus russischer Sicht keine so schlechte Konstellation, weil man es zum einen leisten kann, und zum anderen amerikanischen Interessen entgegenwirken kann. Zudem unterstützen diese externen Herausforderungen wieder einmal eine „Wagenburgmentalität“ in Russland und nehmen etwas Druck von der Politik starke Zuwachsraten der Wirtschaftsleistung präsentieren zu müssen.
Die Frage ist doch: Wie lange kann sich Russland dieses Spiel leisten?
Viel länger als ein Jahr wird Russland dieses Spiel wahrscheinlich nicht spielen wollen – auch wenn der Spielraum größer ist – weil das Land entsprechende Reserven nicht komplett aufbrauchen wird, um den Status, den sich Russland in den letzten Jahren auf dem Finanzmarkt als sehr solider Schuldner erarbeitet hat, aufrechtzuerhalten. Es gibt derzeit zum Glück aber nicht so viele andere Anforderungen an die Reservepositionen, da die Auslandsschulden Russlands sehr stark gefallen sind. Russland kann sich das also eine Weile leisten – vielleicht sogar 12 oder 18 Monate. Aber dass man das über Jahre aushalten wird, glauben wir nicht.
Wie hoch schätzen Sie die Gefährdung für die russische Wirtschaft durch die Auswirkungen des Coronavirus an? Wie krisenresistenz ist die russische Wirtschaft gerade angesichts der globalen Vernetzung?
Das ist ganz interessant. Wir haben uns über die ganzen Volkswirtschaften, in den wir uns als Raiffeisen Bank International aufhalten, angeschaut, wie exponiert die einzelnen Länder in Bezug auf potenzielle Corona-Risiken sind. Und da war für uns Russland eines der am wenigsten exponierten Länder. Weil natürlich klassische Übertragungskanäle wie Handelsoffenheit oder die Exportabhängigkeit im Sinne von höherwertigeren Gütern gering sind. Eine Ausnahme bildet der Ölpreiskanal. Sonst ist Russland auch ein Land, das weniger auf Tourismus angewiesen ist, also ein Land, das in der Summe wahrscheinlich relativ gut vorbereitet ist mit einer Epidemie umzugehen. Natürlich auch in Anbetracht der Staatsstrukturen, die es in Russland gibt bzw. die ggfs. harte Quarantänemaßnahmen a la China erleichtern. Insofern sehen wir Russland als ein deutlich weniger exponiertes Land als viele Länder in der EU oder im östlichen Europa. Insofern sind wir in Bezug auf die direkten Übertragungseffekte für Russland auch nicht so negativ gestimmt und würden Stand jetzt keine tiefe Rezession in Russland im Jahr 2020 erwarten. Unsere BIP-Schätzung für 2020 liegt derzeit im Bereich -0,5 Prozent bis 0,5 Prozent.
Was heißt das für die Außenentwicklung des Rubels?
Für den Rubel sehen wir kurzfristig durchaus Abwärtsrisiken. Er kann sich aber wahrscheinlich um die 75 Rubel pro US-Dollar stabilisieren, auch weil die russische Zentralbank am Devisenmarkt in die andere Richtung agieren wird als in den letzten Monaten und Jahren. Ohne die Unterstützung der Zentralbank könnte der Rubel natürlich deutlich Richtung US-Dollar 80 pro Rubel oder drüber gehen gegeben aktuelle Ölpreisniveaus. Aber das erwarten wir nicht. Die Zentralbank wird den Rubel aktiv stützen durch einen Zugriff auf den Reservefonds. Zweitens ist die Zentralbank entschlossen, den Zinssenkungspfad zu beenden und bei steigenden Inflationsrisiken wieder mit moderaten Zinserhöhungen zu reagieren. Insofern haben wir unsere USD-Rubelprognose für Mitte des Jahres um die 70 bis 75 angesetzt und nicht bei 80 oder drüber. Hier vertrauen wir auch auf die nachgewiesene und beachtliche administrative, pro-aktive plus regulatorische Krisenmanagementkompetenz bei der Zentralbank.
Welche langfristigen Auswirkungen auf das Wachstumsziel Russland sehen sie – gerade durch den Verbund von sinkenden Öleinnahmen und externen Belastungen durch das Virus?
Russland bleibt kurz- und mittelfristig in einer Phase der Stagnation, insbesondere im Vergleich zu anderen aufstrebenden Volkswirtschaften. Wir haben schon seit längerem unsere mittelfristigen Wachstumsprojektionen für Russland bei 1,5 Prozent festgeschrieben. Kurzfristig sehen wir jetzt sogar ein geringeres Wachstum bzw. einen leichten Rückgang an Wirtschaftsleistung. Natürlich kann es 2021 nach dem Rücksetzer in 2020 auch wieder einen gewissen Rebound geben, aber ein nachhaltiges BIP-Wachstum deutlich über 1,5 bis 2 Prozent ist nicht in Sicht. Daher dürfte es auch keine nachhaltige Steigerung des Einkommensniveaus geben. Wir denken, dass dieser Zustand niedriger Wachstumsraten noch über Jahre anhalten wird.
Interview: „Wir erwarten keine Rezession in Russland“
Gunter Deuber verantwortet bei der bei der Raiffeisen Bank International in Wien den Bereich Economics/Fixed Income/FX Research. In seine Zuständigkeit fällt neben den Ländern Mittel- und Osteuropas auch Russland. Wir sprachen mit ihm über Moskaus derzeitigen Ölstreit mit Saudi-Arabien, den akuten Rubelverfall und die langfristigen Aussichten der russischen Wirtschaft.
Am 9. März gab es durch den Ölstreit zwischen Russland und Saudi-Arabien einen „schwarzen Montag“ an den Börsen und Rohstoffmärkten. Wie schätzen Sie die Entwicklung und die Möglichkeit zu einem tragfähigen Kompromiss ein?
Wir denken, Russland war strategisch darauf vorbereitet, wenn auch das Timing etwas überraschend kam. Deswegen gehen wir in unserem aktuellen Basis-Szenario nicht davon aus, dass es eine sehr schnelle Einigung zwischen Russland und Saudi-Arabien geben wird. Was für uns natürlich auch bedeutet, dass wir beim Ölpreis – auch aktueller globaler Rezessionsgefahren – eher vorsichtig sind auf Sicht der nächsten drei bis sechs Monate. Hier sind wir sehr nah beispielsweise an Goldman Sachs und sehen den Ölpreis eher Richtung 25 bis 30 US-Dollar pro Barrel über die Sommermonate und bis in den Herbst herein. Erst danach dürfte es eine Erholung in den Bereich 40 US-Dollar oder darüber geben. Mit einer Lösung wäre wenn dann später im Jahresverlauf oder 2021 zu rechnen. Auf Sicht der nächsten drei bis neun Monate sehen wir das aber eher nicht.
Mit 31 Dollar pro Barrel sackte der Ölpreis auf ein Tief, das es seit dem Golfkrieg 1991 nicht mehr gab. Schadet sich Russland nicht damit selber? Oder verfolgt Russland andere Interessen?
Russland löst mit diesem Ölpreisverfall „automatische Stabilisierungsmechanismen“ aus, die durchaus im Eigeninteresse sind. Beim aktuellen Ölpreis wird klar, dass Russland die Reserven anzapfen muss – und damit die staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaftsentwicklung in den nächsten ein bis zwei Jahren deutlich stärker werden wird. Soweit das interne. Mit diesem Preiskampf gibt es aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, amerikanische Interessen der Schieferölindustrie anzugreifen. Insofern ist es aus russischer Sicht keine so schlechte Konstellation, weil man es zum einen leisten kann, und zum anderen amerikanischen Interessen entgegenwirken kann. Zudem unterstützen diese externen Herausforderungen wieder einmal eine „Wagenburgmentalität“ in Russland und nehmen etwas Druck von der Politik starke Zuwachsraten der Wirtschaftsleistung präsentieren zu müssen.
Die Frage ist doch: Wie lange kann sich Russland dieses Spiel leisten?
Viel länger als ein Jahr wird Russland dieses Spiel wahrscheinlich nicht spielen wollen – auch wenn der Spielraum größer ist – weil das Land entsprechende Reserven nicht komplett aufbrauchen wird, um den Status, den sich Russland in den letzten Jahren auf dem Finanzmarkt als sehr solider Schuldner erarbeitet hat, aufrechtzuerhalten. Es gibt derzeit zum Glück aber nicht so viele andere Anforderungen an die Reservepositionen, da die Auslandsschulden Russlands sehr stark gefallen sind. Russland kann sich das also eine Weile leisten – vielleicht sogar 12 oder 18 Monate. Aber dass man das über Jahre aushalten wird, glauben wir nicht.
Wie hoch schätzen Sie die Gefährdung für die russische Wirtschaft durch die Auswirkungen des Coronavirus an? Wie krisenresistenz ist die russische Wirtschaft gerade angesichts der globalen Vernetzung?
Das ist ganz interessant. Wir haben uns über die ganzen Volkswirtschaften, in den wir uns als Raiffeisen Bank International aufhalten, angeschaut, wie exponiert die einzelnen Länder in Bezug auf potenzielle Corona-Risiken sind. Und da war für uns Russland eines der am wenigsten exponierten Länder. Weil natürlich klassische Übertragungskanäle wie Handelsoffenheit oder die Exportabhängigkeit im Sinne von höherwertigeren Gütern gering sind. Eine Ausnahme bildet der Ölpreiskanal. Sonst ist Russland auch ein Land, das weniger auf Tourismus angewiesen ist, also ein Land, das in der Summe wahrscheinlich relativ gut vorbereitet ist mit einer Epidemie umzugehen. Natürlich auch in Anbetracht der Staatsstrukturen, die es in Russland gibt bzw. die ggfs. harte Quarantänemaßnahmen a la China erleichtern. Insofern sehen wir Russland als ein deutlich weniger exponiertes Land als viele Länder in der EU oder im östlichen Europa. Insofern sind wir in Bezug auf die direkten Übertragungseffekte für Russland auch nicht so negativ gestimmt und würden Stand jetzt keine tiefe Rezession in Russland im Jahr 2020 erwarten. Unsere BIP-Schätzung für 2020 liegt derzeit im Bereich -0,5 Prozent bis 0,5 Prozent.
Was heißt das für die Außenentwicklung des Rubels?
Für den Rubel sehen wir kurzfristig durchaus Abwärtsrisiken. Er kann sich aber wahrscheinlich um die 75 Rubel pro US-Dollar stabilisieren, auch weil die russische Zentralbank am Devisenmarkt in die andere Richtung agieren wird als in den letzten Monaten und Jahren. Ohne die Unterstützung der Zentralbank könnte der Rubel natürlich deutlich Richtung US-Dollar 80 pro Rubel oder drüber gehen gegeben aktuelle Ölpreisniveaus. Aber das erwarten wir nicht. Die Zentralbank wird den Rubel aktiv stützen durch einen Zugriff auf den Reservefonds. Zweitens ist die Zentralbank entschlossen, den Zinssenkungspfad zu beenden und bei steigenden Inflationsrisiken wieder mit moderaten Zinserhöhungen zu reagieren. Insofern haben wir unsere USD-Rubelprognose für Mitte des Jahres um die 70 bis 75 angesetzt und nicht bei 80 oder drüber. Hier vertrauen wir auch auf die nachgewiesene und beachtliche administrative, pro-aktive plus regulatorische Krisenmanagementkompetenz bei der Zentralbank.
Welche langfristigen Auswirkungen auf das Wachstumsziel Russland sehen sie – gerade durch den Verbund von sinkenden Öleinnahmen und externen Belastungen durch das Virus?
Russland bleibt kurz- und mittelfristig in einer Phase der Stagnation, insbesondere im Vergleich zu anderen aufstrebenden Volkswirtschaften. Wir haben schon seit längerem unsere mittelfristigen Wachstumsprojektionen für Russland bei 1,5 Prozent festgeschrieben. Kurzfristig sehen wir jetzt sogar ein geringeres Wachstum bzw. einen leichten Rückgang an Wirtschaftsleistung. Natürlich kann es 2021 nach dem Rücksetzer in 2020 auch wieder einen gewissen Rebound geben, aber ein nachhaltiges BIP-Wachstum deutlich über 1,5 bis 2 Prozent ist nicht in Sicht. Daher dürfte es auch keine nachhaltige Steigerung des Einkommensniveaus geben. Wir denken, dass dieser Zustand niedriger Wachstumsraten noch über Jahre anhalten wird.