Kann Corona die Integrationskonkurrenz und Großmächterivalität im postsowjetischen Raum begünstigen?
Die Corona-Pandemie entwickelt sich
schrittweise zur größten globalen Herausforderung unserer Epoche. Die
Politwissenschaftler Ivan Krastev und Mark Leonard stellen in einer aktuellen Forschungsarbeit zu Recht fest,
dass die durch das Coronavirus verursachte Krise wahrscheinlich das größte
soziale Experiment unseres Lebens sei; denn es sei nicht abzusehen, wann und
wie die Pandemie zu Ende gehe.
Insofern ist wohl zu früh, über eine
Post-Corona-Welt zu diskutieren; auch sind die langfristigen Auswirkungen der
Pandemie für die EAWU und den postsowjetischen Raum aus heutiger Sicht nur
schwer abzuschätzen.
Belastungsprobe für die EAWU
Kurz- bis mittelfristig bildet Corona für die
EAWU-Staaten und den gesamten postsowjetischen Raum eine zusätzliche
Belastungsprobe. Die Pandemie hat die bereits bestehenden negativen Trends
vertieft und teilweise beschleunigt. Die komplexen Prozesse der Machtübergabe
in Russland, Kasachstan und Tadschikistan, die regierungskritischen Proteste in
Georgien und der Wunsch eines Teils kirgisischer Eliten nach einer Rückkehr zum
Präsidialmodell sind nicht durch Corona verursacht, wohl aber in ihrem Verlauf
beeinflusst worden.
Viele der aktuellen Probleme begannen dabei
schon vor der Ausbreitung des Coronavirus. Dazu zählen zum Beispiel der
Rückgang der Haushaltseinnahmen aufgrund sinkender Energiepreise, der nicht nur
für Russland, sondern auch für Kasachstan,
Aserbaidschan und Turkmenistan äußerst schmerzhaft ist, oder die stark
rückläufigen Überweisungen der Arbeitsmigranten aus Usbekistan, Kirgisistan und
Tadschikistan, deren Anteil am BIP dieser Staaten 20 bis 40 Prozent beträgt.
Die durch Corona verschärften
wirtschaftlichen Schwierigkeiten könnten zudem zu einer Bedrohung für die
sozialpolitische Stabilität werden und zahlreiche weitere Unsicherheiten
schaffen. Im Fall der Ukraine offenbarte die epidemiologische Krise extreme
Schwäche staatlicher Institutionen, die in einem Konflikt zwischen zentralen
und lokalen Behörden zu gipfeln droht. In Moldau vertiefte die
Coronavirus-Krise die Spaltung politischer Eliten. Für Georgien maximierten die
durch Corona verursachten Reise- und Transitverluste die Relevanz der
Normalisierung seiner Beziehungen zu Russland.
Probleme offengelegt
Die Corona-Pandemie hat den Ressourcenmangel,
die Ineffizienz staatlicher Institutionen und politischer Eliten sowie die
Notwendigkeit internationaler Unterstützung offenbart. Nicht zuletzt aber
zeigte die Krise die Schwäche bestehender Integrationsstrukturen innerhalb der
EAWU deutlich auf. Gerade Letzteres dürfte die Integrationskonkurrenz und
Großmächterivalität im postsowjetischen Raum nach dem Ende der Pandemie massiv
begünstigen. Auch aus diesem Grund wird sich die russische Führung in den
kommenden Jahren stärker sowohl auf die Außenwirtschaftsagenden als auch
sicherheitspolitischen Agenden im postsowjetischen Raum konzentrieren, in
erster Linie auf EAWU als potentielle Ausgangsbasis für Verhandlungen mit
China, aber auch mit der Europäischen Union.
Dr. Alexander Dubowyist Forscher im Bereich Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitikmit Schwerpunkt auf Osteuropa, Russland und den GUS-Raum
EAWU Insights: Corona als zusätzliche Belastungsprobe
Kann Corona die Integrationskonkurrenz und Großmächterivalität im postsowjetischen Raum begünstigen?
Die Corona-Pandemie entwickelt sich schrittweise zur größten globalen Herausforderung unserer Epoche. Die Politwissenschaftler Ivan Krastev und Mark Leonard stellen in einer aktuellen Forschungsarbeit zu Recht fest, dass die durch das Coronavirus verursachte Krise wahrscheinlich das größte soziale Experiment unseres Lebens sei; denn es sei nicht abzusehen, wann und wie die Pandemie zu Ende gehe.
Insofern ist wohl zu früh, über eine Post-Corona-Welt zu diskutieren; auch sind die langfristigen Auswirkungen der Pandemie für die EAWU und den postsowjetischen Raum aus heutiger Sicht nur schwer abzuschätzen.
Belastungsprobe für die EAWU
Kurz- bis mittelfristig bildet Corona für die EAWU-Staaten und den gesamten postsowjetischen Raum eine zusätzliche Belastungsprobe. Die Pandemie hat die bereits bestehenden negativen Trends vertieft und teilweise beschleunigt. Die komplexen Prozesse der Machtübergabe in Russland, Kasachstan und Tadschikistan, die regierungskritischen Proteste in Georgien und der Wunsch eines Teils kirgisischer Eliten nach einer Rückkehr zum Präsidialmodell sind nicht durch Corona verursacht, wohl aber in ihrem Verlauf beeinflusst worden.
Viele der aktuellen Probleme begannen dabei schon vor der Ausbreitung des Coronavirus. Dazu zählen zum Beispiel der Rückgang der Haushaltseinnahmen aufgrund sinkender Energiepreise, der nicht nur für Russland, sondern auch für Kasachstan, Aserbaidschan und Turkmenistan äußerst schmerzhaft ist, oder die stark rückläufigen Überweisungen der Arbeitsmigranten aus Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan, deren Anteil am BIP dieser Staaten 20 bis 40 Prozent beträgt.
Die durch Corona verschärften wirtschaftlichen Schwierigkeiten könnten zudem zu einer Bedrohung für die sozialpolitische Stabilität werden und zahlreiche weitere Unsicherheiten schaffen. Im Fall der Ukraine offenbarte die epidemiologische Krise extreme Schwäche staatlicher Institutionen, die in einem Konflikt zwischen zentralen und lokalen Behörden zu gipfeln droht. In Moldau vertiefte die Coronavirus-Krise die Spaltung politischer Eliten. Für Georgien maximierten die durch Corona verursachten Reise- und Transitverluste die Relevanz der Normalisierung seiner Beziehungen zu Russland.
Probleme offengelegt
Die Corona-Pandemie hat den Ressourcenmangel, die Ineffizienz staatlicher Institutionen und politischer Eliten sowie die Notwendigkeit internationaler Unterstützung offenbart. Nicht zuletzt aber zeigte die Krise die Schwäche bestehender Integrationsstrukturen innerhalb der EAWU deutlich auf. Gerade Letzteres dürfte die Integrationskonkurrenz und Großmächterivalität im postsowjetischen Raum nach dem Ende der Pandemie massiv begünstigen. Auch aus diesem Grund wird sich die russische Führung in den kommenden Jahren stärker sowohl auf die Außenwirtschaftsagenden als auch sicherheitspolitischen Agenden im postsowjetischen Raum konzentrieren, in erster Linie auf EAWU als potentielle Ausgangsbasis für Verhandlungen mit China, aber auch mit der Europäischen Union.
Dr. Alexander Dubowy ist Forscher im Bereich Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt auf Osteuropa, Russland und den GUS-Raum