Wir sprachen mit Eugen Alles, seit langen Jahren Chef der Frankfurter Messegesellschaft in Russland, über die Auswirkung von Corona auf die Branche, vielversprechende Messestandorte in Russland und die Entwicklung des Messegeschäfts nach Corona.
Herr Alles, seit wann ist
die Frankfurter Messe in Russland aktiv?
Nach Russland kamen wir 1998, und zwar zuerst nach Sankt Peterburg und
nicht etwa nach Moskau, wie die meisten unserer Konkurrenten. Die Idee war, in
Sankt Petersburg neben einer bereits etablierten Autoveranstaltung – dem Sankt
Petersburger Autosalon – auch eine Autoteilemesse aufzubauen. Damals hatten wir
als Messe Frankfurt mit der „Automechanika“ bereits die größte Autoteilemesse
der Welt erfolgreich organisiert und wollten das Format auch in Russland
etablieren. Aus dieser Veranstaltung ist dann die Gesellschaft Messe Frankfurt
RUS entstanden, die dann in Moskau registriert worden ist.
Blicken wir auf das
vergangene halbe Jahr. Wie gravierend war der Ausfall der Veranstaltungen im
ersten Halbjahr 2020 für die Frankfurter Messe?
Sehr gravierend. Wir hatten in Russland einen Totalausfall. Unsere erste
Veranstaltung war für März geplant, fiel also genau in die Zeit, als man in
Russland erstmals Veranstaltungsverbote ausgesprochen hatte. Seitdem fand keine
Veranstaltung mehr statt. Dies ist natürlich bitter, aber wir haben keinerlei
Zweifel, dass es bald wieder aufwärts geht. Zum Glück haben wir uns von Anfang
an mit unserem russischen Partner, dem „ExpoCenter“, genau abgestimmt, wie mit
Absagen und Verschiebungen umzugehen ist und warten jetzt auf die Entscheidung
der Politik, wann es wieder losgehen kann. Ein gemeinsames Sicherheitskonzept
sowie umfangreiche Informationsmaterialen werden vorbereitet, damit schon im
Oktober mit Veranstaltungen begonnen werden kann.
Wie stellt sich die
Konkurrenzsituation auf dem russischen Markt grundsätzlich dar? Wer sind die
größten Mitbewerber der Messe Frankfurt?
In Russland ist der Wettbewerb sehr stark, insbesondere für
Messegesellschaften. In Moskau hatten wir einmal bis zu 6.000 Events jährlich,
was ein unglaublich hoher Wert ist. Was unsere Wettbewerber aus Deutschland
angeht, ist zum Beispiel die Messe Düsseldorf zu nennen, die schon sehr früh
eine eigene Gesellschaft in Russland gegründet hat. Zudem sind auch die
Deutsche Messe und die Messe München in Russland mit einigen Messen vertreten.
Daneben tummeln sich hier auch die großen Weltnamen wie zum Beispiel die
britische „ReedExhibition“, die größte Messegesellschaft weltweit. Diese ist
hierzulande insbesondere im Umweltbereich und im Bereich Beauty & Kosmetik
sehr aktiv.
Welche besondere Rolle
spielen Messen in einem nach wie vor wirtschaftlichen „Entwicklungsland“ wie
Russland?
Messen sind nicht nur eine Handelsplattform, sondern eine Technologieschau
für Entwicklungen innerhalb der Branche. Als Messe Frankfurt organisieren wir
in Russland fünf oder sechs Leitmessen, zum Beispiel „Modern Bakery“, die sich
um die Technologie, Produktion und Equipment-Ausstattung im Bereich der
Brotherstellung dreht. Eine solche Messe ist einmal im Jahr das Ereignis für
die gesamte Branche. Dort gehen all diejenigen hin, die sich russlandweit als
relevant und wichtig einschätzen.
Liegt der Fokus in Russland
auf Verbraucher- oder auf Fachmessen? Oder gibt es sogar ein Hybrid-Format?
Die Mehrheit der Messen sind B2B-Veranstaltungen, also klassische
Fachmessen. Es gibt aber auch Hybrid-Formate, zum Beispiel im Automobilbereich.
Messe Frankfurt veranstaltet gemeinsam mit der Hyve Group im Rahmen eines Joint
Ventures die „Comtrans“, welche die zweitgrößte Nutzfahrzeugmesse in
Europa ist. Zu diesen Veranstaltungen kommen neben Endverbrauchern auch Händler
und Hersteller. Ein gutes Beispiel hierfür ist auch die mit dem US-amerikanischen
Musikhändlerverband NAMM veranstaltete „NAMM Musikmesse Moscow“.
Diese Messe wird parallel mit der führenden Messe für Veranstaltungstechnik und
Equipment „prolight+sound NAMM“ organisiert. Das ist ein Event, der beides
beinhaltet – sowohl Musikinstrumente für Endverbraucher als auch
Eventausstattung und Konzertbeleuchtung für Händler und Eventorganisatoren. Was
die Musikbranche besonders spannend macht, ist die Tatsache, dass die
Hersteller hier mehr am Endverbraucher interessiert sind als bei vielen anderen
Branchen.
Kann man eine Branche
herausstellen, die aktuell als die wichtigste und erfolgreichste in Russland
gilt?
Wir haben vor vier Jahren stark in additive Technologien (3D-Druck)
investiert. Dazu haben wir die Messe „rosmould“ gekauft. Das ist ein Event, bei
der wir heute eine sehr intensive Dynamik erleben. Viele Firmen, vor allem in
Russland, steigen gerade auf diese neue Technologie um oder ergänzen ihre
Produktion zumindest um Prozesse, die mit additiven Technologien verbunden
sind. Wir sind sehr froh, dass wir rechtzeitig auf diesen Zug aufgesprungen
sind. Diesen Bereich würde ich besonders herausstellen, weil es dafür in
Russland bereits einen großen Markt gibt.
Gibt es in Russland, abgesehen
von Moskau, auch andere interessante Messezentren?
Ja, definitiv, zum Beispiel Krasnodar. Dort hat ein Konsortium stark
investiert und ein sehr modernes Messegelände mit exzellenter Infrastruktur
gebaut. Wir planen zusammen mit unseren chinesischen Partnern derzeit
Veranstaltungen im Rahmen der „Belt and Road Initiative“. Vor diesem
Hintergrund gibt es u. a. Bestrebungen, Veranstaltungen im Bereich der
Agrarentwicklung aufzusetzen, wofür sich der Standort aufgrund seiner Lage, der
hohen Dichte an Agrarfirmen und der Nachfrage vor Ort sehr gut eignen würde.
Der Fokus könnte auf dem Maschinenbau und der Maschinentechnik für den
Agrarbereich liegen. Darüber hinaus denken wir auch über eine Konsumgüter-Show
in Krasnodar nach. In diesem Bereich ist auch eine steigende Nachfrage zu
beobachten. Das gilt auch für Autoersatzteile.
Spielt hier auch die
Entfernung zu Moskau eine Rolle?
Ja, absolut. Je näher man an Moskau dran ist, desto schwieriger ist es, die
einzelnen Projekte zu bespielen. Ein ganz banales Beispiel: Wenn Sie ein
Messegelände in Iwanowo oder Kaluga haben, dann wird es sehr schwer. Man wird
nur wenige Besucher an diese Orte bekommen, auch lokale und regionale Unternehmen,
weil diese Standorte zu nah bei Moskau sind. Dies ist in Krasnodar ganz anders.
Die Stadt ist weit genug von Moskau entfernt und hat mit dem Flughafen eine
gute Infrastruktur. Wenn man Erfolg haben will, muss aber das ganze Paket
stimmen.
Mit der letzten Frage möchten
wir einen Blick nach vorne richten. Wie wird die Messe der Zukunft aussehen?
Auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie?
Ich bin sehr skeptisch, dass wir komplett auf digitale Formate umsteigen
werden. Ich glaube, je komplizierter die Branche ist und je komplizierter die
Abläufe und Prozesse sind, desto weniger kann das Ganze „online“ funktionieren.
Das merken wir jetzt ganz deutlich. Wenn sie zum Beispiel eine Veranstaltung
haben, wo Prozesse dargestellt werden, wie zum Beispiel bei „Modern
Bakery“ oder „Interlight Moscow“, ist eine Offline-Veranstaltung
unabdingbar. Eine Veranstaltung im Konsumgüterbereich dagegen kann man dagegen
zur Not auch „online“ ergänzen.
Grundsätzlich merken wir gerade, dass sich viele Menschen wieder nach einer
Face-to-Face-Kommunikation sehnen. Sie wollen diese Kommunikation, sie wollen
sich treffen und Produkte auch anfassen. Dies wird man über eine Software
niemals hinbekommen. Dabei kommt es teilweise zu interessanten Situationen: Wir
haben Kunden, die seit Längerem nicht mehr physisch ausgestellt haben, aber
jetzt sagen, dass sie zurück auf Messen wollen.
Die Fragen stellten Frank
Ebbecke und Dimitri Kling.
Interview: „Live-Erlebnis anstatt Homeoffice“: Nach Corona wird es wieder Messen geben
Wir sprachen mit Eugen Alles, seit langen Jahren Chef der Frankfurter Messegesellschaft in Russland, über die Auswirkung von Corona auf die Branche, vielversprechende Messestandorte in Russland und die Entwicklung des Messegeschäfts nach Corona.
Herr Alles, seit wann ist die Frankfurter Messe in Russland aktiv?
Nach Russland kamen wir 1998, und zwar zuerst nach Sankt Peterburg und nicht etwa nach Moskau, wie die meisten unserer Konkurrenten. Die Idee war, in Sankt Petersburg neben einer bereits etablierten Autoveranstaltung – dem Sankt Petersburger Autosalon – auch eine Autoteilemesse aufzubauen. Damals hatten wir als Messe Frankfurt mit der „Automechanika“ bereits die größte Autoteilemesse der Welt erfolgreich organisiert und wollten das Format auch in Russland etablieren. Aus dieser Veranstaltung ist dann die Gesellschaft Messe Frankfurt RUS entstanden, die dann in Moskau registriert worden ist.
Blicken wir auf das vergangene halbe Jahr. Wie gravierend war der Ausfall der Veranstaltungen im ersten Halbjahr 2020 für die Frankfurter Messe?
Sehr gravierend. Wir hatten in Russland einen Totalausfall. Unsere erste Veranstaltung war für März geplant, fiel also genau in die Zeit, als man in Russland erstmals Veranstaltungsverbote ausgesprochen hatte. Seitdem fand keine Veranstaltung mehr statt. Dies ist natürlich bitter, aber wir haben keinerlei Zweifel, dass es bald wieder aufwärts geht. Zum Glück haben wir uns von Anfang an mit unserem russischen Partner, dem „ExpoCenter“, genau abgestimmt, wie mit Absagen und Verschiebungen umzugehen ist und warten jetzt auf die Entscheidung der Politik, wann es wieder losgehen kann. Ein gemeinsames Sicherheitskonzept sowie umfangreiche Informationsmaterialen werden vorbereitet, damit schon im Oktober mit Veranstaltungen begonnen werden kann.
Wie stellt sich die Konkurrenzsituation auf dem russischen Markt grundsätzlich dar? Wer sind die größten Mitbewerber der Messe Frankfurt?
In Russland ist der Wettbewerb sehr stark, insbesondere für Messegesellschaften. In Moskau hatten wir einmal bis zu 6.000 Events jährlich, was ein unglaublich hoher Wert ist. Was unsere Wettbewerber aus Deutschland angeht, ist zum Beispiel die Messe Düsseldorf zu nennen, die schon sehr früh eine eigene Gesellschaft in Russland gegründet hat. Zudem sind auch die Deutsche Messe und die Messe München in Russland mit einigen Messen vertreten. Daneben tummeln sich hier auch die großen Weltnamen wie zum Beispiel die britische „ReedExhibition“, die größte Messegesellschaft weltweit. Diese ist hierzulande insbesondere im Umweltbereich und im Bereich Beauty & Kosmetik sehr aktiv.
Welche besondere Rolle spielen Messen in einem nach wie vor wirtschaftlichen „Entwicklungsland“ wie Russland?
Messen sind nicht nur eine Handelsplattform, sondern eine Technologieschau für Entwicklungen innerhalb der Branche. Als Messe Frankfurt organisieren wir in Russland fünf oder sechs Leitmessen, zum Beispiel „Modern Bakery“, die sich um die Technologie, Produktion und Equipment-Ausstattung im Bereich der Brotherstellung dreht. Eine solche Messe ist einmal im Jahr das Ereignis für die gesamte Branche. Dort gehen all diejenigen hin, die sich russlandweit als relevant und wichtig einschätzen.
Liegt der Fokus in Russland auf Verbraucher- oder auf Fachmessen? Oder gibt es sogar ein Hybrid-Format?
Die Mehrheit der Messen sind B2B-Veranstaltungen, also klassische Fachmessen. Es gibt aber auch Hybrid-Formate, zum Beispiel im Automobilbereich. Messe Frankfurt veranstaltet gemeinsam mit der Hyve Group im Rahmen eines Joint Ventures die „Comtrans“, welche die zweitgrößte Nutzfahrzeugmesse in Europa ist. Zu diesen Veranstaltungen kommen neben Endverbrauchern auch Händler und Hersteller. Ein gutes Beispiel hierfür ist auch die mit dem US-amerikanischen Musikhändlerverband NAMM veranstaltete „NAMM Musikmesse Moscow“. Diese Messe wird parallel mit der führenden Messe für Veranstaltungstechnik und Equipment „prolight+sound NAMM“ organisiert. Das ist ein Event, der beides beinhaltet – sowohl Musikinstrumente für Endverbraucher als auch Eventausstattung und Konzertbeleuchtung für Händler und Eventorganisatoren. Was die Musikbranche besonders spannend macht, ist die Tatsache, dass die Hersteller hier mehr am Endverbraucher interessiert sind als bei vielen anderen Branchen.
Kann man eine Branche herausstellen, die aktuell als die wichtigste und erfolgreichste in Russland gilt?
Wir haben vor vier Jahren stark in additive Technologien (3D-Druck) investiert. Dazu haben wir die Messe „rosmould“ gekauft. Das ist ein Event, bei der wir heute eine sehr intensive Dynamik erleben. Viele Firmen, vor allem in Russland, steigen gerade auf diese neue Technologie um oder ergänzen ihre Produktion zumindest um Prozesse, die mit additiven Technologien verbunden sind. Wir sind sehr froh, dass wir rechtzeitig auf diesen Zug aufgesprungen sind. Diesen Bereich würde ich besonders herausstellen, weil es dafür in Russland bereits einen großen Markt gibt.
Gibt es in Russland, abgesehen von Moskau, auch andere interessante Messezentren?
Ja, definitiv, zum Beispiel Krasnodar. Dort hat ein Konsortium stark investiert und ein sehr modernes Messegelände mit exzellenter Infrastruktur gebaut. Wir planen zusammen mit unseren chinesischen Partnern derzeit Veranstaltungen im Rahmen der „Belt and Road Initiative“. Vor diesem Hintergrund gibt es u. a. Bestrebungen, Veranstaltungen im Bereich der Agrarentwicklung aufzusetzen, wofür sich der Standort aufgrund seiner Lage, der hohen Dichte an Agrarfirmen und der Nachfrage vor Ort sehr gut eignen würde. Der Fokus könnte auf dem Maschinenbau und der Maschinentechnik für den Agrarbereich liegen. Darüber hinaus denken wir auch über eine Konsumgüter-Show in Krasnodar nach. In diesem Bereich ist auch eine steigende Nachfrage zu beobachten. Das gilt auch für Autoersatzteile.
Spielt hier auch die Entfernung zu Moskau eine Rolle?
Ja, absolut. Je näher man an Moskau dran ist, desto schwieriger ist es, die einzelnen Projekte zu bespielen. Ein ganz banales Beispiel: Wenn Sie ein Messegelände in Iwanowo oder Kaluga haben, dann wird es sehr schwer. Man wird nur wenige Besucher an diese Orte bekommen, auch lokale und regionale Unternehmen, weil diese Standorte zu nah bei Moskau sind. Dies ist in Krasnodar ganz anders. Die Stadt ist weit genug von Moskau entfernt und hat mit dem Flughafen eine gute Infrastruktur. Wenn man Erfolg haben will, muss aber das ganze Paket stimmen.
Mit der letzten Frage möchten wir einen Blick nach vorne richten. Wie wird die Messe der Zukunft aussehen? Auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie?
Ich bin sehr skeptisch, dass wir komplett auf digitale Formate umsteigen werden. Ich glaube, je komplizierter die Branche ist und je komplizierter die Abläufe und Prozesse sind, desto weniger kann das Ganze „online“ funktionieren. Das merken wir jetzt ganz deutlich. Wenn sie zum Beispiel eine Veranstaltung haben, wo Prozesse dargestellt werden, wie zum Beispiel bei „Modern Bakery“ oder „Interlight Moscow“, ist eine Offline-Veranstaltung unabdingbar. Eine Veranstaltung im Konsumgüterbereich dagegen kann man dagegen zur Not auch „online“ ergänzen.
Grundsätzlich merken wir gerade, dass sich viele Menschen wieder nach einer Face-to-Face-Kommunikation sehnen. Sie wollen diese Kommunikation, sie wollen sich treffen und Produkte auch anfassen. Dies wird man über eine Software niemals hinbekommen. Dabei kommt es teilweise zu interessanten Situationen: Wir haben Kunden, die seit Längerem nicht mehr physisch ausgestellt haben, aber jetzt sagen, dass sie zurück auf Messen wollen.
Die Fragen stellten Frank Ebbecke und Dimitri Kling.