Wir sprachen mit Burkhard Binder, Co-Gründer des russischen Modehändlers Lamoda, über den Unterschied zwischen dem Marketplace-Modell und reinem Einkauf, die Vorteile der Corona-Einschränkungen für Onlinegeschäfte und das Potenzial des russischen Marktes.
Sie haben die Verantwortung für Ihr
persönliches “Werk”, Lamoda, in einer führenden Marktposition vor kurzem
abgegeben? Warum eigentlich?
Es war keine
schnelle Entscheidung, sondern ein Prozess. Für mich war jetzt einfach der
richtige Zeitpunkt gekommen, etwas Neues zu probieren. Natürlich hängt diese
Entscheidung auch mit der Einstellung eines neuen CEO zusammen, der das sehr
gut macht und auch damit, dass wir in der zweiten und dritten Reihe über ein
sehr starkes Team verfügen, das immer mehr Verantwortung übernehmen möchte. Zudem
hat mir Corona in die Karten gespielt – Lamoda erlebte in den letzten Monaten
wirtschaftlich die beste Zeit seit der Gründung. Der Zeitpunkt war deshalb
ideal.
Was unterscheidet den russischen
E-Commerce-Markt vom deutschen und generell von anderen?
Russland ist das
größte Land auf dieser Erde, was den hiesigen Markt grundsätzlich interessant
macht. Die riesigen Entfernungen eröffnen aber auch zusätzliche Möglichkeiten.
Russland verfügt einfach noch nicht über die Infrastruktur wie zum Beispiel
Deutschland, wo man als Konsument schnell vom Land in die großen Städte fahren
kann, um ein umfangreiches Angebot an verschiedenen Labels zu erhalten. In
Russland, vor allem in den kleineren Städten, lohnt es sich für viele Brands
nicht, einen eigenen Shop aufzumachen. Umso wichtiger für die Menschen dort ist
es, ein funktionierendes E-Commerce-System zu haben.
Ein großer
Unterschied zu Deutschland ist zudem, dass die Logistik bis vor kurzer Zeit
noch nicht sehr gut funktioniert hat. Auch war der Service-Level relativ
niedrig. Bei Lamoda hatten wir deshalb viel Aufbauarbeit in diesen Bereichen zu
leisten, u. a. eigene Kurierservices in den Regionen aufzubauen. In letzter
Zeit haben wir immer mehr auf Pick-up Points gesetzt, das sind Orte, an denen
die Kunden die Ware sowohl abholen als auch zurückgeben können.
Mittlerweile ist
der Service-Level in Russland viel höher als in Deutschland. Zum Beispiel kann man
die bestellte Ware gleich an der Tür anprobieren und bei Nichtgefallen auch
zurückgeben – ohne dafür eine Sondergebühr zu bezahlen. Das ist wirklich
einzigartig und so in Europa noch nicht etabliert.
Beim Onlinehandel gibt es unterschiedliche
Businessmodelle? Auf welches haben Sie bei Lamoda gesetzt? Und was waren die
Gründe dafür?
Als wir vor zehn
Jahren angefangen haben, war das Modell Marketplace noch nicht sehr verbreitet
und auch nicht einfach umzusetzen. Damals ging es los mit dem reinen Einkaufen
und hat sich erst über die Jahre zum Marketplace-Modell gewandelt. Aktuell
liegt der Marketplace-Anteil hier schon bei 45 Prozent und steigt stetig
weiter. Dieses Modell ist für uns per se sehr gut, da wir dadurch weniger
Warenrisiko haben. Gleichzeitig profitieren auch die Brands, weil sie zum
Beispiel die Preise bestimmen können. Das Modell kann allerdings nur
funktionieren, wenn die Brands eine Legal Entity in Russland gründen. Der Trend
geht aber immer mehr in diese Richtung.
Welche Technologien nutzen
E-Commerce-Unternehmen, um die Position im Markt zu sichern oder zu erhöhen?
Hier ist Big Data
sehr, sehr wichtig. Je mehr man über den Kunden weiß und je mehr man seine
Gewohnheiten kennt, desto besser kann man ihm die richtigen Produkte anbieten.
Hier gibt es sehr viele Tools auf dem Markt, zum Beispiel zur Ausmessung des
Körpers, aber auch zur Ausmessung der Schuhe, womit die optimalen Größen für
die Kunden bestimmt werden können. Das macht es dem Kunden einfacher und ist
gleichzeitig für uns sehr wichtig, weil wir dadurch unsere Retoursendungen
senken können. Lamoda nutzt die App Virtual Hit, mit der man verschiedene
Schuhe virtuell anprobieren kann. Und solche Technologien werden immer weiter
ausgebaut.
Wie sehen Sie – auch im Hinblick auf die
‘endlosen’ Corona-Zeiten – allgemein die Zukunft des E-Commerce in Russland?
E-Commerce hatte vor
Corona ehrlicherweise etwas an Fahrt verloren. Durch die Corona-Einschränkungen
ist die Stimmung aber deutlich gekippt. E-Commerce in Russland ist gerade
absolut angesagt und boomt, was man sehr gut an den Aktienkursen der
einschlägigen Unternehmen ablesen kann. Durch die Möglichkeit einer zweiten
Welle könnte dieser Effekt sogar noch weiter verstärkt werden. Ich glaube auch,
dass viele Unternehmen durch die Krise angefangen haben, in Bezug auf
E-Commerce umzudenken und in Zukunft viel flexibler und viel offener für neue
Online-Vertriebsmodelle sein werden.
Was sind Ihre persönlichen Ziele für die
nächsten Jahre? Welche nächsten Projekte verfolgen Sie?
Ich möchte auf
jeden Fall in Moskau bleiben und arbeite gerade an einem neuen Projekt, was ich
bald präsentieren werde. Mir macht Fashion und E-Commerce weiterhin sehr viel
Spaß und in Russland gibt es in diesen Bereichen noch sehr viel aufzubauen. Ich
fühle mich wohl in Russland und vertraue auch weiterhin auf das große Potenzial
des russischen Marktes.
Die Fragen stellten Frank Ebbecke und Dmitri
Kling
Interview: „Mir machen Fashion und E-Commerce sehr viel Spaß“
Wir sprachen mit Burkhard Binder, Co-Gründer des russischen Modehändlers Lamoda, über den Unterschied zwischen dem Marketplace-Modell und reinem Einkauf, die Vorteile der Corona-Einschränkungen für Onlinegeschäfte und das Potenzial des russischen Marktes.
Sie haben die Verantwortung für Ihr persönliches “Werk”, Lamoda, in einer führenden Marktposition vor kurzem abgegeben? Warum eigentlich?
Es war keine schnelle Entscheidung, sondern ein Prozess. Für mich war jetzt einfach der richtige Zeitpunkt gekommen, etwas Neues zu probieren. Natürlich hängt diese Entscheidung auch mit der Einstellung eines neuen CEO zusammen, der das sehr gut macht und auch damit, dass wir in der zweiten und dritten Reihe über ein sehr starkes Team verfügen, das immer mehr Verantwortung übernehmen möchte. Zudem hat mir Corona in die Karten gespielt – Lamoda erlebte in den letzten Monaten wirtschaftlich die beste Zeit seit der Gründung. Der Zeitpunkt war deshalb ideal.
Was unterscheidet den russischen E-Commerce-Markt vom deutschen und generell von anderen?
Russland ist das größte Land auf dieser Erde, was den hiesigen Markt grundsätzlich interessant macht. Die riesigen Entfernungen eröffnen aber auch zusätzliche Möglichkeiten. Russland verfügt einfach noch nicht über die Infrastruktur wie zum Beispiel Deutschland, wo man als Konsument schnell vom Land in die großen Städte fahren kann, um ein umfangreiches Angebot an verschiedenen Labels zu erhalten. In Russland, vor allem in den kleineren Städten, lohnt es sich für viele Brands nicht, einen eigenen Shop aufzumachen. Umso wichtiger für die Menschen dort ist es, ein funktionierendes E-Commerce-System zu haben.
Ein großer Unterschied zu Deutschland ist zudem, dass die Logistik bis vor kurzer Zeit noch nicht sehr gut funktioniert hat. Auch war der Service-Level relativ niedrig. Bei Lamoda hatten wir deshalb viel Aufbauarbeit in diesen Bereichen zu leisten, u. a. eigene Kurierservices in den Regionen aufzubauen. In letzter Zeit haben wir immer mehr auf Pick-up Points gesetzt, das sind Orte, an denen die Kunden die Ware sowohl abholen als auch zurückgeben können.
Mittlerweile ist der Service-Level in Russland viel höher als in Deutschland. Zum Beispiel kann man die bestellte Ware gleich an der Tür anprobieren und bei Nichtgefallen auch zurückgeben – ohne dafür eine Sondergebühr zu bezahlen. Das ist wirklich einzigartig und so in Europa noch nicht etabliert.
Beim Onlinehandel gibt es unterschiedliche Businessmodelle? Auf welches haben Sie bei Lamoda gesetzt? Und was waren die Gründe dafür?
Als wir vor zehn Jahren angefangen haben, war das Modell Marketplace noch nicht sehr verbreitet und auch nicht einfach umzusetzen. Damals ging es los mit dem reinen Einkaufen und hat sich erst über die Jahre zum Marketplace-Modell gewandelt. Aktuell liegt der Marketplace-Anteil hier schon bei 45 Prozent und steigt stetig weiter. Dieses Modell ist für uns per se sehr gut, da wir dadurch weniger Warenrisiko haben. Gleichzeitig profitieren auch die Brands, weil sie zum Beispiel die Preise bestimmen können. Das Modell kann allerdings nur funktionieren, wenn die Brands eine Legal Entity in Russland gründen. Der Trend geht aber immer mehr in diese Richtung.
Welche Technologien nutzen E-Commerce-Unternehmen, um die Position im Markt zu sichern oder zu erhöhen?
Hier ist Big Data sehr, sehr wichtig. Je mehr man über den Kunden weiß und je mehr man seine Gewohnheiten kennt, desto besser kann man ihm die richtigen Produkte anbieten. Hier gibt es sehr viele Tools auf dem Markt, zum Beispiel zur Ausmessung des Körpers, aber auch zur Ausmessung der Schuhe, womit die optimalen Größen für die Kunden bestimmt werden können. Das macht es dem Kunden einfacher und ist gleichzeitig für uns sehr wichtig, weil wir dadurch unsere Retoursendungen senken können. Lamoda nutzt die App Virtual Hit, mit der man verschiedene Schuhe virtuell anprobieren kann. Und solche Technologien werden immer weiter ausgebaut.
Wie sehen Sie – auch im Hinblick auf die ‘endlosen’ Corona-Zeiten – allgemein die Zukunft des E-Commerce in Russland?
E-Commerce hatte vor Corona ehrlicherweise etwas an Fahrt verloren. Durch die Corona-Einschränkungen ist die Stimmung aber deutlich gekippt. E-Commerce in Russland ist gerade absolut angesagt und boomt, was man sehr gut an den Aktienkursen der einschlägigen Unternehmen ablesen kann. Durch die Möglichkeit einer zweiten Welle könnte dieser Effekt sogar noch weiter verstärkt werden. Ich glaube auch, dass viele Unternehmen durch die Krise angefangen haben, in Bezug auf E-Commerce umzudenken und in Zukunft viel flexibler und viel offener für neue Online-Vertriebsmodelle sein werden.
Was sind Ihre persönlichen Ziele für die nächsten Jahre? Welche nächsten Projekte verfolgen Sie?
Ich möchte auf jeden Fall in Moskau bleiben und arbeite gerade an einem neuen Projekt, was ich bald präsentieren werde. Mir macht Fashion und E-Commerce weiterhin sehr viel Spaß und in Russland gibt es in diesen Bereichen noch sehr viel aufzubauen. Ich fühle mich wohl in Russland und vertraue auch weiterhin auf das große Potenzial des russischen Marktes.
Die Fragen stellten Frank Ebbecke und Dmitri Kling