Der General Manager der Merck-Gruppe in Russland, Dr. Matthias Wernicke, erklärt im Interview, warum der russische Markt für das Chemie- und Pharmaunternehmen interessant ist und bleiben wird und auch, wie das Unternehmen durch die Corona-Krise gekommen ist.
Herr Dr. Wernicke, Sie sind seit Dezember 2017 für die Firma Merck in Russland tätig. Welche Eindrücke haben Sie in diesen turbulenten Jahren in Russland gesammelt?
Russland ist ein Land der Kontraste. Man nimmt unglaublich viele tolle Dinge wahr, die einen wirklich sehr beeindrucken. Beispielhaft ist hier der Arbeitseinsatz der Mitarbeiter zu nennen, dazu eine tolle Disziplin und Genauigkeit. Man sieht aber auch viel Bürokratie. Das wird gerade in der Corona-Pandemie besonders deutlich, wo man einem zum Beispiel bei der Einreise ins Land alle möglichen Papiere vor die Nase hält und man teilweise das Gefühl hat, dass die eine Hand nicht weiß, was die andere macht. Aber auch wirtschaftlich ist es ein Hin und Her. Wir hatten zuletzt zwei-drei Jahre, in denen eine gewisse Stabilität geherrscht hat, in denen wir eine stabile Währung und wenig Inflation hatten. Jetzt aber ist der Rubel-Euro-Wechselkurs wieder bei über 90. In der Summe muss man wirklich sagen, dass man im Russland-Geschäft starke Nerven haben muss.
Wie relevant ist der russische Markt für Merck?
Der russische Markt ist traditionell sehr wichtig für unser Unternehmen. Vor rund 120 Jahren war Russland für Merck nach den USA und Großbritannien der dritte Auslandsmarkt. Als eine langfristig agierende Firma sehen wir in Russland auch heute einen absolut wichtigen Partner sowohl auf der Pharmazie- als auch auf der Life- Science-Seite. Russland und die umliegenden Länder sind für uns heute teilweise wichtiger als so mancher Markt in Europa. Man muss aber auch realistisch sein und die Risiken betrachten. Ein Beispiel ist, wie eben schon erwähnt, der Rubel-Wechselkurs. Wir versuchen immer wachsam zu sein, um auf Veränderungen im Markt vernünftig reagieren zu können.
Russland hat wie die meisten anderen Staaten auch derzeit mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Wie wirkt sich die Krise auf Umsatz und Wachstum der Pharma-Branche aus?
Seit Beginn der Pandemie gibt es bei uns zwei Prioritäten: Unsere Mitarbeiter so gut wie möglich zu schützen und unsere Kunden – Patienten, Hersteller, Wissenschaftler und Forscher – weiter mit unseren Produkten zu beliefern. Bislang ist uns das ganz gut gelungen. Wir hatten tatsächlich keinen einzigen Corona-bedingten Lieferausfall, was uns sehr stolz macht. Dies ist insofern wichtig, als dass unsere Produkte im Zweifel ausschlaggebend für die Gesundheit der Patienten sind und auch generell zur Bekämpfung der Pandemie beitragen. In diesem Zusammenhang will ich kurz erwähnen, dass sich Merck in Russland an ganz verschiedenen Impfprogrammen beteiligt und so seinen Beitrag dazu leistet, den Auswirkungen der Pandemie Herr zu werden.
Was den Markt angeht, so sind viele Produkte aus dem Pharmaziebereich im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig. Dementsprechend hat uns die Pandemie auch nicht so viel anhaben können. Es gab natürlich den einen oder anderen Bereich, in dem die Nachfrage etwas rückläufig war, z. B. die Fruchtbarkeitsbehandlung. Aber auch hier hat sich die Situation mittlerweile stabilisiert. Generell sehen wir in Russland, dass die Versorgung auf allen wichtigen Krankheitsgebieten auch zu Corona-Zeiten gut funktioniert. Aber natürlich besteht immer die Gefahr, dass die Krankenhäuser unter der Last der intensivmedizinischen Ansprüche kollabieren und andere wichtige Behandlungen verschoben werden müssen.
Konnte Merck in einigen Bereichen sogar zulegen?
In der Tat gab es zusätzliche Nachfrage im Bereich der Corona-Forschung. Hier sind wir z. B. bei der Herstellung von Ausrüstungsgegenständen für die Laborforschung und die pharmazeutische Forschung sehr aktiv.
Das russische Industrieministerium will mit der „Strategie zur Entwicklung der Pharmaindustrie bis 2030“ heimische Arzneimittelhersteller stärker unterstützen. Wie sieht Ihre Strategie im Hinblick auf diese Initiative aus?
Dazu muss man wissen, dass es bereits die Strategie zur Entwicklung der Pharmaindustrie bis 2020 gab, die jetzt in die Pharmastrategie 2030 übergegangen ist. Die Tendenz war schon bei 2020 so, dass man viel Wert auf Lokalisierung gelegt hatte und lokalisierte Hersteller bevorzugt wurden. Daraufhin haben wir als Merck beschlossen, eine Lokalisierung in Russland zu unterstützen und aktiv voranzutreiben. Wir haben uns zwei Partner gesucht, die unsere Produkte mit unseren Qualitätsansprüchen und mit unseren Kontrollen produzieren. Das war ein langer und mühsamer Prozess, aber es hat sich gelohnt: In zwei Therapiegebieten funktioniert diese Strategie schon zu 100 Prozent.
Grundsätzlich würde ich sagen, dass Russland mit der Pharmastrategie 2020 auf das richtige Pferd gesetzt hat. Man hat es geschafft, Produktionskapazitäten im Land aufzubauen und groß zu machen. Mittlerweile gibt es viele russische Produktionsstätten, die auf Weltniveau mitproduzieren können. Es wäre jetzt aber falsch zu sagen, wir machen mit der Pharmastrategie 2030 einfach so weiter. Ich denke, es ist wirtschaftlich sinnvoller, gewisse Dinge in der weltweiten Produktions- und Logistikkette nur ein oder zweimal zu verfolgen. Stattdessen sollte sich Russland viel mehr auf den Aufbau von R&D-Kompetenzen konzentrieren.
Inwiefern unterscheidet sich der russische Pharmamarkt von dem in Europa? Bereiten Ihnen z. B. Plagiate geschäftliche Probleme?
Grundsätzlich sind Krankheiten auf der ganzen Welt mehr oder weniger gleich. Und auch die Therapieansätze sind sehr ähnlich. Der russische Markt unterscheidet sich demnach nicht großartig von anderen Märkten. Allerdings muss man auf zwei Dinge hinweisen: Das eine ist das Thema Framework für vernünftige Intellectual propertyprotection (Schutz des geistigen Eigentums – Anm. der Redaktion), wo Russland aufpassen muss, dass man sich nicht in eine bestimmte Ecke manövriert. Eigentlich gibt es dafür hierzulande eine entsprechende Gesetzgebung, aber trotzdem kommt es immer wieder zu Ausnahmen, wenn z. B. Nachahmerpräparate hergestellt werden, obwohl das Patent des Originalpräparats eigentlich noch gar nicht abgelaufen ist.
Der zweite Unterschied bezieht sich auf die teilweise großen Verzögerungen bei der Markteinführung von neuen Medikamenten. Dieser Prozess dauert teilweise wirklich sehr lange. Hier spielen Punkte wie Zulassung und Preisregistrierung eine Rolle. Die Mühlen der Bürokratie mahlen in Russland manchmal doch sehr langsam. Das muss eindeutig besser werden.
Wie optimistisch schauen Sie in die Zukunft? Welche Pläne hat Merck in Russland?
Wir bleiben auf jeden Fall in Russland. Wir sind im Land tief verwurzelt und sind auch optimistisch, was die Zukunft angeht. Russland wird sich wirtschaftlich und sozial weiterentwickeln und stabilisieren. Wir von Merck wollen dabei nicht nur mit den bestehenden Medikamenten weiterwachsen, sondern auch neue Produkte lancieren.
Die Fragen stellten Frank Ebbecke und Dimitri Kling.
Interview: „Die Pandemie hat uns nicht viel anhaben können“
Der General Manager der Merck-Gruppe in Russland, Dr. Matthias Wernicke, erklärt im Interview, warum der russische Markt für das Chemie- und Pharmaunternehmen interessant ist und bleiben wird und auch, wie das Unternehmen durch die Corona-Krise gekommen ist.
Herr Dr. Wernicke, Sie sind seit Dezember 2017 für die Firma Merck in Russland tätig. Welche Eindrücke haben Sie in diesen turbulenten Jahren in Russland gesammelt?
Russland ist ein Land der Kontraste. Man nimmt unglaublich viele tolle Dinge wahr, die einen wirklich sehr beeindrucken. Beispielhaft ist hier der Arbeitseinsatz der Mitarbeiter zu nennen, dazu eine tolle Disziplin und Genauigkeit. Man sieht aber auch viel Bürokratie. Das wird gerade in der Corona-Pandemie besonders deutlich, wo man einem zum Beispiel bei der Einreise ins Land alle möglichen Papiere vor die Nase hält und man teilweise das Gefühl hat, dass die eine Hand nicht weiß, was die andere macht. Aber auch wirtschaftlich ist es ein Hin und Her. Wir hatten zuletzt zwei-drei Jahre, in denen eine gewisse Stabilität geherrscht hat, in denen wir eine stabile Währung und wenig Inflation hatten. Jetzt aber ist der Rubel-Euro-Wechselkurs wieder bei über 90. In der Summe muss man wirklich sagen, dass man im Russland-Geschäft starke Nerven haben muss.
Wie relevant ist der russische Markt für Merck?
Der russische Markt ist traditionell sehr wichtig für unser Unternehmen. Vor rund 120 Jahren war Russland für Merck nach den USA und Großbritannien der dritte Auslandsmarkt. Als eine langfristig agierende Firma sehen wir in Russland auch heute einen absolut wichtigen Partner sowohl auf der Pharmazie- als auch auf der Life- Science-Seite. Russland und die umliegenden Länder sind für uns heute teilweise wichtiger als so mancher Markt in Europa. Man muss aber auch realistisch sein und die Risiken betrachten. Ein Beispiel ist, wie eben schon erwähnt, der Rubel-Wechselkurs. Wir versuchen immer wachsam zu sein, um auf Veränderungen im Markt vernünftig reagieren zu können.
Russland hat wie die meisten anderen Staaten auch derzeit mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Wie wirkt sich die Krise auf Umsatz und Wachstum der Pharma-Branche aus?
Seit Beginn der Pandemie gibt es bei uns zwei Prioritäten: Unsere Mitarbeiter so gut wie möglich zu schützen und unsere Kunden – Patienten, Hersteller, Wissenschaftler und Forscher – weiter mit unseren Produkten zu beliefern. Bislang ist uns das ganz gut gelungen. Wir hatten tatsächlich keinen einzigen Corona-bedingten Lieferausfall, was uns sehr stolz macht. Dies ist insofern wichtig, als dass unsere Produkte im Zweifel ausschlaggebend für die Gesundheit der Patienten sind und auch generell zur Bekämpfung der Pandemie beitragen. In diesem Zusammenhang will ich kurz erwähnen, dass sich Merck in Russland an ganz verschiedenen Impfprogrammen beteiligt und so seinen Beitrag dazu leistet, den Auswirkungen der Pandemie Herr zu werden.
Was den Markt angeht, so sind viele Produkte aus dem Pharmaziebereich im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig. Dementsprechend hat uns die Pandemie auch nicht so viel anhaben können. Es gab natürlich den einen oder anderen Bereich, in dem die Nachfrage etwas rückläufig war, z. B. die Fruchtbarkeitsbehandlung. Aber auch hier hat sich die Situation mittlerweile stabilisiert. Generell sehen wir in Russland, dass die Versorgung auf allen wichtigen Krankheitsgebieten auch zu Corona-Zeiten gut funktioniert. Aber natürlich besteht immer die Gefahr, dass die Krankenhäuser unter der Last der intensivmedizinischen Ansprüche kollabieren und andere wichtige Behandlungen verschoben werden müssen.
Konnte Merck in einigen Bereichen sogar zulegen?
In der Tat gab es zusätzliche Nachfrage im Bereich der Corona-Forschung. Hier sind wir z. B. bei der Herstellung von Ausrüstungsgegenständen für die Laborforschung und die pharmazeutische Forschung sehr aktiv.
Das russische Industrieministerium will mit der „Strategie zur Entwicklung der Pharmaindustrie bis 2030“ heimische Arzneimittelhersteller stärker unterstützen. Wie sieht Ihre Strategie im Hinblick auf diese Initiative aus?
Dazu muss man wissen, dass es bereits die Strategie zur Entwicklung der Pharmaindustrie bis 2020 gab, die jetzt in die Pharmastrategie 2030 übergegangen ist. Die Tendenz war schon bei 2020 so, dass man viel Wert auf Lokalisierung gelegt hatte und lokalisierte Hersteller bevorzugt wurden. Daraufhin haben wir als Merck beschlossen, eine Lokalisierung in Russland zu unterstützen und aktiv voranzutreiben. Wir haben uns zwei Partner gesucht, die unsere Produkte mit unseren Qualitätsansprüchen und mit unseren Kontrollen produzieren. Das war ein langer und mühsamer Prozess, aber es hat sich gelohnt: In zwei Therapiegebieten funktioniert diese Strategie schon zu 100 Prozent.
Grundsätzlich würde ich sagen, dass Russland mit der Pharmastrategie 2020 auf das richtige Pferd gesetzt hat. Man hat es geschafft, Produktionskapazitäten im Land aufzubauen und groß zu machen. Mittlerweile gibt es viele russische Produktionsstätten, die auf Weltniveau mitproduzieren können. Es wäre jetzt aber falsch zu sagen, wir machen mit der Pharmastrategie 2030 einfach so weiter. Ich denke, es ist wirtschaftlich sinnvoller, gewisse Dinge in der weltweiten Produktions- und Logistikkette nur ein oder zweimal zu verfolgen. Stattdessen sollte sich Russland viel mehr auf den Aufbau von R&D-Kompetenzen konzentrieren.
Inwiefern unterscheidet sich der russische Pharmamarkt von dem in Europa? Bereiten Ihnen z. B. Plagiate geschäftliche Probleme?
Grundsätzlich sind Krankheiten auf der ganzen Welt mehr oder weniger gleich. Und auch die Therapieansätze sind sehr ähnlich. Der russische Markt unterscheidet sich demnach nicht großartig von anderen Märkten. Allerdings muss man auf zwei Dinge hinweisen: Das eine ist das Thema Framework für vernünftige Intellectual propertyprotection (Schutz des geistigen Eigentums – Anm. der Redaktion), wo Russland aufpassen muss, dass man sich nicht in eine bestimmte Ecke manövriert. Eigentlich gibt es dafür hierzulande eine entsprechende Gesetzgebung, aber trotzdem kommt es immer wieder zu Ausnahmen, wenn z. B. Nachahmerpräparate hergestellt werden, obwohl das Patent des Originalpräparats eigentlich noch gar nicht abgelaufen ist.
Der zweite Unterschied bezieht sich auf die teilweise großen Verzögerungen bei der Markteinführung von neuen Medikamenten. Dieser Prozess dauert teilweise wirklich sehr lange. Hier spielen Punkte wie Zulassung und Preisregistrierung eine Rolle. Die Mühlen der Bürokratie mahlen in Russland manchmal doch sehr langsam. Das muss eindeutig besser werden.
Wie optimistisch schauen Sie in die Zukunft? Welche Pläne hat Merck in Russland?
Wir bleiben auf jeden Fall in Russland. Wir sind im Land tief verwurzelt und sind auch optimistisch, was die Zukunft angeht. Russland wird sich wirtschaftlich und sozial weiterentwickeln und stabilisieren. Wir von Merck wollen dabei nicht nur mit den bestehenden Medikamenten weiterwachsen, sondern auch neue Produkte lancieren.
Die Fragen stellten Frank Ebbecke und Dimitri Kling.