Wir sprachen mit Stephan Hoffmann, Geschäftsführender Gesellschafter der in Minsk ansässigen North IT Group, über den Wirtschaftsstandort Belarus, die Vor- und Nachteile des dortigen Bildungssystems und Fähigkeiten, die ein Mitarbeiter unbedingt mitbringen sollte.
Herr Hoffmann, was halten Sie von der Aussage „die Risiken des einen sind die Chancen des anderen“?
Dies stimmt natürlich. Jedoch kann man das nicht allein so stehen lassen. Wenn man ein Risiko betrachtet, ist der Blickwinkel meist isoliert fixiert. Nehmen wir mal an, Sie gründen eine Firma im Ausland. Sie haben auf der einen Seite natürlich finanzielle Risiken bis hin zum Totalausfall. Jedoch erweitern Sie Ihr Netzwerk enorm, lernen neue Sichtweisen und eine komplett andere Kultur kennen. Eine Firma in einem fremden Land zu führen, bedeutet nicht nur in einer anderen Sprache zu arbeiten, sondern sich mit dem örtlichen Finanzamt und staatlichen Arbeitsgesetzen, einer anderen HR-Kultur und anderen Arbeitswerten auseinanderzusetzen. Sie tauchen komplett in die neue Kultur ein. Unsere Lebenszeit ist endlich und wenn man am Ende Bilanz zieht, sind nach meiner Meinung vertane Chancen das größte Risiko.
Sie haben vor einigen Jahren ein IT-Unternehmen in der belarussischen Hauptstadt Minsk gegründet. Für einen Deutschen nicht unbedingt eine naheliegende Entscheidung. Wie kam es dazu?
Ich habe 2017 eine berufliche Auszeit in Minsk genommen, um intensiv Russisch zu lernen. Das war etwas, was ich schon immer mal machen wollte. Dabei haben mir das Land und die Menschen so gut gefallen, dass ich mich entschieden habe, zu bleiben. Ich habe relativ schnell eine Stelle bei einer großen, auf Osteuropa spezialisierten Unternehmensberatung gefunden. Hier arbeitete ich vor allem mit westlichen Partnern und Kunden zusammen. In dieser Zeit habe ich meinen jetzigen Mitgesellschafter getroffen, der für eine große Bank tätig war. Wir beide lieben die Menschen in Belarus und entschlossen uns, vor Ort etwas aufzubauen. In Deutschland noch recht unbekannt, bietet Belarus exzellente Rahmenbedingungen für die IT-Industrie. Wer mich auf LinkedIn verfolgt, meint eventuell, dies klinge abgedroschen, jedoch haben hier Privatunternehmen und die Behörden ein kleines “Silicon Valley“ geschaffen.
Es heißt, Belarus habe von der Sowjetunion ein vergleichsweise gutes Bildungssystem vor allem in den technischen Disziplinen geerbt? Können Sie das bestätigen?
Dies kann ich bestätigen. Der Ingenieurs- bzw. Entwicklerberuf ist hier sehr hoch angesehen und junge Menschen strömen in die Universitäten. Jedes Jahr verlassen rund 15.000 MINT-Absolventen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) die Institute. Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt. Wie auch in Deutschland sind manche Lehrmethoden veraltet. Es wird frontal unterrichtet und die neuesten Programmiersprachen werden selten praxisnah gelehrt. Wichtig ist jedoch, dass das Methodenverständnis da ist. Nach einem Jahr Praxis ist ein Programmierer auch für den Weltmarkt sehr gut aufgestellt. Nicht umsonst entwickeln nach Angaben des Belarus High Tech Park rund 40 Prozent aller belarussischen Entwickler für das „echte“ Silicon Valley in Kalifornien. Das alleine spricht schon für sich.
Sie unterrichten selbst an der Belarusian State Economic University (BGEU). Wie stark sind die Lerninhalte an den neuen Anforderungen orientiert?
Einer der Gründe für meine Lehrtätigkeit ist ebenfalls ein Erbe aus der Sowjetzeit. Das Verständnis für den Mittelstand, seine Werte und Kultur sowie Unternehmertum sind in Belarus leider unterentwickelt. Ich möchte im Speziellen das deutschsprachige Bild des Unternehmers vermitteln. Daher habe ich eine Mini-Lehrreihe „Doing Business in the Digital Age“ aufgesetzt, wo ich den Studenten Themen rund um HR, Marketing und Business Development praxisnah vermittele. Und dies alles auf Englisch. Weiterhin lade ich Manager aus internationalen Unternehmen ein, die neue Sichtweisen mit einzubringen. Im vergangenen Jahr haben Top-Manager von Siemens, Continental und Unity vom Unternehmensalltag in Deutschland berichtet. Das war zwar weniger Mittelstand, jedoch auch sehr interessant für unsere Studenten.
Was unterscheidet die Hochschulausbildung in Belarus von der in Deutschland?
In Deutschland haben die Hochschulen die Hoheit über die Lehre und Forschung. In Belarus bestimmt dies das Bildungsministerium. Weiter ist das belarussische System verschulter und der Fortschritt der Studenten wird stärker kontrolliert. Es werden definitiv mehr Vorlesungen gehalten. Dieser Ansatz hat bei den MINT-Fächern auch gewisse Vorteile, weil die Studenten stringenter geführt werden. Nachteile bestehen freilich bei der Kreativität.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit an der Universität beeinflusst?
Aus meiner Sicht hatte Corona einen positiven und einen negativen Effekt. Positiv ist, dass ich meine Kontakte mit Unternehmern und Behörden direkt in die virtuellen Vorlesungen holen kann, egal ob sie in Berlin, Stuttgart oder München sitzen. Sie können sich mit den belarussischen Studenten austauschen, was üblicherweise kaum zu realisieren wäre. Dagegen fällt negativ ins Gewicht, dass die Aktivität der Studenten bei Online-Vorlesungen erfahrungsgemäß deutlich geringer ist als bei Präsenzveranstaltungen. Dadurch findet oft keine Diskussion statt. Als Dozent hat man leider auch kaum Möglichkeiten, auf die Situation einzuwirken.
Existieren im Bereich der IT-Ausbildung auch staatliche Förderprogramme?
Der Staat hat einige Bildungsangebote aufgesetzt, damit auch Quereinsteiger auf den boomenden IT-Zug aufsteigen können. Weiter gibt es Steuererleichterungen für IT-Unternehmen, und ausländische Investoren und Manager können sich leichter vor Ort niederlassen. Belarus hatte im Jahr 2019 eine Nettozuwanderung im IT-Sektor. Das mag man als Deutscher kaum glauben, aber ja, der IT-Standort Belarus hatte tatsächlich eine hohe Anziehungskraft im letzten Jahrzehnt.
Kommt es zur Abwerbung der besten Talente durch internationale IT-Unternehmen? Werden an den Universitäten auch private Kooperationen mit IT-Unternehmen umgesetzt?
Durch die lokale Steuergesetzgebung ist der Umzug in ein fremdes Land für einen belarussischen Entwickler oft unattraktiv. Ein unverheirateter Entwickler, der 60.000 Euro brutto verdient, bekommt in Belarus netto rund 12.000 Euro mehr als in Deutschland. Und diese Gehälter sind nicht aus der Luft gegriffen. Wenn auch noch der Faktor Familie und Freunde und die Tatsache berücksichtig werden, dass die Lebenshaltungskosten in Minsk um etwa 50 Prozent unter denen in Berlin liegen, macht eine Relocation oft keinen Sinn. Was die privaten Kooperationen angeht, so sponsern die ganz großen IT-Firmen, wie etwa EPAM, die Universitäten und stellen auch Mitarbeiter für Lehrtätigkeiten frei.
Auf welche Hard- und Soft Skills achten Sie als Geschäftsführer bei der Einstellung von neuen Mitarbeitern, von den offensichtlichen IT-Skills mal abgesehen?
Ich sehe mich als liberalen, aufgeklärten Menschen und möchte mit offenen und kreativen Menschen – mit der Bereitschaft zu lernen – zusammenarbeiten. Ich muss das Feuer in den Augen sehen. Am Ende ist mir das Commitment zum Projekt wichtiger als Wissen oder Erfahrung. Natürlich muss fachliches Wissen zu einem gewissen Prozentsatz vorhanden sein. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass sich Erfahrung und Wissen einstellen, wenn man 100 Prozent hinter dem Projekt steht. Salopp gesagt, führe ich mein Unternehmen in „Scharnhorster Traditon“ mit Auftrag. Der Mitarbeiter muss den Auftrag verstehen und selbstständig umsetzen. Ich stehe dabei beratend zu Verfügung, wenn Bedarf besteht. Mit Leuten, die ich ständig anweisen muss, zuerst den linken Arm und dann den rechten Arm zu heben, kann und will ich nicht zusammenarbeiten.
Digitalisierung: „Ich muss das Feuer in den Augen sehen!“
Wir sprachen mit Stephan Hoffmann, Geschäftsführender Gesellschafter der in Minsk ansässigen North IT Group, über den Wirtschaftsstandort Belarus, die Vor- und Nachteile des dortigen Bildungssystems und Fähigkeiten, die ein Mitarbeiter unbedingt mitbringen sollte.
Herr Hoffmann, was halten Sie von der Aussage „die Risiken des einen sind die Chancen des anderen“?
Dies stimmt natürlich. Jedoch kann man das nicht allein so stehen lassen. Wenn man ein Risiko betrachtet, ist der Blickwinkel meist isoliert fixiert. Nehmen wir mal an, Sie gründen eine Firma im Ausland. Sie haben auf der einen Seite natürlich finanzielle Risiken bis hin zum Totalausfall. Jedoch erweitern Sie Ihr Netzwerk enorm, lernen neue Sichtweisen und eine komplett andere Kultur kennen. Eine Firma in einem fremden Land zu führen, bedeutet nicht nur in einer anderen Sprache zu arbeiten, sondern sich mit dem örtlichen Finanzamt und staatlichen Arbeitsgesetzen, einer anderen HR-Kultur und anderen Arbeitswerten auseinanderzusetzen. Sie tauchen komplett in die neue Kultur ein. Unsere Lebenszeit ist endlich und wenn man am Ende Bilanz zieht, sind nach meiner Meinung vertane Chancen das größte Risiko.
Sie haben vor einigen Jahren ein IT-Unternehmen in der belarussischen Hauptstadt Minsk gegründet. Für einen Deutschen nicht unbedingt eine naheliegende Entscheidung. Wie kam es dazu?
Ich habe 2017 eine berufliche Auszeit in Minsk genommen, um intensiv Russisch zu lernen. Das war etwas, was ich schon immer mal machen wollte. Dabei haben mir das Land und die Menschen so gut gefallen, dass ich mich entschieden habe, zu bleiben. Ich habe relativ schnell eine Stelle bei einer großen, auf Osteuropa spezialisierten Unternehmensberatung gefunden. Hier arbeitete ich vor allem mit westlichen Partnern und Kunden zusammen. In dieser Zeit habe ich meinen jetzigen Mitgesellschafter getroffen, der für eine große Bank tätig war. Wir beide lieben die Menschen in Belarus und entschlossen uns, vor Ort etwas aufzubauen. In Deutschland noch recht unbekannt, bietet Belarus exzellente Rahmenbedingungen für die IT-Industrie. Wer mich auf LinkedIn verfolgt, meint eventuell, dies klinge abgedroschen, jedoch haben hier Privatunternehmen und die Behörden ein kleines “Silicon Valley“ geschaffen.
Es heißt, Belarus habe von der Sowjetunion ein vergleichsweise gutes Bildungssystem vor allem in den technischen Disziplinen geerbt? Können Sie das bestätigen?
Dies kann ich bestätigen. Der Ingenieurs- bzw. Entwicklerberuf ist hier sehr hoch angesehen und junge Menschen strömen in die Universitäten. Jedes Jahr verlassen rund 15.000 MINT-Absolventen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) die Institute. Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt. Wie auch in Deutschland sind manche Lehrmethoden veraltet. Es wird frontal unterrichtet und die neuesten Programmiersprachen werden selten praxisnah gelehrt. Wichtig ist jedoch, dass das Methodenverständnis da ist. Nach einem Jahr Praxis ist ein Programmierer auch für den Weltmarkt sehr gut aufgestellt. Nicht umsonst entwickeln nach Angaben des Belarus High Tech Park rund 40 Prozent aller belarussischen Entwickler für das „echte“ Silicon Valley in Kalifornien. Das alleine spricht schon für sich.
Sie unterrichten selbst an der Belarusian State Economic University (BGEU). Wie stark sind die Lerninhalte an den neuen Anforderungen orientiert?
Einer der Gründe für meine Lehrtätigkeit ist ebenfalls ein Erbe aus der Sowjetzeit. Das Verständnis für den Mittelstand, seine Werte und Kultur sowie Unternehmertum sind in Belarus leider unterentwickelt. Ich möchte im Speziellen das deutschsprachige Bild des Unternehmers vermitteln. Daher habe ich eine Mini-Lehrreihe „Doing Business in the Digital Age“ aufgesetzt, wo ich den Studenten Themen rund um HR, Marketing und Business Development praxisnah vermittele. Und dies alles auf Englisch. Weiterhin lade ich Manager aus internationalen Unternehmen ein, die neue Sichtweisen mit einzubringen. Im vergangenen Jahr haben Top-Manager von Siemens, Continental und Unity vom Unternehmensalltag in Deutschland berichtet. Das war zwar weniger Mittelstand, jedoch auch sehr interessant für unsere Studenten.
Was unterscheidet die Hochschulausbildung in Belarus von der in Deutschland?
In Deutschland haben die Hochschulen die Hoheit über die Lehre und Forschung. In Belarus bestimmt dies das Bildungsministerium. Weiter ist das belarussische System verschulter und der Fortschritt der Studenten wird stärker kontrolliert. Es werden definitiv mehr Vorlesungen gehalten. Dieser Ansatz hat bei den MINT-Fächern auch gewisse Vorteile, weil die Studenten stringenter geführt werden. Nachteile bestehen freilich bei der Kreativität.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit an der Universität beeinflusst?
Aus meiner Sicht hatte Corona einen positiven und einen negativen Effekt. Positiv ist, dass ich meine Kontakte mit Unternehmern und Behörden direkt in die virtuellen Vorlesungen holen kann, egal ob sie in Berlin, Stuttgart oder München sitzen. Sie können sich mit den belarussischen Studenten austauschen, was üblicherweise kaum zu realisieren wäre. Dagegen fällt negativ ins Gewicht, dass die Aktivität der Studenten bei Online-Vorlesungen erfahrungsgemäß deutlich geringer ist als bei Präsenzveranstaltungen. Dadurch findet oft keine Diskussion statt. Als Dozent hat man leider auch kaum Möglichkeiten, auf die Situation einzuwirken.
Existieren im Bereich der IT-Ausbildung auch staatliche Förderprogramme?
Der Staat hat einige Bildungsangebote aufgesetzt, damit auch Quereinsteiger auf den boomenden IT-Zug aufsteigen können. Weiter gibt es Steuererleichterungen für IT-Unternehmen, und ausländische Investoren und Manager können sich leichter vor Ort niederlassen. Belarus hatte im Jahr 2019 eine Nettozuwanderung im IT-Sektor. Das mag man als Deutscher kaum glauben, aber ja, der IT-Standort Belarus hatte tatsächlich eine hohe Anziehungskraft im letzten Jahrzehnt.
Kommt es zur Abwerbung der besten Talente durch internationale IT-Unternehmen? Werden an den Universitäten auch private Kooperationen mit IT-Unternehmen umgesetzt?
Durch die lokale Steuergesetzgebung ist der Umzug in ein fremdes Land für einen belarussischen Entwickler oft unattraktiv. Ein unverheirateter Entwickler, der 60.000 Euro brutto verdient, bekommt in Belarus netto rund 12.000 Euro mehr als in Deutschland. Und diese Gehälter sind nicht aus der Luft gegriffen. Wenn auch noch der Faktor Familie und Freunde und die Tatsache berücksichtig werden, dass die Lebenshaltungskosten in Minsk um etwa 50 Prozent unter denen in Berlin liegen, macht eine Relocation oft keinen Sinn. Was die privaten Kooperationen angeht, so sponsern die ganz großen IT-Firmen, wie etwa EPAM, die Universitäten und stellen auch Mitarbeiter für Lehrtätigkeiten frei.
Auf welche Hard- und Soft Skills achten Sie als Geschäftsführer bei der Einstellung von neuen Mitarbeitern, von den offensichtlichen IT-Skills mal abgesehen?
Ich sehe mich als liberalen, aufgeklärten Menschen und möchte mit offenen und kreativen Menschen – mit der Bereitschaft zu lernen – zusammenarbeiten. Ich muss das Feuer in den Augen sehen. Am Ende ist mir das Commitment zum Projekt wichtiger als Wissen oder Erfahrung. Natürlich muss fachliches Wissen zu einem gewissen Prozentsatz vorhanden sein. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass sich Erfahrung und Wissen einstellen, wenn man 100 Prozent hinter dem Projekt steht. Salopp gesagt, führe ich mein Unternehmen in „Scharnhorster Traditon“ mit Auftrag. Der Mitarbeiter muss den Auftrag verstehen und selbstständig umsetzen. Ich stehe dabei beratend zu Verfügung, wenn Bedarf besteht. Mit Leuten, die ich ständig anweisen muss, zuerst den linken Arm und dann den rechten Arm zu heben, kann und will ich nicht zusammenarbeiten.