Während seines Antrittsbesuches in Moskau Anfang Februar dieses Jahres erinnerte der EU-Auslandsbeauftragte Josep Borrell daran, dass man vor 20 Jahren näher an einem Europa von Lissabon bis Wladiwostok gewesen sei, als heute. Aus handelspolitischer Sicht lässt sich hinzufügen, dass es so leider nicht gekommen ist.
Mit der Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU – Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Russland) in der Nachbarschaft zur EU hat sich 2015 eine Zollunion nach Vorbild der entsprechenden EU-Institutionen etabliert, mit dessen zuständiger Kommission Brüssel bislang jedoch kaum ein Wort gewechselt hat.
Dabei belegen wissenschaftlichen Studien, dass die EU ihre Exporte in die Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion um mehr als 50 Prozent steigern könnte, wenn es ein umfassendes Handelsabkommen zwischen den beiden Unionen gäbe. Die wirtschaftlichen Vorteile liegen auf der Hand, doch eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EU und der EAWU würde sich auch über das Wirtschaftliche hinaus positiv auswirken. Ein Abkommen wäre nicht nur ein klares Bekenntnis zum Multilateralismus und gegen zunehmenden Protektionismus, es böte auch einen Stabilitätsanker für die Ära nach Putin, Nasarbajew und Lukaschenko, und es würde dazu beitragen, die Belt and Road Initiative unter der Federführung Chinas in ein besseres Gleichgewicht zu bringen.
Argumente der Gegner ernstnehmen
Häufige Argumente gegen eine offizielle Kooperation zwischen der EU und der EAWU sind die Dominanz Russlands unter den fünf Ländern der EAWU sowie die Forderungen, zuerst müsse Minsk II umgesetzt werden und Russland seinen Protektionismus beenden. Oft hört man auch, dass die USA gegen einen solchen gemeinsamen Wirtschaftsraum sind, oder zumindest, dass Polen und die baltischen Staaten ihn ablehnen. Dass Russland Protektionismus betreibt, steht außer Frage. Allerdings ist dieser vergleichbar mit dem der USA und Chinas und, bis zu einem gewissen Grad, dem der EU. Gespräche mit der EAWU würden dazu beitragen, Protektionismus zu reduzieren. Auf politischer Ebene würden die USA einen Wirtschaftsraum von Lissabon bis nach Wladiwostok nicht begrüßen. Europa hat sich beim neuen Handelsabkommen USMCA nicht eingemischt, obwohl das USMCA ein klares Beispiel für das Recht des Stärkeren und nicht für die Stärke des Rechts darstellt.
Die Zeit nach Putin, Nasarbajew und Lukaschenko
Durch ein solches Abkommen mit der EU würde auch die EAWU erheblich an Bedeutung gewinnen. Im Falle eines Ausscheidens der Präsidenten Putin oder Lukaschenko aus dem Amt könnte eine starke EAWU, und insbesondere eine viel stärkere Eurasische Wirtschaftskommission, dazu beitragen, eine geordnete Übergabe an deren Nachfolger zu erleichtern und sich positiv auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung auswirken.
Die europäische Antwort auf Chinas Neue Seidenstraße
Eine der häufig gestellten Fragen lautet, wie das Lisbon-Vladivostok-Projekt mit der Belt and Road Initiative zusammenhängt. Die Antwort ist einfach: Es steht nicht in Konkurrenz dazu, sondern bildet vielmehr das logische europäisch-eurasische Gegenstück. Gemeinsame Standards der EU und der EAWU würden als Maßstab auch für China gelten. So könnte man die Bedenken von Menschen in Europa, Sibirien und Kasachstan gegenüber China und seiner Neuen Seidenstraße ausräumen.
Wie die Vision Realität werden kann
Zwar ist die Idee eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis nach Wladiwostok nicht neu, jedoch ist sie bisher eher eine Vision geblieben, als ein konkreter Plan, obgleich auf diese Vision im Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung hingewiesen wird.
Erfreulicherweise kam es jedoch in den vergangenen drei Jahren zu einem ersten kleinen Durchbruch. Es fanden mehrere konstruktive Gespräche auf Arbeitsebene zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Europäischen Kommission statt. Beteiligt waren daran Initiativen wie die Lisbon-Vladivostok-Arbeitsgruppe, die von mehr als 100 Unternehmen und Verbänden aus zwölf EU- und EAWU-Staaten unterstützt wird, darunter die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer und der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, der Russische Industrie- und Unternehmerverband (RSPP), die Belarussische Industrie- und Handelskammer (BelCCI) und andere. Es wurde ein internationaler Vorstand mit Mitgliedern aus Belarus, Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Russland gebildet, der die weitere Entwicklung koordinieren wird. Der Autor dieses Artikels wurde zum Vorstandsvorsitzenden gewählt. Die Arbeitsgruppen für Zoll und Logistik, technische Regulierung, Green Deal und Visaerleichterungen nehmen aktiv ihre Arbeit auf. Weitere Arbeitsgruppen werden folgen. Zu diesem ersten Durchbruch trug auch die Unterstützung durch das Bundeswirtschaftsministerium bei.
Studien der Wirtschaftsforschung zeigen, dass der Nutzen für Unternehmen der EU größer wäre als für Unternehmen der EAWU. Um eine echte Win-Win-Situation zu schaffen, sollte die EU die Interessen der EAWU-Länder berücksichtigen, beispielsweise wesentliche Visaerleichterungen, wie sie in diesen Ländern bereits für EU-Bürger eingeführt wurden. Davon würden dann wiederum Unternehmen in der EU profitieren, etwa in den Bereichen Tourismus, Luftverkehr und Fashion.
Technische Standards können über Krieg und Frieden entscheiden
Ein solcher gemeinsamer Wirtschaftsraum kann Teil einer europäisch-eurasischen Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis nach Wladiwostok sein und sollte Länder wie Georgien, Serbien, Republik Moldau und Ukraine miteinschließen. Der Handel kann in der Machtpolitik entscheidend sein. Und wie der tragische Konflikt in der Ukraine gezeigt hat, ist es die Macht, die die technischen Standards festlegt, die im Außenhandel die Oberhand gewinnt.
Ulf Schneider, Vorstandsvorsitzender der Initiative Lisbon-Vladivostok
Beziehungen zwischen der EU und Russland – Möglichkeiten für eine Annäherung
Ein Essay von Ulf Schneider
Während seines Antrittsbesuches in Moskau Anfang Februar dieses Jahres erinnerte der EU-Auslandsbeauftragte Josep Borrell daran, dass man vor 20 Jahren näher an einem Europa von Lissabon bis Wladiwostok gewesen sei, als heute. Aus handelspolitischer Sicht lässt sich hinzufügen, dass es so leider nicht gekommen ist.
Mit der Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU – Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Russland) in der Nachbarschaft zur EU hat sich 2015 eine Zollunion nach Vorbild der entsprechenden EU-Institutionen etabliert, mit dessen zuständiger Kommission Brüssel bislang jedoch kaum ein Wort gewechselt hat.
Dabei belegen wissenschaftlichen Studien, dass die EU ihre Exporte in die Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion um mehr als 50 Prozent steigern könnte, wenn es ein umfassendes Handelsabkommen zwischen den beiden Unionen gäbe. Die wirtschaftlichen Vorteile liegen auf der Hand, doch eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EU und der EAWU würde sich auch über das Wirtschaftliche hinaus positiv auswirken. Ein Abkommen wäre nicht nur ein klares Bekenntnis zum Multilateralismus und gegen zunehmenden Protektionismus, es böte auch einen Stabilitätsanker für die Ära nach Putin, Nasarbajew und Lukaschenko, und es würde dazu beitragen, die Belt and Road Initiative unter der Federführung Chinas in ein besseres Gleichgewicht zu bringen.
Argumente der Gegner ernstnehmen
Häufige Argumente gegen eine offizielle Kooperation zwischen der EU und der EAWU sind die Dominanz Russlands unter den fünf Ländern der EAWU sowie die Forderungen, zuerst müsse Minsk II umgesetzt werden und Russland seinen Protektionismus beenden. Oft hört man auch, dass die USA gegen einen solchen gemeinsamen Wirtschaftsraum sind, oder zumindest, dass Polen und die baltischen Staaten ihn ablehnen. Dass Russland Protektionismus betreibt, steht außer Frage. Allerdings ist dieser vergleichbar mit dem der USA und Chinas und, bis zu einem gewissen Grad, dem der EU. Gespräche mit der EAWU würden dazu beitragen, Protektionismus zu reduzieren. Auf politischer Ebene würden die USA einen Wirtschaftsraum von Lissabon bis nach Wladiwostok nicht begrüßen. Europa hat sich beim neuen Handelsabkommen USMCA nicht eingemischt, obwohl das USMCA ein klares Beispiel für das Recht des Stärkeren und nicht für die Stärke des Rechts darstellt.
Die Zeit nach Putin, Nasarbajew und Lukaschenko
Durch ein solches Abkommen mit der EU würde auch die EAWU erheblich an Bedeutung gewinnen. Im Falle eines Ausscheidens der Präsidenten Putin oder Lukaschenko aus dem Amt könnte eine starke EAWU, und insbesondere eine viel stärkere Eurasische Wirtschaftskommission, dazu beitragen, eine geordnete Übergabe an deren Nachfolger zu erleichtern und sich positiv auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung auswirken.
Die europäische Antwort auf Chinas Neue Seidenstraße
Eine der häufig gestellten Fragen lautet, wie das Lisbon-Vladivostok-Projekt mit der Belt and Road Initiative zusammenhängt. Die Antwort ist einfach: Es steht nicht in Konkurrenz dazu, sondern bildet vielmehr das logische europäisch-eurasische Gegenstück. Gemeinsame Standards der EU und der EAWU würden als Maßstab auch für China gelten. So könnte man die Bedenken von Menschen in Europa, Sibirien und Kasachstan gegenüber China und seiner Neuen Seidenstraße ausräumen.
Wie die Vision Realität werden kann
Zwar ist die Idee eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis nach Wladiwostok nicht neu, jedoch ist sie bisher eher eine Vision geblieben, als ein konkreter Plan, obgleich auf diese Vision im Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung hingewiesen wird.
Erfreulicherweise kam es jedoch in den vergangenen drei Jahren zu einem ersten kleinen Durchbruch. Es fanden mehrere konstruktive Gespräche auf Arbeitsebene zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Europäischen Kommission statt. Beteiligt waren daran Initiativen wie die Lisbon-Vladivostok-Arbeitsgruppe, die von mehr als 100 Unternehmen und Verbänden aus zwölf EU- und EAWU-Staaten unterstützt wird, darunter die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer und der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, der Russische Industrie- und Unternehmerverband (RSPP), die Belarussische Industrie- und Handelskammer (BelCCI) und andere. Es wurde ein internationaler Vorstand mit Mitgliedern aus Belarus, Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Russland gebildet, der die weitere Entwicklung koordinieren wird. Der Autor dieses Artikels wurde zum Vorstandsvorsitzenden gewählt. Die Arbeitsgruppen für Zoll und Logistik, technische Regulierung, Green Deal und Visaerleichterungen nehmen aktiv ihre Arbeit auf. Weitere Arbeitsgruppen werden folgen. Zu diesem ersten Durchbruch trug auch die Unterstützung durch das Bundeswirtschaftsministerium bei.
Studien der Wirtschaftsforschung zeigen, dass der Nutzen für Unternehmen der EU größer wäre als für Unternehmen der EAWU. Um eine echte Win-Win-Situation zu schaffen, sollte die EU die Interessen der EAWU-Länder berücksichtigen, beispielsweise wesentliche Visaerleichterungen, wie sie in diesen Ländern bereits für EU-Bürger eingeführt wurden. Davon würden dann wiederum Unternehmen in der EU profitieren, etwa in den Bereichen Tourismus, Luftverkehr und Fashion.
Technische Standards können über Krieg und Frieden entscheiden
Ein solcher gemeinsamer Wirtschaftsraum kann Teil einer europäisch-eurasischen Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis nach Wladiwostok sein und sollte Länder wie Georgien, Serbien, Republik Moldau und Ukraine miteinschließen. Der Handel kann in der Machtpolitik entscheidend sein. Und wie der tragische Konflikt in der Ukraine gezeigt hat, ist es die Macht, die die technischen Standards festlegt, die im Außenhandel die Oberhand gewinnt.
Ulf Schneider, Vorstandsvorsitzender der Initiative Lisbon-Vladivostok