Wir blicken über die Grenzen Russlands hinaus und erklären, warum Nachbar Ukraine die Corona-Pandemie als Chance für den digitalen Unterricht sieht.
Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der vor seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2019 neben der Schauspielkarriere auch die Fernsehproduktionsfirma Kwartal95 geführt hatte, war dies am Anfang der Corona-Pandemie ein Prestige-Projekt: die sogenannte „Allukrainische Schule Online“. Diese wurde innerhalb weniger Wochen von der gemeinnützigen Vereinigung „Oswitorija“ mit Unterstützung des Bildungsministeriums auf die Beine gestellt und ging bereits im April an den Start. Der größte Wert wurde damals auf eine Art Fernsehschule gelegt, für die elf ukrainische Sender werktags Unterrichtssendungen für Schüler verschiedener Klassen ausgestrahlt hatten.
Für die meisten Lehrer, die an dem Projekt teilgenommen haben, war dies eine vollkommen neue Erfahrung. Nicht nur, dass nur wenige von ihnen vorher vor einer Kamera gestanden hatten, die Unterrichtsinhalte mussten auch noch in der gebotenen Eile vorbereitet werden. Vor einer leeren Klasse hatten sie zudem auch noch nie gearbeitet, denn meist war neben dem Kameramann nur jeweils ein prominenter Gast im Aufnahmeraum. Darüber hinaus war eine Vergütung für die pädagogische Pilotleistung nicht möglich. Die Sendungen wurden regelmäßig von den ukrainischen Medien detailliert analysiert und besonders die Fehler von einigen Lehrern groß und breit im ukrainischen Internet diskutiert. Die Kritik war teils derart gigantisch, dass sich Selenskyj selbst in die Debatte einmischte: „Jeder hat in dieser ungewöhnlichen Situation ein Recht auf Fehler“, meinte der ukrainische Präsident.
Dennoch betrachten inzwischen sowohl die Lehrer als auch die Schüler die Fernsehschule überwiegend positiv: „Ich hatte persönlich nur eine Woche, um mich auf die Drehs vorzubereiten. Das war schon stressig und sehr ungewöhnlich. Zudem habe ich die 11. Klasse gekriegt, die trotz Corona die wichtige landesweite Abschlussprüfung im Sommer absolvieren musste. Das war schon viel Verantwortung auf einmal“, berichtet die Englischlehrerin Olha Manmar. „Bei einem solchen Unterricht gibt es kein direktes Feedback. Dabei war eine der Ideen hinter dem Projekt tatsächlich, eine gewisse Chancengleichheit zu schaffen. Hier in Kiew funktionierte der Digitalunterricht ganz ordentlich. Die Lehrer haben mit den Schülern etwa via Zoom kommuniziert. In der Provinz sind die technischen Möglichkeiten aber oft begrenzt. Meine Aufgabe war daher, wirklich so zu unterrichten, damit jeder alles ohne Rückfragen verstehen kann. Und wir haben in der Tat aus den Regionen sehr viele positive Zuschriften bekommen.“
Während die Ukraine im Frühjahr zu den osteuropäischen Ländern gehörte, die am schärfsten auf die Corona-Pandemie reagierten, ist der Umgang mit dieser inzwischen lockerer geworden. Grundsätzlich bleiben jetzt die Schulen bis auf den zweiwöchigen Lockdown im Januar offen. Das bedeutet jedoch nicht, dass alles genauso wie vor der Pandemie abläuft. Weil sich die gesamte Ukraine mittlerweile in der dritten von vier Gefahrenstufen der Pandemie befindet, gilt an den Schulen ein gemischtes System. Das heißt, dass ein Teil der Klassen die Schule tatsächlich besucht und die anderen Klassen in der gleichen Zeit online unterrichtet werden. Eine Klasse geht zusätzlich dann in Quarantäne, wenn es in dieser einen bestätigten Fall gibt. Wenn mehr als die Hälfte der Klassen sich in Quarantäne befindet, schließt die Schule vorerst komplett. Dieses Schulkonzept wird in der Ukraine oft als nicht ausreichend kritisiert, dennoch gibt es keine Anzeichen für gravierende Veränderungen.
Die Fernsehschule hat sich damit jedenfalls erstmal erledigt, hingegen arbeitete „Oswitorija“ zusammen mit ihren Partnern an einer langfristigen Online-Plattform unter dem gleichen Namen „Allukrainische Schule Online“, die auch über die Pandemie hinaus bestehen bleiben soll. Neben den ukrainischen Bildungs- und Digitalministerien wird das Projekt finanziell im Rahmen einer Bildungskooperation von der Schweiz unterstützt. Außerdem kooperiert die „Allukrainische Schule Online“ mit den drei größten ukrainischen Mobilfunkanbietern, die einen kostenlosen Zugang zum Online-Datenverkehr im Rahmen der Schule zur Verfügung stellen. All das ermöglicht, dass die Lehrer nun auch die entsprechenden Honorare erhalten. Konkret wird die Internet-Schule, auf die seit dem 11. Dezember zugegriffen werden kann, in mehreren Bausteinen umgesetzt. Am wichtigsten bleibt wie bei der Fernsehschule vorher der Video-Unterricht, den man nun zum gesamten Schulprogramm jederzeit abrufen kann. Zusätzlich bekommt der Schüler unterschiedliche Aufgaben, um neues Wissen zu festigen. Gearbeitet wird im Moment noch an dem sogenannten Lehrerraum. Dieser soll den Lehrern helfen, eine reale Klasse im System zu sortieren, den Fortschritt der Schüler bei der Lösung zu begleiten und perspektivisch sogar eigene Kurse zu erstellen. Zudem sollen bald auch Apps für iPhone und Android zur Verfügung stehen. Es sei allerdings klar, dass eine Internet-Plattform doch einige Schüler in der Provinz ausgrenzt, heißt es dazu aus dem Bildungsministerium. Dennoch mache man auch durch die Partnerschaft mit Mobilfunkanbietern alles, damit die Schule möglichst allen zugänglich bleibt.
Rund 90.000 Schüler und 25.000 Lehrer haben sich jedenfalls seit Mitte Dezember bei der „Allukrainischen Schule Online“ registriert. „Die Corona-Quarantäne ist natürlich sehr unangenehm. Sie diente uns aber als Motivation, dieses Projekt umzusetzen“, betont Anna Sydoruk von „Oswitorija“. „Uns freut es besonders, dass wir hier weniger das Projekt nur für den Ernstfall, sondern vielmehr auch für den Alltag entwickeln konnten. Die „Allukrainische Schule Online“ kann im ganz normalen Unterricht interaktiv eingesetzt werden und wird die Lernmöglichkeiten auch über die Quarantäne hinaus erweitern.“
Was sich dagegen die Eltern vor allem nach den neuen Erfahrungen mit dem Distanzunterricht während des Januar-Lockdowns zusätzlich wünschen, wäre eine sichere Videochat-Plattform, in der Lehrer mit ihren Schülern kommunizieren können. Bei den verfügbaren Instrumenten wie Zoom oder Google Classroom kommt es nicht selten vor, dass Außenstehende plötzlich den Unterricht stören, nachdem die Schüler die entsprechenden Links an Bekannte geschickt haben. Auch das nimmt „Oswitorija“ zur Kenntnis und möchte in der Zukunft eine Alternative bieten.
Digitalisierung: Die Ukraine verlagert die Schule ins Digitale
Wir blicken über die Grenzen Russlands hinaus und erklären, warum Nachbar Ukraine die Corona-Pandemie als Chance für den digitalen Unterricht sieht.
Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der vor seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2019 neben der Schauspielkarriere auch die Fernsehproduktionsfirma Kwartal95 geführt hatte, war dies am Anfang der Corona-Pandemie ein Prestige-Projekt: die sogenannte „Allukrainische Schule Online“. Diese wurde innerhalb weniger Wochen von der gemeinnützigen Vereinigung „Oswitorija“ mit Unterstützung des Bildungsministeriums auf die Beine gestellt und ging bereits im April an den Start. Der größte Wert wurde damals auf eine Art Fernsehschule gelegt, für die elf ukrainische Sender werktags Unterrichtssendungen für Schüler verschiedener Klassen ausgestrahlt hatten.
Für die meisten Lehrer, die an dem Projekt teilgenommen haben, war dies eine vollkommen neue Erfahrung. Nicht nur, dass nur wenige von ihnen vorher vor einer Kamera gestanden hatten, die Unterrichtsinhalte mussten auch noch in der gebotenen Eile vorbereitet werden. Vor einer leeren Klasse hatten sie zudem auch noch nie gearbeitet, denn meist war neben dem Kameramann nur jeweils ein prominenter Gast im Aufnahmeraum. Darüber hinaus war eine Vergütung für die pädagogische Pilotleistung nicht möglich. Die Sendungen wurden regelmäßig von den ukrainischen Medien detailliert analysiert und besonders die Fehler von einigen Lehrern groß und breit im ukrainischen Internet diskutiert. Die Kritik war teils derart gigantisch, dass sich Selenskyj selbst in die Debatte einmischte: „Jeder hat in dieser ungewöhnlichen Situation ein Recht auf Fehler“, meinte der ukrainische Präsident.
Dennoch betrachten inzwischen sowohl die Lehrer als auch die Schüler die Fernsehschule überwiegend positiv: „Ich hatte persönlich nur eine Woche, um mich auf die Drehs vorzubereiten. Das war schon stressig und sehr ungewöhnlich. Zudem habe ich die 11. Klasse gekriegt, die trotz Corona die wichtige landesweite Abschlussprüfung im Sommer absolvieren musste. Das war schon viel Verantwortung auf einmal“, berichtet die Englischlehrerin Olha Manmar. „Bei einem solchen Unterricht gibt es kein direktes Feedback. Dabei war eine der Ideen hinter dem Projekt tatsächlich, eine gewisse Chancengleichheit zu schaffen. Hier in Kiew funktionierte der Digitalunterricht ganz ordentlich. Die Lehrer haben mit den Schülern etwa via Zoom kommuniziert. In der Provinz sind die technischen Möglichkeiten aber oft begrenzt. Meine Aufgabe war daher, wirklich so zu unterrichten, damit jeder alles ohne Rückfragen verstehen kann. Und wir haben in der Tat aus den Regionen sehr viele positive Zuschriften bekommen.“
Während die Ukraine im Frühjahr zu den osteuropäischen Ländern gehörte, die am schärfsten auf die Corona-Pandemie reagierten, ist der Umgang mit dieser inzwischen lockerer geworden. Grundsätzlich bleiben jetzt die Schulen bis auf den zweiwöchigen Lockdown im Januar offen. Das bedeutet jedoch nicht, dass alles genauso wie vor der Pandemie abläuft. Weil sich die gesamte Ukraine mittlerweile in der dritten von vier Gefahrenstufen der Pandemie befindet, gilt an den Schulen ein gemischtes System. Das heißt, dass ein Teil der Klassen die Schule tatsächlich besucht und die anderen Klassen in der gleichen Zeit online unterrichtet werden. Eine Klasse geht zusätzlich dann in Quarantäne, wenn es in dieser einen bestätigten Fall gibt. Wenn mehr als die Hälfte der Klassen sich in Quarantäne befindet, schließt die Schule vorerst komplett. Dieses Schulkonzept wird in der Ukraine oft als nicht ausreichend kritisiert, dennoch gibt es keine Anzeichen für gravierende Veränderungen.
Die Fernsehschule hat sich damit jedenfalls erstmal erledigt, hingegen arbeitete „Oswitorija“ zusammen mit ihren Partnern an einer langfristigen Online-Plattform unter dem gleichen Namen „Allukrainische Schule Online“, die auch über die Pandemie hinaus bestehen bleiben soll. Neben den ukrainischen Bildungs- und Digitalministerien wird das Projekt finanziell im Rahmen einer Bildungskooperation von der Schweiz unterstützt. Außerdem kooperiert die „Allukrainische Schule Online“ mit den drei größten ukrainischen Mobilfunkanbietern, die einen kostenlosen Zugang zum Online-Datenverkehr im Rahmen der Schule zur Verfügung stellen. All das ermöglicht, dass die Lehrer nun auch die entsprechenden Honorare erhalten. Konkret wird die Internet-Schule, auf die seit dem 11. Dezember zugegriffen werden kann, in mehreren Bausteinen umgesetzt. Am wichtigsten bleibt wie bei der Fernsehschule vorher der Video-Unterricht, den man nun zum gesamten Schulprogramm jederzeit abrufen kann. Zusätzlich bekommt der Schüler unterschiedliche Aufgaben, um neues Wissen zu festigen. Gearbeitet wird im Moment noch an dem sogenannten Lehrerraum. Dieser soll den Lehrern helfen, eine reale Klasse im System zu sortieren, den Fortschritt der Schüler bei der Lösung zu begleiten und perspektivisch sogar eigene Kurse zu erstellen. Zudem sollen bald auch Apps für iPhone und Android zur Verfügung stehen. Es sei allerdings klar, dass eine Internet-Plattform doch einige Schüler in der Provinz ausgrenzt, heißt es dazu aus dem Bildungsministerium. Dennoch mache man auch durch die Partnerschaft mit Mobilfunkanbietern alles, damit die Schule möglichst allen zugänglich bleibt.
Rund 90.000 Schüler und 25.000 Lehrer haben sich jedenfalls seit Mitte Dezember bei der „Allukrainischen Schule Online“ registriert. „Die Corona-Quarantäne ist natürlich sehr unangenehm. Sie diente uns aber als Motivation, dieses Projekt umzusetzen“, betont Anna Sydoruk von „Oswitorija“. „Uns freut es besonders, dass wir hier weniger das Projekt nur für den Ernstfall, sondern vielmehr auch für den Alltag entwickeln konnten. Die „Allukrainische Schule Online“ kann im ganz normalen Unterricht interaktiv eingesetzt werden und wird die Lernmöglichkeiten auch über die Quarantäne hinaus erweitern.“
Was sich dagegen die Eltern vor allem nach den neuen Erfahrungen mit dem Distanzunterricht während des Januar-Lockdowns zusätzlich wünschen, wäre eine sichere Videochat-Plattform, in der Lehrer mit ihren Schülern kommunizieren können. Bei den verfügbaren Instrumenten wie Zoom oder Google Classroom kommt es nicht selten vor, dass Außenstehende plötzlich den Unterricht stören, nachdem die Schüler die entsprechenden Links an Bekannte geschickt haben. Auch das nimmt „Oswitorija“ zur Kenntnis und möchte in der Zukunft eine Alternative bieten.
Denis Trubetskoy