Das Jahr 2020 markiert einen Wendpunkt für Russlands Pharmamarkt: Die gesetzlichen Weichen für den Online-Handel mit Medikamenten sind gestellt, die Einführung einer digitalen Pflichtmarkierung kommt wie geplant und die Corona-Pandemie lässt den Apotheken-Einzelhandel explodieren.
Noch vor einem Jahr stand der russische Pharmasektor, der sowohl den Apothekenhandel als auch die öffentliche Beschaffung umfasst, im Zeichen einer Stagnation. Nach den wachstumsstarken fünf Jahren, in denen sich der Markt dank des Endverbrauchersegments um etwa 16 Prozent jährlich vergrößerte, fiel das Umsatzplus 2018 auf 1,8 Prozent und erholte sich 2019 nur leicht auf 4,5 Prozent. Allein im März lag nun der Zuwachs bei den Apotheken bei 26,2 Prozent – ein absoluter Rekord während der ganzen Marktbeobachtungszeit.
Der Markt wird ab Juli 2020 noch härter umkämpft sein. Denn dann wollen die großen nationalen Internet-Handelsplattformen wie Yandex, Ozon, Wildberries sowie der staatliche Postdienstleister Russian Post in den Arzneimittelhandel einsteigen. Eine digitale Pflichtmarkierung bringt zuugleich Änderungen in Besteuerung der Händler mit sich mit. Durch eine gesetzlich regulierte Preisobergrenze für mehr als 700 „lebensnotwendigen Arzneimitteln“ wie Paracetamol wird sich deren Herstellung für viele Produzenten nicht mehr lohnen.
Große Chancen im Pharmamarkt
Nach Schätzung der Economist Intelligence Unit (EIU) belegte der russische Pharmamarkt im internationalen Vergleich in 2018 den Platz 16 – bezogen auf die Marktgröße in US-Dollar. Laut einer McKinsey Studie „Innovationen in Russland: eine unerschöpfliche Wachstumsquelle“ hat das Land durch das hochqualifizierte Fachpersonal wichtige Konkurrenzvorteile gegenüber den internationalen Mitbewerbern. Russland hätte gute Chancen, innerhalb von 20 Jahren zu einem der weltweit führenden Produzenten von Medikamenten in den Sparten Herz- und Gefäßkrankheiten, Onkologie und Zentrales Nervensystem aufzusteigen.
Das deckt sich mit dem Zeithorizont der aktuellen nationalen Strategie „Pharma 2030“. Sie soll die einheimische Produktion von Wirksubstanzen und pharmazeutischen Hilfsstoffe insbesonderefür Präparate in den Bereichen Onkologie, Herz- und Gefäßkrankheiten, Pädiatrie und Geriatrie um das 3,5-Fache gegenüber 2017 steigern, als umgerechnet 4,47 Milliarden Euro umgesetzt wurden.
Zwischen SPIK und Importsubstitution
Russland ist bekanntlich ein absoluter Rekordhalter bei Pharmaimporten: die Einfuhren übertreffen die Exporte um das Dreizehnfache. Dabei entfällt der Großteil (79%) der importierten Medikamente auf die EU-Länder: Deutschland (21 Prozent), Frankreich (acht Prozent) und Italien (sechs Prozent). Dennoch wurde in 2018 im Vergleich zum Vorjahr neun Prozent mehr pharmazeutische Erzeugnisse exportiert, hauptsächlich in die GUS und die EAWU.
Die ausländischen Produzenten Bayer, Sanofi, Novartis, Teva und Servier hatten in 2018 gemessen an den Apothekenverkäufen die größten Umsätze verbucht. Beim Verkaufsvolumen dagegen waren die russischen Hersteller Pharmstandard, OTCPharm und ValentaPharm führend. Insgesamt sind aktuell etwa 600 russische und 700 ausländische Hersteller auf dem russischen Markt tätig. Mehr als 5.800 verschiedene Produkte aus dem medizinischen Bereich sind in Russland erhältlich.
Im Zuge der vorangetriebenen Importsubstitution wurden 2019 insgesamt 15 neue Pharmastandorte in ganz Russland eröffnet oder ausgebaut. In St. Petersburg startete die Firma Geopharm die erste nationale Insulinproduktion. Das Unternehmen Polisan, einer der Branchenführer und Mitglied der russischen Handels- und Industriekammer, eröffnete ein wissenschaftstechnologisches Zentrum in der Stadt an der Newa. Gemeinsam mit deutschen Pharmakonzernen Stada, Bayer, Pfizer realisiert Polisan diverse Projekte zur Produktionslokalisierung. Kurz nach dem Pandemie-Ausbruch musste der russische Hersteller seine Produktion von den Medikamenten Cycopherone und Reamberine hochfahren, die bei mittelschweren und schweren COVID-Patienten eingesetzt werden können.
Das Unternehmen Veropharm (Abbot Group), einer der größten nationalen Hersteller der Onkologiepräparate, eröffnete eine neue Produktionslinie auf dem eigenen Standort im Gebiet Wladimir. Angioline, ein Pharmahersteller aus Nowosibirsk, weihte einen neuen Produktionsstandort für Herzpräparate und Stentimplantate ein. Der größte russische Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln Ewalar startet die Produktion von Phytopharmaka im Gebiet Altaj.
Joint-Ventures im Kommen
Auch die Joint-Ventures und die ausländischen Unternehmen, darunter Teva, AstraZeneca, Sanofi Aventis, Menarini, Stada, GSK und Gilead sind kräftig am Zug und haben eigene Produktionsstätten errichtet bzw. die Produktionsaufträge an die lokalen Unternehmen gegeben. Ein russisch-slowakischer Medizintechnikhersteller Chirana Plus lancierte die Produktion von Anästhesie- und Beatmungsgeräten in der Sonderwirtschaftszone Technopolis Moskau. Im Gebiet Moskau wurde die Produktion von Reaktionsprodukte für Bluttests des japanischen Herstellers Sismeks Production aufgenommen.
Der russische Branchenführer Biocad und das chinesische Shanghai Pharmaceuticals Holding (SPH) unterschrieben auf dem SPIEF-Forum in 2019 einen Vertrag über die Gründung eines 2,9 Milliarden US-Dollar schweren Joint-Ventures mit der Zielvorgabe, „mindestens sechs Arzneimitteln auf Basis von monoklonalen Antikörpern“ auf den chinesischen Markt zu bringen. Geplant sind Investitionen in klinische Studien in Höhe von cirka 250 Millionen US-Dollar. Ein weiteres aktuelles Großprojekt von Biocad ist die Entwicklung und Produktion eines Impfstoffes gegen COVID-19 gemeinsam mit dem russischen Zentrum für Virologie und Biotechnologie Vektor.
Lokalisierung als Standortvorteil
Die ausländischen Unternehmen, die in Russland bereits lokalisiert haben, blicken laut einer Deloitte Studie mit deutlich mehr Optimismus in die Zukunft als die Mitbewerber ohne eigene Produktion. Die Sonderinvestitionsverträge haben bereits die Pharmahersteller Sanofi, AstraZeneca, Biocad, Geropharm, NowaMedica, Pharhimex sowie Octapharma abgeschlossen. Die Zufriedenheit mit der aktuellen Geschäftslage stieg in 2019 von 54 Prozent auf 86 Prozent an.
Übrigens: Für die Hälfte der befragten lokalisierten ausländischen Unternehmen in Russland gehören sowohl SPIK 2.0. als auch die Ansiedlung in einer Sonderwirtschaftszone zu den gefragten Förderinstrumenten. Innerhalb von zehn Jahren haben ausländische Hersteller über 12,7 Milliarden Euro in insgesamt 30 neue Produktionsstandorte in Russland investiert.
Katja Wehmeyer, Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation
Russische Pharmaindustrie schlägt neues Kapitel auf
Das Jahr 2020 markiert einen Wendpunkt für Russlands Pharmamarkt: Die gesetzlichen Weichen für den Online-Handel mit Medikamenten sind gestellt, die Einführung einer digitalen Pflichtmarkierung kommt wie geplant und die Corona-Pandemie lässt den Apotheken-Einzelhandel explodieren.
Noch vor einem Jahr stand der russische Pharmasektor, der sowohl den Apothekenhandel als auch die öffentliche Beschaffung umfasst, im Zeichen einer Stagnation. Nach den wachstumsstarken fünf Jahren, in denen sich der Markt dank des Endverbrauchersegments um etwa 16 Prozent jährlich vergrößerte, fiel das Umsatzplus 2018 auf 1,8 Prozent und erholte sich 2019 nur leicht auf 4,5 Prozent. Allein im März lag nun der Zuwachs bei den Apotheken bei 26,2 Prozent – ein absoluter Rekord während der ganzen Marktbeobachtungszeit.
Der Markt wird ab Juli 2020 noch härter umkämpft sein. Denn dann wollen die großen nationalen Internet-Handelsplattformen wie Yandex, Ozon, Wildberries sowie der staatliche Postdienstleister Russian Post in den Arzneimittelhandel einsteigen. Eine digitale Pflichtmarkierung bringt zuugleich Änderungen in Besteuerung der Händler mit sich mit. Durch eine gesetzlich regulierte Preisobergrenze für mehr als 700 „lebensnotwendigen Arzneimitteln“ wie Paracetamol wird sich deren Herstellung für viele Produzenten nicht mehr lohnen.
Große Chancen im Pharmamarkt
Nach Schätzung der Economist Intelligence Unit (EIU) belegte der russische Pharmamarkt im internationalen Vergleich in 2018 den Platz 16 – bezogen auf die Marktgröße in US-Dollar. Laut einer McKinsey Studie „Innovationen in Russland: eine unerschöpfliche Wachstumsquelle“ hat das Land durch das hochqualifizierte Fachpersonal wichtige Konkurrenzvorteile gegenüber den internationalen Mitbewerbern. Russland hätte gute Chancen, innerhalb von 20 Jahren zu einem der weltweit führenden Produzenten von Medikamenten in den Sparten Herz- und Gefäßkrankheiten, Onkologie und Zentrales Nervensystem aufzusteigen.
Das deckt sich mit dem Zeithorizont der aktuellen nationalen Strategie „Pharma 2030“. Sie soll die einheimische Produktion von Wirksubstanzen und pharmazeutischen Hilfsstoffe insbesonderefür Präparate in den Bereichen Onkologie, Herz- und Gefäßkrankheiten, Pädiatrie und Geriatrie um das 3,5-Fache gegenüber 2017 steigern, als umgerechnet 4,47 Milliarden Euro umgesetzt wurden.
Zwischen SPIK und Importsubstitution
Russland ist bekanntlich ein absoluter Rekordhalter bei Pharmaimporten: die Einfuhren übertreffen die Exporte um das Dreizehnfache. Dabei entfällt der Großteil (79%) der importierten Medikamente auf die EU-Länder: Deutschland (21 Prozent), Frankreich (acht Prozent) und Italien (sechs Prozent). Dennoch wurde in 2018 im Vergleich zum Vorjahr neun Prozent mehr pharmazeutische Erzeugnisse exportiert, hauptsächlich in die GUS und die EAWU.
Die ausländischen Produzenten Bayer, Sanofi, Novartis, Teva und Servier hatten in 2018 gemessen an den Apothekenverkäufen die größten Umsätze verbucht. Beim Verkaufsvolumen dagegen waren die russischen Hersteller Pharmstandard, OTCPharm und ValentaPharm führend. Insgesamt sind aktuell etwa 600 russische und 700 ausländische Hersteller auf dem russischen Markt tätig. Mehr als 5.800 verschiedene Produkte aus dem medizinischen Bereich sind in Russland erhältlich.
Im Zuge der vorangetriebenen Importsubstitution wurden 2019 insgesamt 15 neue Pharmastandorte in ganz Russland eröffnet oder ausgebaut. In St. Petersburg startete die Firma Geopharm die erste nationale Insulinproduktion. Das Unternehmen Polisan, einer der Branchenführer und Mitglied der russischen Handels- und Industriekammer, eröffnete ein wissenschaftstechnologisches Zentrum in der Stadt an der Newa. Gemeinsam mit deutschen Pharmakonzernen Stada, Bayer, Pfizer realisiert Polisan diverse Projekte zur Produktionslokalisierung. Kurz nach dem Pandemie-Ausbruch musste der russische Hersteller seine Produktion von den Medikamenten Cycopherone und Reamberine hochfahren, die bei mittelschweren und schweren COVID-Patienten eingesetzt werden können.
Das Unternehmen Veropharm (Abbot Group), einer der größten nationalen Hersteller der Onkologiepräparate, eröffnete eine neue Produktionslinie auf dem eigenen Standort im Gebiet Wladimir. Angioline, ein Pharmahersteller aus Nowosibirsk, weihte einen neuen Produktionsstandort für Herzpräparate und Stentimplantate ein. Der größte russische Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln Ewalar startet die Produktion von Phytopharmaka im Gebiet Altaj.
Joint-Ventures im Kommen
Auch die Joint-Ventures und die ausländischen Unternehmen, darunter Teva, AstraZeneca, Sanofi Aventis, Menarini, Stada, GSK und Gilead sind kräftig am Zug und haben eigene Produktionsstätten errichtet bzw. die Produktionsaufträge an die lokalen Unternehmen gegeben. Ein russisch-slowakischer Medizintechnikhersteller Chirana Plus lancierte die Produktion von Anästhesie- und Beatmungsgeräten in der Sonderwirtschaftszone Technopolis Moskau. Im Gebiet Moskau wurde die Produktion von Reaktionsprodukte für Bluttests des japanischen Herstellers Sismeks Production aufgenommen.
Der russische Branchenführer Biocad und das chinesische Shanghai Pharmaceuticals Holding (SPH) unterschrieben auf dem SPIEF-Forum in 2019 einen Vertrag über die Gründung eines 2,9 Milliarden US-Dollar schweren Joint-Ventures mit der Zielvorgabe, „mindestens sechs Arzneimitteln auf Basis von monoklonalen Antikörpern“ auf den chinesischen Markt zu bringen. Geplant sind Investitionen in klinische Studien in Höhe von cirka 250 Millionen US-Dollar. Ein weiteres aktuelles Großprojekt von Biocad ist die Entwicklung und Produktion eines Impfstoffes gegen COVID-19 gemeinsam mit dem russischen Zentrum für Virologie und Biotechnologie Vektor.
Lokalisierung als Standortvorteil
Die ausländischen Unternehmen, die in Russland bereits lokalisiert haben, blicken laut einer Deloitte Studie mit deutlich mehr Optimismus in die Zukunft als die Mitbewerber ohne eigene Produktion. Die Sonderinvestitionsverträge haben bereits die Pharmahersteller Sanofi, AstraZeneca, Biocad, Geropharm, NowaMedica, Pharhimex sowie Octapharma abgeschlossen. Die Zufriedenheit mit der aktuellen Geschäftslage stieg in 2019 von 54 Prozent auf 86 Prozent an.
Übrigens: Für die Hälfte der befragten lokalisierten ausländischen Unternehmen in Russland gehören sowohl SPIK 2.0. als auch die Ansiedlung in einer Sonderwirtschaftszone zu den gefragten Förderinstrumenten. Innerhalb von zehn Jahren haben ausländische Hersteller über 12,7 Milliarden Euro in insgesamt 30 neue Produktionsstandorte in Russland investiert.
Katja Wehmeyer,
Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation