Im Interview mit dem Generaldirektor von CLAAS in Russland, Dr. Ralf Bendisch, sprechen wir über die gute Stimmung in der russischen Landwirtschaftsbranche, die hohen Nachfragen nach Landmaschinen und die Vorteile einer erfolgreichen Lokalisierung.
Herr Dr. Bendisch, Sie sind seit über 20 Jahren für das deutsche Familienunternehmen CLAAS in Russland tätig und sprechen im Gegensatz zu vielen Ihrer deutschen Kollegen fließend Russisch. Wann haben Sie die Leidenschaft für Land und Leute entwickelt?
Als gebürtiger Ostdeutscher habe ich in der ehemaligen Sowjetunion, genauer gesagt in Kiew, studiert und promoviert. Das waren insgesamt neun Jahre, in denen ich die russische Sprache sehr gut erlernen konnte. Aber es verhält sich damit wie mit dem berühmten Löffel zum Borschtsch: Sprachkompetenz allein reicht nicht, nur in Kombination mit einer soliden Ausbildung wird ein Schuh draus.
Nach meiner Promotion war ich dann zunächst wieder in Ostdeutschland im Landmaschinenbau tätig, bis unser Unternehmen im Zuge der Wiedervereinigung fast vollständig abgewickelt wurde und ich mich nach beruflichen Alternativen umschauen musste. Schließlich habe ich mich auf eine Stelle bei CLAAS beworben, wo mir die Möglichkeit in Aussicht gestellt wurde, wieder im russischsprachigen Raum arbeiten zu können. Mein Profil hat zu 150 Prozent gepasst und so sind CLAAS und ich dann glücklicherweise zueinandergekommen. Dies liegt mittlerweile schon fast 23 Jahre zurück.
Im Gegensatz zu den meisten anderen westlichen Unternehmen hat CLAAS seinen Firmensitz nicht in der russischen Machtzentrale Moskau. Wie fühlt sich das Leben und Arbeiten in der russischen Provinz an?
Tatsächlich haben wir in Russland ein zweigeteiltes Business. Unsere Vertriebsgesellschaft ist in Moskau angesiedelt, was damit zusammenhängt, dass die meisten Finanzinstitute schlicht und einfach in Moskau verortet sind und auch die Bewegung innerhalb Russlands von Region zu Region im Wesentlichen über Moskau abgewickelt wird. Allerdings hat ein Maschinenbaubetrieb in Moskau nichts zu suchen. Stattdessen wollten wir dorthin, wo unsere Kunden zu Hause sind. Und diese sitzen in der wichtigsten getreideproduzierenden Region des Landes – Krasnodar. Hier werden über zehn Prozent der gesamten Getreideernte Russlands produziert. 2003 haben wir deshalb unsere Gesellschaft in Krasnodar gegründet und hier auch unsere Fabrik gebaut.
Auch persönlich bin ich sehr glücklich, in der sogenannten Provinz zu leben. Ich fühle mich hier im Süden sehr wohl, was auch am sehr angenehmen Klima und den freundlichen Menschen liegt. Ich bin eher der Mensch für Sonne, Strand und Meer und nicht Berge und Schnee.
Sie sind seit vielen Jahren Honorarkonsul der Bundesrepublik in der Region Krasnodar. Welche Aufgaben kommen in diesem Zusammenhang auf Sie zu?
In der Tat bin ich schon seit knapp acht Jahren deutscher Honorarkonsul in der Region. Dies ist in erster Linie eine Ehrenfunktion, im Rahmen derer ich mich um die Entwicklung der Beziehungen im wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Bereich kümmere. Ein gutes Beispiel ist hier die sehr lebendige Städtepartnerschaft zwischen Krasnodar und Karlsruhe. Zudem kommen sehr viele Leute zu mir, die die Region Krasnodar kennenlernen wollen, um hier ein Business aufzubauen.
Ihre Verwurzelung in Krasnodar ist offensichtlich sehr stark. Ende 2020 wurden Sie vom Gouverneur der Region mit der Medaille „Held der Arbeit“ ausgezeichnet.
Tatsächlich war diese Auszeichnung auch für mich selbst eine große Überraschung. Ich bin bislang der einzige Ausländer, dem diese Ehre zuteilwurde. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich zuvor bereits zum Ehrenbürger der Stadt Krasnodar ernannt wurde und Inhaber der Verdienstmedaille der Region Krasnodar bin. Die Auszeichnung hat natürlich den Hauch der Sowjetunion, aber in Russland gehören solche Auszeichnungen zum Kulturgut und haben entsprechend einen hohen Stellenwert.
Kommen wir auf die CLAAS-Erfolgsgeschichte in Russland zu sprechen. CLAAS hat 2016 als erstes ausländisches Unternehmen einen sogenannten Sonderinvestitionsvertrag (SPIK) mit der russischen Regierung unterzeichnet. In Zeiten von aufkommendem Protektionismus eine vorausschauende Entscheidung. Wie kam es dazu?
Eigentlich war es eher eine Reaktion auf die Entwicklung, die sich in Russland vollzogen hatte. Besonders nach 2014, als die Sanktionen und Gegensanktionen in Kraft traten, wurden auch für die in Russland ansässigen ausländischen Produzenten die Daumenschrauben in Richtung Vertiefung der Lokalisierung sehr stark angezogen. Wir als CLAAS haben bereits 2012/13 die größte Einzelinvestition des Konzerns außerhalb Deutschlands eingeleitet – über 120 Millionen Euro an einem einzigen Standort. Damit konnten wir unsere Fabrik in Krasnodar erweitern und eine vollständige Fertigungstiefe schaffen. Die Idee war, große Bauteile nicht mehr über lange Strecken zu transportieren, um u. a. weniger Zoll- und Logistikkosten zu haben.
Allerdings wurde kurz nach Eröffnung der neuen Fabrik deutlich, dass unsere Investitionen nicht dazu geführt haben, automatisch als russischer Hersteller anerkannt zu werden. Vielmehr waren zu diesem Zeitpunkt die Anforderungen an die Lokalisierung bereits so hoch, dass wir von dem Zustand ganz weit entfernt waren, eine Gleichbehandlung am Markt zu bekommen. Diese Gleichbehandlung war jedoch Voraussetzung für die Teilnahme an Subsidienprogrammen der Regierung, die Kunden beim Kauf von russischen Maschinen in Anspruch nehmen konnten. Hier ging es um staatliche Zuschüsse von bis zu 25 Prozent des Kaufpreises.
Passenderweise wurde just zu diesem Zeitpunkt der Sonderinvestitionsvertrag (SPIK) als ein zusätzliches Investitionsinstrument von der russischen Regierung erarbeitet, und wir haben uns sehr bemüht, das erste westliche Unternehmen zu werden, das diesen Vertrag unterzeichnet. Dies ist uns zum Glück auch gelungen.
Der größte Vorteil war, dass wir mit der Unterzeichnung des Vertrags sofort den Status eines russischen Unternehmens bekamen. Den erforderlichen Lokalisierungsgrad konnten wir dann innerhalb der Laufzeit des SPIK (zehn Jahre) post factum schaffen. Man kann den SPIK deshalb sicherlich als eine Erfolgsgeschichte bezeichnen.
Apropos Erfolgsgeschichte. Russlands Agrarsektor befindet sich seit Jahren im Aufwind, u. a. befinden sich die Weizenexporte auf Weltrekordhöhe. Wie profitiert CLAAS vom Aufschwung der Branche?
Ich denke, dass wir als CLAAS einen kleinen Anteil daran haben, dass die russische Landwirtschaft sich so gut entwickelt. Ich bin natürlich kein Agrarexperte, aber was ich beobachte ist, dass die russische Landwirtschaft mehr und mehr unabhängig von Wetterkapriolen und Klimakataklysmen wird. Dies wird durch den Einsatz neuer, fortschrittlicher Technologien erreicht, sei es im Pflanzenschutz oder der Bodenbearbeitung und Ernte. Und vor allem im letzteren Bereich können wir mittlerweile ein großes Kapitel der Landwirtschaftsgeschichte mitschreiben, denn wir haben bereits Tausende Maschinen aus der Krasnodar-Produktion in die russische Landwirtschaft geliefert.
Mittlerweile ist Russland bei der Produktion von Getreide- und Hülsenfrüchten auf einem Niveau von 133 Millionen Tonnen im letzten Jahr, wovon etwa 30 Millionen in den Export gehen. Das ist sehr gut und man kann in der Folge darauf schließen, dass bei einer so gut funktionierenden Landwirtschaft die Landwirte Geld verdienen. Dadurch steigt natürlich auch die Bereitschaft, Geld in die Modernisierung des Maschinenparks zu investieren.
Eine weitere Erfolgsmeldung betrifft den Export landwirtschaftlicher Maschinen aus Russland. Unter anderem werden in Russland produzierte Mähdrescher in Europa immer beliebter. Welche Unternehmen betrachten sie hierzulande als ernsthafte Konkurrenten – heimische und internationale?
Natürlich spielt der Export von landwirtschaftlichen Maschinen in der russischen Politik eine sehr große Rolle. Allerdings sollte beim Landmaschinenbau meiner Meinung nach anstatt der Exporte eher der heimische Markt im Vordergrund stehen, der noch nicht in ausreichendem Maße mit moderner Landtechnik versorgt ist. Unserer Einschätzung nach – und das ist auch die Einschätzung des russischen Landwirtschaftsministeriums – wird z. B. bei Mähdreschern nur etwa die Hälfte des eigentlichen Bedarfs jedes Jahr durch neue Maschinen ersetzt.
Was den internationalen Bedarf an Maschinen, die in Russland produziert werden, angeht, so gibt es diesen zweifelsohne. Allerdings möchte ich in Zweifel stellen, dass die Nachfrage allzu groß ist. Aber ich glaube nicht, dass dies aktuell zu wesentlichen Marktanteilen in Europa führt. Davon sind wir noch weit entfernt. Auch CLAAS hat im vergangenen Jahr die ersten Probeexporte unserer Maschinen in vier EU-Länder durchgeführt, allerdings nur in kleinem Maße. Unser wichtigstes Exportland ist Kasachstan, wo wir jedes Jahr bis zu zehn Prozent unserer Produktion hin liefern.
Wie beurteilen Sie persönlich die wirtschaftliche Entwicklung in Russland, insbesondere in Hinblick auf die Pandemiefolgen und die politische Eiszeit mit Europa?
Natürlich ist die derzeitige politische Eiszeit zwischen Europa und Russland auch für uns sehr bedrückend. Oft fehlt meiner Meinung nach der Wille und der Wunsch, sich partnerschaftlich zu unterhalten und Themen offen zu besprechen.
Dennoch haben die Sanktionen und Gegensanktionen durchaus zu einer starken Entwicklung der russischen Wirtschaft in bestimmten Bereichen beigetragen. Man sieht z. B. in der Landwirtschaft ganz deutlich, wo in vielen Bereichen schon eine vollständige Selbstversorgung erreicht wurde. Wie Sie wissen, gibt es ein strategisches Programm der Lebensmittelsicherheit der russischen Regierung, in dem genau festgelegt ist, wieviel Prozent Schweinefleisch etc. aus eigener Produktion stammen muss. Die darin definierten Zielvorgaben wurden viele Jahre lang nicht erreicht. In den letzten Jahren wurde hier aber enorm aufgeholt.
Was die Industrieproduktion angeht, so geht es hier etwas langsamer vorwärts. Dies ist aber auch natürlich und der Tatsache geschuldet, dass oftmals Produktionen aufgebaut werden müssen, die seit der Sowjetzeit eingeschlafen sind, weil es lange Zeit einfacher war, die entsprechenden Produkte zu importieren. Dennoch gelingt es Schritt für Schritt, wenn auch teilweise mit Gewalt. Unternehmen werden zu Lokalisierungsschritten gezwungen, obwohl in Russland die technische Basis fehlt. Oftmals gibt es für bestimmte hochtechnologische Elemente wie etwa Antriebe und Kompressoren einfach keine Zulieferer. Aber um wirklich an der Spitze in einer Technologie zu sein, brauche ich auch Spitzenzuliefererkomponenten.
Wohin führt der Weg von CLAAS in der Zukunft in Russland?
Wir sagen immer, dass CLAAS nach Russland gekommen ist, um zu bleiben. Wir haben eine Fabrik in den Schwarzerdeboden gesetzt, die wir nicht mehr verrücken können. Keine 100 Meter. Das heißt, wir haben uns hier stark mit Beton und Stahlbeton verwurzelt und werden dieses Engagement auch weiterführen. Seit 2015 haben wir, als wir die zweite Ausbaustufe unserer Fabrik in Betrieb genommen haben, jedes Jahr weiter investiert. Auch im Moment bauen wir wieder über 5.000 Quadratmeter Produktionsfläche an und überlegen, neue hochtechnologische Bearbeitungsmaschinen anzuschaffen, weil wir auch den Bedarf für unsere Technik sehen. Wir sehen, dass wir eine wichtige Rolle in Russland spielen können und dass sich unser Business sehr gut entwickelt.
Die Fragen stellen Frank Ebbecke und Dimitri Kling.
Interview: „Wir sehen, dass wir eine wichtige Rolle in Russland spielen können“
Im Interview mit dem Generaldirektor von CLAAS in Russland, Dr. Ralf Bendisch, sprechen wir über die gute Stimmung in der russischen Landwirtschaftsbranche, die hohen Nachfragen nach Landmaschinen und die Vorteile einer erfolgreichen Lokalisierung.
Herr Dr. Bendisch, Sie sind seit über 20 Jahren für das deutsche Familienunternehmen CLAAS in Russland tätig und sprechen im Gegensatz zu vielen Ihrer deutschen Kollegen fließend Russisch. Wann haben Sie die Leidenschaft für Land und Leute entwickelt?
Als gebürtiger Ostdeutscher habe ich in der ehemaligen Sowjetunion, genauer gesagt in Kiew, studiert und promoviert. Das waren insgesamt neun Jahre, in denen ich die russische Sprache sehr gut erlernen konnte. Aber es verhält sich damit wie mit dem berühmten Löffel zum Borschtsch: Sprachkompetenz allein reicht nicht, nur in Kombination mit einer soliden Ausbildung wird ein Schuh draus.
Nach meiner Promotion war ich dann zunächst wieder in Ostdeutschland im Landmaschinenbau tätig, bis unser Unternehmen im Zuge der Wiedervereinigung fast vollständig abgewickelt wurde und ich mich nach beruflichen Alternativen umschauen musste. Schließlich habe ich mich auf eine Stelle bei CLAAS beworben, wo mir die Möglichkeit in Aussicht gestellt wurde, wieder im russischsprachigen Raum arbeiten zu können. Mein Profil hat zu 150 Prozent gepasst und so sind CLAAS und ich dann glücklicherweise zueinandergekommen. Dies liegt mittlerweile schon fast 23 Jahre zurück.
Im Gegensatz zu den meisten anderen westlichen Unternehmen hat CLAAS seinen Firmensitz nicht in der russischen Machtzentrale Moskau. Wie fühlt sich das Leben und Arbeiten in der russischen Provinz an?
Tatsächlich haben wir in Russland ein zweigeteiltes Business. Unsere Vertriebsgesellschaft ist in Moskau angesiedelt, was damit zusammenhängt, dass die meisten Finanzinstitute schlicht und einfach in Moskau verortet sind und auch die Bewegung innerhalb Russlands von Region zu Region im Wesentlichen über Moskau abgewickelt wird. Allerdings hat ein Maschinenbaubetrieb in Moskau nichts zu suchen. Stattdessen wollten wir dorthin, wo unsere Kunden zu Hause sind. Und diese sitzen in der wichtigsten getreideproduzierenden Region des Landes – Krasnodar. Hier werden über zehn Prozent der gesamten Getreideernte Russlands produziert. 2003 haben wir deshalb unsere Gesellschaft in Krasnodar gegründet und hier auch unsere Fabrik gebaut.
Auch persönlich bin ich sehr glücklich, in der sogenannten Provinz zu leben. Ich fühle mich hier im Süden sehr wohl, was auch am sehr angenehmen Klima und den freundlichen Menschen liegt. Ich bin eher der Mensch für Sonne, Strand und Meer und nicht Berge und Schnee.
Sie sind seit vielen Jahren Honorarkonsul der Bundesrepublik in der Region Krasnodar. Welche Aufgaben kommen in diesem Zusammenhang auf Sie zu?
In der Tat bin ich schon seit knapp acht Jahren deutscher Honorarkonsul in der Region. Dies ist in erster Linie eine Ehrenfunktion, im Rahmen derer ich mich um die Entwicklung der Beziehungen im wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Bereich kümmere. Ein gutes Beispiel ist hier die sehr lebendige Städtepartnerschaft zwischen Krasnodar und Karlsruhe. Zudem kommen sehr viele Leute zu mir, die die Region Krasnodar kennenlernen wollen, um hier ein Business aufzubauen.
Ihre Verwurzelung in Krasnodar ist offensichtlich sehr stark. Ende 2020 wurden Sie vom Gouverneur der Region mit der Medaille „Held der Arbeit“ ausgezeichnet.
Tatsächlich war diese Auszeichnung auch für mich selbst eine große Überraschung. Ich bin bislang der einzige Ausländer, dem diese Ehre zuteilwurde. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich zuvor bereits zum Ehrenbürger der Stadt Krasnodar ernannt wurde und Inhaber der Verdienstmedaille der Region Krasnodar bin. Die Auszeichnung hat natürlich den Hauch der Sowjetunion, aber in Russland gehören solche Auszeichnungen zum Kulturgut und haben entsprechend einen hohen Stellenwert.
Kommen wir auf die CLAAS-Erfolgsgeschichte in Russland zu sprechen. CLAAS hat 2016 als erstes ausländisches Unternehmen einen sogenannten Sonderinvestitionsvertrag (SPIK) mit der russischen Regierung unterzeichnet. In Zeiten von aufkommendem Protektionismus eine vorausschauende Entscheidung. Wie kam es dazu?
Eigentlich war es eher eine Reaktion auf die Entwicklung, die sich in Russland vollzogen hatte. Besonders nach 2014, als die Sanktionen und Gegensanktionen in Kraft traten, wurden auch für die in Russland ansässigen ausländischen Produzenten die Daumenschrauben in Richtung Vertiefung der Lokalisierung sehr stark angezogen. Wir als CLAAS haben bereits 2012/13 die größte Einzelinvestition des Konzerns außerhalb Deutschlands eingeleitet – über 120 Millionen Euro an einem einzigen Standort. Damit konnten wir unsere Fabrik in Krasnodar erweitern und eine vollständige Fertigungstiefe schaffen. Die Idee war, große Bauteile nicht mehr über lange Strecken zu transportieren, um u. a. weniger Zoll- und Logistikkosten zu haben.
Allerdings wurde kurz nach Eröffnung der neuen Fabrik deutlich, dass unsere Investitionen nicht dazu geführt haben, automatisch als russischer Hersteller anerkannt zu werden. Vielmehr waren zu diesem Zeitpunkt die Anforderungen an die Lokalisierung bereits so hoch, dass wir von dem Zustand ganz weit entfernt waren, eine Gleichbehandlung am Markt zu bekommen. Diese Gleichbehandlung war jedoch Voraussetzung für die Teilnahme an Subsidienprogrammen der Regierung, die Kunden beim Kauf von russischen Maschinen in Anspruch nehmen konnten. Hier ging es um staatliche Zuschüsse von bis zu 25 Prozent des Kaufpreises.
Passenderweise wurde just zu diesem Zeitpunkt der Sonderinvestitionsvertrag (SPIK) als ein zusätzliches Investitionsinstrument von der russischen Regierung erarbeitet, und wir haben uns sehr bemüht, das erste westliche Unternehmen zu werden, das diesen Vertrag unterzeichnet. Dies ist uns zum Glück auch gelungen.
Der größte Vorteil war, dass wir mit der Unterzeichnung des Vertrags sofort den Status eines russischen Unternehmens bekamen. Den erforderlichen Lokalisierungsgrad konnten wir dann innerhalb der Laufzeit des SPIK (zehn Jahre) post factum schaffen. Man kann den SPIK deshalb sicherlich als eine Erfolgsgeschichte bezeichnen.
Apropos Erfolgsgeschichte. Russlands Agrarsektor befindet sich seit Jahren im Aufwind, u. a. befinden sich die Weizenexporte auf Weltrekordhöhe. Wie profitiert CLAAS vom Aufschwung der Branche?
Ich denke, dass wir als CLAAS einen kleinen Anteil daran haben, dass die russische Landwirtschaft sich so gut entwickelt. Ich bin natürlich kein Agrarexperte, aber was ich beobachte ist, dass die russische Landwirtschaft mehr und mehr unabhängig von Wetterkapriolen und Klimakataklysmen wird. Dies wird durch den Einsatz neuer, fortschrittlicher Technologien erreicht, sei es im Pflanzenschutz oder der Bodenbearbeitung und Ernte. Und vor allem im letzteren Bereich können wir mittlerweile ein großes Kapitel der Landwirtschaftsgeschichte mitschreiben, denn wir haben bereits Tausende Maschinen aus der Krasnodar-Produktion in die russische Landwirtschaft geliefert.
Mittlerweile ist Russland bei der Produktion von Getreide- und Hülsenfrüchten auf einem Niveau von 133 Millionen Tonnen im letzten Jahr, wovon etwa 30 Millionen in den Export gehen. Das ist sehr gut und man kann in der Folge darauf schließen, dass bei einer so gut funktionierenden Landwirtschaft die Landwirte Geld verdienen. Dadurch steigt natürlich auch die Bereitschaft, Geld in die Modernisierung des Maschinenparks zu investieren.
Eine weitere Erfolgsmeldung betrifft den Export landwirtschaftlicher Maschinen aus Russland. Unter anderem werden in Russland produzierte Mähdrescher in Europa immer beliebter. Welche Unternehmen betrachten sie hierzulande als ernsthafte Konkurrenten – heimische und internationale?
Natürlich spielt der Export von landwirtschaftlichen Maschinen in der russischen Politik eine sehr große Rolle. Allerdings sollte beim Landmaschinenbau meiner Meinung nach anstatt der Exporte eher der heimische Markt im Vordergrund stehen, der noch nicht in ausreichendem Maße mit moderner Landtechnik versorgt ist. Unserer Einschätzung nach – und das ist auch die Einschätzung des russischen Landwirtschaftsministeriums – wird z. B. bei Mähdreschern nur etwa die Hälfte des eigentlichen Bedarfs jedes Jahr durch neue Maschinen ersetzt.
Was den internationalen Bedarf an Maschinen, die in Russland produziert werden, angeht, so gibt es diesen zweifelsohne. Allerdings möchte ich in Zweifel stellen, dass die Nachfrage allzu groß ist. Aber ich glaube nicht, dass dies aktuell zu wesentlichen Marktanteilen in Europa führt. Davon sind wir noch weit entfernt. Auch CLAAS hat im vergangenen Jahr die ersten Probeexporte unserer Maschinen in vier EU-Länder durchgeführt, allerdings nur in kleinem Maße. Unser wichtigstes Exportland ist Kasachstan, wo wir jedes Jahr bis zu zehn Prozent unserer Produktion hin liefern.
Wie beurteilen Sie persönlich die wirtschaftliche Entwicklung in Russland, insbesondere in Hinblick auf die Pandemiefolgen und die politische Eiszeit mit Europa?
Natürlich ist die derzeitige politische Eiszeit zwischen Europa und Russland auch für uns sehr bedrückend. Oft fehlt meiner Meinung nach der Wille und der Wunsch, sich partnerschaftlich zu unterhalten und Themen offen zu besprechen.
Dennoch haben die Sanktionen und Gegensanktionen durchaus zu einer starken Entwicklung der russischen Wirtschaft in bestimmten Bereichen beigetragen. Man sieht z. B. in der Landwirtschaft ganz deutlich, wo in vielen Bereichen schon eine vollständige Selbstversorgung erreicht wurde. Wie Sie wissen, gibt es ein strategisches Programm der Lebensmittelsicherheit der russischen Regierung, in dem genau festgelegt ist, wieviel Prozent Schweinefleisch etc. aus eigener Produktion stammen muss. Die darin definierten Zielvorgaben wurden viele Jahre lang nicht erreicht. In den letzten Jahren wurde hier aber enorm aufgeholt.
Was die Industrieproduktion angeht, so geht es hier etwas langsamer vorwärts. Dies ist aber auch natürlich und der Tatsache geschuldet, dass oftmals Produktionen aufgebaut werden müssen, die seit der Sowjetzeit eingeschlafen sind, weil es lange Zeit einfacher war, die entsprechenden Produkte zu importieren. Dennoch gelingt es Schritt für Schritt, wenn auch teilweise mit Gewalt. Unternehmen werden zu Lokalisierungsschritten gezwungen, obwohl in Russland die technische Basis fehlt. Oftmals gibt es für bestimmte hochtechnologische Elemente wie etwa Antriebe und Kompressoren einfach keine Zulieferer. Aber um wirklich an der Spitze in einer Technologie zu sein, brauche ich auch Spitzenzuliefererkomponenten.
Wohin führt der Weg von CLAAS in der Zukunft in Russland?
Wir sagen immer, dass CLAAS nach Russland gekommen ist, um zu bleiben. Wir haben eine Fabrik in den Schwarzerdeboden gesetzt, die wir nicht mehr verrücken können. Keine 100 Meter. Das heißt, wir haben uns hier stark mit Beton und Stahlbeton verwurzelt und werden dieses Engagement auch weiterführen. Seit 2015 haben wir, als wir die zweite Ausbaustufe unserer Fabrik in Betrieb genommen haben, jedes Jahr weiter investiert. Auch im Moment bauen wir wieder über 5.000 Quadratmeter Produktionsfläche an und überlegen, neue hochtechnologische Bearbeitungsmaschinen anzuschaffen, weil wir auch den Bedarf für unsere Technik sehen. Wir sehen, dass wir eine wichtige Rolle in Russland spielen können und dass sich unser Business sehr gut entwickelt.
Die Fragen stellen Frank Ebbecke und Dimitri Kling.