In China werden neue Retail-Technologien konsequent adaptiert, mittlerweile gilt das Land als Vorreiter für den Einsatz von Innovationen im stationären und digitalen Handel.
Nachdem der US-amerikanische Einzelhandelsmarkt lange Zeit das Maß der Dinge war, hat China auch hier stark aufgeholt. Aktuell wird der chinesische Handelsmarkt auf 12,5 Billionen Yuan (etwa 1.564 Mrd. Euro) und damit auf 21 Prozent des globalen Einzelhandels geschätzt. Die Steigerungsraten waren immens – seit 2008 haben sich die Umsätze fast verdreifacht. Aber nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht haben sich richtungsweisende Veränderungen vollzogen. Dies gilt speziell auch für die konsequente Adaption neuer Retail-Technologien durch chinesische Unternehmen.
China kann heute als ein Vorreiter für den Einsatz dieser Innovationen gelten. Zwar hat Amazon mit seinen Go-Stores einen Meilenstein gesetzt, und auch ApplePay ist sehr erfolgreich. Und es war Instagram, das die ersten Kauf-Buttons in den Social Media eingesetzt hat. China hat hier nicht nur breitflächig aufgeholt, sondern setzt inzwischen eigene neue Trends. So stellt sich der chinesische Einzelhandelsmarkt im Jahr 2021 zunehmend als Maßstab und Inspirationsquelle im stationären und digitalen Handel dar.
Convenient auch ohne Personal Trotz zahlreicher Beispiele aus dem digitalen Handel – ist es weiterhin der stationäre Einzelhandel, der den chinesischen Markt dominiert. Nur 23 Prozent der Handelsumsätze werden dort im Onlinehandel generiert, womit eine ähnliche Aufteilung wie in Deutschland vorliegt. Aber auch in China werden Abgesänge auf den stationären Einzelhandel gehalten. Ob die Covid-19-Pandemie hier einen nachhaltigen Wandel bringt, muss sich zeigen.
Ein zentraler Aspekt der primären Unterschiede zwischen chinesischen und westlichen Ansätzen sind sicherlich die hohen Investitionen chinesischer Händler in den „automated retail“. Sie werden von Prognosen gestützt, dass dieser Sektor 2020 einen Umsatz von 48,5 Milliarden Yuan (rund 7,1 Mrd. US-Dollar) erwirtschaftet haben dürfte und 2022 etwa 220 Millionen Menschen über diesen Kanal einkaufen werden. Unter „automated retail“ werden Betriebsformen zusammengefasst, die gänzlich auf den Einsatz von Personal in stationären Geschäften verzichten. Das bekannteste Beispiel hierfür ist Amazon Go. Allerdings führt Amazon erst 26 solcher Stores in den USA und das nur in vier Städten.
Die Grundidee des „automated retail“ ist nicht neu, wenn man an den Automatenverkauf von Zigaretten und Getränken in Städten, Bahnhöfen und Flughäfen denkt. In China wird die Idee jedoch weitergedacht. Der Kunde scannt einen QR-Code zum Betreten des Ladens, wählt die Ware aus und legt sie in den Warenkorb. Vor dem Verlassen des Geschäfts wird sein Gesicht entweder gescannt und der Kauf vom Konto abgebucht oder der Kunde hält sein Smartphone zum Bezahlen an den Scanner.
Komfort gegen Daten Es sind technologische Fortschritte bei der Gesichtserkennung, das weit verbreitete Mobile Payment und die Bereitschaft chinesischer Kunden, für einen höheren Einkaufskomfort ihre Daten mit Unternehmen zu teilen, die solche Betriebsformen möglich machen. Die Hauptstandorte dieser Ministores sind vor allem Bürokomplexe in großen Städten. Das Konzept baut darauf, eine hohe Anzahl von Kunden zu erreichen, die nur wenige Artikel einkaufen, zum Beispiel einen Mittagssnack plus Getränk.
In den „automated stores“ werden daher bislang nur Basisprodukte angeboten. Das hat Folgen für die Packungsgrößen (eher klein), aber auch für die Listung der jeweiligen Marken. Mit der Covid-19-Pandemie haben diese Unternehmen einen weiteren Aufschwung erfahren. Die zentralen Handelsfirmen sind Bianlifeng (etwa 1.000 Stores, Tencent) und BingoBox (etwa 500 Stores, Bingobox). Bei BingoBox etwa sind die Regale mit Kameras ausgestattet, die das Kundenverhalten aufzeichnen und Displays für die Preise und weitere Werbebotschaften enthalten.
Eine Weiterentwicklung ist der MobyMart (Wheelys), der momentan mit zwei Prototypen in Shanghai und Hefei in Betrieb ist. Das Besondere: Der MobyMart soll mit Funktionen des automatischen Fahrens verknüpft werden. Es handelt sich um einen stationären Store, der sich bei Bedarf vom Ort fortbewegen kann. Ein weiteres Konzept stammt von F5 Future Store. In dessen Stores erhalten die Kunden frisch zubereitetes Essen und Getränke sowie verpackte Konsumgüter – Roboter liefern diese bis an die Bestellterminals. Allerdings haben die „automated stores“ bis zu ihrer Etablierung noch einige Herausforderungen zu meistern. Firmen wie Buy-Fresh Go und iStores mussten wieder schließen. Die größte Schwierigkeit wird in der Auswertung der umfangreichen Datensätze gesehen. In Deutschland gibt es mit „tegut“ und dem Thüringer Geschäft „Emma’s Tag und Nacht-Markt“ bisher nur wenige Händler, die diese Idee mit ersten Teststores aufgenommen haben.
Herzchen für Vertrauen im Digitalhandel Während im stationären Handel viele Handelsfirmen um die Beachtung der Kunden kämpfen, stellt sich die Lage im Onlinehandel gänzlich anders dar. Dort dominieren die drei Megaplattformen Alibaba (mit Tmall, Taobao), Tencent (mit WeChat) und JD.com. Sowohl chinesische als auch westliche Marken kommen an diesen Plattformen für den Verkauf ihrer Produkte kaum vorbei. Einer der jüngsten Trends im Digitalhandel ist das sogenannte Social Commerce – eine Verschmelzung von E-Commerce mit Social-Media-Funktionalitäten (siehe auch ChinaContact 6-2020). Begonnen hat dieser Trend mit dem Verkauf eigener gelabelter Produkte chinesischer Celebrities aus Film und Medien.
Derweil hat die Generation Selfie die lukrative Vermarktung der eigenen Person mit Konsumartikeln für sich als Zusatzeinnahme entdeckt und verkauft über Livestreamingkanäle Kosmetik, Kleidung und Kommoden. Die Vorteile eines eigenen Livestreamkanals sind beträchtlich: Es ist keine TV-Lizenz nötig – die Sendung wird einfach live aus dem eigenen Wohnzimmer oder Hinterhof übertragen. Die Produkte werden entsprechend der Nachfrage im Preis variiert oder kurzerhand aus dem Sortiment entfernt. Besonders für kleinere Hersteller ist dieser Kanal gut geeignet, um kleinere Produktionsmengen schnell zu verkaufen, aber auch um Trends und Bedarfe beim Kunden zu erfassen und mit verschiedenen Verkaufstaktiken zu experimentieren.
Wichtiger noch als die Wahl des digitalen Kanals – Taobao, Tmall & Co. – ist es jedoch, im Bewertungssystem nach chinesischen Maßstäben zu bestehen. Die Währung hierfür sind bevorzugt Icons in Form von Herzchen, Diamanten und Rosen. 95 Prozent der chinesischen Konsumenten orientieren sich an Reviews und setzen sie teils mit Empfehlungen von Freunden und Familie gleich. Historisch begründet vertrauen chinesische Konsumenten Unbekannten kaum; umso wichtiger ist es, ein Renommee aus den Kauferfahrungen anderer Kunden ableiten zu können.
Onlinekäufe sind auch in China risikobehaftet. Unsicherheit besteht dahingehend, ob die Ware überhaupt versandt wird und ob sie dem vorgeführten Modell entspricht. Eine Liste des amerikanischen Office of the United States Trade Representative für 2020 zeigt, dass selbst Plattformen wie Taobao und Pinduoduo nicht vor Produktfälschungen gefeit sind. Das daraus entstehende Misstrauen hat zu einem intensiven Gebrauch von Bewertungstools geführt.
Hinzu kommt, dass allein auf Tmall Global mehr als 20.000 Marken gelistet sind. Die Auswahl ist für den Kunden kaum überschaubar. Viele deutsche Unternehmen haben die Bedeutung des Vertrauens für den digitalen Handel erkannt. Schaut man sich die Tmall-Auftritte deutscher Firmen wie Aldi, Rossmann und Gerolsteiner an, zeigt sich, dass die Herkunft der Produkte (zum Beispiel beschrieben mit „Made in Germany“) und die Historie des Unternehmens wichtige Faktoren zum Aufbau von Vertrauen sind. Vertrauensstützende Maßnahmen sind auch die zunehmend häufiger eingesetzten Kurzvideos (maximal eine Minute), die relevante Kaufgründe in Ton und Bild hervorheben.
Prof. Dr. Doreén Pick unterrichtet und forscht zu internationalen Unternehmens- und Markenstrategien an der Hochschule Merseburg. doreen.pick@hs-merseburg.de | www.hs-merseburg.de
Retail-Trendsetter – mit Innovationen an die Spitze
In China werden neue Retail-Technologien konsequent adaptiert, mittlerweile gilt das Land als Vorreiter für den Einsatz von Innovationen im stationären und digitalen Handel.
Nachdem der US-amerikanische Einzelhandelsmarkt lange Zeit das Maß der Dinge war, hat China auch hier stark aufgeholt. Aktuell wird der chinesische Handelsmarkt auf 12,5 Billionen Yuan (etwa 1.564 Mrd. Euro) und damit auf 21 Prozent des globalen Einzelhandels geschätzt. Die Steigerungsraten waren immens – seit 2008 haben sich die Umsätze fast verdreifacht. Aber nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht haben sich richtungsweisende Veränderungen vollzogen. Dies gilt speziell auch für die konsequente Adaption neuer Retail-Technologien durch chinesische Unternehmen.
China kann heute als ein Vorreiter für den Einsatz dieser Innovationen gelten. Zwar hat Amazon mit seinen Go-Stores einen Meilenstein gesetzt, und auch ApplePay ist sehr erfolgreich. Und es war Instagram, das die ersten Kauf-Buttons in den Social Media eingesetzt hat. China hat hier nicht nur breitflächig aufgeholt, sondern setzt inzwischen eigene neue Trends. So stellt sich der chinesische Einzelhandelsmarkt im Jahr 2021 zunehmend als Maßstab und Inspirationsquelle im stationären und digitalen Handel dar.
Convenient auch ohne Personal
Trotz zahlreicher Beispiele aus dem digitalen Handel – ist es weiterhin der stationäre Einzelhandel, der den chinesischen Markt dominiert. Nur 23 Prozent der Handelsumsätze werden dort im Onlinehandel generiert, womit eine ähnliche Aufteilung wie in Deutschland vorliegt. Aber auch in China werden Abgesänge auf den stationären Einzelhandel gehalten. Ob die Covid-19-Pandemie hier einen nachhaltigen Wandel bringt, muss sich zeigen.
Ein zentraler Aspekt der primären Unterschiede zwischen chinesischen und westlichen Ansätzen sind sicherlich die hohen Investitionen chinesischer Händler in den „automated retail“. Sie werden von Prognosen gestützt, dass dieser Sektor 2020 einen Umsatz von 48,5 Milliarden Yuan (rund 7,1 Mrd. US-Dollar) erwirtschaftet haben dürfte und 2022 etwa 220 Millionen Menschen über diesen Kanal einkaufen werden. Unter „automated retail“ werden Betriebsformen zusammengefasst, die gänzlich auf den Einsatz von Personal in stationären Geschäften verzichten. Das bekannteste Beispiel hierfür ist Amazon Go. Allerdings führt Amazon erst 26 solcher Stores in den USA und das nur in vier Städten.
Die Grundidee des „automated retail“ ist nicht neu, wenn man an den Automatenverkauf von Zigaretten und Getränken in Städten, Bahnhöfen und Flughäfen denkt. In China wird die Idee jedoch weitergedacht. Der Kunde scannt einen QR-Code zum Betreten des Ladens, wählt die Ware aus und legt sie in den Warenkorb. Vor dem Verlassen des Geschäfts wird sein Gesicht entweder gescannt und der Kauf vom Konto abgebucht oder der Kunde hält sein Smartphone zum Bezahlen an den Scanner.
Komfort gegen Daten
Es sind technologische Fortschritte bei der Gesichtserkennung, das weit verbreitete Mobile Payment und die Bereitschaft chinesischer Kunden, für einen höheren Einkaufskomfort ihre Daten mit Unternehmen zu teilen, die solche Betriebsformen möglich machen. Die Hauptstandorte dieser Ministores sind vor allem Bürokomplexe in großen Städten. Das Konzept baut darauf, eine hohe Anzahl von Kunden zu erreichen, die nur wenige Artikel einkaufen, zum Beispiel einen Mittagssnack plus Getränk.
In den „automated stores“ werden daher bislang nur Basisprodukte angeboten. Das hat Folgen für die Packungsgrößen (eher klein), aber auch für die Listung der jeweiligen Marken. Mit der Covid-19-Pandemie haben diese Unternehmen einen weiteren Aufschwung erfahren. Die zentralen Handelsfirmen sind Bianlifeng (etwa 1.000 Stores, Tencent) und BingoBox (etwa 500 Stores, Bingobox). Bei BingoBox etwa sind die Regale mit Kameras ausgestattet, die das Kundenverhalten aufzeichnen und Displays für die Preise und weitere Werbebotschaften enthalten.
Eine Weiterentwicklung ist der MobyMart (Wheelys), der momentan mit zwei Prototypen in Shanghai und Hefei in Betrieb ist. Das Besondere: Der MobyMart soll mit Funktionen des automatischen Fahrens verknüpft werden. Es handelt sich um einen stationären Store, der sich bei Bedarf vom Ort fortbewegen kann. Ein weiteres Konzept stammt von F5 Future Store. In dessen Stores erhalten die Kunden frisch zubereitetes Essen und Getränke sowie verpackte Konsumgüter – Roboter liefern diese bis an die Bestellterminals. Allerdings haben die „automated stores“ bis zu ihrer Etablierung noch einige Herausforderungen zu meistern. Firmen wie Buy-Fresh Go und iStores mussten wieder schließen. Die größte Schwierigkeit wird in der Auswertung der umfangreichen Datensätze gesehen. In Deutschland gibt es mit „tegut“ und dem Thüringer Geschäft „Emma’s Tag und Nacht-Markt“ bisher nur wenige Händler, die diese Idee mit ersten Teststores aufgenommen haben.
Herzchen für Vertrauen im Digitalhandel
Während im stationären Handel viele Handelsfirmen um die Beachtung der Kunden kämpfen, stellt sich die Lage im Onlinehandel gänzlich anders dar. Dort dominieren die drei Megaplattformen Alibaba (mit Tmall, Taobao), Tencent (mit WeChat) und JD.com. Sowohl chinesische als auch westliche Marken kommen an diesen Plattformen für den Verkauf ihrer Produkte kaum vorbei. Einer der jüngsten Trends im Digitalhandel ist das sogenannte Social Commerce – eine Verschmelzung von E-Commerce mit Social-Media-Funktionalitäten (siehe auch ChinaContact 6-2020). Begonnen hat dieser Trend mit dem Verkauf eigener gelabelter Produkte chinesischer Celebrities aus Film und Medien.
Derweil hat die Generation Selfie die lukrative Vermarktung der eigenen Person mit Konsumartikeln für sich als Zusatzeinnahme entdeckt und verkauft über Livestreamingkanäle Kosmetik, Kleidung und Kommoden. Die Vorteile eines eigenen Livestreamkanals sind beträchtlich: Es ist keine TV-Lizenz nötig – die Sendung wird einfach live aus dem eigenen Wohnzimmer oder Hinterhof übertragen. Die Produkte werden entsprechend der Nachfrage im Preis variiert oder kurzerhand aus dem Sortiment entfernt. Besonders für kleinere Hersteller ist dieser Kanal gut geeignet, um kleinere Produktionsmengen schnell zu verkaufen, aber auch um Trends und Bedarfe beim Kunden zu erfassen und mit verschiedenen Verkaufstaktiken zu experimentieren.
Wichtiger noch als die Wahl des digitalen Kanals – Taobao, Tmall & Co. – ist es jedoch, im Bewertungssystem nach chinesischen Maßstäben zu bestehen. Die Währung hierfür sind bevorzugt Icons in Form von Herzchen, Diamanten und Rosen. 95 Prozent der chinesischen Konsumenten orientieren sich an Reviews und setzen sie teils mit Empfehlungen von Freunden und Familie gleich. Historisch begründet vertrauen chinesische Konsumenten Unbekannten kaum; umso wichtiger ist es, ein Renommee aus den Kauferfahrungen anderer Kunden ableiten zu können.
Onlinekäufe sind auch in China risikobehaftet. Unsicherheit besteht dahingehend, ob die Ware überhaupt versandt wird und ob sie dem vorgeführten Modell entspricht. Eine Liste des amerikanischen Office of the United States Trade Representative für 2020 zeigt, dass selbst Plattformen wie Taobao und Pinduoduo nicht vor Produktfälschungen gefeit sind. Das daraus entstehende Misstrauen hat zu einem intensiven Gebrauch von Bewertungstools geführt.
Hinzu kommt, dass allein auf Tmall Global mehr als 20.000 Marken gelistet sind. Die Auswahl ist für den Kunden kaum überschaubar. Viele deutsche Unternehmen haben die Bedeutung des Vertrauens für den digitalen Handel erkannt. Schaut man sich die Tmall-Auftritte deutscher Firmen wie Aldi, Rossmann und Gerolsteiner an, zeigt sich, dass die Herkunft der Produkte (zum Beispiel beschrieben mit „Made in Germany“) und die Historie des Unternehmens wichtige Faktoren zum Aufbau von Vertrauen sind. Vertrauensstützende Maßnahmen sind auch die zunehmend häufiger eingesetzten Kurzvideos (maximal eine Minute), die relevante Kaufgründe in Ton und Bild hervorheben.
Prof. Dr. Doreén Pick unterrichtet und forscht zu internationalen Unternehmens- und Markenstrategien an der Hochschule Merseburg.
doreen.pick@hs-merseburg.de | www.hs-merseburg.de
Dieser Beitrag ist in ChinaContact 1-2021 erschienen.