Die Europäer sind bekannt für ihren Käse und wissen ihn zu genießen. Die Russen in der Regel nicht. Doch langsam kommt man auch in Russland auf den Käsegeschmack.
Laut einer Studie der russischen Agentur Kredinform kann in Russland seit 2014 ein stetiger Anstieg der Käseproduktion verzeichnet werden. Dies kommt natürlich nicht von ungefähr. In diesem Jahr verhängte Moskau als Antwort auf die westlichen Sanktionen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise seinerseits ein Lebensmittelembargo für bestimmte Arten von landwirtschaftlichen Produkten, Rohstoffen und Lebensmitteln aus den Ländern, die Wirtschaftssanktionen gegen russische Unternehmen und Personen unterstützt hatten.
Dadurch wandelte sich das Land von einem der wichtigsten Käse-Importeure schlagartig zum aufstrebenden Käseproduzenten. In der Tat wirkten sich die Sanktionen positiv auf die inländische Produktion aus, und die frei gewordenen Marktanteile wurden sehr schnell von russischen Unternehmen besetzt. Bereits im Jahr 2019 produzierten die russischen Käsereien knapp 524.000 Tonnen Käse jährlich – 10,9 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Dieses Wachstum setzte sich im Jahr 2020 – trotz Pandemie – weiter fort und erreichte ein Produktionsvolumen von über 566.000 Tonnen. Die staatlichen Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Ausbreitung der Infektionen ergriffen wurden, haben die Position der russischen Milcherzeuger sogar noch gestärkt. Insgesamt nahm die russische Käseproduktion in den vergangenen zehn Jahren um 45 Prozent zu. Das Register der russischen Käseunternehmen führt inzwischen 124 Produzenten, mehr als 500 Unternehmen, die Hart- und Halbhartkäse herstellen, auf. Hinzu kommen etwa 200 Unternehmen, die Schmelzkäse herstellen.
Käse wird immer populärer
Mittlerweile gehören vormals exotische Käsesorten wie Mozzarella, Parmesan oder Brie zum festen Sortiment russischer Supermärkte – in einer Reihe mit traditionellen russischen Milchprodukten. Die russischen Verbraucher überdenken allmählich ihre Einstellung zu Käse. Experten schätzen, dass der Pro-Kopf-Verbrauch von Käse in Russland im Jahr 2019 bei 5,7 Kilogramm lag, wobei die einheimische Produktion den Bedarf nahezu vollständig decken kann.
Schaut man sich die einheimischen Käsehersteller genauer an, entpuppen sich viele allerdings als nicht halb so russisch, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. So ist der größte Milchbauer Russlands ausgerechnet ein Deutscher. Der gebürtige Badener Stefan Dürr hat ein regelrechtes Milchimperium in Russland aufgebaut, zu dem inzwischen etwa 630.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche und 110.000 Milchkühe gehören. 12.900 Mitarbeiter sind in seinem Konzern Ekoniva beschäftigt. Der studierte Agronom expandiert weiter und baut ein zweites Standbein auf. In seiner Wahlheimat Woronesch und in Nowosibirsk wurden zwei Käsereien eröffnet. „Das lohnt sich in jedem Fall“, ist Dürr überzeugt.
Die Käsefabrik der Ekoniva-Gruppe im Dorf Schutschje bei Woronesch wurde im April 2021 in Betrieb genommen und begann mit der Produktion von sogenanntem Dürr-Hartkäse, benannt nach dem Firmenchef. Der „Dürr-Käse“ gehört zur Elite-Kategorie des Typs Bergkäse. Für seine Produktion werden erstmals in Russland Brevibacterien verwendet. Zudem hat das Unternehmen die Produktion der Halbhartkäsesorten Shchuschansky und Kolibelsky aufgenommen, benannt nach den umliegenden Dörfern. Die Investitionen beliefen sich auf insgesamt 250 Millionen Euro, wobei die Kapazität der Anlage 60 Tonnen Rohmilch pro Tag beträgt. Dies ermöglicht die Herstellung von vier Tonnen Halbhart- und zwei Tonnen Hartkäse.
Auch das Familienunternehmen Hochland aus dem Allgäu ist seit 2003 in Russland aktiv und betreibt drei hochmoderne Käsewerke, in denen jährlich über eine Million Packungen Schmelz- und Frischkäse produziert werden. Hochland war seinerzeit der erste westeuropäische Käseproduzent, der seine Produktion nach Russland verlagerte. Die Entscheidung hat sich im Nachhinein als goldrichtig herausgestellt. „Der Importstopp im August 2014 hat die deutschen Käse-Exporteure hart getroffen. Hochland dagegen war sehr gut vorbereitet, denn 95 Prozent der in Russland abgesetzten Menge wurde damals bereits in Russland produziert“, erklärt Vorstandsvorsitzender Peter Stahl. In dem 2017 eröffneten dritten und neuesten Werk wird ein Schnittkäse vom Typ „Tilsiter“ hergestellt. „Hart- und Schnittkäse ist das größte Käsesegment in Russland. Für uns als Marktführer war es absolut naheliegend, unser bisheriges Sortiment um Hart- und Schnittkäse zu erweitern. Unser Grünländer wurde letztes Jahr im Markt eingeführt, die Distribution und Marktanteile steigen“, erklärt Peter Stahl die Entscheidung.
Markt mit viel Potenzial
Grundsätzlich sehen deutsche Produzenten großes Potenzial im russischen Käsemarkt. „Russland hat keine so lange und ausgeprägte Käsetradition wie unsere anderen Absatzmärkte in Europa. Der durchschnittliche Käsekonsum liegt noch auf einem deutlich niedrigeren Niveau“, erklärt der Hochland-Chef. „Aber gerade das bedeutet für uns Wachstumspotenzial, welches wir in den nächsten Jahren erschließen wollen“. Eine verlässliche, dauerhaft hohe Produktqualität sei in Russland einer der Schlüsselfaktoren für Erfolg im Käsegeschäft. Auch dadurch habe sich Hochland die Marktführerschaft in Russland erarbeitet. „Der Trend für Bioprodukte dagegen ist bei Weitem nicht so ausgeprägt wie in West- und Mitteleuropa, aber wir stellen auch in Russland erste Tendenzen in Richtung Bio und Nachhaltigkeit fest“, sagt Peter Stahl.
Neben Großunternehmen wie Ekoniva und Hochland gibt es in Russland auch kleinere Landwirte aus dem deutschsprachigen Raum, die ebenfalls Erfolge präsentieren können. So entstand vor zehn Jahren in der Nähe des kleinen Städtchens Tarussa etwa 200 Kilometer südwestlich von Moskau der Öko-Bauernhof „Lagowschina“. Die Idee des Bauernhofes ist es, sozial benachteiligte Menschen wieder ins Leben zu integrieren und ihnen Arbeit und damit eine Lebensperspektive zu geben. Die Idee stammt von Jörg Duss, einem gebürtigen Luzerner. In Tarussa nennen ihn viele „den verrückten Schweizer“.
Der gelernte Schreiner kam vor mehr als 30 Jahren als Berater nach Russland. Und blieb. Alles auf der Farm, die ein Projekt der sozialen Stiftung Raduga ist, wird ökologisch angebaut und hergestellt – von Obst und Gemüse bis Fleisch und Honig. Vor Kurzem kam auch eine Käseproduktion dazu. „Wir haben etwa 150 Liter Milch täglich. Solche Mengen können nicht getrunken werden, und die Käseherstellung ist die beste Art, Milch haltbar zu machen. Für ein Kilogramm Käse braucht man etwa zehn Liter Milch. Käse lässt sich lange lagern und problemlos transportieren“, erklärt Jörg Duss.
Im Gegensatz zu industriellen Käseproduzenten, die Hunderttausende von Käsepackungen in Einzelhandelsketten verkaufen, wird der Käse aus dem Dorf Lagowschina in der gleichen alten Tradition vertrieben, wie er hergestellt wird – und zwar über Mund-zu-Mund-Propaganda. „Viele Freunde, Bekannte und Gäste, die auf unseren Hof kommen, nehmen sich Käse mit oder holen sich den Käse in unserem Stiftungshaus in Tarussa ab. Da wir ein soziales Projekt sind, wird der Käse nicht verkauft, sondern wir erwarten eine entsprechende Spende für unser Projekt. Diese sollte nicht unter 3.000 Rubel (etwa 33 Euro) für ein Kilogramm Käse liegen“, erklärt Jörg Duss. „Gerne auch mehr“.
Daria Boll-Palievskaya
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Ausgabe 4/2021 des Außenwirtschaftsmagazins OstContact. Hier bestellen.
Lokalisierung Insights: Deutsche Landwirte in Russland
Die Europäer sind bekannt für ihren Käse und wissen ihn zu genießen. Die Russen in der Regel nicht. Doch langsam kommt man auch in Russland auf den Käsegeschmack.
Laut einer Studie der russischen Agentur Kredinform kann in Russland seit 2014 ein stetiger Anstieg der Käseproduktion verzeichnet werden. Dies kommt natürlich nicht von ungefähr. In diesem Jahr verhängte Moskau als Antwort auf die westlichen Sanktionen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise seinerseits ein Lebensmittelembargo für bestimmte Arten von landwirtschaftlichen Produkten, Rohstoffen und Lebensmitteln aus den Ländern, die Wirtschaftssanktionen gegen russische Unternehmen und Personen unterstützt hatten.
Dadurch wandelte sich das Land von einem der wichtigsten Käse-Importeure schlagartig zum aufstrebenden Käseproduzenten. In der Tat wirkten sich die Sanktionen positiv auf die inländische Produktion aus, und die frei gewordenen Marktanteile wurden sehr schnell von russischen Unternehmen besetzt. Bereits im Jahr 2019 produzierten die russischen Käsereien knapp 524.000 Tonnen Käse jährlich – 10,9 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Dieses Wachstum setzte sich im Jahr 2020 – trotz Pandemie – weiter fort und erreichte ein Produktionsvolumen von über 566.000 Tonnen. Die staatlichen Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Ausbreitung der Infektionen ergriffen wurden, haben die Position der russischen Milcherzeuger sogar noch gestärkt. Insgesamt nahm die russische Käseproduktion in den vergangenen zehn Jahren um 45 Prozent zu. Das Register der russischen Käseunternehmen führt inzwischen 124 Produzenten, mehr als 500 Unternehmen, die Hart- und Halbhartkäse herstellen, auf. Hinzu kommen etwa 200 Unternehmen, die Schmelzkäse herstellen.
Käse wird immer populärer
Mittlerweile gehören vormals exotische Käsesorten wie Mozzarella, Parmesan oder Brie zum festen Sortiment russischer Supermärkte – in einer Reihe mit traditionellen russischen Milchprodukten. Die russischen Verbraucher überdenken allmählich ihre Einstellung zu Käse. Experten schätzen, dass der Pro-Kopf-Verbrauch von Käse in Russland im Jahr 2019 bei 5,7 Kilogramm lag, wobei die einheimische Produktion den Bedarf nahezu vollständig decken kann.
Schaut man sich die einheimischen Käsehersteller genauer an, entpuppen sich viele allerdings als nicht halb so russisch, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. So ist der größte Milchbauer Russlands ausgerechnet ein Deutscher. Der gebürtige Badener Stefan Dürr hat ein regelrechtes Milchimperium in Russland aufgebaut, zu dem inzwischen etwa 630.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche und 110.000 Milchkühe gehören. 12.900 Mitarbeiter sind in seinem Konzern Ekoniva beschäftigt. Der studierte Agronom expandiert weiter und baut ein zweites Standbein auf. In seiner Wahlheimat Woronesch und in Nowosibirsk wurden zwei Käsereien eröffnet. „Das lohnt sich in jedem Fall“, ist Dürr überzeugt.
Die Käsefabrik der Ekoniva-Gruppe im Dorf Schutschje bei Woronesch wurde im April 2021 in Betrieb genommen und begann mit der Produktion von sogenanntem Dürr-Hartkäse, benannt nach dem Firmenchef. Der „Dürr-Käse“ gehört zur Elite-Kategorie des Typs Bergkäse. Für seine Produktion werden erstmals in Russland Brevibacterien verwendet. Zudem hat das Unternehmen die Produktion der Halbhartkäsesorten Shchuschansky und Kolibelsky aufgenommen, benannt nach den umliegenden Dörfern. Die Investitionen beliefen sich auf insgesamt 250 Millionen Euro, wobei die Kapazität der Anlage 60 Tonnen Rohmilch pro Tag beträgt. Dies ermöglicht die Herstellung von vier Tonnen Halbhart- und zwei Tonnen Hartkäse.
Auch das Familienunternehmen Hochland aus dem Allgäu ist seit 2003 in Russland aktiv und betreibt drei hochmoderne Käsewerke, in denen jährlich über eine Million Packungen Schmelz- und Frischkäse produziert werden. Hochland war seinerzeit der erste westeuropäische Käseproduzent, der seine Produktion nach Russland verlagerte. Die Entscheidung hat sich im Nachhinein als goldrichtig herausgestellt. „Der Importstopp im August 2014 hat die deutschen Käse-Exporteure hart getroffen. Hochland dagegen war sehr gut vorbereitet, denn 95 Prozent der in Russland abgesetzten Menge wurde damals bereits in Russland produziert“, erklärt Vorstandsvorsitzender Peter Stahl. In dem 2017 eröffneten dritten und neuesten Werk wird ein Schnittkäse vom Typ „Tilsiter“ hergestellt. „Hart- und Schnittkäse ist das größte Käsesegment in Russland. Für uns als Marktführer war es absolut naheliegend, unser bisheriges Sortiment um Hart- und Schnittkäse zu erweitern. Unser Grünländer wurde letztes Jahr im Markt eingeführt, die Distribution und Marktanteile steigen“, erklärt Peter Stahl die Entscheidung.
Markt mit viel Potenzial
Grundsätzlich sehen deutsche Produzenten großes Potenzial im russischen Käsemarkt. „Russland hat keine so lange und ausgeprägte Käsetradition wie unsere anderen Absatzmärkte in Europa. Der durchschnittliche Käsekonsum liegt noch auf einem deutlich niedrigeren Niveau“, erklärt der Hochland-Chef. „Aber gerade das bedeutet für uns Wachstumspotenzial, welches wir in den nächsten Jahren erschließen wollen“. Eine verlässliche, dauerhaft hohe Produktqualität sei in Russland einer der Schlüsselfaktoren für Erfolg im Käsegeschäft. Auch dadurch habe sich Hochland die Marktführerschaft in Russland erarbeitet. „Der Trend für Bioprodukte dagegen ist bei Weitem nicht so ausgeprägt wie in West- und Mitteleuropa, aber wir stellen auch in Russland erste Tendenzen in Richtung Bio und Nachhaltigkeit fest“, sagt Peter Stahl.
Neben Großunternehmen wie Ekoniva und Hochland gibt es in Russland auch kleinere Landwirte aus dem deutschsprachigen Raum, die ebenfalls Erfolge präsentieren können. So entstand vor zehn Jahren in der Nähe des kleinen Städtchens Tarussa etwa 200 Kilometer südwestlich von Moskau der Öko-Bauernhof „Lagowschina“. Die Idee des Bauernhofes ist es, sozial benachteiligte Menschen wieder ins Leben zu integrieren und ihnen Arbeit und damit eine Lebensperspektive zu geben. Die Idee stammt von Jörg Duss, einem gebürtigen Luzerner. In Tarussa nennen ihn viele „den verrückten Schweizer“.
Der gelernte Schreiner kam vor mehr als 30 Jahren als Berater nach Russland. Und blieb. Alles auf der Farm, die ein Projekt der sozialen Stiftung Raduga ist, wird ökologisch angebaut und hergestellt – von Obst und Gemüse bis Fleisch und Honig. Vor Kurzem kam auch eine Käseproduktion dazu. „Wir haben etwa 150 Liter Milch täglich. Solche Mengen können nicht getrunken werden, und die Käseherstellung ist die beste Art, Milch haltbar zu machen. Für ein Kilogramm Käse braucht man etwa zehn Liter Milch. Käse lässt sich lange lagern und problemlos transportieren“, erklärt Jörg Duss.
Im Gegensatz zu industriellen Käseproduzenten, die Hunderttausende von Käsepackungen in Einzelhandelsketten verkaufen, wird der Käse aus dem Dorf Lagowschina in der gleichen alten Tradition vertrieben, wie er hergestellt wird – und zwar über Mund-zu-Mund-Propaganda. „Viele Freunde, Bekannte und Gäste, die auf unseren Hof kommen, nehmen sich Käse mit oder holen sich den Käse in unserem Stiftungshaus in Tarussa ab. Da wir ein soziales Projekt sind, wird der Käse nicht verkauft, sondern wir erwarten eine entsprechende Spende für unser Projekt. Diese sollte nicht unter 3.000 Rubel (etwa 33 Euro) für ein Kilogramm Käse liegen“, erklärt Jörg Duss. „Gerne auch mehr“.
Daria Boll-Palievskaya
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Ausgabe 4/2021 des Außenwirtschaftsmagazins OstContact. Hier bestellen.