Fahrrad fahren ist in Russland ein seit Jahren anhaltender Trend. Daraus hat sich ein dynamischer Markt von der Produktion bis zum Vertrieb von Zweirädern aller Art entwickelt.
Klimatisch bedingt ist die Saison zum Fahrradfahren in Russland recht kurz und beschränkt sich praktisch auf die wenigen echten Sommermonate. Eine Infrastruktur zum Fahrradfahren (Fahrradwege, Verkehrsbeschilderungen usw.) ist bis auf Ausnahmen in Städten wie Moskau und Sankt Petersburg im weiten Land nicht ansatzweise angelegt. In den vielen Großstädten besteht oft nur die Möglichkeit, in großen Parks und Grünanlagen relativ gefahrlos Fahrrad fahren zu können.
Ein weiterer Nachteil ist zudem, dass Fahrradfahrer in Russland per Gesetz auf der Straße fahren müssen. Da russische Autofahrer jedoch kaum Rücksicht auf sie nehmen, ist dies hochgefährlich. Viele Frischluftliebhaber weichen deshalb zunehmend auf Roller aus. Mit einem Roller dürfen nämlich auch die Fußgängerwege benutzt werden, was wesentlich sicherer ist. Mit dem Aufkommen von E-Rollern ist die Beliebtheit des Rollerfahrens weiter angestiegen und stellt somit eine echte Konkurrenz zum Fahrrad dar.
Sonderrolle für Moskau
Zumindest in Moskau wird mittlerweile die Infrastruktur fürs Fahrradeln im City-Bereich weiterentwickelt. Fahrradwege werden bei Modernisierungsmaßnahmen durch die Stadtverwaltung fest mit eingeplant. Auch sind Hunderte Fahrradleihstationen in Moskau bereits in Betrieb, etwa an Metroausgängen, an zentralen Plätzen, in Fußgängerzonen und Parkanlagen – bis hinein in die sogenannten Schlafbezirke am Rande der Stadt. Die Anmietung und Bezahlung eines Mietrades erfolgt dabei per Smartphone-App. Der größte städtische Anbieter in Moskau ist VeloRent. Bis Ende 2021 will das Unternehmen über 720 Stationen in der Stadt betreiben. Auch E-Roller-Mietstationen breiten sich aus, sie werden aber noch nicht ansatzweise so häufig und auch nicht engmaschig genug angeboten wie fürs Fahrrad-Verleihnetz.
Ein Markt mit noch großem Potenzial
Ein Problem ist, dass die Mitnahme von Fahrrädern in öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bussen, der Straßenbahn oder der Metro in ganz Russland weitestgehend verboten ist. Auch E-Roller dürfen derzeit aus Brandschutzgründen nicht mitgenommen werden. Wer es sich finanziell leisten kann, transportiert sein oft auch teures Fahrrad mit dem eigenen Pkw. Dachträgersysteme für alle gängigen Pkw-Modelle sind auf dem russischen Markt ausreichend verfügbar.
Fahrradmodelle, die in Russland vertrieben werden, stammen zumeist aus China, Südkorea, Europa oder aus eigener lokaler Produktion. Für letztere Kategorie werden aber viele Komponenten ebenfalls aus China und Südkorea eingeführt. Die russische Produktion besteht hauptsächlich aus der Rahmenfertigung und der Komplettierung mit zugekauften Komponenten führender globaler Markenhersteller. Maschinen und Werkzeuge in den russischen Produktionswerken für Fahrräder sind dabei oft deutschen Ursprungs. Neben der Serienproduktion von Fahrrädern aller Art gibt es einige Manufakturen, die kundenspezifisch auf Bestellung arbeiten oder eine kleine exklusive Auswahl an Designerfahrrädern pflegen und somit Nischen im Markt besetzen.
Die Fertigung von E-Fahrrädern in Russland erfolgt vorrangig als Komplettierung bestehender Modellreihen lokal gefertigter Fahrräder. Für die Elektrifizierung werden die Komponenten zugekauft. Eine Produktion von elektrischen Komponenten gibt es in Russland nicht.
Eine lokale Besonderheit ist die Tatsache, dass Lastenfahrräder in Russland fast gar nicht zu finden sind und wenn, dann sind sie eher Hingucker zum Staunen. Wahrscheinlich fehlt die staatliche Bezuschussung, denn die Preise für die „extravaganten“ Fahrräder sind exorbitant hoch. Bedarf an passenden Lastenfahrrädern ist dabei durchaus vorhanden: Die vielen Kuriere der Food-Delivery-Branche sind mit ihren großen Tragetaschen oft auf abenteuerlichen Zweirad-Vehikeln bei Wind und Wetter in den Wohngebieten unterwegs.
Der Vertrieb der Fahrräder erfolgt allgemein über russische Onlineshops und Internet-Plattformen mit Auslieferungsservices landesweit, über diverse Handelsketten und Fachgeschäfte, die im ganzen Land vertreten sind. Ersatzteile und Zubehör bzw. Tuning-Equipment werden über die gleichen Fahrradvertriebskanäle angeboten. Werkstätten und Reparaturstationen bieten ebenfalls die Beschaffung von Zubehör an, oft gleich zusammen mit deren anschließender Montage.
Hotels als neue Zielgruppe
Großes Potenzial für den Vertrieb von Fahrrädern besteht in Russland noch in vielen Bereichen. Was derzeit z. B. komplett unterentwickelt ist, sind Fahrradleihstationen für Trecking- oder Mountainbikes in den Urlaubsgebieten. Einige wenige Hotels im Land haben Fahrräder angeschafft und bieten sie ihren Gästen zur aktiven Erholung an. Die landschaftlichen Verhältnisse zum Radfahren sind oft sehr interessant. So kann man zum Beispiel in einem Viersternehotel in Pereslawl-Salesski, einer der ältesten und am besten erhaltenen Städte Zentralrusslands, ein Rad mieten. Im Wald rund um Hotel und Resort existieren ideale Bedingungen, um die Gegend gefahrlos zu erkunden. In anderen Urlaubsregionen könnte man ebenfalls sehr gut Fahrrad fahren, aber Mieträder sind eben entweder gar nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden. Dasselbe trifft für E-Bikes zu, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen. Sowieso gibt es außerhalb von Moskau kaum Wiederauflademöglichkeiten.
Zusammenfassend kann man sagen, dass alle Aspekte rund ums Fahrradfahren, inklusive des Bereichs Fahrradtourismus, der dazugehörigen Infrastruktur und des Serviceangebots in Russland noch in den Kinderschuhen stecken. Wer sich mit innovativen Ideen, Lösungen und Produkten auf den Markt traut, kann sich noch ein gutes Stück vom Kuchen abschneiden.
Lokalisierung: „Ja, mir san mit’m Radl da …“
Fahrrad fahren ist in Russland ein seit Jahren anhaltender Trend. Daraus hat sich ein dynamischer Markt von der Produktion bis zum Vertrieb von Zweirädern aller Art entwickelt.
Klimatisch bedingt ist die Saison zum Fahrradfahren in Russland recht kurz und beschränkt sich praktisch auf die wenigen echten Sommermonate. Eine Infrastruktur zum Fahrradfahren (Fahrradwege, Verkehrsbeschilderungen usw.) ist bis auf Ausnahmen in Städten wie Moskau und Sankt Petersburg im weiten Land nicht ansatzweise angelegt. In den vielen Großstädten besteht oft nur die Möglichkeit, in großen Parks und Grünanlagen relativ gefahrlos Fahrrad fahren zu können.
Ein weiterer Nachteil ist zudem, dass Fahrradfahrer in Russland per Gesetz auf der Straße fahren müssen. Da russische Autofahrer jedoch kaum Rücksicht auf sie nehmen, ist dies hochgefährlich. Viele Frischluftliebhaber weichen deshalb zunehmend auf Roller aus. Mit einem Roller dürfen nämlich auch die Fußgängerwege benutzt werden, was wesentlich sicherer ist. Mit dem Aufkommen von E-Rollern ist die Beliebtheit des Rollerfahrens weiter angestiegen und stellt somit eine echte Konkurrenz zum Fahrrad dar.
Sonderrolle für Moskau
Zumindest in Moskau wird mittlerweile die Infrastruktur fürs Fahrradeln im City-Bereich weiterentwickelt. Fahrradwege werden bei Modernisierungsmaßnahmen durch die Stadtverwaltung fest mit eingeplant. Auch sind Hunderte Fahrradleihstationen in Moskau bereits in Betrieb, etwa an Metroausgängen, an zentralen Plätzen, in Fußgängerzonen und Parkanlagen – bis hinein in die sogenannten Schlafbezirke am Rande der Stadt. Die Anmietung und Bezahlung eines Mietrades erfolgt dabei per Smartphone-App. Der größte städtische Anbieter in Moskau ist VeloRent. Bis Ende 2021 will das Unternehmen über 720 Stationen in der Stadt betreiben. Auch E-Roller-Mietstationen breiten sich aus, sie werden aber noch nicht ansatzweise so häufig und auch nicht engmaschig genug angeboten wie fürs Fahrrad-Verleihnetz.
Ein Markt mit noch großem Potenzial
Ein Problem ist, dass die Mitnahme von Fahrrädern in öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bussen, der Straßenbahn oder der Metro in ganz Russland weitestgehend verboten ist. Auch E-Roller dürfen derzeit aus Brandschutzgründen nicht mitgenommen werden. Wer es sich finanziell leisten kann, transportiert sein oft auch teures Fahrrad mit dem eigenen Pkw. Dachträgersysteme für alle gängigen Pkw-Modelle sind auf dem russischen Markt ausreichend verfügbar.
Fahrradmodelle, die in Russland vertrieben werden, stammen zumeist aus China, Südkorea, Europa oder aus eigener lokaler Produktion. Für letztere Kategorie werden aber viele Komponenten ebenfalls aus China und Südkorea eingeführt. Die russische Produktion besteht hauptsächlich aus der Rahmenfertigung und der Komplettierung mit zugekauften Komponenten führender globaler Markenhersteller. Maschinen und Werkzeuge in den russischen Produktionswerken für Fahrräder sind dabei oft deutschen Ursprungs. Neben der Serienproduktion von Fahrrädern aller Art gibt es einige Manufakturen, die kundenspezifisch auf Bestellung arbeiten oder eine kleine exklusive Auswahl an Designerfahrrädern pflegen und somit Nischen im Markt besetzen.
Die Fertigung von E-Fahrrädern in Russland erfolgt vorrangig als Komplettierung bestehender Modellreihen lokal gefertigter Fahrräder. Für die Elektrifizierung werden die Komponenten zugekauft. Eine Produktion von elektrischen Komponenten gibt es in Russland nicht.
Eine lokale Besonderheit ist die Tatsache, dass Lastenfahrräder in Russland fast gar nicht zu finden sind und wenn, dann sind sie eher Hingucker zum Staunen. Wahrscheinlich fehlt die staatliche Bezuschussung, denn die Preise für die „extravaganten“ Fahrräder sind exorbitant hoch. Bedarf an passenden Lastenfahrrädern ist dabei durchaus vorhanden: Die vielen Kuriere der Food-Delivery-Branche sind mit ihren großen Tragetaschen oft auf abenteuerlichen Zweirad-Vehikeln bei Wind und Wetter in den Wohngebieten unterwegs.
Der Vertrieb der Fahrräder erfolgt allgemein über russische Onlineshops und Internet-Plattformen mit Auslieferungsservices landesweit, über diverse Handelsketten und Fachgeschäfte, die im ganzen Land vertreten sind. Ersatzteile und Zubehör bzw. Tuning-Equipment werden über die gleichen Fahrradvertriebskanäle angeboten. Werkstätten und Reparaturstationen bieten ebenfalls die Beschaffung von Zubehör an, oft gleich zusammen mit deren anschließender Montage.
Hotels als neue Zielgruppe
Großes Potenzial für den Vertrieb von Fahrrädern besteht in Russland noch in vielen Bereichen. Was derzeit z. B. komplett unterentwickelt ist, sind Fahrradleihstationen für Trecking- oder Mountainbikes in den Urlaubsgebieten. Einige wenige Hotels im Land haben Fahrräder angeschafft und bieten sie ihren Gästen zur aktiven Erholung an. Die landschaftlichen Verhältnisse zum Radfahren sind oft sehr interessant. So kann man zum Beispiel in einem Viersternehotel in Pereslawl-Salesski, einer der ältesten und am besten erhaltenen Städte Zentralrusslands, ein Rad mieten. Im Wald rund um Hotel und Resort existieren ideale Bedingungen, um die Gegend gefahrlos zu erkunden. In anderen Urlaubsregionen könnte man ebenfalls sehr gut Fahrrad fahren, aber Mieträder sind eben entweder gar nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden. Dasselbe trifft für E-Bikes zu, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen. Sowieso gibt es außerhalb von Moskau kaum Wiederauflademöglichkeiten.
Zusammenfassend kann man sagen, dass alle Aspekte rund ums Fahrradfahren, inklusive des Bereichs Fahrradtourismus, der dazugehörigen Infrastruktur und des Serviceangebots in Russland noch in den Kinderschuhen stecken. Wer sich mit innovativen Ideen, Lösungen und Produkten auf den Markt traut, kann sich noch ein gutes Stück vom Kuchen abschneiden.
Thoralf Rassmann