Als Anfang November 2021 in Russland wieder Corona-Topwerte erreicht wurden, erhielt die Staatsduma von der russischen Regierung Gesetzesvorlagen zu einer landesweiten Einführung von QR-Codes zum Infektionsschutz.
Diese sollten sowohl im öffentlichen Verkehr als auch in allen öffentlichen Räumen mit Ausnahme der Geschäfte für den täglichen Bedarf gelten. Dabei wurde ab Februar 2022 eine 2G-Regelung (Ausstellung ausschließlich an vollständig Geimpfte sowie innerhalb der letzten sechs Monate Genesene) vorgesehen.
Zwar wurde zunächst behauptet, dass die Gesetze innerhalb weniger Tage verabschiedet werden würden, dann wurde die Frist aber um mindestens einen Monat verlängert, damit die zuständigen Ausschüsse der Staatsduma etwaige Änderungsvorschläge sorgfältiger besprechen könnten. Als Grund für diese Entscheidung wurden zahlreiche Beschwerden von Bürgern genannt, die eine ohnehin sehr hohe Sensitivität gegenüber diesem Thema in der Gesellschaft widerspiegeln, da die Gesetzesvorlagen als Impfzwang empfunden werden. Diese allgemeine Ablehnung eines Impfzwangs in der russischen Bevölkerung hat tiefe historische und psychologische Gründe: Man ist einerseits bereit, das hohe Risiko einer möglichen Covid-Erkrankung auf sich zu nehmen, da das als kontrollierbares Risiko wahrgenommen wird, gleichzeitig ist der repräsentative Bürger extrem risikoavers, wenn es um eine vom Staat kontrollierte Impfmaßnahme geht, der man nach jahrhundertelangen Erfahrungen mit einem Leviathan-Staat nicht vertraut.
Auch wurden innerhalb des vergangenen Monats von verschiedenen Experten und Politikern sehr kontroverse Meinungen zum eingebrachten Vorhaben geäußert. U.a. wurde bezweifelt, inwiefern eine solch unpopuläre Entscheidung von Bürgern überhaupt mitgetragen werden kann.
Dazu ist auch zu erwähnen, dass die meisten unpopulären Entscheidungen bis zum Ausbruch der letzten Pandemiewelle im Oktober/November 2021 auf regionaler Ebene verabschiedet wurden. Aus politischen Gründen erscheint es eher unwahrscheinlich, dass das föderale Zentrum diese Einstellung nun wesentlich ändern wollte und damit auf einen Widerstand der Gesellschaft stoßen würde, solange die gegenwärtigen mit anderen Mitteln zu lösen sind.
Eine Reihe von Entscheidungen, die innerhalb des letzten Monats auf föderaler Ebene getroffen wurden, deuten darauf hin, dass die zunächst vorgeschlagenen Regelungen nun in einer wesentlich milderen Form zu erwarten sind. So wurde Ende November die Gültigkeitsdauer der Genesenennachweise ganz unerwartet von sechs auf zwölf Monate verlängert. Außerdem wird von der Regierung ein Vorschlag unterbreitet, der eine Ausstellung von Genesenennachweisen für alle Bürger mit genügend hohen Antikörper-Werten vorsehen soll. Da die tatsächliche Anzahl der Genesenen von der amtlichen Statistik nur teilweise erfasst wurde und auf einem erheblich höheren Niveau liegt, ist damit zu rechnen, dass eine deutliche Mehrheit der russischen Bürger, die nicht geimpft wurde, die ersehnten QR-Codes als Genesene oder als inoffiziell Genesene mit Antikörpern für einen längeren Zeitraum (von einem Jahr) erhalten werden. Laut aktuellen Umfragen wird dieser letztere Vorschlag von einer deutlichen Mehrheit der Russen stark unterstützt und könnte damit ein Werkzeug sein, die ursprünglich unpopuläre Gesetzesvorlage deutlich akzeptabler zu gestalten.
Ein Verzicht des Staates auf eine härtere QR-Code-Politik ist auch auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen zurückzuführen. Die ab dem vergangenen Jahr beobachteten hohen Inflationswerte führen zu einer klaren wirtschaftspolitischen Präferenz der Regierung, sich primär mit dem Problem der Preisstabilität zu beschäftigen. So hat die russische Zentralbank ihre im März 2021 begonnene Politik der Leitzinsanhebung auch im November fortgesetzt, was aufgrund des kontinuierlich negativ bleibenden realen Zinssatzes auch für Dezember 2021 sowie für 2022 zu erwarten ist. Dabei sind die Möglichkeiten der Regierung, eine großzügige expansive Fiskalpolitik durchzuführen, im Vergleich zu westlichen Volkswirtschaften deutlich beschränkt. In dieser Situation würden sehr harte Anti-Covidmaßnahmen zu übermäßigen wirtschaftlichen Einbußen der Bevölkerung führen und wären daher aus wirtschaftlicher Sicht kaum tragbar.
Ilja Neustadt, Dr. oec. publ., Associate Professor an der Präsidenten-Akademie RANEPA in Moskau (Russian Academy for National Economy and Public Administration)
Neustadt kommentiert: QR-Codes in Russland – was sagen Wirtschaft und Gesellschaft?
Als Anfang November 2021 in Russland wieder Corona-Topwerte erreicht wurden, erhielt die Staatsduma von der russischen Regierung Gesetzesvorlagen zu einer landesweiten Einführung von QR-Codes zum Infektionsschutz.
Diese sollten sowohl im öffentlichen Verkehr als auch in allen öffentlichen Räumen mit Ausnahme der Geschäfte für den täglichen Bedarf gelten. Dabei wurde ab Februar 2022 eine 2G-Regelung (Ausstellung ausschließlich an vollständig Geimpfte sowie innerhalb der letzten sechs Monate Genesene) vorgesehen.
Zwar wurde zunächst behauptet, dass die Gesetze innerhalb weniger Tage verabschiedet werden würden, dann wurde die Frist aber um mindestens einen Monat verlängert, damit die zuständigen Ausschüsse der Staatsduma etwaige Änderungsvorschläge sorgfältiger besprechen könnten. Als Grund für diese Entscheidung wurden zahlreiche Beschwerden von Bürgern genannt, die eine ohnehin sehr hohe Sensitivität gegenüber diesem Thema in der Gesellschaft widerspiegeln, da die Gesetzesvorlagen als Impfzwang empfunden werden. Diese allgemeine Ablehnung eines Impfzwangs in der russischen Bevölkerung hat tiefe historische und psychologische Gründe: Man ist einerseits bereit, das hohe Risiko einer möglichen Covid-Erkrankung auf sich zu nehmen, da das als kontrollierbares Risiko wahrgenommen wird, gleichzeitig ist der repräsentative Bürger extrem risikoavers, wenn es um eine vom Staat kontrollierte Impfmaßnahme geht, der man nach jahrhundertelangen Erfahrungen mit einem Leviathan-Staat nicht vertraut.
Auch wurden innerhalb des vergangenen Monats von verschiedenen Experten und Politikern sehr kontroverse Meinungen zum eingebrachten Vorhaben geäußert. U.a. wurde bezweifelt, inwiefern eine solch unpopuläre Entscheidung von Bürgern überhaupt mitgetragen werden kann.
Dazu ist auch zu erwähnen, dass die meisten unpopulären Entscheidungen bis zum Ausbruch der letzten Pandemiewelle im Oktober/November 2021 auf regionaler Ebene verabschiedet wurden. Aus politischen Gründen erscheint es eher unwahrscheinlich, dass das föderale Zentrum diese Einstellung nun wesentlich ändern wollte und damit auf einen Widerstand der Gesellschaft stoßen würde, solange die gegenwärtigen mit anderen Mitteln zu lösen sind.
Eine Reihe von Entscheidungen, die innerhalb des letzten Monats auf föderaler Ebene getroffen wurden, deuten darauf hin, dass die zunächst vorgeschlagenen Regelungen nun in einer wesentlich milderen Form zu erwarten sind. So wurde Ende November die Gültigkeitsdauer der Genesenennachweise ganz unerwartet von sechs auf zwölf Monate verlängert. Außerdem wird von der Regierung ein Vorschlag unterbreitet, der eine Ausstellung von Genesenennachweisen für alle Bürger mit genügend hohen Antikörper-Werten vorsehen soll. Da die tatsächliche Anzahl der Genesenen von der amtlichen Statistik nur teilweise erfasst wurde und auf einem erheblich höheren Niveau liegt, ist damit zu rechnen, dass eine deutliche Mehrheit der russischen Bürger, die nicht geimpft wurde, die ersehnten QR-Codes als Genesene oder als inoffiziell Genesene mit Antikörpern für einen längeren Zeitraum (von einem Jahr) erhalten werden. Laut aktuellen Umfragen wird dieser letztere Vorschlag von einer deutlichen Mehrheit der Russen stark unterstützt und könnte damit ein Werkzeug sein, die ursprünglich unpopuläre Gesetzesvorlage deutlich akzeptabler zu gestalten.
Ein Verzicht des Staates auf eine härtere QR-Code-Politik ist auch auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen zurückzuführen. Die ab dem vergangenen Jahr beobachteten hohen Inflationswerte führen zu einer klaren wirtschaftspolitischen Präferenz der Regierung, sich primär mit dem Problem der Preisstabilität zu beschäftigen. So hat die russische Zentralbank ihre im März 2021 begonnene Politik der Leitzinsanhebung auch im November fortgesetzt, was aufgrund des kontinuierlich negativ bleibenden realen Zinssatzes auch für Dezember 2021 sowie für 2022 zu erwarten ist. Dabei sind die Möglichkeiten der Regierung, eine großzügige expansive Fiskalpolitik durchzuführen, im Vergleich zu westlichen Volkswirtschaften deutlich beschränkt. In dieser Situation würden sehr harte Anti-Covidmaßnahmen zu übermäßigen wirtschaftlichen Einbußen der Bevölkerung führen und wären daher aus wirtschaftlicher Sicht kaum tragbar.
Ilja Neustadt, Dr. oec. publ., Associate Professor an der Präsidenten-Akademie RANEPA in Moskau (Russian Academy for National Economy and Public Administration)