Die zweite volle Woche des verheerenden, kriegerischen Zwists zwischen den entschlossenen russischen Angreifern und den standhaften ukrainischen Verteidigern ist angebrochen. Und wie es aussieht, werden der noch unvorhersehbar viele Wochen folgen.
Denn nichts Entscheidendes bewegt sich. Die bedrohliche Belagerung der Hauptstadt Kiew und der zweitgrößten Metropole Charkiw schleicht sich bedrohlich vorwärts. Was die Beschießung und Besetzung des größten Atomkraftwerks Europas, in Saporischschja, bringen soll, mag man sich besser nicht vorstellen. Die allgemeine Unsicherheits- und Versorgungslage im ganzen Land nötigt nach Angaben der UN-Flüchtlingskommission in Genf bald anderthalb Millionen Menschen, ihre Heimat in alle Himmelsrichtungen zu verlassen – nur nicht nach Osten. Warum wird ein doch gern als historisch gewachsenes „Brudervolk“ mit so engen Familienbindungen hier und da in die nackte Verzweiflung getrieben? Wladimir Putin, immerhin schon über zwei Jahrzehnte Präsident des flächenmäßig größten nationalen Territoriums der Erde sowie mit dem staatlich-markforscherisch erhobenen, wohl anzuzweifelnden Rückhalt von rund 70 Prozent der Bevölkerung verfolgt derweil unbeirrt und skrupellos sein offenbar schon vor Jahren angepeiltes Endziel – die Restaurierung der Weltmachtstellung der verblichenen Sowjetunion mit ihm als Alleinherrscher. Viel zu spät hat der Westen diese retrogeistige, ehrgeizige Maxime ernstgenommen, ihren obersten Protagonisten schlicht in die Ecke gestellt – frei nach dem ignoranten Motto „was nicht sein kann, das darf nicht sein.“
Nach der eigentlich ja neutralen Schweiz vorige Tage hat sich gestern auch Singapur auf der langen Länder-Liste kommitiert, die Russland mit rigorosen Sanktionen lahmlegen soll. Langsam wird so daraus eine flächendeckende Ausklammerung durch wirtschaftliche Führungsmächte. Aber keine Volkswirtschaft kann doch inzwischen mehr alleine überleben. Selbst China nicht, auch wenn Putin natürlich nun ein wacheres Auge auf engere Anbindung zum unmittelbaren Nachbarn gerichtet hat. Das zeigen allein die ursächlich durch die Pandemie bedingten, anhaltenden Logistikprobleme, die die Leistungskraft der weltweiten Produktionsablaeufe empfindlich tangieren. Ohne Investitionen, professionellen Expertenaustausch und Technologietransfer kann Russland zwar vielleicht die Stellung halten, aber nur Trippelschritte vorwärtskommen. Der Exodus oder die zumindest vorübergehende Suspendierung der Aktivitäten inländisch längst etablierter ausländischer Unternehmen nimmt Fahrt auf. Den Kreml-Herrn scheint die drohende, totale Isolation allerdings wenig zu beeindrucken. Gegen jedwede westliche Strafmaßnahme lässt er sich zu einer noch gesteigerten Wiederholung seiner Drohgebärden hinreißen oder stößt neue aus.
Zwei Dinge hat Putin jetzt allerdings schon erreicht: Erstens hat er endlich die uneingeschränkte, allgegenwärtige Aufmerksamkeit als nicht zu ignorierender Führer, um die er anfangs seiner Amtszeit noch staatsmännisch-diplomatisch gebuhlt, dann immer fordernder und eigenmächtiger gekämpft hat. Aber nun letztlich zu welchem Preis? Der noch wenig wirksame, außer internationale Kontrolle geratene Nachbarschaftsangriff kann sich zu einer langfristig nachbrennenden Katastrophe auswachsen. Zu allererst für die Freiheit der ukrainischen Nation, aber genauso für die ökonomische und gesellschaftliche Prosperität der Russischen Föderation. Das Vertrauen zum gesamten russischen Volk, ja, die individuelle Wahrnehmung von Russen, hat schon jetzt rundum nachhaltig böse Kratzer bekommen. Langsam wachen Putin’s Landsleute deshalb aus ihrer geschichtlich schmerzhaft überlieferten Lethargie und Stimmlosigkeit auf. Bürger aller Altersklassen und Schichten, selbst einige Oligarchen, Geschäftsleute, Wissenschaftler und Kulturschaffende üben zunehmend öffentlich herbe Kritik an der imperial-arroganten Politik und rüden Offensivhaltung ihres Präsidenten. Die Folgen im Alltagsleben sind schon jetzt zu spüren – an der explodierenden Geldentwertung, an den massiven Einschränkungen bei Finanzdienstleistungen, bald wohl auch an den zunehmenden Leerstellen in den Geschäftsregalen. Zweitens hat er der Europäischen Union und der NATO zu einem lange versäumt wie vermissten starken Zusammenhalt verholfen, im neu belebten Schulterschluss mit der transatlantischen Partnerschaft für eine funktionierendere Sicherheitsstruktur. Da hatte Putin mit seinen unberechenbaren Alleingängen eigentlich gerade das Gegenteil im Sinn – grob verrechnet.
Ein beklemmendes Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit beschleicht angesichts der situativen Unkontrollierbarkeit große Teile der Weltöffentlichkeit. Es sieht weit mehr als ernst aus, aber nicht hoffnungslos. Vorausgesetzt, alle Beteiligten, gerade die im Kreml, besinnen sich mit langsam gesünderem Menschenverstand an einen Grundsatz des einstigen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (… der immerhin auch mal Verteidigungsminister war): „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“ Sein Wort in Gottes Ohr.
Frank Ebbecke Senior Executive Consultant owc Verlag für Aussenwirtschaft, Berlin
Ebbecke kommentiert: Wer zieht die Notbremse?
Die zweite volle Woche des verheerenden, kriegerischen Zwists zwischen den entschlossenen russischen Angreifern und den standhaften ukrainischen Verteidigern ist angebrochen. Und wie es aussieht, werden der noch unvorhersehbar viele Wochen folgen.
Denn nichts Entscheidendes bewegt sich. Die bedrohliche Belagerung der Hauptstadt Kiew und der zweitgrößten Metropole Charkiw schleicht sich bedrohlich vorwärts. Was die Beschießung und Besetzung des größten Atomkraftwerks Europas, in Saporischschja, bringen soll, mag man sich besser nicht vorstellen. Die allgemeine Unsicherheits- und Versorgungslage im ganzen Land nötigt nach Angaben der UN-Flüchtlingskommission in Genf bald anderthalb Millionen Menschen, ihre Heimat in alle Himmelsrichtungen zu verlassen – nur nicht nach Osten. Warum wird ein doch gern als historisch gewachsenes „Brudervolk“ mit so engen Familienbindungen hier und da in die nackte Verzweiflung getrieben? Wladimir Putin, immerhin schon über zwei Jahrzehnte Präsident des flächenmäßig größten nationalen Territoriums der Erde sowie mit dem staatlich-markforscherisch erhobenen, wohl anzuzweifelnden Rückhalt von rund 70 Prozent der Bevölkerung verfolgt derweil unbeirrt und skrupellos sein offenbar schon vor Jahren angepeiltes Endziel – die Restaurierung der Weltmachtstellung der verblichenen Sowjetunion mit ihm als Alleinherrscher. Viel zu spät hat der Westen diese retrogeistige, ehrgeizige Maxime ernstgenommen, ihren obersten Protagonisten schlicht in die Ecke gestellt – frei nach dem ignoranten Motto „was nicht sein kann, das darf nicht sein.“
Nach der eigentlich ja neutralen Schweiz vorige Tage hat sich gestern auch Singapur auf der langen Länder-Liste kommitiert, die Russland mit rigorosen Sanktionen lahmlegen soll. Langsam wird so daraus eine flächendeckende Ausklammerung durch wirtschaftliche Führungsmächte. Aber keine Volkswirtschaft kann doch inzwischen mehr alleine überleben. Selbst China nicht, auch wenn Putin natürlich nun ein wacheres Auge auf engere Anbindung zum unmittelbaren Nachbarn gerichtet hat. Das zeigen allein die ursächlich durch die Pandemie bedingten, anhaltenden Logistikprobleme, die die Leistungskraft der weltweiten Produktionsablaeufe empfindlich tangieren. Ohne Investitionen, professionellen Expertenaustausch und Technologietransfer kann Russland zwar vielleicht die Stellung halten, aber nur Trippelschritte vorwärtskommen. Der Exodus oder die zumindest vorübergehende Suspendierung der Aktivitäten inländisch längst etablierter ausländischer Unternehmen nimmt Fahrt auf. Den Kreml-Herrn scheint die drohende, totale Isolation allerdings wenig zu beeindrucken. Gegen jedwede westliche Strafmaßnahme lässt er sich zu einer noch gesteigerten Wiederholung seiner Drohgebärden hinreißen oder stößt neue aus.
Zwei Dinge hat Putin jetzt allerdings schon erreicht: Erstens hat er endlich die uneingeschränkte, allgegenwärtige Aufmerksamkeit als nicht zu ignorierender Führer, um die er anfangs seiner Amtszeit noch staatsmännisch-diplomatisch gebuhlt, dann immer fordernder und eigenmächtiger gekämpft hat. Aber nun letztlich zu welchem Preis? Der noch wenig wirksame, außer internationale Kontrolle geratene Nachbarschaftsangriff kann sich zu einer langfristig nachbrennenden Katastrophe auswachsen. Zu allererst für die Freiheit der ukrainischen Nation, aber genauso für die ökonomische und gesellschaftliche Prosperität der Russischen Föderation. Das Vertrauen zum gesamten russischen Volk, ja, die individuelle Wahrnehmung von Russen, hat schon jetzt rundum nachhaltig böse Kratzer bekommen. Langsam wachen Putin’s Landsleute deshalb aus ihrer geschichtlich schmerzhaft überlieferten Lethargie und Stimmlosigkeit auf. Bürger aller Altersklassen und Schichten, selbst einige Oligarchen, Geschäftsleute, Wissenschaftler und Kulturschaffende üben zunehmend öffentlich herbe Kritik an der imperial-arroganten Politik und rüden Offensivhaltung ihres Präsidenten. Die Folgen im Alltagsleben sind schon jetzt zu spüren – an der explodierenden Geldentwertung, an den massiven Einschränkungen bei Finanzdienstleistungen, bald wohl auch an den zunehmenden Leerstellen in den Geschäftsregalen. Zweitens hat er der Europäischen Union und der NATO zu einem lange versäumt wie vermissten starken Zusammenhalt verholfen, im neu belebten Schulterschluss mit der transatlantischen Partnerschaft für eine funktionierendere Sicherheitsstruktur. Da hatte Putin mit seinen unberechenbaren Alleingängen eigentlich gerade das Gegenteil im Sinn – grob verrechnet.
Ein beklemmendes Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit beschleicht angesichts der situativen Unkontrollierbarkeit große Teile der Weltöffentlichkeit. Es sieht weit mehr als ernst aus, aber nicht hoffnungslos. Vorausgesetzt, alle Beteiligten, gerade die im Kreml, besinnen sich mit langsam gesünderem Menschenverstand an einen Grundsatz des einstigen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (… der immerhin auch mal Verteidigungsminister war): „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“ Sein Wort in Gottes Ohr.
Frank Ebbecke
Senior Executive Consultant
owc Verlag für Aussenwirtschaft, Berlin