SAPORISCHSCHJA (AFP)–Versteckt unter seinem Mantel mit Kapuze und Blendschutz schaut Serhij auf den glühenden, orangefarbenen Strom aus flüssigem Metall. Der Hochofenarbeiter steht mitten im Stahlwerk von Saporischstal im Süden der Ukraine und prüft das geschmolzene 1400 Grad heiße Roheisen auf Verunreinigungen. Eine alltägliche Arbeit an einem Ort, an dem nicht mehr viel alltäglich ist. Nur 40 Kilometer entfernt tobt der Krieg. Die Gegenoffensive in der Region Saporischschja ist in vollem Gange. Auswirkungen des Konflikts sind auch in der Stahlindustrie spürbar: Seit der russischen Invasion hat die Ukraine wichtige Fabriken, Personal und Zulieferer verloren, was auch Zahlen der Weltbank zeigen: Umgerechnet gut 390 Mrd Euro hat die ukrainische Wirtschaft demnach im ersten Kriegsjahr eingebüßt. Trotzdem sind Stahlwerke wie Saporischstal weiter von zentraler Bedeutung. Die Branche ist widerstandsfähig. Saporischstal gehört zum Stahl- und Bergbaukonzern Metinvest, der vom wohl reichsten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, kontrolliert wird. „Wir haben eine fundamentale Aufgabe: die Firma zu retten, unser Vermögen zu retten und zu überleben“, sagt Oleksandr Myronenko, Betriebsleiter bei Metinvest, der „AFP“. Gleichzeitig sind die Fabriken auch Symbol des militärischen Widerstands: Während der Verteidigung der Hafenstadt Mariupol verschanzten sich die Kämpfer des Asow-Bataillons im Stahlwerk Asow-Stahl und verteidigten ihre Stellungen wochenlang. Auch das Werk Saporischstal ist ein tentakelartiges Netz aus Rohren, Straßen, Schienen und Lagerhallen. In einem Gebäude preist ein Schild aus der Sowjetzeit neue Produktionsrekorde an, auf eine Tafel hat jemand „Putin ist ein Arschloch“ geschrieben. Die Öfen der Anlage kühlten in ihrer Geschichte bisher nur zweimal ab. Während des Zweiten Weltkriegs – und als Russland einmarschierte. Trotz der Kampfhandlungen in der Nähe konnte Metinvest aber nach eigenen Angaben 70% der Produktion aufrecht erhalten. „Ich erwarte, dass wir in diesem Jahr noch mehr Stahl produzieren“, sagt Betriebsleiter Myronenko. Das wäre ein gutes Ergebnis. Weil Russland jedoch die Häfen im Schwarzen Meer blockiert und den Donauhafen in Ismail beschießt, werden die Exporte weiter stark behindert. Die Beschäftigten in den umkämpften Gebieten haben Angst im Fadenkreuz Russlands zu arbeiten. Metinvest konnte vergangenen Monat zwar Waren von drei im Schwarzen Meer gestrandeten Schiffen ausliefern, die Schiffsinhaber wollten aus Sorge aber keine neuen Schiffe schicken. Auch das Werk Saporischstal war bereits Ziel von Angriffen. Es gibt dort Luftschutzbunker, einige Beschäftigte müssen aber während der Attacken an ihren Plätzen bleiben. „Man kann den Arbeitsprozess nicht stoppen“, sagt Serhij, der Hochofenarbeiter, während er das Metall testet und die Funken sprühen lässt. „Es ist beängstigend, aber was sollen wir tun? Wir müssen unsere Familien ernähren“. Die Alternative zur Arbeit im Werk: Selbst in den Krieg ziehen. 8000 Metinvest-Angestellte haben das bereits gemacht, sie wurden eingezogen oder haben sich freiwillig gemeldet. Aus dem größten Stahlwerk der Ukraine Arcelor Mittal in Krywyj Rih gingen 2600 Menschen an die Front. Mehr als hundert von ihnen wurden getötet. Seit der Invasion hat das Werk Saporischstal rund ein Viertel seiner Belegschaft von ursprünglich 10.500 Menschen verloren. Manche kämpfen, manche sind weggegangen, manche sind wegen der reduzierte Produktion in Kurzarbeit und müssen auf einen Teil des Lohns verzichten. Eine Woche zuvor hatten russische Streitkräfte die Region vier Stunden lang mit Drohnen beschossen. Bis neun Uhr morgens saßen Teile der Belegschaft im Luftschutzbunker. Die Produktion sei in Zeiten des Krieges nebensächlich geworden, sagt Tjurin. Doch nach dem Krieg wird der Industriezweig eine Schlüsselrolle spielen: „Sie haben das Land zerstört. Für den Wiederaufbau werden wir Metall brauchen.“ Die Fabrik zeigt sich bereit dafür: „Wir warten auf die Anweisung, wieder voll arbeiten zu können“, heißt es. Am Durchsetzungsvermögen der Ukraine in diesem Krieg wird bei Saporischstal derweil nicht gezweifelt. An der Plakatwand am Eingang des Werks steht geschrieben: „Gemeinsam zum Sieg.“
OID+: Stahlindustrie kämpft ums Überleben
SAPORISCHSCHJA (AFP)–Versteckt unter seinem Mantel mit Kapuze und Blendschutz schaut Serhij auf den glühenden, orangefarbenen Strom aus flüssigem Metall. Der Hochofenarbeiter steht mitten im Stahlwerk von Saporischstal im Süden der Ukraine und prüft das geschmolzene 1400 Grad heiße Roheisen auf Verunreinigungen.
Eine alltägliche Arbeit an einem Ort, an dem nicht mehr viel alltäglich ist. Nur 40 Kilometer entfernt tobt der Krieg. Die Gegenoffensive in der Region Saporischschja ist in vollem Gange. Auswirkungen des Konflikts sind auch in der Stahlindustrie spürbar: Seit der russischen Invasion hat die Ukraine wichtige Fabriken, Personal und Zulieferer verloren, was auch Zahlen der Weltbank zeigen: Umgerechnet gut 390 Mrd Euro hat die ukrainische Wirtschaft demnach im ersten Kriegsjahr
eingebüßt.
Trotzdem sind Stahlwerke wie Saporischstal weiter von zentraler Bedeutung. Die Branche ist widerstandsfähig. Saporischstal gehört zum Stahl- und Bergbaukonzern Metinvest, der vom wohl reichsten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, kontrolliert wird. „Wir haben eine fundamentale Aufgabe: die Firma zu retten, unser Vermögen zu retten und zu überleben“, sagt Oleksandr Myronenko, Betriebsleiter bei Metinvest, der „AFP“. Gleichzeitig sind die Fabriken auch Symbol des militärischen Widerstands: Während der Verteidigung der Hafenstadt Mariupol verschanzten sich die Kämpfer des Asow-Bataillons im Stahlwerk Asow-Stahl und verteidigten ihre Stellungen wochenlang. Auch das Werk Saporischstal ist ein tentakelartiges Netz aus Rohren, Straßen, Schienen und Lagerhallen. In einem Gebäude preist ein Schild aus der Sowjetzeit neue Produktionsrekorde an, auf eine Tafel hat jemand „Putin ist ein Arschloch“ geschrieben.
Die Öfen der Anlage kühlten in ihrer Geschichte bisher nur zweimal ab. Während des Zweiten Weltkriegs – und als Russland einmarschierte. Trotz der Kampfhandlungen in der Nähe konnte Metinvest aber nach eigenen Angaben 70% der Produktion aufrecht erhalten. „Ich erwarte, dass wir in diesem Jahr noch mehr Stahl produzieren“, sagt Betriebsleiter Myronenko. Das wäre ein gutes Ergebnis.
Weil Russland jedoch die Häfen im Schwarzen Meer blockiert und den Donauhafen in Ismail beschießt, werden die Exporte weiter stark behindert. Die Beschäftigten in den umkämpften Gebieten haben Angst im Fadenkreuz Russlands zu arbeiten. Metinvest konnte vergangenen Monat zwar Waren von drei im Schwarzen Meer gestrandeten Schiffen ausliefern, die Schiffsinhaber wollten aus Sorge aber keine neuen Schiffe schicken. Auch das Werk Saporischstal war bereits Ziel von Angriffen. Es gibt dort Luftschutzbunker, einige Beschäftigte müssen aber während der Attacken an ihren Plätzen bleiben. „Man kann den Arbeitsprozess nicht stoppen“, sagt Serhij, der Hochofenarbeiter, während er das Metall testet und die Funken sprühen lässt. „Es ist beängstigend, aber was sollen wir tun? Wir müssen unsere Familien ernähren“. Die Alternative zur Arbeit im Werk: Selbst in den Krieg ziehen.
8000 Metinvest-Angestellte haben das bereits gemacht, sie wurden eingezogen oder haben sich freiwillig gemeldet. Aus dem größten Stahlwerk der Ukraine Arcelor Mittal in Krywyj Rih gingen 2600 Menschen an die Front. Mehr als hundert von ihnen wurden getötet. Seit der Invasion hat das Werk Saporischstal rund ein Viertel seiner Belegschaft von ursprünglich 10.500 Menschen verloren. Manche kämpfen, manche sind weggegangen, manche sind wegen der reduzierte Produktion in Kurzarbeit und müssen auf einen Teil des Lohns verzichten.
Eine Woche zuvor hatten russische Streitkräfte die Region vier Stunden lang mit Drohnen beschossen. Bis neun Uhr morgens saßen Teile der Belegschaft im Luftschutzbunker. Die Produktion sei in Zeiten des Krieges nebensächlich geworden, sagt Tjurin. Doch nach dem Krieg wird der Industriezweig eine Schlüsselrolle spielen: „Sie haben das Land zerstört. Für den Wiederaufbau werden wir Metall brauchen.“ Die Fabrik zeigt sich bereit dafür: „Wir warten auf die Anweisung, wieder voll arbeiten zu können“, heißt es.
Am Durchsetzungsvermögen der Ukraine in diesem Krieg wird bei Saporischstal derweil nicht gezweifelt. An der Plakatwand am Eingang des Werks steht geschrieben: „Gemeinsam zum Sieg.“