Geht die Rechnung von Alexander Lukaschenko, dem „letzten Diktators
Europas“, wie er schon seit Jahren von westlicher Seite apostrophiert wird,
auf?
Alle führenden Mitglieder der
oppositionellen Volksbewegung sitzen in Haft, stehen vor Gericht oder wurden
aus dem Land gedrängt. In erster Linie die hoch emotionalisierende Frauenpower
des mutigen Triumvirats: Seine Gegenkandidatin Swetlana Tichanowskaya, derzeit
im erzwungenen EU-Exil Litauen, Veronika Zepkalo aus der belarussischen
Elitegesellschaft (…ihr Mann war Botschafter in den USA und Mexico, Gründer
des zukunftsträchtigen Minsker ‚Hi-Tech Parks‘), eingeschüchtert in die
nachbarliche Ukraine geflüchtet, und Maria Kolesnikowa, die sich entführt und
weggesperrt noch irgendwo im Lande aufhält. Ist das nun bald das Ende des
Volksaufbegehrens? Nein, der Funke ist längst auf Millionen von Lukaschenkos
unzufriedenen Mitbürger übergesprungen und hat ein unauslöschliches Feuer
entfacht. Sie kämpfen für einen offenen, konstruktiven Dialog und eine faire,
die Gesellschaft repräsentierende Neuauflage der letzten, so dubios verlaufenen
Wahl.
Geographisch auf der Zentralachse in
Mitteleuropa gelegen, weckt die arg angespannte Krisenlage Schützenhilfe aus
beiden Himmelsrichtungen, wenn auch ersichtlich verhalten und distanziert.
Gleichwohl sich die beiden Präsidenten nicht mehr ganz so grün
sind. Der große, schützende Bruder im Osten will schlicht und einfach
seine regionale, historische Einflusssphäre als seine wichtigste
geopolitisch-strategische Waffe nicht gefährdet sehen, während die Westler ihre
bewährten Chancen in der Verbreitung demokratisch-klassischer Werte wie
‚Freiheit und Gerechtigkeit’ mit aller Vorsicht einbringen. Der Schlagabtausch
soll zunächst eher eine national-belarussische Angelegenheit bleiben. Gemäß dem
erklärten Ziel der breiten belarussischen Oppositionstaktik. Schon bewundernswert
und geradezu phänomenal wie diszipliniert und friedfertig sich die Belarussen
im öffentlichen Raum verhalten. Dagegen wirken die seit Wochen so gut wie
täglich ausgeteilten Rundumschläge der Staatsgewalt noch aggressiver, irgendwie
hilfloser und, ja, dümmer – denn Gewalt erzeugt letztendlich doch nur
Gegengewalt.
Flagge mit Symbolcharakter
Die Welt fragt sich, warum eigentlich
eine rot-weiße Flagge so oft, zahlreich und heftig durch die Straßen der
belarussischen Städte geschwenkt wird statt den geltenden rot-grünen
Nationalfarben? Nun, sie strahlt eben eine ganz entscheidende Symbolkraft aus.
Denn 1995 hatte eben dieser Lukaschenko jene traditionelle Fahne abgeschafft,
die nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 zunächst übers belarussische Land
wehte. Rot-weiß war im März 1918 die erste Flagge einer unabhängigen,
belarussischen Volksrepublik gewesen, bevor sie damals schnell zu einer
sozialistischen Sowjetrepublik und rot-grün mutierte. Und die Nähe zur
kommunistischen Vergangenheit ist für weite Teile der Bevölkerung ja gerade
nicht die Verheißung der Stunde – für Lukaschenko schon.
Hoffen auf Russland
An das Russland von heute klammert sich
der Getreue denn auch als wohl letzten verbliebenen auswärtigen Retter. Er
hätte sich nicht über Jahrzehnte im Sattel halten können, wären da nicht die mannigfachen
sozialistisch geprägten Wohltaten wie zum Beispiel im kostenfreien
Erziehungssystem und die zum Großteil staatsplangesteuerte, aber durchaus
respektable Wirtschaftsleistung beifallsheischend zu propagieren gewesen. Nicht
ganz ohne Fug und Recht. Aber nur Dank und mit dem kontinuierlichen,
jährlichen Milliarden-Segen vom großen Bruders im Osten, der sich im
Umkehrschluss aber auch stark abhängig von Produktlieferungen gemacht hat, so
zum Beispiel von militärisch genutzten Spezialtransportern. Rückendeckung bekam
Alexander Lukaschenko in den vergangenen Tagen auch von seinem Außenminister
Wladimir Makei. In einer verständnissuchenden, aber auch warnend
selbstbewussten Note an seine Amtskollegen in den gesammelten EU-Staaten
argumentierte er: „Wir werden das unverändert und souverän durchziehen. Sie
wissen, was Sanktionen bewirken. Wir alle werden im Dienst für unsere Länder
und Völker nur Zeit verlieren in dieser sich schnell verändernden Welt.“ Und er
erinnerte daran: „Welches ihrer Länder ist nicht durch schmerzvolle nationale
Reifeprozesse gegangen? Ich bitte Sie, ohne Emotionen darüber nachzudenken.“
Der autokratische Staatschef stellt sich stramm seinem politischen Überlebenskampf. Es geht ihm um nichts weniger als die Vollendung seines Lebenswerkes. Selbst sein persönlich designierter ‚Thronfolger’, der fünfzehnjährige Sohn Nikolai, ist seit Jahren schon bei öffentlichen Auftritten an seiner Seite – gar mit Gewehr bei Fuß wie vor einigen Tagen vor seinem Amtssitz, da er unsinnigerweise einen NATO-gesteuerten Angriff befürchtete. Seine aufbegehrenden ‚Untertanen‘ stehen dagegen ebenso stramm für Ihre persönlichen Rechte und verständlichen Ziele. Bleibt nur zu hoffen, dass Lukaschenkos verstörende Gewaltmethoden nicht weiter eskalieren und umgekehrt im Volk erst gar nicht aufkeimen. Ein wünschenswertes Aufeinanderzugehen ist (noch) nicht in Sicht. Ende offen.
Belarus im Transit: Schlagabtausch mit offenem Ausgang
Geht die Rechnung von Alexander Lukaschenko, dem „letzten Diktators Europas“, wie er schon seit Jahren von westlicher Seite apostrophiert wird, auf?
Alle führenden Mitglieder der oppositionellen Volksbewegung sitzen in Haft, stehen vor Gericht oder wurden aus dem Land gedrängt. In erster Linie die hoch emotionalisierende Frauenpower des mutigen Triumvirats: Seine Gegenkandidatin Swetlana Tichanowskaya, derzeit im erzwungenen EU-Exil Litauen, Veronika Zepkalo aus der belarussischen Elitegesellschaft (…ihr Mann war Botschafter in den USA und Mexico, Gründer des zukunftsträchtigen Minsker ‚Hi-Tech Parks‘), eingeschüchtert in die nachbarliche Ukraine geflüchtet, und Maria Kolesnikowa, die sich entführt und weggesperrt noch irgendwo im Lande aufhält. Ist das nun bald das Ende des Volksaufbegehrens? Nein, der Funke ist längst auf Millionen von Lukaschenkos unzufriedenen Mitbürger übergesprungen und hat ein unauslöschliches Feuer entfacht. Sie kämpfen für einen offenen, konstruktiven Dialog und eine faire, die Gesellschaft repräsentierende Neuauflage der letzten, so dubios verlaufenen Wahl.
Geographisch auf der Zentralachse in Mitteleuropa gelegen, weckt die arg angespannte Krisenlage Schützenhilfe aus beiden Himmelsrichtungen, wenn auch ersichtlich verhalten und distanziert. Gleichwohl sich die beiden Präsidenten nicht mehr ganz so grün sind. Der große, schützende Bruder im Osten will schlicht und einfach seine regionale, historische Einflusssphäre als seine wichtigste geopolitisch-strategische Waffe nicht gefährdet sehen, während die Westler ihre bewährten Chancen in der Verbreitung demokratisch-klassischer Werte wie ‚Freiheit und Gerechtigkeit’ mit aller Vorsicht einbringen. Der Schlagabtausch soll zunächst eher eine national-belarussische Angelegenheit bleiben. Gemäß dem erklärten Ziel der breiten belarussischen Oppositionstaktik. Schon bewundernswert und geradezu phänomenal wie diszipliniert und friedfertig sich die Belarussen im öffentlichen Raum verhalten. Dagegen wirken die seit Wochen so gut wie täglich ausgeteilten Rundumschläge der Staatsgewalt noch aggressiver, irgendwie hilfloser und, ja, dümmer – denn Gewalt erzeugt letztendlich doch nur Gegengewalt.
Flagge mit Symbolcharakter
Die Welt fragt sich, warum eigentlich eine rot-weiße Flagge so oft, zahlreich und heftig durch die Straßen der belarussischen Städte geschwenkt wird statt den geltenden rot-grünen Nationalfarben? Nun, sie strahlt eben eine ganz entscheidende Symbolkraft aus. Denn 1995 hatte eben dieser Lukaschenko jene traditionelle Fahne abgeschafft, die nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 zunächst übers belarussische Land wehte. Rot-weiß war im März 1918 die erste Flagge einer unabhängigen, belarussischen Volksrepublik gewesen, bevor sie damals schnell zu einer sozialistischen Sowjetrepublik und rot-grün mutierte. Und die Nähe zur kommunistischen Vergangenheit ist für weite Teile der Bevölkerung ja gerade nicht die Verheißung der Stunde – für Lukaschenko schon.
Hoffen auf Russland
An das Russland von heute klammert sich der Getreue denn auch als wohl letzten verbliebenen auswärtigen Retter. Er hätte sich nicht über Jahrzehnte im Sattel halten können, wären da nicht die mannigfachen sozialistisch geprägten Wohltaten wie zum Beispiel im kostenfreien Erziehungssystem und die zum Großteil staatsplangesteuerte, aber durchaus respektable Wirtschaftsleistung beifallsheischend zu propagieren gewesen. Nicht ganz ohne Fug und Recht. Aber nur Dank und mit dem kontinuierlichen, jährlichen Milliarden-Segen vom großen Bruders im Osten, der sich im Umkehrschluss aber auch stark abhängig von Produktlieferungen gemacht hat, so zum Beispiel von militärisch genutzten Spezialtransportern. Rückendeckung bekam Alexander Lukaschenko in den vergangenen Tagen auch von seinem Außenminister Wladimir Makei. In einer verständnissuchenden, aber auch warnend selbstbewussten Note an seine Amtskollegen in den gesammelten EU-Staaten argumentierte er: „Wir werden das unverändert und souverän durchziehen. Sie wissen, was Sanktionen bewirken. Wir alle werden im Dienst für unsere Länder und Völker nur Zeit verlieren in dieser sich schnell verändernden Welt.“ Und er erinnerte daran: „Welches ihrer Länder ist nicht durch schmerzvolle nationale Reifeprozesse gegangen? Ich bitte Sie, ohne Emotionen darüber nachzudenken.“
Der autokratische Staatschef stellt sich stramm seinem politischen Überlebenskampf. Es geht ihm um nichts weniger als die Vollendung seines Lebenswerkes. Selbst sein persönlich designierter ‚Thronfolger’, der fünfzehnjährige Sohn Nikolai, ist seit Jahren schon bei öffentlichen Auftritten an seiner Seite – gar mit Gewehr bei Fuß wie vor einigen Tagen vor seinem Amtssitz, da er unsinnigerweise einen NATO-gesteuerten Angriff befürchtete. Seine aufbegehrenden ‚Untertanen‘ stehen dagegen ebenso stramm für Ihre persönlichen Rechte und verständlichen Ziele. Bleibt nur zu hoffen, dass Lukaschenkos verstörende Gewaltmethoden nicht weiter eskalieren und umgekehrt im Volk erst gar nicht aufkeimen. Ein wünschenswertes Aufeinanderzugehen ist (noch) nicht in Sicht. Ende offen.