WARSCHAU (AFP)–Zwei Monate vor der Parlamentswahl in Polen am 15. Oktober setzt die nationalkonservative Regierung in ihrem Wahlkampf zunehmend auf einen anti-deutschen und EU feindlichen Kurs. Zu den Fragen, über die die Polen bei einer Volksabstimmung zeitgleich mit der Wahl am 15. Oktober abstimmen sollen, gehört die Formulierung: „Sind Sie für den Verkauf von Staatsunternehmen?“, wie der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczyński, vor wenigen Tagen ankündigte. Und Kaczyński legte gleich offen, was mit dieser Frage eigentlich gemeint ist: Deutschland, sagte er, wolle „Polen Tusk aufdrängen, damit er unser öffentliches Vermögen verkauft“. Donald Tusk, Chef der polnischen Bürgerplattform (PO) und von 2007 bis 2014 Regierungschef in Warschau, ist seit Jahren der Hauptgegner der regierenden PiS. Die Nationalkonservativen werfen dem früheren EU-Ratspräsidenten regelmäßig vor, russische Interessen zu vertreten. Nun wird er wieder einmal als Marionette Berlins dargestellt. Die antideutsche Karte zieht die seit 2015 regierende polnische Rechtspartei regelmäßig – nun, mitten im Wahlkampf, bedient sie das Ressentiment besonders gern. Politikwissenschaftler Marcin Zaborowski von der Lazarski-Universität in Warschau hält diese Strategie für erfolgversprechend. 30 bis 40% der Polen seien dem westlichen Nachbarland gegenüber bis heute „misstrauisch bis feindlich“ eingestellt, sagt Zaborowski. Mit ihrer anti-deutschen Rhetorik mobilisiere die PiS ihre Stammwählerschaft, Mitte Oktober zur Wahl zu gehen. Jüngsten Umfragen zufolge kann es sich die PiS bei der Parlamentswahl nicht leisten, auf die Stimmen ihrer treuen Unterstützer zu verzichten. Die Rechtskonservativen liegen demnach derzeit bei Werten um 33%, die von Tusks PO angeführte Bürgerkoalition KO folgt mit 26 bis 32% nur knapp dahinter. Mit dem von Parteichef Kaczyński angestrebten Referendum könne die PiS die Wählerschaft noch stärker in zwei Lager spalten, sagt Experte Zaborowski. Bei der Abstimmung soll es – neben den Staatsunternehmen – um die geplante Reform der EU-Asylpolitik gehen. Gegen diese sträubt sich Warschau, weil es jegliche verpflichtende Verteilung ankommender Migranten auf die EU-Staaten ablehnt. Politologe Zaborowski sagt, dank des begleitenden Referendums werde es am Wahltag nicht mehr nur um „eine einfache Wahl zwischen PiS und Opposition” gehen – sondern um den “allgemeinen Blick” auf die Welt. In diesem Zusammenhang sei die anti-deutsche Rhetorik der Regierungspartei in Wahrheit eine verkappte anti-europäische Rhetorik, erklärt Politologin Anna Materska-Sosnowka von der Universität Warschau. Die PiS wolle angesichts der vielen offenen Streitpunkte mit Brüssel zwar nicht offen die EU als Feindbild darstellen, sagt Materska-Sosnowka. Es sei aber offensichtlich, dass sie genau das beabsichtige, wenn sie Deutschland attackiere, den „mächtigsten EU-Mitgliedstaat”. Zaborowski glaubt, angesichts des verbreiteten Misstrauens gegen Berlin sei es der Regierungspartei „vollkommen gleichgültig“, was in Deutschland über sie gedacht wird. Wie die anti-deutsche Strategie konkret aussehen kann, zeigte sich jüngst wieder nach einem Interview von Manfred Weber, dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament. Dem ZDF hatte Weber gesagt, es gebe eine „Brandmauer“ auch gegen Vertreter der PiS, die „systematisch den Rechtsstaat und die freien Medien“ angriffen. Wer diese Grundsätze missachte, gehöre zu „den Gegnern“, die von der EVP bekämpft würden. Polens Regierungschef und PiS-Vertreter Mateusz Morawiecki reagierte erbost: Weber habe seine Partei als „Feinde“ bezeichnet, sagte er und forderte umgehend eine öffentliche Debatte mit ihm – was Weber ablehnte. Sogar Staatschef Andrzej Duda, selbst früher ein hochrangiger Vertreter der Nationalkonservativen, schaltete sich in die Debatte ein und beklagte „Versuche ausländischer Politiker, das Wahlgeschehen in Polen zu beeinflussen“. Dudas wichtigster Berater für internationale Angelegenheiten, Marcin Przydacz, ging in seiner Kritik noch weiter. Polen sei ein demokratischer Staat, sagte er zu Webers Aussagen. Und zwar mit einer „viel längeren demokratischen Tradition“ als Deutschland. In den letzten Jahren ist es der Regierung in Warschau gelungen, in den Kernbereichen der Wirtschaft wie Strom, Gas, Mineralöl, Versicherungen, Banken und Medien die staatliche Kontrolle massiv zu erhöhen.
OID+: Antideutsche Stimmungsmache im Wahlkampf
WARSCHAU (AFP)–Zwei Monate vor der Parlamentswahl in Polen am 15. Oktober setzt die nationalkonservative Regierung in ihrem Wahlkampf zunehmend auf einen anti-deutschen und EU feindlichen Kurs. Zu den Fragen, über die die Polen bei einer Volksabstimmung zeitgleich mit der Wahl am 15. Oktober abstimmen sollen, gehört die Formulierung: „Sind Sie für den Verkauf von Staatsunternehmen?“, wie der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczyński, vor wenigen Tagen ankündigte. Und Kaczyński legte gleich offen, was mit dieser Frage eigentlich gemeint ist: Deutschland, sagte er, wolle „Polen Tusk aufdrängen, damit er unser öffentliches Vermögen verkauft“.
Donald Tusk, Chef der polnischen Bürgerplattform (PO) und von 2007 bis 2014 Regierungschef in Warschau, ist seit Jahren der Hauptgegner der regierenden PiS. Die Nationalkonservativen werfen dem früheren EU-Ratspräsidenten regelmäßig vor, russische Interessen zu vertreten. Nun wird er wieder einmal als Marionette Berlins dargestellt. Die antideutsche Karte zieht die seit 2015 regierende polnische Rechtspartei regelmäßig – nun, mitten im Wahlkampf, bedient sie das Ressentiment besonders gern. Politikwissenschaftler Marcin Zaborowski von der Lazarski-Universität in Warschau hält diese Strategie für erfolgversprechend.
30 bis 40% der Polen seien dem westlichen Nachbarland gegenüber bis heute „misstrauisch bis feindlich“ eingestellt, sagt Zaborowski. Mit ihrer anti-deutschen Rhetorik mobilisiere die PiS ihre Stammwählerschaft, Mitte Oktober zur Wahl zu gehen.
Jüngsten Umfragen zufolge kann es sich die PiS bei der Parlamentswahl nicht leisten, auf die Stimmen ihrer treuen Unterstützer zu verzichten. Die Rechtskonservativen liegen demnach derzeit bei Werten um 33%, die von Tusks PO angeführte Bürgerkoalition KO folgt mit 26 bis 32% nur knapp dahinter.
Mit dem von Parteichef Kaczyński angestrebten Referendum könne die PiS die Wählerschaft noch stärker in zwei Lager spalten, sagt Experte Zaborowski. Bei der Abstimmung soll es – neben den Staatsunternehmen – um die geplante Reform der EU-Asylpolitik gehen. Gegen diese sträubt sich Warschau, weil es jegliche verpflichtende Verteilung ankommender Migranten auf die EU-Staaten ablehnt.
Politologe Zaborowski sagt, dank des begleitenden Referendums werde es am Wahltag nicht mehr nur um „eine einfache Wahl zwischen PiS und Opposition” gehen – sondern um den “allgemeinen Blick” auf die Welt. In diesem Zusammenhang sei die anti-deutsche Rhetorik der Regierungspartei in Wahrheit eine verkappte anti-europäische Rhetorik, erklärt Politologin Anna Materska-Sosnowka von der Universität Warschau.
Die PiS wolle angesichts der vielen offenen Streitpunkte mit Brüssel zwar nicht offen die EU als Feindbild darstellen, sagt Materska-Sosnowka. Es sei aber offensichtlich, dass sie genau das beabsichtige, wenn sie Deutschland attackiere, den „mächtigsten EU-Mitgliedstaat”. Zaborowski glaubt, angesichts des verbreiteten Misstrauens gegen Berlin sei es der Regierungspartei „vollkommen gleichgültig“, was in Deutschland über sie gedacht wird.
Wie die anti-deutsche Strategie konkret aussehen kann, zeigte sich jüngst wieder nach einem Interview von Manfred Weber, dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament. Dem ZDF hatte Weber gesagt, es gebe eine „Brandmauer“ auch gegen Vertreter der PiS, die „systematisch den Rechtsstaat und die freien Medien“ angriffen. Wer diese Grundsätze missachte, gehöre zu „den Gegnern“, die von der EVP bekämpft würden.
Polens Regierungschef und PiS-Vertreter Mateusz Morawiecki reagierte erbost: Weber habe seine Partei als „Feinde“ bezeichnet, sagte er und forderte umgehend eine öffentliche Debatte mit ihm – was Weber ablehnte. Sogar Staatschef Andrzej Duda, selbst früher ein hochrangiger Vertreter der Nationalkonservativen, schaltete sich in die Debatte ein und beklagte „Versuche ausländischer Politiker, das Wahlgeschehen in Polen zu beeinflussen“.
Dudas wichtigster Berater für internationale Angelegenheiten, Marcin Przydacz, ging in seiner Kritik noch weiter. Polen sei ein demokratischer Staat, sagte er zu Webers Aussagen. Und zwar mit einer „viel längeren demokratischen Tradition“ als Deutschland.
In den letzten Jahren ist es der Regierung in Warschau gelungen, in den Kernbereichen der Wirtschaft wie Strom, Gas, Mineralöl, Versicherungen, Banken und Medien die staatliche Kontrolle massiv zu erhöhen.